Konfessionen, Wissenschaft, Neue Offenbarung – und das Verstehen

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Woher Unfreiheit stammt

Wer glaubt, ist unfrei. Denn in seinem Glauben sucht er Anleitungen für sein Handeln. Und wie diese Anleitungen zustande kommen, weiß er nicht – sonst könnte er ja alles überprüfen, und dann wäre es kein Glaube mehr. Einige Beispiele.

Traditionelle Religion – die Konfessionen

Der traditionelle Glaube an einen Gott entsteht aus dem Entschluss, durch bestimmte Urkunden und/oder Priester verkündete, nicht sinnlich wahrnehmbare und mit dem normalen Alltagsverstand nicht ergründbare Offenbarungen für wahr zu halten. Dazu treibt uns zumeist ein Gefühl, das im alltäglichen Leben etwas vermisst, uns dieses alltägliche Leben an entscheidender Stelle unvollkommen erscheinen lässt. Und da wir in den alltäglichen Wahrnehmungen und auch in unseren Möglichkeiten selbständigen Denkens zunächst nichts finden, was uns diesen Mangel beheben kann, greifen wir zu den Offenbarungen, die unseren Altvorderen scheinbar noch zuflossen und die sie für uns – ihre Nachwelt – einst aufgeschrieben haben. Immerhin: diese Dinge sind alt und bewährt, das macht uns das Glauben leichter.

Aber: gelten denn die alten Offenbarungen ungeschmälert auch heute? Müssten sie nicht ganz andere Inhalte und vor allem Formen bekommen, damit sie uns und unseren Lebensumständen ganz entsprechen könnten?

Wissenschaft

Überprüfen – so sagt die derzeit weltbeherrschende Lehre der Wissenschaftlichkeit – kann man alles, was über die unmittelbar wahrgenommene Sinneswelt hinausgeht, nur durch exakte Wissenschaft. Das versucht diese Wissenschaft dann auch, aber sie legt dabei bestimmte Annahmen zugrunde, die sie meint, nicht überprüfen zu müssen. Eine dieser Annahmen besteht darin, nur das für wissenschaftlich begründet zu halten, was durch wiederholbare, kontrollierte Experimente immer wieder die gleichen Wahrnehmungen in der Sinneswelt hervorbringt. Darin versteckt sich die zweite Annahme: dass nämlich alles nicht sinnlich Wahrnehmbare nicht wirklich sei.

Eine solche Auffassung kommt zu dem Ergebnis – jedenfalls wenn sie ehrlich bleibt – dass es eine direkte Erkenntnis der Wirklichkeit nicht geben kann, nur mehr oder weniger wahrscheinliche Annäherungen daran. Und dann muss man eben, solange sich nichts Anderes als wahrscheinlicher herausstellt, an die bisher besten Wahrscheinlichkeiten glauben, und damit im Leben hantieren.

Ja, die Wissenschaft fordert in diesem Sinne Glauben. Sie fußt ja auch auf Glauben: dem Glauben, alles nicht sinnlich wahrnehmbar Aufzeigbare sei nicht wirklich. Aber sind denn die Menschen, die so an „die Wissenschaft“ glauben, ganz unwirklich? Man kann sie ja nicht experimentell „beweisen“, warum es auch Auffassungen gibt, die Dinge wie „Geist“ und „Seele“ – also den konkret sich und die Welt erlebenden Menschenkern – für Illusionen halten.

Ein Vorzug dieses „Wissenschaftsglaubens“ ist es, dass die Priester dieser neuen „Kirche“ die anderen Menschen leicht glauben machen können, bei ihnen – den Wissenschaftlern – müsse man nichts glauben. Es ist ja alles „exakt überprüft“! Dazu muss man nur die oben genannten Grundannahmen als „Selbstverständlichkeiten“, die nicht weiter hinterfragt werden müssen, effektiv genug in den Menschen und ihrer Seelenverfassung verankern. Dies geschieht, seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten durch die aus alter Priesterzeit tradierten, auf Autorität gebauten Bildungseinrichtungen. Wir selber sind Produkte davon.

