Volk – was soll das denn sein?

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Volk – was soll das denn sein?

Ein unbrauchbares Wort?

Wer heutzutage – zumindest in Deutschland – das Wort „Volk“ in den Mund nimmt, muss sich warm anziehen. Das Wort ist schließlich derartig missbraucht worden, dass man gar keinen Begriff mehr davon hat, was mit dem Wort eigentlich gemeint sein könnte. Darum gebraucht man es besser nicht mehr, oder?

Aber – wie soll man dann nennen, was mit dem Wort eigentlich bezeichnet wird? Gibt es das nicht mehr? Wir kennen das ja: wird ein Wort erst oft genug missbraucht, kann man den dazugehörigen Gegenstand bald gar nicht mehr benennen. Schließlich kann jedes Wort auch diskriminierend oder anderweitig moralisch inakzeptabel verwendet werden.

Rasse

Nehmen wir – um gleich in die Vollen zu gehen – das Wort „Rasse“. Seit dem unsäglichen Missbrauch, der mit dem Wort getrieben wurde, als bestimmte Menschengruppen meinten, in ihnen allein sei das Heil der Welt zu finden, warum alle anderen Menschen eben weg könnten, seit diesem Missbrauch also kann man das Wort nicht mehr benutzen. Jetzt tritt bloß ein Problem auf: wie nennt man jetzt die ganz unzweifelhaft körperlich, teilweise auch seelisch unterschiedlich konfigurierten Gruppen von Menschen, die über die verschiedenen Landstriche verteilt die Erde bewohnen?

Welches Wort man auch nimmt, es kann einem unter diesem Gesichtspunkt immer aus dem Mund gerissen, umgedreht und wieder hineingesteckt werden. Der real und unzweifelhaft existierende Unterschied der Menschengruppen wird dadurch sozial bedingt unbenennbar, und entsprechend verschwindet ein Teil der Realität, nämlich die genannten Unterschiede, sozial bedingt aus dem Bewusstsein der Menschen – und bleibt doch in der Realität vorhanden. Nur der Begriff wird auf diese Weise nach und nach beseitigt.

Na, wunderbar, mag mancher nun sagen, endlich ist dieser Quell grober Ungleichheit mal weg! Es gibt eben einfach keine Rassen mehr. Nur – ist das nicht etwas realitätsfremd? Die Unterschiede sind doch faktisch da!??

Damit ist das Grundproblem bezeichnet, das heutzutage die öffentliche Meinung bestimmt. Die Realität hat sich gefälligst den Moralurteilen unter zu ordnen, die sich aus der herrschenden weltanschaulichen Lehre ergeben. Die Menschen haben eben gleich zu sein, und deswegen gibt es möglichst keine (ich übertreibe etwas) Männer, keine Frauen, keine Kinder, keine Alten, keine braunen, weißen, schwarzen, gelben, rotbraunen etc. Menschen mehr. Das hat für bestimmte Zwecke einen unbestreitbaren Vorteil: was normiert ist, lässt sich leichter und profitabler industriell verwerten. Entschuldigung, das war ein bisschen polemisch.

Volk

Schlimmer noch als mit der „Rasse“ ist es mit dem „Volk“. Kann man bei der „Rasse“ ja noch immer ganz augenscheinliche Unterschiede feststellen und damit wenigstens unter Zuhilfenahme von allerlei Entschuldigungsfloskeln fordern, dass Unterschiede zumindest in bestimmten Kontexten nicht gänzlich geleugnet werden sollen, – beim „Volk“ geht das sehr viel schwerer. Die Unterschiede sind nicht so auf der Hand liegend, teilweise sehr viel subtiler. Darum ist das Wort „Volk“ auch noch viel schwieriger zu verwenden. Das Wort „Volk“ fordert nämlich viel mehr noch als „Rasse“ einen Begriff, um es überhaupt verwenden zu können. Und – einmal ganz dumpf gefragt – haben wir einen solchen Begriff denn wirklich?

Ja doch, kann man sagen, ein Volk ist eben die Gesamtheit der Menschen, die in einer Gegend der Erde gemeinsam lebt, dort geboren ist und außerdem eine bestimmtes Maß gleicher Gene hat – einmal vorsichtig ausgedrückt. Man könnte auch sagen: Blut und Boden entscheiden, wer zu einem Volk gehört oder nicht. Und genau das geht eben nicht mehr in unserer Zeit. Diese Denkweise ist brutal zerstörerisch wirksam gewesen und noch wirksam. Wer heute noch aus der Vergangenheit, also aus dem Geburtsort und den Vorfahren festlegen will, wer zu einer besonderen Gruppe von Menschen gehört, gerät allerschnellstens in gefährliche Fahrwasser.

