Pandemie der Realitätsverleugnung

Ausgangslage

Die Vorstellung, dass es zwischen Menschen keine grundsätzlichen Unterschiede gibt oder geben sollte, beruht auf einem unbewussten, berechtigten Zukunftsimpuls. Dieser Impuls zielt auf den eigentlichen Kern des Menschen, den wir „Ich“ zu nennen pflegen, der aber ein durchaus problematischer ist. Dieser Kern kann nämlich nicht unmittelbar wahrgenommen werden, da er ja gerade dasjenige Wesen ist, das alles andere wahrnimmt und erlebt. Zwar kann der Mensch sich im Verlauf der Erlebnisse Vorstellungen von sich selber machen; allein ist dieser Vorgestellte dann niemals unmittelbar derselbe, der jetzt diese Vorstellung hat und damit umgeht. Der heutige Mensch ist insofern ein Selbstvergessener1.

Dies steht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass wir Heutige die ja nur geistig fassbaren Verhältnisse und Urgründe der uns umgebenden Welt nicht unmittelbar erleben können – objektive Wahrheit also für uns nicht etwas Gegebenes ist – sondern wir anhand der Wahrnehmungen, die wir machen, uns zunächst Hypothesen, Annahmen über den Weltzusammenhang bilden müssen, die wir dann mehr oder weniger systematisch experimentell an der Wahrnehmungswelt zu überprüfen versuchen. Was uns dann am wahrscheinlichsten erscheint, weil es in der Überprüfung am wenigsten Widersprüche produzierte, glauben wir solange, bis es einen „schlagenden Gegenbeweis“ gibt. Das ist – in einfache Worte gebracht – das Verfahren der heutigen Wissenschaft, sofern sie ihren eigenen Impulsen folgt.

Welterklärung

Nun ist aber der Grundtrieb, der den ungeheuren Anstrengungen zugrundeliegt, die Wissenschaftler überall auf der Welt auf sich nehmen, der Drang des Menschen nach einer in sich stimmigen Welterklärung. Darin sucht er die Sicherheit, die er in sich selbst nicht finden kann, weil er sich selber eben nicht wahrnimmt, sondern nur durchlebt. Nun ist es zumindest weiter denkenden Menschen ja klar, dass es solche Sicherheit auf dem Wege von Theorie und Experiment niemals geben kann. Das reale Leben schafft immer wieder Abwechslungen, die dann das bisherige Weltmodell erschüttern können.

Um in dieser Situation zu bestehen, gibt es unterschiedliche Wege:

  1. Man akzeptiert die Unvollkommenheit der eigenen Erkenntnismöglichkeiten der Wahrheit gegenüber, und sucht sich für die Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit ein Feld aus, das man für grundsätzlich unerkennbar erklärt – die Wahrheit eben –, auf dem dann die persönliche Glaubensentscheidung gilt. Wo man nicht erkennen kann, glaubt man eben. Das ist der Quell aller Konfessionen.
  2. Man glaubt – ohne es zu bemerken, dass man glaubt – an die Objektivität äußerlich-technologisch vermittelter Modelle von Wirklichkeit und erklärt diese dann zur Realität. Beispiele davon gibt es zu Hauf.

Nur ein besonders aktuelles Beispiel sei herausgegriffen: die Frage der Existenz von Viren (und mancher anderer, mit unseren „normalen“ Sinnen unwahrnehmbarer Kleinstlebewesen). Hier gibt es zwei unterschiedliche Herangehensweisen.

Die eine Richtung will sich darauf verlegen, diese Wesen durch technische Mittel (z.B. Elektronenmikroskop) eben doch „wahrnehmbar“ zu machen. Diese Richtung vergisst dabei aber, dass die technischen Mittel auf bestimmten Theorien beruhen, die glaubhaft machen wollen, dass das, was man im Elektronenmikroskop sieht, eine „Realität“ und in der Welt so, wie man es da sieht, vorhanden sei. Das Bild aber, was man da sieht, ist aus elektrischen Impulsen zusammenkonstruiert, und diese Impulse und ihre Bedeutung sind für sich genommen unwahrnehmbar, nur Gegenstand einer bestimmten Theorie über den Zusammenhang solcher Impulse mit den Tatsachen, einer Theorie im Übrigen, die auch der Konstruktion des Hilfsmittels zugrunde liegt. Hier wirkt also der Glaube an eine bestimmte Möglichkeit der Abbildung von Realität, gespeist durch die zugehörige Theorie. Im Kleide der „realen Wahrnehmung“ begegnet uns also Glaube.

