Jabbo von Hugsand – Leseprobe

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Das Watt ist eine seltsame Gegend, durchzogen von Prie­len, die zwischen den Sänden und Schlickbänken fast täg­lich ihre Lage verändern, so dass nur der Kundige im­mer weiß, welchen Weg er nehmen muss, um wohlbe­halten sein Ziel zu erreichen. Auch die Sandinseln, die mehr oder weni­ger weit vom Fuß des mächtigen Fest­landsdeiches entfernt irgendwo im Gewirr der Sandbän­ke und Priele liegen, zie­hen mit dem Drang des Stromes und des ewigen Westwin­des an der Küste entlang, lang­sam zwar, aber doch merk­lich. So war es jedenfalls Jahrtausende lang, bis der Mensch sich entschloss, den Elementen die Stirn zu bieten und feste Wälle im Wes­ten der Inseln auf­zurichten, aus Stein und Teer, um den ewig heranstür­menden Wogen die Kraft zu brechen. Nur zu oft aber er­weisen sich See und Sturm als stärker, und immer auf­wendiger wird es, diese Wälle zu halten. Alle paar Jahre muss etwas getan werden; aber was sind Jahre, Jahrzehnte, ja selbst Jahrhun­derte im Verhält­nis zum ewig gleichen und doch immer neuen Atem der See? Die­ses riesige, erdumspannende Wesen kann war­ten, bis des Men­schen kurze Frist abgelaufen ist; dann wird es wie­der in seine Rechte eintreten – mit oder ohne den Men­schen, je nach­dem.

Auf den Inseln, die sich in einer langen Kette von Westen nach Osten erstrecken, lebte man daher immer in dem Be­wusstsein, mit der Insel mitziehen zu müssen, eines Tages das Haus abbre­chen oder aufgeben zu müs­sen, um weit im Osten des alten Wohnplat­zes ein neues Zuhause zu errich­ten. Bei den ärmlichen Hütten der Ei­länder war das natür­lich leichter getan als bei den heu­tigen Be­ton­komplexen, aber ein unsicheres Leben blieb es doch allzeit.

Auf allen Inseln lebte man so – außer auf Hugsand. Hug­sand lag weit vom Deichfuß entfernt, kaum noch in Sicht­weite, und vom Lande aus nur per Boot oder – zu ganz be­stimmten Zei­ten – durch eine gefahrvolle und kräftezehren­de Wattdurchquerung zu errei­chen, auf der auch noch ein tiefer Priel durchwatet werden musste. Mancher Unkundige hatte sich schon hoff­nungslos da­bei verirrt, bis das Wasser­volk von den Schlickbänken ihn zu sich holte. Auch die Fahrwasser nach Hugsand waren gewunden und an Gefah­ren reich, und so war es kein Wunder, dass sich außer den Inselfischern kaum einmal jemand auf die Reise machte.

Dass überhaupt Menschen auf diesem Eiland leb­ten, lag an ei­nem außergewöhnlichen Vorzug von Hug­sand: die In­sel machte den stetigen Zug von Westen nach Os­ten nicht mit. Weit im We­sten der In­sel, durch eine of­fene Schlickpla­te vom eigentlichen Dünenkern getrennt, erhob sich eine mächtig hohe Düne, die – der Teufel mochte wis­sen, warum – nie­mals Schaden litt, wenn wieder einmal eine Flut von Westen heran­stürmte, an­geführt von den weiß schäu­men­den Bran­dungsrössern. Es schien, als ob die Düne für das Wasservolk eine ver­botene Zone sei, an die es niemals zu rüh­ren wagte.

Diese Besonderheit kannten natürlich auch die Hug­sander; aber die Düne war ja weit genug von ih­rem Wohn­platz in einem Dü­nental im Herzen der In­sel ent­fernt, darum mochte es dort sein, wie es wollte, man musste ja nicht hin­gehen. Es reichte für das kärgliche In­sulanerdasein völlig aus, den Schutz die­ses scheinbar uneinnehm­baren Boll­werks zu genie­ßen und darum sei­ne Hütten größer und schöner bauen zu können als auf den anderen Eilan­den. Wenn er eini­ger­maßen leben kann, was küm­mert dann den Insel­fischer das Merk­würdige, Düwel noch mal? Kärg­lich und arbeitsreich war das Leben sowie­so, wie auf jeder In­sel, und da musste man schon auch auf seinen Vor­teil be­dacht sein, wenn es einigerma­ßen gehen sollte!

Durch den Umstand mit der großen Düne bedingt, hat­ten nun Generationen von Menschen weitgehend unge­stört von den Ele­menten das Dorf, seine Wege und Gär­ten, die Pflanzen und Tier­welt dort hegen und pfle­gen können. Unvergleichlich reicher als auf den ande­ren Ei­landen blüh­te und summte es daher in dem Dü­nental des Dorfes. Mühsame Arbeit hatte man­chen ein­stigen Sandfleck in fruchtbare Erde verwandelt, und so war das Leben auf Hugsand von Generation zu Genera­tion behaglicher geworden.

Aber wie es so ist, wenn der Mensch es zu bequem hat: er ver­gisst leicht, was zum Erhalt dieser günsti­gen Lage nö­tig ist. Und dass dies einmal ins Unglück führen könnte, das ging aus einer alten Sage hervor, die die Großmütter den Kindern immer wieder zu er­zählen pflegten. Darin war von einem mächtigen Ha­sen die Rede, der die große Düne be­wohnte und hüte­te. Was auch durch menschliche Fehlbar­keit auf Hug­sand verlo­ren ging, es gehörte unwei­gerlich ihm, dem Meister der Düne, die darum durch jede Untat ei­nes Hugsanders größer und mächtiger wurde. Kurzsichti­ge Figuren konnten da wohl auf den Gedanken verfal­len, man müs­se nur recht ordentlich sündigen, dann wür­de die Düne um so siche­rer vor dem Wasservolk schüt­zen. Aber wie wertvoll ist dann noch das Leben im Schutz eines sol­chen Bollwerkes? Unmöglich soll­te es je­denfalls sein, den Hasen zu finden, geschweige denn, ihn zu schießen. Aber das versuchte ohnehin niemand ernst­haft, hatte man doch genug Respekt vor dem Unheimli­chen, das wegen ihres beinahe wi­derna­türlichen Daseins von die­ser Düne aus­ging. Am besten – so sagte man sich auf Hugsand – man vergaß im Alltag einfach, dass es die Düne gab, dann konnte sie einen auch nicht beunruhi­gen und auf dumme Gedan­ken bringen.

Aber einmal – so erzählte die Sage – sollte es doch nö­tig wer­den, den Meister der Düne zu finden. Eine Sint­flut soll­te über das Eiland hereinbrechen, und nur ein kühner und dreister Insula­ner sollte das Dorf noch ret­ten können. Er musste sich dann trauen, dem un­geheu­ren Hasen gegen­überzutreten, und erst, wenn man vom Dorf aus die Sonne aus der Düne auf­steigen sehe, sei die Insel gerettet.

Das war natürlich klar, sagten die Insulaner, das sind Am­menmärchen. Denn wer hat schon jemals die Sonne im Westen aufgehen sehen, wo sie doch sonst, in der Osterzeit regelmäßig, hinter der Düne unter­ging? Am­menmärchen also, eines erwachse­nen Men­schen nicht würdig!

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