Denn es ist dann nicht mehr weit, der einen oder anderen Gruppe vom Menschen besondere Eigenschaften oder Fähigkeiten zu zu erkennen, die andere eben nicht haben, und dann entscheidet sehr schnell die Weltanschauung (welche Eigenschaften sind wünschenswert, welche weniger oder nicht?) über die „Rangordnung der Völker“. Nein, danke, das brauchen wir nicht mehr.

Das Wort ist also, in dieser äußerlich-körperlich definierten Inhaltsbestimmung, nicht mehr brauchbar. Aber ist das die einzig mögliche Inhaltsbestimmung? Wird jedes Wort, das von irgendeiner Menschengruppe missbraucht wird, dadurch unbrauchbar? Gilt dann nur noch Neusprech? Alles, was ja Gegenstand des Missbrauchs war, gerät dann ja auch aus der Benennbarkeit und damit nach und nach – aus dem Bewußtsein. Wem nützt das? Genau: demjenigen, der die Unterschiede immer noch kennt und sie für seine Zwecke nutzt. Die andern merken es dann nicht, wissen ja nichts davon …. So ein Mist. Was nun?

Ein anderer Begriff von „Volk“

Aber nun einmal anders hingeschaut. Was wäre, wenn ich das Wort nur gebrauchte, um unterschiedliche Gruppen von Menschen zu bezeichnen, die bestimmte körperlich-seelisch-mentalitätsmäßige Eigenschaften besonders ausgeprägt haben, ganz unabhängig davon, wo und wann und von wem sie geboren wurden? Manchmal kann ja auch das Seelisch-Mentalitätsmäßige viel stärker sein als das Körperliche, und dafür sorgen, dass Menschen sich an einen Ort auf der Erde gezogen fühlen, wo eben ihnen Ähnliche leben. Es kann ja auch sein – was im Übrigen jeder normal denkende Mensch heute weiß – dass bestimmte Landschaften bestimmte Grundstimmungen der Menschen fördern oder behindern, also auch zur seelisch-mentalitätsmäßigen Konfiguration beitragen. Und dann finden sich eben in einer bestimmten Gegend besonders viele von denen ein, die dort eine ihnen entsprechende Umgebung finden. Wie, wenn man solche Menschen jetzt „Volk“ nennen würde? Das würde ja auch ermöglichen, dass jemand selber sich zum Angehörigen eines bestimmten „Volkes“ erklären könnte – ganz im Sinne der freiheitlichen Grundauffassungen, von denen ja heute so viel gesprochen wird. Wäre das was?

Ich finde, ja. Und ich finde es außerdem völlig blödsinnig, jetzt dafür irgendein verschwurbeltes Kunstwort auszudenken, bloß damit man das naheliegende „Volk“ nicht benutzen muss.

Die Menschen sind in Entwicklung

Diese Haltung hat noch einen weiteren Grund. Alle Menschen – das ist wohl kaum bezweifelbar – befinden sich in einem Entwicklungsprozess. Sie verändern sich also fortwährend – der Einzelne, und damit auch die Gesamtheit der Menschen.

Durch das Zusammenleben der Menschen, die immer unterschiedlichen Beiträge, die die individuellen Menschen dazu leisten (förderliche und hemmende), zeigt sich ein Entwicklungsgang der Gesamtmenschheit, in dem sich eine Richtung ausmachen lässt, mindestens in Bezug auf das Sozialverhalten. Und diese Richtung geht eben von den größeren Zusammenhängen zu immer kleineren, bis hin zum Einzelnen. Wo Menschen bis vor wenigen Jahrhunderten noch durch ihr Herkommen (lokal, sozial) weitestgehend definierte Möglichkeiten und Bedingungen hatten, ist heute alles offen. Ja, alle Versuche, althergebrachte „Sortierkriterien“ für die Menschen wiederum ungeschmälert anzuwenden, können heutzutage eigentlich nur noch Belustigung oder – leider – Gruseln hervorrufen.

