So weit haben wir es also gebracht – eine Brandrede zu Weihnachten

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Nun fällt sie uns auf die Füße, die Frucht unserer Selbstvergessenheit. Wir haben es versäumt, rechtzeitig herauszufinden, woran es liegt, dass jeder neue Gewinn an technologischer Macht über Kurz oder Lang zu neuen Wellen der Selbstzerstörung führt. Selbstzerstörung nicht bei allen und bei jedem, selbstverständlich. Aber bei dem „Wir“ das ich hier meine: dem „Wir“ aller Menschen, der Menschheit insgesamt. Denn ohne das Ganze der Menschheit ist der Einzelne nichts, nicht existenzfähig.

Wir haben lange gemeint, die ungeheure äußere Macht der toten Maschine würde uns in eine neue Welt sorgenfreien Lebens katapultieren. In beeindruckendem Maße scheint das ja auch geglückt zu sein – für Einige. Und wir hier, in der sogenannten zivilisierten, entwickelten Welt danken der Technik unsere Freiheit in gewissem Sinne ja auch wirklich. Aber auf wessen Kosten?

Der in der äußeren Welt lebende Mensch, der so Vieles in der Welt zu erklären gelernt hat, hat darüber Eines ganz vergessen: sich selber als real erlebendes Wesen kennt er nicht mehr.

Gewiss, wir wissen Vieles über bestimmte leibliche Erfordernisse eines jeden Menschenlebens; auch über sogenannte „seelische Bedürfnisse“ dessen, was wir in unseren Erklärungsversuchen „Mensch“ nennen, glauben wir Einiges sagen zu können. Es mag ja auch Vieles davon sinnvoll und richtig sein im Rahmen der gewählten Erklärungsansätze.

Was wir aber nicht wirklich kennen, was wir sogar aus aller Erkenntnis meinen heraushalten zu müssen, weil die Erkenntnis sonst Gefahr liefe, „falsch“ zu werden, das sind wir selbst: die konkreten erlebenden, denkenden, fühlenden, wollenden Wesen, die wir niemals in der äußeren Welt finden können, weil sie dort einfach nicht sind: das ICH, das all das erlebt und tut, es ist nirgends dort zu finden, wo all das Erlebte, Erkannte und Getane west und wirkt.

Das ist unser Versäumnis: wir haben den Menschen aus der Welterkenntnis ausgeschlossen: uns selbst, von dem wir doch sicherer als bei allem Anderen wissen können, dass es existiert. Ohne das Ich als Zentrum und Schauplatz des Weltgeschehens hätte alles, was uns umgibt, Bedeutung und Ziel verloren. Genau dies, die Ausrottung des real im Geist sich selbst erlebenden MENSCHEN, betreiben wir dadurch, dass wir nicht danach streben, uns selbst für die Welt zu entwickeln, sondern stattdessen die Welt zu unserer Bequemlichkeit technologisch auszubeuten, oder – wie Manche wollen – sie als unbedeutend anzusehen, nämlich als etwas, das möglichst schnell für unser Wohlergehen (darum geht es!) unnötig werden soll.

Wenn wir auf uns selber zu schauen vermeinen, sehen wir vorrangig unsere Wünsche, die sich aus den Bedingungen des irdischen Daseins ergeben. Das ist unser irdisches Wesen, das Weltenwesen, das wir auch sind. Was aber in diesem irdischen Wesen als Geistiges lebt, ist das ICH, das frei sein will. Das wird es aber niemals durch Erfüllung irdischer Wünsche. Dieser Weg führt in die Sucht, in immer weiteres Ausufern der Wünsche, und zugleich in immer größere Bequemlichkeit und damit einhergehenden Verfall menschlicher Fähigkeiten. Der derzeitige Zustand der Welt ist Beweis genug dafür.

Damit ist nichts gesagt gegen den Gebrauch heutiger Wissenschaft und Technik; beide haben ihren Anteil an unserem Freiwerden. Aber es ist entscheidend, ob wir selber, aus dem freien Geist, in Ansehung unserer eigenen Bedeutung im Weltenganzen all diese Gaben zu nutzen verstehen, oder ob wir es tun ohne den Blick darauf, wer wir selber sind, werden wollen und werden sollen.