Die andere Richtung basiert auf einer anderen Theorie: derjenigen der statistisch fassbaren Übereinstimmung von errechneten Werten als Kennzeichen der Realität. Man hat dabei eine bestimmte Gesamtheit von Messwerten, die man in Bezug auf eine wahrnehmbare Tatsache gemacht hat, und wenn man bei anderer Gelegenheit Messwerte generiert, die sich als in einem als aussagekräftig angenommenen Rahmen (wer bestimmt diesen Rahmen?) als übereinstimmend mit der ersten Messreihe erweisen, so stellt man dadurch das Vorhandensein derselben Realität in beiden Fällen fest. Nur bleibt dabei außer Acht, welche Messwerte warum für aussagekräftig angesehen werden (warum gerade diese, unter Außerachtlassung anderer möglicher Messwerte?), und die Tatsache, dass jedes Rechenmodell begrenzt ist, die Realität aber – wie wir wissen – prinzipiell unbegrenzte Möglichkeiten hat. Die „anderen möglichen Messwerte“ können sich eben unvorhersehbar geltend machen, und die erfolgte „Berechnung der Realität“ widerlegen. Beispiele dafür haben die diversen Modellberechnungen epidemiologischer Art und ihre regelmäßige Widerlegung durch die Realität im Rahmen der sogenannten „Corona-Pandemie“ geliefert, ebenso der PCR-Test, der nach einem ähnlichen Grundprinzip funktioniert.

Beiden Herangehensweisen ist gemeinsam, dass sie – ebenso wie der konfessionelle Glaube – nicht auf einer unmittelbar gegebenen Tatsachenwahrnehmung fußen, sondern auf (im Geiste!) erdachten Methoden der Wahrnehmungserzeugung, an deren Ergebnisse man dann das Etikett „Realität“ heftet.

Dass eine überstarke Theorie- oder Glaubensverliebtheit dazu verleitet, Widersprechendes einfach zur „ungültigen Wahrnehmung“, zum „Messfehler“ zu erklären, dafür gibt es viele Beispiele. Was mit den eigenen Mitteln unerklärbar ist, gilt eben als nicht existent. Eine ganze Reihe solcher Fälle von „unterdrückten Realitäten“ führt Andreas Delor in seinen umfangreichen Atlantis-Studien auf2. Der Satz von Christian Morgenstern: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“3 scheint vielfältiger zu gelten, als man zunächst annimmt. Was also zu den gängigen Theorien oder dem eigenen Glauben nicht passt, wird einfach für nicht existent erklärt. Man ist eher geneigt, Wahrnehmungen zu unterdrücken oder zu verdrängen, als die Grundlagen der eigenen Weltanschauung in Frage zu stellen. Wie sollte man sich auch sonst seiner selbst versichern?

Wahre Wirklichkeit oder „Virtuelle“ Realität?

Durch Wahrnehmungen tut sich aber die Realität kund. Wo ich Wahrnehmungen „aussortiere“, verdränge ich immer auch einen Teil der Wirklichkeit. Dadurch entsteht nach und nach eine neue, eine „virtuelle“ Realität4, in deren Rahmen man sich bewegt. Wer also die Wirklichkeit als eine solche ansieht, die nach den (Teile der Wahrnehmungen ausschließenden) fassbaren Gesetzen im Rahmen der eigenen Theorie (des eigenen Glaubens also) „funktioniert“, kann gar nicht anders, als zunehmend die tatsächliche Wirklichkeit unbeachtet zu lassen, aus den Augen zu verlieren – jedenfalls dann, wenn er nicht seine Theorie grundsätzlich in Frage stellen will.

Die vielfältigen Fehlprognosen und Fehlentscheidungen der letzten zwei Jahre geben ein sprechendes Beispiel für diese Art der Abkoppelung des eigenen Handelns von der Realität, hier vor allem in den Bereichen der Virologie und Epidemiologie. Gegenüber anderen Weltverhältnissen setzt sich dies derzeit fort – mit äußerst gefährlichen Auswirkungen für die Menschheit insgesamt. Das sind aber nur die nun sichtbar werdenden „Spitzen der Eisberge“, zwischen denen unsere Zivilisation laviert. Das Handeln so, „als ob“ die vorliegenden technischen Werkzeuge Wahrheit zutage fördern könnten, prägt alle Erkenntnis- und Gestaltungsbereiche des menschlichen Umganges mit sich und der Welt.