Schauen wir doch mal auf die Staaten, in denen eine besondere Auffassung des Islam für alle Menschen verbindlich gelten soll. Zu Recht sagen wir: das ist archaisch, das gehört nicht mehr in unsere Zeit. Oder schauen wir auf eine bestimmte Art biedermeierlicher Bürgerlichkeit: ja, das hatte seine Berechtigung, aber heute? Oder auch die Einteilung der Menschen nach „Klassen“ – das war einmal, das ist nicht mehr! Die Menschen sind anders geworden, viel individueller, jeder für sich. Ihr Zusammenleben hat sich entsprechend auch geändert. Kurzum: der Mensch definiert sich immer weniger über irgendwelche Gruppenbegriffe und zunehmend durch sich selbst, seine eigene Individualität. Das ist für viele gesellschaftliche Prozesse kompliziert zu handhaben, besonders für diejenigen, die eben standardsierbare Objekte benötigen, aber es ist nicht zu ändern. Wer will sich denn schon von außen, durch irgendwelche Maßstäbe vorschreiben lassen, wie er zu sein hat und was er darf, kann, soll oder nicht?

Und eben deswegen funktioniert ein Begriff von „Volk“ nicht mehr, der die Menschen allein aus ihrem irdischen Herkommen definiert. Menschen von ähnlicher Geistes- oder Seelenart gibt es darum immer noch. Und die ist eben durch den Menschen selber veränderbar. Wer sich eben als „Bauer“ fühlt, ist „Bauer“. Wer sich als „Friese“ erlebt, ist „Friese“, durch eigene Entscheidung. Über die genauen Eigenschaften des Leibes können wir scheinbar noch nicht wirklich selber bestimmten, aber hoppla: nehmen wir einmal an, der geistig-seelische Mensch würde schon existieren, bevor der körperliche Mensch auftaucht. Dann wäre es doch denkbar, dass der einzelne Mensch schon auch mindestens mitbestimmt, wie sein Körper sein wird, oder? Manchmal klappt das dann nicht wie gewünscht, aber sei’s drum.

Begriffsverbote sind Denkverbote

Und da haben wir des Pudels Kern. Macht man ein Wort (moralisch-weltanschaulich bestimmt) unbenutzbar, so kann man nach und nach das damit Bezeichnete aus dem allgemeinen Bewusstsein hinausbefördern. (Anmerkung: das ist eine Zeitkrankheit, die vor allem in der Politik und den zugehörigen „freien Presseorganen“ grassiert. Was auch immer, es wird erst moralisch beurteilt, und danach legt man fest, welche sogenannten Fakten man der Öffentlichkeit mitteilt. Muss ja alles passen, oder?) Und mit dem eingeschränkten Bewusstsein der so behandelten Menschen wird es dann erheblich schwerer, auf so seltsame Gedanken zu kommen, der Mensch könne irgendetwas selber (mit-)bestimmen, er hätte einen irgendwie freien Geist oder so. Es ist alles durch die Vergangenheit bestimmt. Nur darf man das nicht mehr denken, denn dann käme man vielleicht auf die „natürlich völlig abstruse Idee“, dass diejenigen, die davon profitieren, über derartige Begriffsverbote das allgemeine Bewusstsein zu ihren Gunsten dumpf halten.

Ist der Mensch ausschließlich durch sein körperlich-materielles Sein bestimmt, so ist das Reden von einem freien Willen ja sowieso nur eine Einbildung – so redet man den Menschen ein, die man gerne zu den eigenen Zwecken benutzen möchte. Zur Realisierung des eigenen Willens benutzen möchte, genauer gesagt. Die Ideologie – welche denn auch – wird so zum Herrschaftsinstrument. Nur sei die Frage erlaubt: wenn derjenige, der herrscht, genau so ein Mensch ist wie der andere, Beherrschte, wie kann er das denn dann, das Herrschen, nach dem eigenen Willen? Wir kommen an die Grenze des heute Erlaubten. Selber denken, wo kommen wir denn da hin? Propagiert wird: unser Denken ist doch immer nur Funktion einer Ideologie, die ist Funktion von körperlichen Prozessen etc. pp. Bloß: wer denkt und sagt sowas? Wieso kommt der darauf, sowas zu sagen und zu denken? Er ist doch nur Funktion von … lassen wir das.

Schwierige Fragen

Mit dem Vorstehenden sind Fragen aufgeworfen, die mancher als schwierig ansehen könnte. Sie sind aber meiner Ansicht nach unausweichlich. Die Entwicklung der heutigen Gesellschaft weist überall darauf hin, dass alte, aus Vorzeiten stammende Denk- und Lebensgewohnheiten aufeinander prallen, miteinander kämpfen und unendliches Leid auslösen. Muss das denn sein?

