Was tun in der anthroposophischen Gesellschaft?
Vorbemerkung
Aufgrund meiner Stellungnahme zur Frage der Mitgliedschaft in der anthroposophischen Gesellschaft1 ergab sich die weiterführende Fragestellung, wie es nun möglich sein könnte, aus einer solchen Perspektive Schritte in die Zukunft auszumachen. Da scheint es mir angebracht, vorab wieder einmal auf eine der wichtigsten Handreichungen Rudolf Steiners zu Fragen der Zukunftsgestaltung im sozialen Feld hinzuweisen:
„Die Aufgaben, welche das soziale Leben der Gegenwart stellt, muß derjenige verkennen, der an sie mit dem Gedanken an irgendeine Utopie herantritt. Man kann aus gewissen Anschauungen und Empfindungen den Glauben haben, diese oder jene Einrichtungen, die man sich in seinen Ideen zurechtgelegt hat, müsse die Menschen beglücken; dieser Glaube kann überwältigende Überzeugungskraft annehmen; an dem, was gegenwärtig die «soziale Frage» bedeutet,
kann man doch völlig vorbeireden, wenn man einen solchen Glauben geltend machen will.“2
In den darauf folgenden Sätzen Rudolf Steiners, ja eigentlich im gesamten folgenden Buch geschieht nichts anderes, als diese Einleitungssätze immer weiter auszuführen und bis ins Einzelne hinein zu konkretisieren.
In meinem nun folgenden Versuch, einige Gedanken zu Schritten zu formulieren, die in der anthroposophischen Gesellschaft3 in die Zukunft hinein gegangen werden könnten, bemühe ich mich, diese Sätze Rudolf Steiners zu beherzigen. Angesichts meiner mangelnden Fertigkeit, jeden der Sätze mit umfangreichen Zitaten zu belegen, bin ich genötigt, meine Darstellung gleichsam „mehr aus dem einförmigen Umgang mit mir selbst als aus einer reichen Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben“4 auf mein eigenes Denken zu stützen.
„Dreigliederung des sozialen Organismus“
Allzuleicht rutscht der strebende Mensch bei diesem Ausdruck in eine letztlich doch wieder utopistische Denkweise hinein, indem er versucht, Rudolf Steiners Ausführungen darüber irgendwie handlungsleitende Zielsetzungen und Konzeptionen zu entnehmen, durch die diese „Dreigliederung“ in der Welt geltend gemacht werden kann.
Aus meiner Sicht schildert Steiner nirgends derartige Zielsetzungen. Er beschreibt die vorhandene Dreigliederung in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben der Menschen. Die Menschen lassen sich aber von überholten, angelernten Einheitsvorstellungen vom sogenannten „Sozialen“ bestimmen, wodurch die vorhandene, zugrundeliegende Dreigliederung nicht ins Bewusstsein kommt, und in der Folge immer mehr Unordnung und damit Krankheitserscheinungen von den Menschen in den sozialen Organismus hineingebracht werden. Die Dreigliederung ist also da, aber mangels Bewusstsein davon entsprechen die Handlungen der Menschen ihr nicht.
Wir sehen ja derzeit nur allzu deutlich, wie überall das Gegenteil des Nötigen geschieht, wenn zum Beispiel Verbrüderungen in ideologischen Zirkeln welcher Art auch immer im Verbund mit wirtschaftlicher Konkurrenz sich des äußeren Rechtes bedienen (dieses auch bestimmen), um die ihnen genehme Weltgestaltung allen anderen Menschen aufzuzwingen. Das hat ein einheitliches Zentrum in dem rein auf das Irdische und dessen abstrakt-ideologische Nutzung für das eigene Wohlergehen gerichtetenDenken, Fühlen und Wollen der heutigen Alltags-Egoisten – wozu wir uns wohl alle in gewissem Sinne zählen dürfen.