Diese Situation ist offensichtlich nicht gesund, eine Art weltweiter gesellschaftlicher Grunderkrankung, und kann darum als „Pandemie der Realitätsverleugnung“ bezeichnet werden.

© Stefan Carl em Huisken 2022

1Mehr und ausführlicher dazu vgl. em Huisken, Stefan Carl: Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen. – Borchen: Ch. Möllmann, 2021, vor allem Kapitel I-III

2Delor, Andreas: Atlantis aus aktueller hellsichtiger und naturwissenschaftlicher Sicht. Bd. 1-8. – Borchen: Ch. Möllmann, 2011 ff. Näheres dazu => hier. Beim Thema „Atlantis“ liegt es nahe, dass z.B. archäologische Funde, die weithin als gültig angesehene Theorien in Frage stellen, in dieser Weise „aussortiert“ werden. Sie sind aber vorhanden.

3Vgl. das Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ in: Morgenstern, Christian: Alle Galgenlieder. – Frankfurt a.M.: Insel Verlag, 1975, S. 165 f

4Das Wort „virtuell“ bedeutet dem Sinne nach „möglich, als Mögliches wirkend“. Eine virtuelle Realität ist also eine mögliche, die aber so wirken kann, als sei sie eine tatsächliche, jedenfalls dann, wenn an sie geglaubt wird.




Der künstliche Mensch – oder?

Anmerkungen zu einem Artikel von Wilfried Nelles1

In seinem Artikel mit dem Titel „Der künstliche Mensch“ im multipolar-Magazin geht der Autor auf Fragen ein, die sich sonst selten jemand veranlasst sieht, sie überhaupt zu stellen. Und er macht dabei deutlich, dass sehr, sehr viele Aspekte der weltgeschichtlichen Vorgänge der letzten zwei Jahre, die man bei einigermaßen realistischer Selbstbeurteilung nicht leicht (oder manchmal gar nicht) verstehen kann, von seinem in gewisser Hinsicht radikaleren Gesichtspunkt aus plötzlich erklärbar werden. Seiner Argumentation kann ich in weiten Teilen zustimmen, es ist auch gewissermaßen ein Genuss, in dem Wust der vermutenden, anklagenden, anpreisenden oder sonstwie dahinschlingernden Erklärungstexte zum Geschehen hier einen Artikel zu finden, der das Ziel von Anfang an im Auge hat, und daher sehr gut auf sich selber stehen kann.

Dennoch finde ich, dass der Autor an einer entscheidenden Stelle zu kurz gedacht hat. Seine Argumentation kann ich hier natürlich nicht adäquat „mal eben kurz“ referieren – es hat schon seinen Sinn, dass sein Artikel auch einen gewissen Umfang hat. Ich will daher nur auf einige wenige Punkte eingehen, die für meine Ergänzung wichtig sind.

1. Anlass

Eingangs schildert Nelles, wie er – angeregt durch das Auffinden einer Art Flugblatt bei seinem Bäcker, das den Psalm 912 wiedergab – darauf kommt, dass die heutige Erscheinungsform der sogenannten „Corona“-Krise alle Kennzeichen einer fehlgeleiteten Religiosität hat. Aus dem Psalm ergab sich für ihn: „Wer in Gott ruht, ist geschützt.“ Aber: „Unser heutiges Gebet ist ein anderes. Es richtet sich nicht an Gott, sondern an die Wissenschaft, im Fall Corona an die Impfung.“3. Ziel sei der Triumph über die Natur: „WIR besiegen den Tod, und zwar ganz im Diesseits.“4

Dann fasst Nelles noch kurz zusammen, dass ja dieser „Triumph“ eben nicht stattgefunden hat, dass die Versprechen der Wissenschaft Stück für Stück einkassiert werden mussten.

Die Darstellung ist treffend; hier bleibt von meiner Seite hinzuzufügen, dass dieses „Einkassieren“ ja mit der Berufung auf die „Wissenschaftlichkeit“ erfolgte, die eben ihre Ergebnisse revidieren muss, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen. Dieses Argument fußt auf dem seit Kant ja fast unumstößlich geltenden „wissenschaftlichen Dogma“, dass eben – etwas lapidar ausgedrückt – die Wahrheit unerkennbar sei und daher der Mensch nur Theorien bilden und durch Experimentieren und Evaluieren bis zu einer gewissen Plausibilität vordringen könne. Darauf komme ich später zurück.

