Die Angst und die Milliardäre
Wer ist Milliardär?
Wie kommt man eigentlich dazu, ein Milliardär zu werden? Lohnt der Aufwand, oder ist es ganz leicht? Immerhin gibt es genügend Menschen, die das als erstrebenswert ansehen – allerdings sind das vor allem solche, die dieses ZIel wohl kaum jemals erreichen werden. Was also ist – in seinem Herkommen, seinem Dasein und seinen Möglichkeiten – ein Milliardär? Wie erfreulich ist so eine Existenz dann eigentlich? Hat er auch Angst?
Dass er der Definition nach Milliarden irgendeiner Währung mindestens dem Papier nach besitzen muss, ist ja klar. Aber das ist ja nichts spezifisch Menschliches. Darum soll es aber gerade hier gehen: was bedeutet es, so viel zu besitzen, einmal ganz menschlich betrachtet, ohne Neid und eigene Wünsche?
Zunächst einmal: in der äußeren Welt, so wie sie nun einmal ist, kann er sich alles leisten. Da ist alles käuflich: Orte, wo man tun und lassen kann, was man will, Schutz vor Nachstellung, Verfolgung und übler Nachrede (dafür braucht man Sicherheitsdienste, Korruption bei Politikern und Beamten und käufliche Medienkampagnen, alles ja heutzutage kein Problem). Wir wissen ja, wie das geht: die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Unsere Zeit bietet täglich neues Anschauungsmaterial. Im Prinzip sind alle derartigen Wünsche erfüllbar; man hat die Macht in den Händen, wenn man reich ist, und man wird durch diese Macht immer reicher.
Wonach man meistens nicht fragt, denn da wird es peinlicher: warum scheint ein solches Dasein als Reicher und Mächtiger überhaupt erstrebenswert? Was gewinnt der Reiche und Mächtige für sich selber dadurch, dass er eben so reich und mächtig ist? Denn das Geld, das weiß man ja, kann man nicht essen; es ist nur Mittel zum Zweck – zum Zwecke der Macht.
Macht und Angst
Was bedeutet es denn dann eigentlich, Macht zu haben? Einfach tun zu können, was einem gerade einfällt? Nun, Freiheit, sagt mancher. Aber dann Freiheit wovon, wofür? Freiheit für meine Wünsche? Für mein Nichtstunwollen? Meine Bequemlichkeit? Bin ich das denn alles, oder sind das nur meine „Auftraggeber“, denen ich durch meinen Reichtum und meine Macht zu Diensten bin? Weil ich mich ihnen nicht widersetzen will? Habe ich etwa Angst vor meinen Wünschen, meiner Bequemlichkeit, meinem Nichtswollen und vielleicht auch meinem Nichtskönnen? Und dann wird die Angst betäubt, mit äußerem Haben, äußerer Macht. Wer bin ich dann eigentlich? Sklave meiner Milliarden? Oder habe wirklich ICH die Macht? Wovor habe ich wirklich Angst?
Es wird wohl die Angst vor der Einsicht in die kaum zu leugnende Tatsache meiner eigenen Nullität sein. Denn mich selber kann ich nirgends in der Welt haben, und von etwas Anderem als von dieser Welt kann ich nichts wissen. Immer wenn die Welt weg ist, bin ich es auch – im Schlaf zum Beispiel, oder im Tod. Beim Schlaf beeinträchtigt mich das nicht so viel, denn daran habe ich mich gewöhnt, auch daran, dass ich dann ja wieder aufwache. Aber beim Tod ist das schon anders – das wäre ja dann endgültig die vollkommene Null, das Nichts, das Endgültige, die völlige Ohnmacht.
Darum sind es besonders Milliardäre, die ihr Dasein möglichst verewigen wollen, zum Beispiel durch „Kopieren“ ihrer Person auf eine Maschine oder durch ähnliche Manipulationen. Aber hilft das überhaupt? Wäre man die Angst dann los? Und wenn dann einer den Strom abschaltet, oder den Speicher irrtümlich löscht? Oder ein Bauteil versagt, und dann wegen digitaler „Demenz“ sozusagen meine maschinelle Kopie Schaden nimmt oder ganz verschwindet? Hat die „Kopie“ dann auch Angst, oder kann die das gar nicht, hat sozusagen die Fähigkeit verloren, Angst zu haben? Und wenn sie keine Angst hätte – wäre es dann wirklich eine Kopie von mir? Wäre ICH das dann noch? Wäre ich dann nicht plötzlich den Grund los, aus dem heraus ich mich verewigen wollte? Wäre es dann überhaupt noch erstrebenswert, ewig zu sein, nicht mehr sterben zu müssen – und zu können?