Was ICH bin, bin ich geworden aus der Welt, mit allen Wirkungen der Taten zahlloser Menschen vor mir im Gang der gesamten Menschheitsentwicklung seit einem wie immer gearteten Weltenbeginn. Was wir heute tun, prägt die Welt, aus der unsere Nachkommen hervorgehen werden und in der sie zu leben haben. Das sollten wir bedenken.

Selbst wenn wir das tun, fehlt uns ohne eine wirkliche Erkenntnis unserer Selbst, unseres geistigen Kernes, aller Sinn und jedes Ziel für unser Tun. Wenn wir ehrlich sind: wir haben doch alle Ideale verloren, jedenfalls die, die über unsere eigenen irdischen Lebenswünsche hinausgehen. Solche Ideale erleben wir nicht als etwas Wirkliches, sie sind uns nur Meinungen subjektiver Art, die eben jeder für sich selber setzt und mehr oder weniger befolgt.

Wir selber sind uns dabei völlig abstrakt geworden, und damit auch alle Welterkenntnis. Mit der Wahrheit unserer Selbst haben wir auch die Wahrheit der Welt verloren. Gewaltige Denkkraft wird und wurde darauf verwendet, zu beweisen, zu begründen und als großartige Erkenntnis anzupreisen, dass es eine Wahrheit gar nicht geben kann. Aber ist denn diese Erkenntnis wahr?1Jeder einzelne Mensch, der sich selber ernst nimmt, ist doch der lebende Beweis der Wahrheit seiner Existenz! Und alles, was er über die Welt erkennt, existiert doch nicht ohne ihn! Und diese Grundbedingung aller Erkenntnis soll unwahr, subjektiv, erkenntnisverfälschend sein?

Ja, das kann sein. Aber nur solange bis der erkennende Mensch sich aufrafft, seine eigene, grundlegende, wahre Bedeutung für alle Erkenntnis anzuerkennen, und dann dieses Anerkenntnis zum Anlass nimmt, sich selber zu erforschen, zu erkunden und davon ausgehend sich selber geeignet und würdig zu machen für eine unverfälschte Erkenntnis der Wahrheit. Solange er selber sich ausschließt aus der Erkenntnis, gibt es keine Wahrheit. Solange werden auch die Ergebnisse seiner Erkenntnistätigkeit ihn selber unberücksichtigt lassen – und eben unmenschlich, nicht menschengemäß, nicht menschenwürdig sein.

Das ist unser Versäumnis, dessen Folgen uns jetzt auf die Füße fallen. Wir haben uns selber als real sich selber im Geiste erlebende Wesen aus der Erkenntnis und damit aus der Wissenschaft und Technik ausgeschlossen. Jetzt wirken die von uns aufgebauten toten, maschinellen Prozesse im Sinne des auf das irdische, einzelpersönliche Sein bezogenen Egoismus. Sein Ziel ist immer das Erlangen von Macht zur Erfüllung solcher egoistischer Wünsche. Und wem aus den Eroberungen der Vergangenheit solche Macht zugefallen ist, der wird sie zu erweitern trachten, und sicher niemals freiwillig aus der Hand geben.

Aber auch diese Machtegoisten sind Menschen. Auch sie zerstören mit ihrem Tun letztlich die Grundlage ihres eigenen Seins. Auch sie werden – wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher – ihre Menschlichkeit, ihr ICH nicht dauerhaft machen können. Denn auch sie sind, weil auch sie sich selber nicht kennen, nur Sklaven des technologischen Dogmas der vermeintlichen Weltbeherrschung.

Was hält uns davon ab, endlich dem MENSCHEN den ihm gebührenden, seiner Stellung in der Welt würdigen Platz zu geben? Alles, was dagegen eingewendet werden kann, ist letztlich Frucht der Selbstvergessenheit. Wollen wir wirklich weiter mit einem Denken, einer Wissenschaft, die den eigenen Kern nicht kennt, die Schäden zu bekämpfen suchen, die gerade Folgen sind dieses Denkens, dieser Wissenschaft? Es ist hoffnungslos – das wird nicht funktionieren.