2. Worum es bei Corona geht

Im Kern – findet Nelles – geht es bei Corona wie bei vielen modernen Themen um die „Ersetzung des Menschen durch Maschinen – und zwar nicht nur, wie bisher, der menschlichen Muskelkraft, also des Körpers, sondern des Denkens, also des menschlichen Geistes.“5. Daraus entsteht eine Art „Heiliger Krieg“ um die „wahre“ Religion, der allerdings ein „unbewusster Krieg“6 bleibt. „Bei Corona handelt es sich um einen Gottesdienst.“7. Im Verlaufe dieses Krieges entstehen all die Verwerfungen, wie die Ausgrenzung Ungläubiger oder die „Pervertierung von Wissenschaft zum Dogma“8.

Der Abschnitt gipfelt in dem Satz: „Es geht darum, dass sich der moderne Mensch nicht mehr seiner Natur fügen, sondern sie seinem Willen unterwerfen will. Ich bestimme selbst, wer und was ich bin – das ist das moderne Credo.“9 Nelles verweist in diesem Zusammenhang auf Yuval Noah Hariri, der „den modernen Menschen daher »Homo Deus« [nennt], Gottmensch, weil er sich zum Schöpfer des Lebens machen will.“10

Der Argumentation kann ich weitgehend zustimmen. Ich merke hier aber an: die Sehnsucht des Menschen nach Freiheit, sein Freiheitsdrang, den er ja nun einmal auch hat, kann mit einer solchen Argumentation schnell abgewimmelt werden. Warum sollte der Mensch sich denn nicht zum Schöpfer des Lebens machen wollen, wenn er denn wüsste, wie Leben entsteht, und wirkliches Leben hervorbringen könnte, das mit dem schon vorhandenen zusammen schadlos bestehen kann – was ihm bis heute allerdings nicht einmal ansatzweise gelungen ist? Ich komme darauf zurück.

3. Den Menschen gegen die Natur immunisieren

Nelles stellt hier fest, dass der gesamte Prozess darauf abzielt, „mit technischen Mitteln einen Damm gegen die Natur zu errichten, darum, den Menschen gegen die Natur zu immunisieren. Nicht, dass dies allen oder auch nur den meisten Akteuren bewusst wäre – es ist der ganz überpersönliche Geist unserer Zeit, der hier am Werk ist. Er setzt sich ganz unbewusst durch, weil wir gar nicht mehr anders denken können.“11 Da sage ich nur: d’accord, genau das ist es! Wir können gar nicht mehr anders! Es geht darum, Krankheit, Leid und Tod zu überwinden, die eben auch Bestandteil der Natur sind, und das mit rein technologischem Denken

Nelles sieht darin den „finale[n] Countdown einer Geschichte, die schon im 8. Jahrhundert mit der Christianisierung der germanischen »Heiden« und der Auslöschung ihres mythischen Glaubens begann, sich in der Verfolgung von »Hexen« und Ketzern fortsetzte, dann mit der Aufklärung in ihr scheinbares Gegenteil umschlug und zunächst die moderne Wissenschaft und in ihrem Gefolge Technik und Industrie hervorbrachte.“12 Wiederum schön beschrieben!

Aber zwei Anmerkungen hätte ich doch: warum nennt er das Verhältnis der germanischen „Heiden“ mythischen Glauben? Könnte es nicht genauso gut sein, dass diese Germanen ein wirkliches spirituelles Wissen hatten, das in der Überlieferung für uns (unter anderem durch Kant aufgeklärte?) Geister nur eben wie ein bisschen kindlicher Aberglaube erscheinen muss? Und zum Zweiten: Das System der Priesterherrschaft, verbunden mit der Verfolgung Andersdenkender ist keineswegs eine Erfindung des sogenannten „Christentums“. Die Entstehung lässt sich viel eher im alten Ägypten oder Mesopotamien ansiedeln, wie Lewis Mumford in seinem monumentalen Werk „Mythos der Maschine“ breit dargelegt hat13. Das System ist also älter, viel älter.