Neue Offenbarung

Wenn also traditioneller religiöser Glaube und Wissenschaftsglaube uns in der Unfähigkeit zum Auffinden der „wahren Wirklichkeit“ halten, uns ja teilweise glauben machen, die gäbe es gar nicht, wie kommen wir dann aus der Notwendigkeit zu glauben heraus? Wir müssten dafür ja eine neue Offenbarung erhalten, die wir unmittelbar in ihrer Wahrheit erleben können und die darum keinen Glauben an die Überlieferung und keinen Glauben an wissenschaftlich festgestellte Wahrscheinlichkeiten fordert. Eine solche Offenbarung haben wir aber in der Regel nicht.

Aber es gibt da Ausnahmen: Menschen, die von sich sagen (oder von denen Andere sagen), sie seien „hellsichtig“, könnten also für den Normalmenschen Unwahrnehmbares anschauen, und die sich gegenseitig bestätigen oder manchmal auch streiten. Ich nenne nur ein paar Namen aus der fast unbegrenzten, in den letzten Jahren rapide zunehmenden Zahl solcher Menschen: Christina von Dreien, Iris Paxino, Jose Martinéz, Thomas Mayer, Dirk Kruse, Chamuel, Judith von Halle, Daskalos, Verena Staël von Holstein – viele andere könnten noch genannt werden. Bei allen ist von unmittelbaren Geisterfahrungen die Rede.

In der Regel sammelt sich um solche Menschen schnell eine Art „Gemeinde“, die eben – glaubt, was diese Menschen sagen. Ich möchte hier betonen, dass damit nichts gesagt ist ist über Wahrheit oder Unwahrheit der jeweiligen Aussagen. Das Grundproblem bleibt aber bestehen: für den „Normalmenschen“ gibt es zunächst kein untrügliches Kriterium, an dem sich der Wahrheitsgehalt der Aussagen solcher „Hellsichtigen“ überprüfen ließe.

Wahre Erkenntnis

Allen dargestellten Wegen, der Wirklichkeit näher zu kommen, so weit sie über das robuste, naive Alltagserleben hinausgeht, ist gleich die Tendenz zur Unfreiheit des Einzelnen, der sich von so oder so gearteten und bestimmten „Autoritäten“ führen lassen muss, heißen sie nun Priester, Wissenschaftler oder Hellsichtige.

Die Grundlage

Wie also kann es dann möglich werden für den Menschen, Anleitung für sein Handeln zu finden, die er nicht auf geglaubte Aussagen Anderer bauen muss? Gibt es so etwas überhaupt, oder muss eben jeder Mensch glauben, was er kann und will, und allen gemeinsames Wissen von einer Wahrheit ist unmöglich? Dann wäre die Lenkung des menschlichen Zusammenlebens immer nur der Kampf darum, wem eben am meisten geglaubt wird; ein Abgrund, in dem der überzeugendste Lügner schnell auch der mächtigste Menschheitslenker werden könnte.

Stehen wir nicht weltweit gerade im Augenblick vor dieser Frage: gibt es Wahrheit für den Menschen, oder gibt es nur Macht, die dann eben auch bestimmen kann, was als Wahrheit zu gelten hat?

Fänden wir einen Weg zu einem für jeden Menschen zugänglichen Wahrheitskriterium, so läge darin auch eine Chance, das allgemeine Verharren im Glauben dieser oder jener Art und damit die Abhängigkeit von äußeren Autoritäten zu beenden. Wenn jeder beurteilen kann, wer wahr spricht und wer nicht, haben Lügner keine Chance mehr.