Aber das sind eben die Krankheitserscheinungen, die nur überwindbar werden, wenn sie als solche erkannt werden, und diese Erkenntnis sich im Bewusstseinsleben der Menschheit auch ausdrücken kann. Daran mitzuwirken, ist Aufgabe der anthroposophischen Gesellschaft – nicht irgendeiner äußeren Organisation (eines „Vereines“) also, sondern des Zusammenwirkens derjenigen Individualitäten, die sich darin zu einander gesellen. Dies kann nur gelingen, wenn dabei die vorhandene Dreigliederung des sozialen Organismus berücksichtigt wird.
Was kann das konkret heißen? Nichts anderes ist doch damit intendiert als ein Schritt zur Befreiung des Geisteslebens, welches konkret das lebendige Zusammenwirken geistiger Wesen (verkörpert oder nicht, vielleicht sogar menschlich oder nicht) im Sinne der freien Entfaltung der geistigen Tätigkeit all dieser Wesen ist. Wo mehrere Einzelne sich – frei! – in den Dienst anthroposophischer Geisteswissenschaft stellen, ist Aussicht auf einen Beitrag zur Gesundung des Ganzen. Denn es ist ja unabweisbar: wenn die Erkrankung des Ganzen nicht zunächst als solche erkannt wird, ist keine Aussicht auf Besserung.
Anthroposophische Gesellschaft
Der Zusammenschluss anthroposophisch Strebender in der anthroposophischen Gesellschaft ist insofern ein Glied des Geisteslebens, indem er in dem Zusammenwirken von Geistwesen welcher Art auch immer zum Zwecke der Pflege anthroposophischer Geisteswissenschaft besteht. Als solcher ist dieser Zusammenschluss Ergebnis des Zusammenfließens der konkreten Willensimpulse der Beteiligten, und also nur solange und in dem Maße überhaupt vorhanden, wie die beteiligten Wesen ihn vorantreiben und ihm ihre individuellen Kräfte zur Verfügung stellen. Jede andere Handhabung würde aus dem lebendigen Zusammenwirken der Geister eine vom äußeren irdischen Dasein bestimmte Art von „Maschine“ machen. Der Geist kann sich eben nur da geltend machen, wo er in der Freiheit leben kann. Das schließt allerdings immer auch die Möglichkeit des Scheiterns, des Absterbens und Neuerstehens ein. Der Tod gehört zum Leben, kein Leben ohne Tod. Zum Geistesleben gehört in diesem Sinne also auch das Absterben des lebendigen geistigen Impulses in das Äußere hinein.
Will ein solcher Zusammenschluss im irdischen Leben der Welt und der Menschen wirksam werden, indem er darin als Ausdruck seines Zweckes auftritt, so benötigt er selbstverständlich dafür Formen, die sowohl das äußere Zusammenwirken der Beteiligten beschreiben (Recht) als auch die irdischen Bedürfnisse der Beteiligten befriedigen (Wirtschaft). Nur müssen diese „Nebentätigkeiten“, die durch den Willen der Gesellschafter zum gemeinsamen Wirken erforderlich werden, aber jederzeit dem Charakter des Ganzen der Gesellschaft dienen, nämlich dem sich entwickelnden Menschengeist. Diese „Nebentätigkeiten“ können daher niemals – wenn sie dem frei gewählten geistigen Ziel der Pflege anthroposophischer Geisteswissenschaft dienen – diesem Ziel hinderlich werden, wie sehr dies auch äußerlich so scheinen mag.
Werden solche Tätigkeiten scheinbar hinderlich, so sind sie nicht weiter als Tätigkeiten der freien Geistgemeinschaft anzusehen, sondern sind offensichtlich „in andere Hände“ übergegangen. Dass sie selbst dann aber noch – indem sie äußerlich gesehen zerstörerisch wirken – ihrem ursprünglichen Ziel dienen können, erhellt sich aus der Tatsache, dass sie dadurch gerade zur Weiterentwicklung der Erkenntnis innerhalb der Geist-Gemeinschaft beitragen können; jedenfalls gilt dies dann, wenn die Geist-Gemeinschaft den Erkenntniswillen und die Erkenntniskraft aufbringt, dieses „Fremde“ in sich aufzulösen. Man kann an diesen „aus der Art geschlagenen“ Tätigkeiten eben lernen, wie der Geist nicht wirkt. Es ist hinzunehmen, wenn das eigene Tun sich im Werk verfestigt und abstirbt.