Genau da, wo das Problem zu finden ist, liegt oftmals auch die Lösung. Jeder hat heutzutage seine Art zu denken, zu fühlen und zu wollen. Und natürlich sieht sich jeder in dem Recht, diese Art auch zu leben. Aber woher hat er diese Art? In welchem Verhältnis steht sie zu anderen Arten der Lebensauffassung? Kann nicht jede Art zu leben auch eine Bereicherung aller anderen werden, wenn wir nur einmal davon absehen, immer das Gewordene als ausschließlich Bestimmendes, und in weiten Teilen Unveränderliches anzusehen?

Ja, genau, sagen dann manche, eben doch: alle Menschen sind gleich. Jeder ist eine Bereicherung, nur die nicht, die das nicht glauben wollen, die wollen alle anderen zwingen. Ehm – geht’s noch? Gemerkt?

Wie gesagt, die auftauchenden Fragen sind schwierig.

Wie denn nun: Gibt es „Völker“?

Entkleidet man einmal alle Begriffe von ihrer ausschließlichen Vorbestimmung durch die Vergangenheit (ausschließlichen, sage ich!), dann zeigt sich schnell, dass das ganz Individuelle jedes Menschen sich auch darin ausspricht, zu welchen sozialen oder Mentalitätsgruppen er tendiert. Oder zu welchen Landschaften er sich hingezogen fühlt. Und dann kann man auch zu der Auffassung kommen, dass solche sozialen, lokalen und Mentalitätsgruppen eben auch etwas sind, was eine Bereicherung sein kann. Nur dann eben nicht festgelegt, aus der Vergangenheit vorbestimmt, sondern immer in Entwicklung, gemeinsam mit allen anderen Gruppen, und dann zeigt sich auf die Dauer, wo ein kultureller Kern unter den Menschen lebt, der andere anzieht ohne Zwang, der Freiheit schenkt durch sich selbst. Da braucht man dann keine Kriege, keine Meinungsmanipulation, kein Marketing und dergleichen.

Wie wäre das denn: aus freier Entscheidung der einzelnen entstandene Volks-, Sprach-, Landes- und auch Geistes-Gemeinschaften übertreffen einander im Wettstreit um die konstruktivsten Beiträge zur Entwicklung Aller? Die dann auch damit leben können, dass die Erde überall andere Lebensbedingungen bietet, überall darum auch Menschen mit unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten beherbergt?

Sicherlich doch ein wünschenswertes Bild, oder? Nur funktioniert es nicht, wenn nicht zuerst Einzelne damit anfangen, so zu leben, und die anderen eben so leben lassen, wie sie das können und wollen. Und wer dann eben so leben will, dass er sich und sein aus der Vergangenheit definiertes „Volk“ für die Herrenklasse hält – wir werden ihn nicht ändern können, denn er lehnt wie wir selber jeden Zwang ab. Und wer den anderen zwingen will, hat selber eben noch nicht die Freiheit. Siehe oben: alle Menschen sind gleich!?

Ein Beispiel aus der Vergangenheit

Dafür ist sie gut, die Vergangenheit: Beispiele zu finden, die uns hinweisen können auf Wege zur Lösung ganz praktischer Probleme.

Die Friesen hatten unter sich eine Regel aufgestellt (und sich verbindlich bestätigen lassen), dass kein Friese zum Kriegsdienst ausserhalb der eigenen Landesgrenzen gezwungen werden dürfe. Entsprechend – ein bisschen wie die Bretonen bei „Asterix und Obelix“ – schlugen sie sich am liebsten untereinander, solange niemand von außen ihnen etwas wollte. Versuchte es aber doch der eine oder andere, konnte er sich leicht die Zähne ausbeißen, denn ihre Freiheit war den Friesen heilig, und wer daran rütteln wollte, hatte sie plötzlich alle vereint gegen sich.

Der aufrechte, wahrhaftige Kampf zum Schutz des Eigenen im irdischen Leben kann wohl niemandem verwehrt werden. Und wenn der dann so geführt wird, dass er die Würde, die Freiheit und den Besitz des anderen achtet, das Anderssein nicht verurteilt, sondern wirklich nur den Übergriff abwehrt, dann spricht darin nur die Unvollkommenheit der irdischen Daseins, nicht aber irgendeine Überhebung, irgendein Weltherrschaftsdrang oder dergleichen.

Auch wer dabei vielleicht unterliegen muss, hat dennoch seinen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit geleistet – hin zur Freiheit, gemeinsam Mensch zu werden.

© Stefan Carl em Huisken 2019

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