Das musikalische Projekt „jank frison“ bei den Freien Friesen
Das musikalische Projekt „jank frison“
Ansprache von Stefan Carl em Huisken zum Treffen der Freien Friesen am Upstalsboom
Pfingstdienstag, 11. Juni 2019
Liebe Freunde der Friesischen Freiheit!
vielleicht könnte ich einfacher sagen:
Freie Friesen!
Wir sind hier zusammengekommen im Gedenken der Zusammenkünfte der Freien Friesen vor vielen hunderten von Jahren. Was damals lebte unter den Friesen, es scheint auch – oder: gerade? – heute bedenkens- und erstrebenswert.
Kann es vielleicht sein, dass die damalige „Friesische Freiheit“ ihrer Zeit so weit voraus war, dass sie gleichsam aus geschichtlicher Notwendigkeit erst einmal wieder untergehen musste, verschwinden musste aus dem bewussten gesellschaftlichen Leben der Menschheit? Ist vielleicht die dauerhafte und nachhaltige Realisierung des Freiheitsideals, das die Friesen in den damals möglichen Formen zur Geltung brachten, – ist die Realisierung dieses Ideals vielleicht eine sehr zukünftige Sache, für die erst die Voraussetzungen im Bewusstsein der Menschen geschaffen werden mussten?
Die Voraussetzungen scheinen heutzutage mehr als je gegeben. Dass jeder Mensch nach Freiheit strebt, bei allen Risiken, die damit auch gegeben sind: dass Freiheit also eine Bedingung wirklichen Menschseins ist, gilt uns als selbstverständlich. Aber dieses Streben hat im äußeren Leben sein Ziel noch lange nicht erreicht. Der Blick auf die damaligen Treffen am Upstalsboom, in denen sich die damals mögliche Realität friesischer Freiheit aussprach, kann in uns Sehnsucht wecken, Sehnsucht nach einer neuen Realisierung friesischer Freiheit, einer neuen „Friesischen Freiheit“ der Zukunft, die als Möglichkeit allen Menschen gegeben wäre, die es so wollen. Denn im „alten Sinne“ – also durch Geburt und Herkommen – kann man heute, wie ich meine, die Zugehörigkeit zu einem „Volk“ nicht mehr allein definiert werden, nach allem, was geschehen ist und noch immer geschieht. Im Sinne des friesischen Freiheitsideales ist es aber heute sehr wohl, wenn der freie, individuelle Entschluss den Einzelnen zum Friesen machen kann.
Im Sinne einer solchen, hier charakterisierten Sehnsucht, ist das Wort „jank“ – gut friesisch – im Namen unseres musikalischen Projektes zu verstehen, das ich hier mit einigen Worten umreißen darf. Wer zu den dahinter stehenden Gedanken mehr wissen möchte, findet dazu Manches auf meiner Website unter den entsprechenden Stichworten „Friesen“ und „Freiheit„.
Das zweite Wort im Namen unseres Projektes – „frison“ – ist ebenso programmatisch zu verstehen wie das erste. Es zeigt auf, worauf sich die Sehnsucht richtet – das Friesische, den Friesen – aber es tut das in einer französisch geprägten Form. Eigentlich hätte es die bretonische Wortform sein müssen – „frizat“ – aber dieses Wort kannte ich zur Zeit der Namensgebung noch nicht, nun, und so ist es bei „frison“ geblieben.
Mit dieser besonderen Wortform hat es folgende Bewandtnis:
Man kennt ja den Spruch „Frisia non cantat“ – Friesland singt nicht. Hintergrund dieses Spruches ist, die Tatsache, dass es aus der eigentlichen friesischen „Kernzeit“ – also etwa bis 1450 – sehr wenig bis gar keine musikalische Überlieferung gibt. Das hat einen sehr einfachen Grund: wie überall spielten die damaligen Berufsmusiker ausschließlich auswendig, mehrstimmige Sätze wurden improvisiert. Aufzeichnungen von Musik anzufertigen, brauchte daher einen besonderen Grund.
Den gab es einerseits innerhalb des geistlichen Gesanges der christlichen Kirche, vor allem zum Zwecke der Vereinheitlichung der Liturgie. Zu einem solchen zentralistischen Anliegen hatten die damaligen Friesen – auch als sie zum Christentum übergegangen waren – häufig ein ziemlich distanziertes Verhältnis. Schließlich war das alles „von oben“ vorgegeben, außerdem auf Lateinisch, also so, dass die meisten Menschen es nicht verstehen konnten. Solches „Herrschaftswissen“ passte noch lange nicht wirklich zum friesischen Unabhängigkeitssinn, und was dort aufgezeichnet wurde, war ja dann auch kein friesisches Volksgut..
Ein ganz anderer Grund, Musik aufzuzeichnen, war vielerorts in den interessierten Laien adliger Schichten gegeben, die sich die Zeit eben auch einmal mit Musik vertreiben wollten. Eine solche – ich nenne es einmal so – Parasitenschichte gab es in Friesland sehr, sehr lange kaum, also auch keinen Anlass, für sie Musik aufzuschreiben.
Und als dann die friesische Sprache unter Druck geriet, bis hin zum Verschwinden in manchen friesischen Landen, gab es auch kein kulturelles Milieu mehr, durch das die alten Bardengesänge und rituellen Tänze durch Überlieferung durch die Jahrhunderte hin hätten bewahrt werden können. Nur ganz geringe Reste sind aufzufinden – der „Buhske di Remmer“ oder die Ballade „A Bai a Redher“ sind hier zu nennen.