Wer möchte, kann in diesem Zusammenhang durchaus die Okkupation zentraler anthroposophischer Wirkungsstätten zum Beispiel durch Mormonen, Freimaurer, Jesuiten und abstrakte Akademiker wiedererkennen. So wirkt der ursprüngliche – freie – Zusammenschluss der Geistindividualitäten eben nicht mehr; dieser sucht sich dann andere Wirkungsstätten. „Wir betreiben hier aus Freiheit Anthroposophie, früher gemeinsam mit Dornach, nun nach der Okkupation eben ohne Dornach“ hörte ich letztens sinngemäß ein leitendes Mitglied in einem größeren anthroposophischen Kreis sagen.
Wirksam werden
Wirksam wird die anthroposophische Gesellschaft – so betrachtet – eben nicht, indem sie äußere Institute schafft, sondern indem Menschen und Geister frei gemeinsam agieren. Was diese Vielen (oder Wenigen) tun, tritt in der Welt auf in Allem, was diese Gesellschafter im Sinne ihrer Geistgemeinschaft in die Welt stellen so, dass es sich mit dem Tun Anderer verbindet, zu einem gemeinsamen „Werk“ zusammen „wirkt“.
Nun wird ja zumeist davon ausgegangen, dass bei solchem Zusammenwirken mit Anderen eben immer Kompromisse nötig sind. Kompromisse versteht dann Mancher als die Notwendigkeit, seinen „Standpunkt“ eben dem des Anderen anzunähern, also ein Stück weit seine eigenen Gesichtspunkte zu verlassen, ja vielleicht sogar „zu verraten“. Davon kann aber hier keine Rede sein. Ein Zusammenwirken mit Anderen aus Erkenntnis – und darum kann es ja hier nur gehen – schließt die Berücksichtigung von deren geistiger Aufgabe im Rahmen der Menschheitsentwicklung immer mit ein, jedenfalls dann, wenn es wie hier um die anthroposophische Gesellschaft als Akteur geht. Der Entwicklung feindliche Impulse können in diesem Zusammenwirken nur insoweit zur Geltung kommen, als das Bewusstsein für eine klare Erkenntnis der unterschiedlichen Intentionen nicht ausreicht.
Es kann also nur darum gehen, die anthroposophische Erkenntnisart immer weiter zu verstärken, so dass das zunächst Fremde in der Erkenntnis mit dem Eigenen zusammenkommen kann. Dann fließen wiederum Willensimpulse zusammen, aus freiem Antrieb, so dass jede Seite sich und das Ihrige darin wiederfinden kann. Anders ist Frieden heute gar nicht mehr möglich. Es geschieht nur das, was auch gewollt ist – bewusst von den Mitwirkenden aus, oder unbewusst durch sie hindurch.
Ein äußeres Zusammenwirken in der Welt der toten, erstarrten Institutionen erfordert daher umso mehr innere Kraft bei denjenigen, die aus dem Erstarrungstode des vormals lebendigen Geistes neues Leben erstehen lassen wollen; denn alles, was auf diesem Felde äußerlich erschaffen wird, tendiert zu einer toten, maschinellen Dauer, muss darum über kurz oder lang dem Herrn des Todes und der Materie anheimfallen, und also – vergehen. Das kann durchaus so weit gehen, dass das eigene, freie, lebendige Tun aus dem Geiste von den dann erstarrten Institutionen so aufgefasst wird, dass sie dieses Leben aus dem Geist für sich selber als zerstörerisch ansehen müssen, und es daher aufs Schärfste bekämpfen.