Nelles Darlegungen zu diesem Abschnitt laufen auf einige sehr wichtige Sätze hinaus, die ich deswegen hier im Zusammenhang zitiere: „Auch dem Buddha ging es um die Frage, wie Krankheit, Leid und Tod überwunden werden können. Buddhas Antwort lautet, dass man erkennen müsse, dass das »Ich«, das sich mit dem menschlichen Körper, der physischen Existenz, identifiziert, eine Illusion ist, dass alles, was wir »die Welt« und auch unser Ich oder Selbst nennen, nur eine vorübergehende Manifestation des einen und ewigen Geistes ist, und dass das Leid endet, wenn man dies erkennt. Er hat dies nicht als Theorie oder Philosophie oder Theologie formuliert, sondern es war, soweit man den historischen Zeugnissen entnehmen kann, seine persönliche Erfahrung und Erkenntnis, seine »Erleuchtung«. Bei Jesus ist es die Liebe, die Leid und Tod überwindet. Bei beiden geht es aber nicht um den physischen Tod – der bleibt, aber er zählt nicht mehr. Wenn ich im Innersten erkannt habe, dass alles Geist („Gott“) und das menschliche Leben (die Welt) nur eine vorübergehende Erscheinung dieses Geistes ist, den man auch Gott oder Bewusstsein nennen kann, hat der Tod, wie es in einem österlichen Kirchenlied heißt, »keinen Stachel mehr«. Dann ist man frei.“14

Diese Sätze mögen etwas Wirkliches schildern, sie sind aus meiner Sicht aber unvollständig. Denn sie enthalten nichts, was dem Menschen in irgendeiner Weise Freiheit ermöglichen würde. Die Wahrheit ist im Sinne dieser Sätze eben eine feststehende, der der Mensch sich zu fügen hat. Es wäre ja – wenn man den Buddha einmal auf die Sitze treiben wollte – eigentlich ganz egal, ob die Welt untergeht. Sie ist ja sowieso bloss eine Illusion. Und – auch etwas auf die Spitze getrieben – was ist eigentlich Liebe? Wenn sie nicht bloss irgendein Habenwollen sein soll, sondern wirklich Liebe um des Geliebten willen, dann muss sie ganz vom Zentrum meiner selbst ausgehen, und setzt insofern Freiheit voraus. Andernfalls praktiziert der Mensch göttlich fremdgesteuerte Selbstliebe des Gottes für seine Schöpfung. Wie aber kann dann Freiheit entstehen? Und schließlich: wie erkennt der Mensch, dass „alles Geist (Gott) ist“? Was ist also Geisterkenntnis im Unterschied zu Glaube? 15Ich komme darauf zurück.

4. Der Gott im Menschen

Wieder ganz nachvollziehbar ist es, wenn Nelles sagt: „Der Krieg gegen die Natur ist unser christliches Erbe, das die Wissenschaft, allem vordergründigen Rationalismus und Atheismus zum Trotz, nur fortführt. Der Mensch hat die Schöpfung zu seinem Projekt, mehr noch: zu seinem Daseinszweck gemacht. … Wir haben Gott zwar abgeschafft, haben ihn uns im Geiste unterworfen, aber indem wir dies taten, ist er unbemerkt in uns hineingeschlüpft. Anstatt ihn losgeworden zu sein, beherrscht er uns nun von innen: Wir müssen wie Gott sein, und das Instrument dafür ist die Wissenschaft. … Die Natur-Wissenschaft ist keine Arbeit mit der Natur …, kein Versuch, sich durch ihr tieferes Verständnis besser in sie einzufügen, sondern ein Angriff gegen sie. Damit ist sie aber auch ein Angriff auf den natürlichen Menschen.“16

Ein Aspekt fehlt mir dabei allerdings: ist denn die Art, wie Natur-Wissenschaft heutzutage betrieben wird – auf der Grundlage des Kantschen Axioms, dass die Wahrheit eben nicht erkennbar sei – die einzig mögliche? Oder hat Kant möglicherweise etwas übersehen, und sein Axiom stimmt überhaupt nicht? Gibt es vielleicht eine Natur-Wissenschaft, die mit der Natur arbeitet, und die sich nicht von einem ehemaligen Gott beherrschen lässt, sondern von uns selber vollständig bewusst ausgeht?

5. Was wir bekämpfen, sind wir selbst

Wie schon eingangs gesagt, es gibt wirklich nicht viele Artikel, die sich zu derartigen Einsichten aufschwingen und diese auch wirklich schlüssig darzulegen verstehen. Der in der Überschrift genannte Satz wird von Nelles erläutert, indem er darauf hinweist, dass wir selber ja Bestandteil der Natur sind, und in unserem Krieg gegen die Natur darum sozusagen uns selber töten; und wenn wir so weitermachen, gibt es zwar irgendwann noch Überlebende, aber die werden keine Menschen mehr sein, sondern Maschinenwesen17.