Die absolute Nullität
Fragen über Fragen, und keine wirkliche Antwort. Aber eine Antwort ist möglich. Nämlich dann, wenn ich mir eingestehe, dass ich diese absolute Nullität, vor der ich mich fürchte, schon lange bin. Ich habe nur Angst gehabt – habe sie noch – mir das einzugestehen. Aber ja, aus mir kommt alles, was ich tue. Doch mich, den Tätigen, den kenne ich nicht, der ist eben Null für mich. Ich kenne nur, was er in der Welt bewirkt, also die Ergebnisse seiner Macht. Und daran klammere ich mich, weil ich eben sonst nichts habe von mir. Und darum will ich mich in der Welt verewigen – aber da bin ich ja gar nicht, nur meine Werke … Egal, Hauptsache, ich vergesse mich, das NICHTS, das ich mir selber bin, und vor dem ich – Angst habe.1
Und so geht es eigentlich jedem Menschen. Sich selber kennt er nicht, kann er nicht sehen. Denn er ist ja der Tätige, Sehende, Schauende, der sein Schauen nicht kennt, weil er es dauernd tut. Und weil es beängstigend ist, nichts zu sehen da, wo das Wichtigste ist, nämlich man selber, braucht man immer mehr Welt um sich her, und will sich zu einem Weltgegenstand machen, zum Beispiel als „Kopie“ seiner selbst in einer Maschine. Dazu braucht man aber viel Macht, denn man will die Sache ja natürlich so sicher wie möglich haben. Das fordert Experimente. Natürlich nicht an mir, für mich kommt es ja erst in Frage, wenn es sicher funktioniert. Also braucht man Labors, Forschungsstätten, und natürlich „Probanden“. Das ist alles möglich, für Milliardäre zumindest. Die kaufen sich die Forschungsstätten, die Labors, und alles, was man dazu braucht. Und die „Probanden“?
Die Angst der Anderen und die eigene
Nun, das ist einfach. Milliardäre sind ja nicht dumm. Sie wissen schon, wovor sie Angst haben, und wovor die meisten Menschen auch Angst haben: vor der eigenen Nullität, besonders vertreten durch den Tod. Und weil sie selber so viel Angst haben, dass sie so viel Reichtum und Macht brauchen um die Angst zu betäuben, benutzen sie die Macht, um ihre Angst bei den anderen Menschen abzuladen. Gemeinsam trägt sich das doch leichter, oder? Die kollektive Angst heißt dann „Solidarität“ oder „Menschlichkeit“, und jeder versucht so gut er kann, genug Macht zu bekommen, dass er die Angst betäuben kann. Der eine wird dem anderen ein Hindernis, ein „Gefährder“, ein Böser jedenfalls, der leiden muss, damit er Angst bekommt, Angst vor mir, damit ich mich daran aufrecht halten kann. Denken wir zum Beispiel an die Reaktion Hillary Clintons angesichts der mehr als brutalen Ermordung Gaddafis.
Wo viel Angst ist, sammelt sich dann auch die Macht, und der Reichtum. Und wo viel davon ist, sammelt sich die Angst, es zu verlieren. Menschlich gesehen, auch ein bisschen bemitleidenswert, oder? Aber das kann natürlich kein Grund sein, die Sache so wie sie ist gut zu finden. Gerade, wo es doch auch andere Wege gäbe, wie schon erwähnt.
Für jeden möglich
Jeder kann das: die eigene Nullität im eigenen Bewusstsein erkennen. Und dann eben nicht davor wegzulaufen und die Einsicht betäuben zu wollen. Keine Forschungsinstitute in der Welt kaufen, keine Probanden „überreden“, sondern mutig sich selber zum Probanden machen für den eigenen Weg zu sich selbst. Sich selber zum Instrument und Experimentierfeld machen für den Entwurf eines selbstbestimmten Lebens.
Nebenbei: dafür braucht es auch keine komplizierten Gesetze, zum Beispiel zum Schutz der Probanden (die alle ja selbstverständlich vor allem zum Schutz der Experimentatoren verfasst sind). Da wird der Experimentator schon selber darauf achten, dass alles verantwortungsvoll durchdacht ist – schließlich ist er ja selber auch der Proband. Man braucht da keine Gesetze, Moralgebote und dergleichen. Der eigene Egoismus und die Angst reichen vollkommen aus.
Ist es da nicht auch ein Glück, Angst zu haben? Jedenfalls dann, wenn man sie nicht mit Milliarden (oder anders: Alkohol, Drogen, Computerspiele, Finanzspekulationen, Leistungssport etc. usw. usf.) zu betäuben versucht.
Es zählt nicht, was ich von mir IN DER WELT haben kann. Da, wo die Angst sitzt, bei mir selber, da sitzt auch das Gegenmittel. Ich bin es selber. Es kommt nur auf mich selber an. Und die Angst. Auch bei Milliardären.
© Stefan Carl em Huisken 2021
1Hier erlaube ich mir einen Hinweis auf mein Buch „Janko van’t Holt – Eine Parabel zur Rettung der Welt. ISBN 978-3-942108-19-5, erhältlich im Buchhandel oder =>hier. Darin begegnet Janko van’t Holt tief in der Erde, in völliger schwarzer Dunkelheit der Nacht, und sie klagt ihm ihr Leid: „Nimm mich mit, in dir, auf deine Reise. Vielleicht kann ich dann herausfinden, warum die Menschen so viel Furcht haben vor mir. Nirgendwo lassen sie mich walten, alles muss erleuchtet werden in der Welt, damit ich bloß vertrieben werde. Und dabei lebe ich doch in jedes Mensch Innern, dunkler bin ich nirgendwo als dort. Doch wenn die Menschen mich in sich entdecken, ja, dann treibt sie die Panik zur Flucht ins Helle, Laute, in die weite Welt und fort von mir.“ Menschen, die sich mit solchen eher spirituellen Themen auch gerne in Form von Geschichten befassen, sei das Buch hier ans Herz gelegt.
Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.