Man denke aber dabei an Rudolf Steiners Schilderung der damals noch unausgeführten Statue des Menschheitsrepräsentanten. Die rechte Hand der Menschengestalt weist auf Ahriman, dem diese Geste Anlass ist, sich selber an die Materie zu fesseln. Nicht der Christus tut dies, Ahriman fesselt sich selber. In ähnlicher Weise wird dort auch auf die erhobene linke Hand der Statue hingewiesen, deren Geste dazu führt, dass Luzifer sich die Schwingen bricht und stürzt.5
Wo also das Zerstörungspotential äußerer Institute zum Anlass genommen wird, sie äußerlich zu bekämpfen, ist man schon auf dem Holzweg, ebenso da, wo man sich von ihnen veranlassen lässt, die eigenen Erkenntniswege zu relativieren und damit „faule“ Kompromisse einzugehen. Weder zu bekriegen, noch sich vereinnahmen zu lassen, sondern immer wieder die geistige Freiheit zu erringen, die erst eigenständiges Leben ermöglicht, kann neues Leben in der äußeren Welt zur Wirkung bringen. Dafür kann es notwendig sein, Institutionen auch sterben zu lassen und in den Folgen ihres Vergehens neue Samen zu legen.
Tod und Auferstehung
Der Tod ist im Äußeren immer mit Auflösung verbunden, die im Inneren aber zu einer Verstärkung des Eigenlebens führen kann, immer gerade so weit, wie das Bewusstsein es tragen kann. Dem physischen Tod des Christus und seiner Auferstehung folgte der Tod des gegebenen, „instinktiven“ Geisterlebens der Menschheit, final im Denken im 19. Jahrhundert, und dann die Auferstehung des Geist-Erlebens durch das Wirken Rudolf Steiners im Beginn des 20. Jahrhunderts. Was jetzt im allmählichen Absterben der damals zunächst geschaffenen äußerlichen (rechtlichen und wirtschaftlichen) Lebensformen der anthroposophischen Gesellschaft geschieht, ist insofern eigentlich der „Beweis“, dass der lebendige Geist wirkt. Sonst würden die äußeren „anthroposophischen“ Institutionen weltweit angesehene, für alle Zeiten reibungslos funktionierende Wirkungsstätten sein – Wirkungsstätten desjenigen, was es eben in der wirklichen anthroposophischen Gesellschaft nicht geben kann. Seien wir froh, dass der Tod sich das Seine holt; aber lassen wir uns auch nicht verleiten, selbst Hand anzulegen bei diesem Sterbeprozess (vgl. das oben im Hinblick auf die Statue Gesagte).
Die Auferstehung erfolgt eben so, wie das in diesem Fall allein möglich ist: in den Einzelnen, die sich und ihre persönliche Wirkungsstätte in der Welt – ihre irdische, leibliche Person also – frei in den Dienst der Anthroposophie stellen wollen. In ihrem Zusammenwirken, in ihrem Wirken in den weiteren Verbindungen mit dem Weltgeschehen spricht sich das Leben des Geistes in der Anthroposophie aus. Anthroposophie und anthroposophische Gesellschaft leben eben nicht so in der Welt, dass sich der einzelne Anthroposoph davon tragen lassen kann. Sie leben nur dort und solange die einzelnen Anthroposophen selber sie tragen.
Was kann das konkret bedeuten?
Daraus ergibt sich, dass es äußere Einrichtungen der Zusammenarbeit eben nur dann und nur insoferne geben kann, wie konkrete irdische Projekte verfolgt werden, in denen sich Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft wirkend betätigen. Letztlich ist dies der Grund dafür, dass manche sogenannte „anthroposophische Institution“ sich den Regeln der äußeren Welt völlig angeglichen hat, nachdem die sie tragenden („charismatischen“) Gründergeister sie verlassen haben. Diese Einrichtungen waren dann eben Instrumente, Werkzeuge des durch die Gründer wirkenden Geistes. Und wo keine Nachfolger sich finden, die das Bestehende aus ihrem Geiste aufgreifen und weiterentwickeln wollen und können (frei und individuell), stirbt das Bestehende. Es bleibt also vielleicht schon etwas bestehen, aber das ist dann tot, erstarrt und geistverlassen. Man sollte das nicht als etwas Schlimmes ansehen; der Tod gehört zum Leben. Schließlich hat zum Beispiel die erstarrte katholische Kirche doch auch dafür gesorgt, dass die Überlieferung des Ereignisses von Golgatha erhalten blieb.