Aus so einer Tatsache nun abzuleiten, dass die Friesen damals keine Musik gehabt hätten, nicht gesungen hätten, ist mir gelinde gesagt nicht plausibel. Singen, Musizieren, Tanzen ist allgemein menschlich. Die friesische Sprache mit ihrem ausgeprägten Vokalismus ist hervorragend sangbar (Anmerkung: was wir heute als Oostfreeske Taal – die ostfriesische Variante des Niederdeutschen, ich nenne sie ungern „Plattdeutsch“, denn sie ist weder platt noch deutsch – haben, hebt sich eben unter anderem durch seinen sehr eigenen Umgang mit Vokalen von anderen niederdeutschen Dialekten ab – vielleicht auch ein Erbe des Friesischen?). Der Gang der Geschichte hat es eben so gewollt, dass es praktisch keine wirkliche musikalische Überlieferung in Friesland aus der Zeit vor ca. 1800 gibt. So ist der heutige freie Friese auf sich selbst verwiesen.
Nun haben geistesverwandte Kulturen immer voneinander „abgekupfert“, sich gegenseitig befruchtet – warum also nicht auch heute?
Diejenige Gegend der kontinentaleuropäischen Küsten, in der die ursprüngliche Einheit von mythischen Erzählgesängen, geistlicher Musik und gemeinsamer Feier, die man für die alte heidnische Zeit annehmen darf, sich mit Wahrung vieler ihrer Eigenheiten in eine heute äußerst lebendige Volkskultur umgewandelt hat, ist die Bretagne (Anmerkung: auch wenn zumeist mit einiger Berechtigung davon ausgegangen wird, dass die ganz alten Friesen zum germanischen Völkerzusammenhang gehörten, ist dies keineswegs vollkommen klar; es könnten da auch Kelten eine Rolle gespielt haben). So kann man die Rolle der bretonischen Musik in der Volkskultur als eine Art Vorlage ansehen für die herausragende, ja magische Bedeutung, die Musik wohl auch bei den Friesen gehabt haben wird.
Was wir heute als aus dem 19. Jahrhundert überkommene Unterscheidung von „E-Musik“ und „U-Musik“ haben, gab es damals einfach nicht (und gibt es in dieser Schärfe auch heute in der Bretagne nicht). Musik war einfach immer ernst gemeint, egal ob im religiösen Ritual oder bei der ausgelassenen Feier. Man meinte religiöses Ritual und ausgelassene Feier gleichermaßen vollkommen ernst.
Daraus ergibt sich das „frison“ in unserem Namen. „Jank frison“ – das ist musikalisch-friesische Sehnsucht, die sich an der außerordentlich lebendigen bretonischen Volkskultur Orientierung holt, um Neues zu schaffen. Insofern ist der Name auch Programm.
Durch unsere Musik, und vor allem auch die damit verbundenen Texte, möchten wir einen Beitrag leisten – inwieweit das gelingt, mögen andere beurteilen – zur Entwicklung einer friesischen Freiheitskultur der Zukunft. Eine solche Kultur braucht wieder die Einheit von Ritual, Mythos, Gesang und historischer Erzählung. Für uns kann es darum weder um die virtuose Pflege alter Überlieferungen („E-Musik“) noch um das Nachmachen zeitgebundener Moden („Heavy Metal up Platt“) gehen, so berechtigt beide Strömungen sind und bleiben.
Darum verarbeiten wir einen altfriesischen Text zur Erschaffung Adams – ein sehr besonderes Dokument der ganz eigenen friesisch-christlichen Sichtweise – ebenso wie manchmal in Witzen versteckte Hinweise auf Aspekte des friesischen Freiheitsimpulses. Melodien aus kirchlichen frühen Orgeltabulaturen geben ebenso das Material ab für unsere Musik wie die Musik zu den meditativ anmutenden Gemeinschaftstänzen der Bretagne.
Die Sprache unserer Texte spiegelt der Lebenswelt der friesischen Landschaften, in denen wir leben. Da ist dann einmal die in der kleinsten europäischen Sprachinsel, dem Saterland, durch Jahrhunderte erhaltene und weiterentwickelte Variante der alten ostfriesischen Sprache zu nennen – ein riesiger Dank an die Menschen des Saterlandes, die dieses Kleinod in unsere Zeit gerettet haben – und die Oostfreeske Taal, die besondere ostfriesische Variante des Niederdeutschen. Beide Sprachen sind hervorragend geeignet für die Art von Musik, die wir machen wollen und geben die rechte Stimmung, die dazu gehört.
In diesem Sinne sehen wir uns als Teil der friesischen Freiheitsbewegung, die ja durch die dankenswerte Initiative des Friesischen Forums nun schon wieder durch viele Jahre einen Orientierungspunkt in den Treffen der Freien Friesen hier am Upstalsboom gefunden hat. Und in diesem Sinne möchten wir unseren Beitrag dazu leisten, dass diese friesische Freiheitsbewegung immer mehr um sich greifen möge, und immer mehr Menschen sich finden mögen, die durch ihre Mitwirkung diese Bewegung immer fester im Leben der friesischen Lande – und als eine Facette im Leben der Menschheit überhaupt – verankern helfen.
Eala frya Fresena!
Nachbemerkung
Nachdem ich diese Ansprache halten durfte, haben wir gemeinsam friesische Gesänge praktiziert. Das wurde auch festgehalten und ist => hier zu finden.