Er schildert dann, dass für uns der Gott aus den genannten Gründen eben tot ist, nicht mehr existent, aber da der Mensch offenbar ohne einen Gott nicht leben kann, sich der heutige Mensch eben selber zum Gott erklärt. Und damit wird dasjenige, was dieser Mensch dann aus seinem eigenen „göttlichen Ratschluß“ tut zur unwiderlegbaren Wahrheit, und alles, was heutige Wissenschaft auf der Grundlage Kants als Theorien, als Diskurs, als Zweifel braucht, um überhaupt ihre Berechtigung zu haben, wird über den Haufen geworfen. Interessant ist, dass er die Rolle der Priester, die dem einfachen Volk die Wahrheiten zu verkünden haben, bei den Journalisten sieht; ich hätte sie zumindest auch – wenn nicht überwiegend – bei denjenigen Wissenschaftlern gesehen, die sich zum Rechtfertigungswerkzeug politischer Absichten machen. Das ist aber nur ein Detail.

Grundlage des Ganzen – so findet Nelles – ist letztlich die Angst vor dem Tod. „Und diese Angst hat einen sehr, sehr tiefen Grund, nämlich den schon angesprochenen Tod Gottes.“18 Und damit ist der Tod für uns nicht zum Übergang in ein neues Sein im Schoße Gottes, sondern ein unwiderrufliches und absolutes Ende geworden. Da wir dies aber nicht aushalten können, müssen wir irgendwie ein Weiterleben organisieren, und zwar im Diesseits, denn etwas Anderes kennen wir nicht. „Und genau da funkt uns unsere Natur dazwischen. … Also müssen wir sie abschaffen. Überleben, »ewig« leben können wir nur als künstliche Wesen, als Plastikblumen, die nie verwelken, oder als virtuelle Kopien in einer virtuellen Welt. Das »ewige« Leben auf Erden kann nur ein totes Leben sein. Im Kleinen haben die Lockdowns uns das vorgeführt: Um nicht zu sterben, darf man sich nicht mehr bewegen.“19 Das ist sehr treffend beschrieben, vor allem der letzte Bezug zur aktuellen Situation.

Als Schlussergebnis kommt Nelles zu der Feststellung: „Wenn wir dies nicht wollen, gibt es nur einen Weg: Wir brauchen eine neue Spiritualität, wir müssen erkennen, dass wir nicht nur Körper, sondern auch – sogar zuallererst – Geist sind, und dass Leben und Tod nicht zwei, sondern eins sind. Es gibt das eine nicht ohne das andere. Wenn wir das sehen und im Geist zu Hause sind, sind wir geschützt. Der Psalm spricht die Wahrheit.“20

Ja, kann man ihm beinahe enthusiastisch zustimmen – wenn da nicht der letzte Satz wäre. Womit ich bei meiner Ergänzung angekommen bin.

6. Was ist der Mensch?

Was bei Nelles gar nicht genau geklärt wird, aber für die Beurteilung des Ganzen meiner Ansicht nach unverzichtbar ist, das ist die Frage, was eigentlich hier als „Mensch“ angesehen wird. Wenn schon das technologisch-mechanistische Menschenbild in Frage gestellt wird, das im Rahmen der Entwicklungen der letzten Jahrhunderte nun heute ja beinahe alleinherrschend ist, dann wäre doch eine Klärung schon notwendig, was der Mensch denn dann sein solle?

Nelles verweist darauf bloß implizit; ich lese aus seinen Darstellungen heraus, dass der Mensch eben ein Naturwesen ist, oder eine Schöpfung Gottes, das dann derzeit – so kann man annehmen – in eine Art Größenwahn verfallen ist und daher möglichst schnell wieder auf sein im göttlichen Naturplan vorgesehenes Maß zurückgestutzt werden müsse. Genaueres habe ich nicht gefunden; aber vielleicht habe ich auch nicht genau genug gelesen.

Falls ich richtig gelesen habe, kann ich dem Autor ja zustimmen, was die Analyse der Vergangenheit betrifft: der Mensch ist aus dem göttlichen oder natürlichen Zusammenhang gefallen, er kennt die Wahrheit nicht mehr, und in seiner Not ernennt er sich in seiner Unvollkommenheit jetzt zum neuen Gott. Das kann nicht gut gehen. Was aber nun?