Dieses Kriterium gibt es. Es lässt sich finden, wenn wir ansetzen bei den unhinterfragten Vorurteilen, denen das allgemeine Denken der meisten Menschen unbemerkt aufsitzt. Das wichtigste dieser Vorurteile liegt in dem Versuch, die Welt, wie sie wahrgenommen wird, nur aus dieser Welt selber erklären zu wollen. Dies ist aber gar nicht möglich, denn der Erklärende, der dieser Welt gegenübersteht und sie zu erklären sucht, ist zwingend notwendig für das Entstehen einer solchen Erklärung. Die Auffassung, dieser Erklärende selber sei nur ein Teil der zu erklärenden Welt, ist bereits ein Ergebnis einer bestimmten Richtung der Deutung der vorliegenden Tatsachen und damit ein Vorurteil und nicht eine tatsächlich vorhandene Voraussetzung zur Deutung. Voraussetzung für das Entstehen einer Welterklärung ist grundsätzlich nur die Existenz der zu erklärenden Welt (das Objekt) und zugleich das Vorhandensein des erklärenden Subjektes.

Was hier gegeben wird, ist noch keine Deutung der Situation, sondern nur das beschreibende Konstatieren von Tatsachen, das jeder unvoreingenommene Betrachter unmittelbar nachvollziehen kann. Unmittelbar einsichtig ist auch die Tatsache, dass die von einem Menschen erlebte Welt (also das, was in seinem Erleben als ihm gegenüberstehende Welt auftritt) und dieser bestimmte erlebende Mensch niemals voneinander unabhängig vorhanden sein können. Genau dieser eine Gesamt-Weltinhalt kann nur von genau diesem einen Subjekt erlebt werden. Wäre das Subjekt ein anderes, wäre auch die Erlebenswelt eine andere, und umgekehrt.

Das „Dreigestirn“

Zu jeder solcher Erkenntnissituation gehören also genau drei Glieder: das Erkenntnissubjekt („Ich“), das Erkenntnisobjekt („die von mir erlebte Welt“) und die übergeordnete Einheit beider, die im Alltag gewöhnlich unbewusst bleibt und nur in die innere Betrachtung tritt im Rahmen eines Erkenntnis- und Denkweges, wie er hier geschildert wird.

Dieses „Dreigestirn“ ist daher etwas, was

  • in der äußeren, gegebenen Weltwahrnehmung als Ganzes nicht vorkommt;
  • erst vom denkenden Subjekt hervorgebracht werden muss;
  • für welches Hervorbringen nichts als das Denken selbst vorausgesetzt ist;
  • welches nur in der inneren denkenden Betrachtung anschaubar wird;
  • dann aber ICH-Subjekt, Welt-Objekt und die Ganzheit beider einschließt;
  • und daher auch seinen Entstehungsgrund – das im Subjekt realisierte Denken – einschließt.

Das in der denkenden Selbstbeobachtung so auftauchende „Dreigestirn“ braucht also zu seiner Entstehung und Aufrechterhaltung nichts weiter als den in ihm selber auftauchenden Willen zu sich selbst. Es ist damit durch sich selber wahr, das heißt, es benötigt zu seiner Existenz und Beschreibung nichts als sich selbst. Es ist also durch seine Existenz selber wahr, und kann darum in der Art seiner Entstehung und Konfiguration als Maßstab für die Wahrheit gelten. Was in gleicher Weise aus sich selbst existiert und erklärbar ist, ist wahr.

Die Menschheitsaufgaben verstehen

Das ist zunächst einmal abstrakt-philosophisch beschrieben der Ausgangspunkt für eine wahre Welt- und Menschenerkenntnis. Mit solchen scheinbar abstrakten Schilderungen haben es aber heutzutage viele Menschen schwer. Denn so zu denken, fordert die Loslösung des Denkens von jahrtausendealten Denkgewohnheiten, die eben besagen, dass nichts aus sich selber existieren kann außer „Gott“ (oder wie immer man den Uranfang allen Seins nennen will), der aber grundsätzlich etwas Anderes sei als der Mensch und der darum vom Menschen als einem „Geschöpf Gottes“ niemals gänzlich verstanden werden kann.