Und je länger wir uns weigern, uns selber als reale Geistwesen, als wirkliche ICH-Menschen anzuerkennen, desto tiefer versinken wir alle im Sumpf menschenunwürdiger (!) Selbstvergessenheit.

Sei im Bewußtsein Träger des Ich
Des Alten vom Tage
Des Herz die Zeit
Des Leib der Weltraum ist,
Des Geist in Deinem Geist
Als Kind erwacht.
Sei Deines Kindes wissender Hüter.
Bedecke es nicht mit Staub.
Gib Nahrung ihm.

(Helmut Siegfried Unbehoven)

Das hier genannte Kind ist das wahre „Kind in der Krippe“, dessen Kommen die Welt zu feiern hat. Die unwürdigen Umstände, unter denen wir zur Zeit diese Feier zu begehen haben, sind eine der heutigen Welt entsprechende Metamorphose des biblischen Bildes: der Erlöser soll geboren werden, aber es findet sich keine Herberge. Bei den Tieren im Stall schließlich findet statt, was der Welt die Erlösung bringen soll2.

Beruhigen wir uns also über diese Zustände. Wenden wir uns lieber dem zu, worum es eigentlich gehen muss, was uns obliegt: uns selber als vor der Welt und für die Welt verantwortliche Menschen anzuerkennen, und auf dieser Grundlage dem in uns zu gebärenden neuen, geistigen Menschen – dem „Kind“, dem „Künder“, unserem „höheren ICH“ – eine Herberge zu geben. Dann haben wir auch eine Chance, dem in uns erstehenden Kind die rechte Nahrung zu geben, so dass es kräftig und weltenwirksam heranwachsen kann.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Anders gesagt: Alle Kretenser lügen, sagt ein Kretenser.

2Man durchdenke das Bild in meditativer Form. Es stimmt bis in die Einzelheiten.


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können. Auch der oben angesprochene Weg der Selbsterziehung zur wahrer Erkenntnis wird darin angesprochen.

3 Kommentare

  • Renate Stiegler

    Lieber Stefan ! Danke für deine Brandrede. Was du uns damit vermitteln möchtest, ist klar: Wir „veräußerten“ Menschen haben den Blick in unser Inneres verloren und damit uns selbst.
    Wer von sich sagen kann, dass er selbst mit sich alleine in bester Gesellschaft weilt, ist wahrscheinlich ein glücklicher Mensch. Die ausufernde Konsumtätigkeit ist gewollt, auch um den Preis der Selbstzerstörung. Zur Intravision gehört die Fähigkeit zur regelmäßigen , fürsorglichen Selbstreflexion, Ruhe, Muße, Selbstliebe und Nächstenliebe. Nichts davon wird in der Schule so konsequent unterrichtet wie beispielsweise Konkurrenzfähigkeit und materielle Selbstoptimierung.
    Und dennoch ist nichts verloren, denn jeder gute Gedanke und jede noch so kleine gute Tat verändert genau in diesem Moment des Geschehens die Welt zum Guten. Dazu ist jeder unumstößlich ermächtigt.
    Mut zu haben, auf das zu schauen, was gelingt, das wünsche ich dir für das neue Jahr!
    Herzliche Grüße Renate

  • Bucher Gabriele

    vielen Dank für diesen Beitrag, auf den ich bei der Recherche über H.S. Unbehoven gestossen bin, dieses Gedicht und noch ein wenig mehr kenne ich aus meiner Ausbildung in Sprachgestaltung und Schauspiel bei Christa Kalamala an der Bremer Bühne. Wissen Sie mehr über diesen Autor und sein (unveröffentlichtes) Werk? Mein spezieller „Ertrag“ aus Ihrem Beitrag war, sorgfältig zwischen „Selbstvergessenheit“ und „Selbstlosigkeit“ zu differenzieren. Herzliche Grüsse, Gabriele Bucher

    • Stefan Carl Em Huisken

      Vielen Dank für Ihren Kommentar. Unbehoven kenne ich auch aus meiner Lernzeit bei Christa Kalamala. Ich melde mich die Tage noch bei Ihnen. Herzlicher Gruß Stefa Carl em Huisken

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