Hier gibt es ja seit mehr als einhundert Jahren auch ganz andere Ansätze, die leider (auch durch manche „offizielle“ Vertreter dieser Richtung) in weitesten Kreisen nur völlig verzerrt und entstellt in die Öffentlichkeit dringen. Ich meine die anthroposophische Geisteswissenschaft Rudolf Steiners. Steiner hat bereits in seinen frühen philosophischen Werken21 das Kantsche Dogma von der Unerkennbarkeit der Wahrheit, das heißt ja auch von den unübersteiglichen Erkenntnisgrenzen des Menschen, abschließend widerlegt. Das hier referieren zu wollen, ist vollkommen unmöglich.

Letztendlich läuft es aber darauf hinaus, dass ja unbestreitbar ist, dass jede Erklärung des Daseins eines Menschen oder der Welt immer die Existenz eines erklärenden Denkens und eines Individuums, in dem sich dieses Denken zum Bewusstsein bringt, voraussetzt. Auch wenn ich also erkläre, der denkende, sich selber erlebende geistige Mensch sei gar kein selbständiges geistiges Wesen, sondern nur eine Illusion, die aus der Materie gleichsam „hervorschwitzt“, ist diese Erklärung eben eine, die nur durch einen denkenden Menschen erbracht werden kann, der sich damit sozusagen selber „wegerklärt“. Näheres dazu habe ich in meinem Buch zur aktuellen Menschheitskrise ausgeführt: „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“22.

Ausgehend von einem so aufgefundenen Primat des Geistes – zumindest von der Warte des Erkennenden Menschen aus – stellt sich dann die Frage nach dem Sinn der derzeitigen Situation der Menschheit noch einmal etwas anders. Vieles, was Nelles anführt, liegt ja völlig auf dieser Linie, und darum habe ich den Artikel auch erfreut gelesen. Nur bleibt bei ihm die Frage nach dem, was eine „neue Spiritualität“ denn sein könnte, leider unbeantwortet.

7. Neue Spiritualität

Denn die Konsequenz von Nelles – „Der Psalm hat recht“ – ist ja nichts anderes als der Rückgriff gerade auf eine alte Spiritualität, die eben mit zu den Gründen gehört, warum die Lage heute so ist, wie sie ist. Der helfende Gott, der den sündigen Menschen führt, der ist eben nicht mehr. Und ich denke nicht, dass man ihn zurückholen kann. Der Mensch ist frei geworden, auch zum Irrtum.

Warum kann man ihn nicht zurückholen? Man wird einen heutigen, selbständig denkenden Menschen, auch und gerade nach den Ereignissen der letzten zwei Jahre, nicht mehr leicht dazu bringen können, irgendwem einfach zu glauben. Das müsste er aber: der Bibel, dem Pfarrer, dem Imam, dem Professor, oder wem sonst auch. Sicher, derzeit glauben ja gerade viel zu viele alles Mögliche. Was aber, wenn die Sache auffliegt? Nein, der denkende Mensch will heute wissen, und zwar auch von dem, was nicht klar vor Augen liegt. Und das bedeutet, dass wir nicht nur eine irgendwie „neue Spiritualität“ benötigen, die sich eben geschützt glaubt, wenn man dem Psalm glaubt. Gott ist für die Menschen tot. Man erlebt ihn nicht mehr. Glaube als innere Stütze gegenüber der gottlosen Welt reicht für sehr viele Menschen nicht mehr aus.

Nein, wir brauchen sehr viel mehr, nämlich eine komplette Spiritualisierung der Wissenschaft. Und die wird nur gelingen, wenn der einzelne, individuelle, denkende Mensch erst einmal anfängt zu realisieren, dass er selber Geist ist, der derzeit eben in einem irdischen Leib auf der Erde herumläuft. Was vorher war (habe ich eventuell mein Schicksal, meine Aufgaben im Leben schon wie eine Art Vorhaben mitgebracht?) und was nachher sein wird (Fegefeuer, Himmel, Walhalla, oder was auch immer) kann ich erst lernen zu verstehen, wenn ich mich selber und mein Denken verstehen lerne. Vorher ist das nicht möglich. Aber ich kann vorher schon wissen – wenn ich mein unmittelbares Erleben nur ernst nehme, das nämlich ein geistiges ist, den materiellen Inhalten gegenüber – ich kann also vorher schon wissen, dass diese jetzt gerade von mir erlebte Welt nicht alles ist. Nur darf ich dabei eben nicht stehen bleiben, wie Kant und seine Nachfolger, sondern muss mich aufraffen zur eigenen Weiterentwicklung im Erkennen.