Wie nun, wenn diese Denkgewohnheiten in alten Zeiten vielleicht ihren guten Sinn hatten, ihre Gültigkeit aber heutzutage verloren haben? Haben wir nicht gerade eben beschrieben, wie ein solches aus sich selbst existierendes „Dreigestirn“ in jedem Menschen entstehen kann? Können vielleicht die Menschen längst schon anders denken, tun es aber nicht, weil sie den Weg dazu nicht finden können, oder sich dazu nicht aufzuschwingen vermögen? Kann vielleicht der Mensch inzwischen in „Gottes Fußstapfen“ treten, tut es aber nicht genug?

Wäre es so, dann lebten die aus den alten Denkgewohnheiten hervorgehenden Glaubensverhältnisse weiter, obwohl sie dem derzeitigen Menschen und seiner Welt nicht mehr angemessen sind. Dann fänden sich das nach Freiheit strebende Subjekt und die aus Autorität und Glaube hervorgehende soziale Welt in einer ständigen Differenz wieder; der oben schon bezeichnete Abgrund der Herrschaft der besten Lügner könnte eintreten.

Daraus ist schnell ersichtlich, dass ohne die Einsicht, dass ich nichts bin ohne meine Welt, und die Welt ohne mich einen sie tragenden Pfeiler vermissen müsste, dass also ohne ein grundlegendes Bewusstsein des „Dreigestirns“ kein Ausweg aus der gegenwärtigen Menschheitskrise auszumachen ist, allenfalls ein zeitweises Aussetzen und Vor-sich-Herschieben des ansonsten unvermeidbaren Falles in die grenzenlose Barbarei.

Will man die gegenwärtige Lage von Welt und Menschheit grundständig verstehen, wird man einen solchen Gesichtspunkt nötig haben, um nach und nach den aus der Vergangenheit überkommenen Autoritäten die Kontrolle zu entwinden und dem freien Menschen zu übertragen. Alles andere wäre eine neue Glaubens-Partei, die zum Erlangen von Macht Mehrheiten hinter sich bringen müsste. Der oben bereits angedeutete „Abgrund“ könnte eintreten.

Darum ist es entscheidend wichtig, dass immer mehr Menschen Einsicht in das sich selber tragende „Dreigestirn“ von Welt, Ich und dem Ganzen beider bekommen, so dass die Menschen erkennen können nicht nur, woher die aktuelle Misere kommt, sondern mehr noch wie ein Weg in eine lebenswerte Zukunft von einem lebendigen Verstehen von Welt, Mensch und deren untrennbarer Ganzheit („Individuum“=„das Unteilbare“) abhängt.

Dieses Verstehen ist unmöglich, solange wir glauben: den traditionellen Konfessionen, der Wissenschaft, den „neuen Offenbarungen“. Alle diese Richtungen sagen auch Wahres. Das aber kann ich nur als wahr erkennen und von unberechtigter Dogmatik, Spekulation und Fantasterei (also Unwahrheit) unterscheiden durch dauernde Übung des „wahren Verstehens“. Vor dem Kriterium des Dreigestirns in seiner Ganzheit von Mensch und Welt – dem sich langsam enthüllenden zukünftigen Geistes-Menschen – muss nämlich auf Dauer jede Unwahrheit ihren wirklichen Charakter zeigen.

Dieser kleine Artikel mag zeigen, wie so etwas möglich ist; wurde doch von Anfang an vom Gesichtspunkt des Endergebnisses aus argumentiert, dieses verständlich gemacht, und so die Haltlosigkeit und Unfreiheit und damit auch auf die zerstörende Wirkung gegenwärtiger Lebenshaltungen in Religion, Wissenschaft und Neuer Offenbarung hingewiesen.

Dieses kann der menschliche Geist heute schon. Er muss es nur zur Wirkung bringen.

© Stefan Carl em Huisken 2021


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.

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