Man wird also aus der Perspektive des Geisteslebens äußere Institutionen immer nur als Werkzeuge des Geistes ansehen können, die entstehen, leben und vergehen, aber niemals als in sich selber dauerhaft lebensfähige Systeme. Was so geschaffen wird, macht dann die eigenständige Rechts- und Wirtschaftsorganisation des Geisteslebens aus. Sie ist immer an die Lebenszyklen des Geistes in der Welt gebunden, aus dem sie hervorgegangen ist, das heißt also hier: an die sie tragenden individuell wirkenden Menschen.
Für mich wurde schon vor vielen Jahren klar, dass viele der tradierten „anthroposophischen Institutionen“ – also die äußeren anthroposophischen Vereine, aber auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Verknüpfungen mit anderen Rechts- und Wirtschaftsinstituten in der Welt so, wie sie bestanden und bestehen, auf Dauer nicht lebensfähig sind. Wie man sehen kann, fallen sie ja nach und nach „feindlichen Übernahmen“ anheim oder verfallen, transformieren sich zu „ganz normalen“ Einrichtungen der heutigen Zeit. Inwieweit sich auf den Überresten ehemaligen anthroposophischen Lebens in der Welt Neues errichten lässt, wird sich aus der Kraft und dem Willen derjenigen ergeben, die sich solchen Aufgaben erkennend zuwenden wollen.
Wie das Karma wirkt, haben wir ohne Murren hinzunehmen; was daraus an Neuem entstehen kann, obliegt uns zu gestalten. Es gibt keine äußere Institution „Anthroposophie“, die uns trägt – wir sind sie selber, und sie ist und wird durch uns. Der äußere Niedergang ist bloß die Begleitmusik für das Entstehen neuen geistigen Lebens.
Nachbemerkung
Ja, wie denn nun? – mag der Leser fragen, der bis hierhin durchgehalten hat. Die Frage wird er sich wohl selber zu beantworten haben. Allerdings kann hier noch hingewiesen werden auf eine Ermahnung Rudolf Steiners für den Umgang mit den Einflüssen von Luzifer und Ahriman: der Mensch möge doch dem eigenen Denken gegenüber recht ahrimanisch sein und alles Gedachte erst der harten Prüfung an den Weltgesetzen unterwerfen, dagegen dem ahrimanischen Blendwerk der toten physischen Welt gegenüber doch luziferisch geprägte Liebe zu jeder Einzelheit der eigenen Welt walten lassen, im Versuch, sie zu verstehen.6 So sei man geschützt – so verstehe ich Steiners Ausführungen in diesem Zusammenhang – sowohl vor fantasierendem Irrlichtelieren im Denken wie auch vor Ignoranz und Dilettantismus im Umgang mit der Welt.
Worauf will ich damit hinweisen? Darauf, dass die Beachtung beider Teile dieser Ermahnung erst die Grundlage bildet für ein eingreifendes Wirken in der Welt aus dem Geiste heraus. Wer ahrimanische Institutionen, wie sie in der Welt nun einmal sind, für Aufgaben nutzen will, die sich aus dem Geist der Menschheitsentwicklung ergeben, wird die Gesetze der Welt so gut kennen müssen, dass er sie auch beherrschen kann. Wer seine Ideen, durch die er sich im Geiste finden will, vor dem Abgleiten in Wunschdenken beschützen will, wird sie an den Tatsachen des irdischen Lebens überprüfen und den Ausgang dieser Prüfung dann gelassen hinnehmen müssen.
In beiden Richtungen ist wohl in der Vergangenheit in der anthroposophischen Bewegung mancherlei versündigt worden; Kompetenz auf dem Felde der übernommen Aufgaben – ganz im traditionellen Sinne – und fester, wacher Tatsachenbezug in der Entwicklung des eigenen Denkens sind erforderlich. Wo beides (oder eines von beiden) nicht genügend vorliegt, wenn Institutionen aus dem Geist heraus in die Wirksamkeit in der Welt treten wollen, kann man vorhersehbar zumeist menschliche und wirtschaftliche Katastrophen erleben. Leidvolle Erfahrungen dieser Art liegen wohl für jeden genügend vor, auch im Rahmen der anthroposophischen Gesellschaft.
Was insbesondere den Umgang mit den ahrimanisch geprägten Einrichtungen der heutigen Welt betrifft, kann gar nicht genug darauf hingewiesen werden, dass weder der Verzicht auf die Klarheit äußerer Festlegung („das brauchen wir jetzt nicht festzulegen, das findet sich dann ganz lebendig“, oder „solche Festlegungen ignorieren wir einfach, sie sind nicht geistgemäß“) noch das Abwürgen jeder Lebensregung durch Vorschriften bis ins Kleinste (das kennen wir doch aus den letzten zwei Jahren zur Genüge) irgendwie weiterführt. Man muss Ahriman in seinem Wirken verstehen, ihn also im Detail kennenlernen, dann verliert er seine Kraft.
In besonderer Weise drückt dies ein Gedicht von Helmut Siegfried Unbehoven aus, das ich daher hier ergänzend anfügen möchte7:
Fürchte einzig des Dämons Lächeln,
Des Verfälschers tröstliche Glätte,
Des Lügners einleuchtende Wahrheiten,
Des Mörders Lebensklugheit,
Des Verräters daseinsbezwingende List,
Des Verleumders exakte Wissenschaft.
Fürchte nur des Dämons
Uralt unerkannte Gottähnlichkeit,
Die strahlende Maske,
Vielen tödlich.
Und fürchte ihn nicht!
Blick ihm ruhig ins trauernde Antlitz:
Von kalten Blitzen entzündet,
Gefurcht von Verachtung der Feigen,
Von Haß zerstört gegen
Einen ihm schweigenden Gott –
Blick ihm ruhig ins versteinerte Aug,
Immer steht er neben Dir.
Nicht schenkte ein Gott Dir sein Blut,
Daß in Furcht du erstarrst,
Leuchte dem Dämon zu späterer Erlösung,
Da er trug auch Dich,
Als Du ihm ähnlich warst.
Nun hilf ihm.
© Stefan Carl em Huisken 2022
1vgl. https://emhuisken.de/wordpress/2022/06/wer-ist-mitglied-der-allgemeinen-anthroposophischen-gesellschaft-eine-stellungnahme/, auch in: Ein Nachrichtenblatt 14/2022, S. 14f
2Steiner, Rudolf: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. – Stuttgart, 1920. S. 5
3Mit dem Ausdruck „anthroposophische Gesellschaft“ bezeichne ich hier ausschließlich den freien geistigen Zusammenschluss von Individualitäten (verkörpert oder nicht) zum Zwecke der Pflege der Anthroposophie. Nach Rudolf Steiners Worten sollte ja die anthroposophische Gesellschaft allem Vereinsmäßigen, d.h. also allem äußerlich Institutionellen ferne sein.
4vgl. Schiller, Friedrich von: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In ders.: Schriften. Schillers Werke, Bd. 4. – Frankfurt a.M., 1966, S. 193
5vgl. Steiner, Rudolf: Das Geheimnis des Todes. GA 159. – Dornach, 1980. S. 248f. Die Textstelle ist auch wiedergegeben in DIE LAHNUNG – Mitteilungen für individuelle Entwicklung und Lebenskunde, Nr. 7, Januar 2022, wo die hier besprochene Frage der Bildung von Geist-Gemeinschaften von anderen Gesichtspunkten aus ebenfalls erörtert wird.
6vgl. dazu Steiner, Rudolf: Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage. – Dornach, 1989. 12. Vortrag, S. 211ff, dort auch viele weitere Hinweise zur Vertiefung der in diesem Artikel angeschnittenen Fragen.
7Das Gedicht kam zu mir durch Freunde, die einige Zeit lang mit Helmut Siegfried Unbehoven zusammengearbeitet haben. Unbehoven ist inzwischen verstorben. Trotz intensiver Bemühungen konnte kein Rechteinhaber ausfindig gemacht werden. Sollte also ein Leser Rechte an diesem Text haben und nachweisen können, bitte ich um Kontaktaufnahme mit mir über Email info@emhuisken.de.
Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.