Und da bin ich eben mit Herrn Nelles nicht einig: der Psalm hatte recht für die Menschen vergangener Zeiten. Jetzt müssen wir eine neue Art Psalm zu singen lernen. Wir haben nämlich die Welt schon umgestaltet, sie ist gar nicht mehr die „natürliche“, das ist frommer Glaube. Um uns herum sind eine Vielzahl technischer Einrichtungen tätig, deren Wirkungen wir noch gar nicht überblicken, und die uns noch auf die Füße fallen werden. Wenn wir lernen wollen, damit umzugehen, werden wir uns ganz auf uns selber verlassen müssen. Allerdings: was die Vergangenheit betrifft, die uns in diese Welt befördert hat, da gilt eben, was der Psalm sagt.

Denken wir doch einmal weiter: wenn der Gott, der uns beschirmte, uns in diese Situation gebracht hat, in der wir sind: was wollte er damit von uns erreichen? Ich finde, es ist ein berechtigtes Anliegen in dem Willen, selber das Leben schaffen zu lernen. Nur wird es dazu nötig sein, erst einmal zu wissen, was Leben überhaupt ist, und auch zu verstehen, wie und warum wir als Menschheit an die Stelle gekommen sind, an der wir jetzt stehen. Und dann müssen wir Wege finden, wie wir unsere Erkenntnisgrenzen weiten können.

Wir stehen also vor zwei Möglichkeiten: entweder weiter so wie bisher; jeder sieht, dass er für sich das Beste herausschlägt, man lebt ja nur einmal – also gar nichts verstehen wollenoder die Einsicht, dass wir selber nicht weiterkommen werden, wenn wir nicht die Welt um uns herum – und das bedeutet auch alle anderen Menschen – dabei mitnehmen. Wir werden uns also – sozusagen aus einer Art höherem Egoismus – liebevoll jeder Einzelheit des Lebens zuwenden müssen, um sie mitzunehmen auf unserem Weg in den Geist der Zukunft. Der Weg Buddhas ist nämlich auch ein alter: gar nicht erst ganz auf die Erde kommen zu wollen, da sie ja doch nur eine Illusion ist. Diesen Weg haben wir uns abgeschnitten. Wir können uns nämlich gar nicht mehr weiterentwickeln ohne die Welt. Unsere Taten sind längst Bestandteil der Welt und prägen sie. Und sie braucht uns jetzt. Unsere „Sünden“ werden wir schon selber abzutragen haben, indem wir uns umschaffen zu einem „neuen Menschen“.

Diesen Weg, der nicht auf ein „zurück zum leitenden Gott“ setzt, sondern auf die Kraft des freien Menschen (ohne die Freiheit hätten wir uns gar nicht derartig irren können – darum ist die materialistische Wissenschaft, die nichts vom Geiste weiß, als Durchgangsstation auch unumgänglich nötig gewesen), der in seinem Handeln Liebe entwickelt, stellt Rudolf Steiner in seinem Gesamtwerk dar. Ihm war zu keiner Zeit vorrangig wichtig, was an einzelnen Inhalten geistiger Tatsachen dargestellt wurde. Es ging immer zuerst um die Schaffung von Urteilsgrundlagen für eine wirkliche geisteswissenschaftliche Erkenntnis, eine solche also, die vollkommen vorurteilslos und kontrolliert an dem ansetzt, was der Mensch als geistiges Wesen im Geiste heutzutage unmittelbar erleben kann, und die eben dadurch den Weg in eine Spiritualisierung der Wissenschaft weisen kann.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1https://multipolar-magazin.de/artikel/der-kunstliche-mensch, als pdf-Datei herunterladbar

2Wegen der Bedeutung, den der Psalm für das Ganze hat, hier der von Nelles zitierte Text ebd., S. 2:
„Wer im Schutz des Höchsten wohnt und ruht, im Schatten des Allmächtigen, der sagt zum Herrn: ‚Du bist für mich Zuflucht und Burg, mein Gott, dem ich vertraue.‘ Er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus allem Verderben. Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht. Schild und Schutz ist dir seine Treue. Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten, noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt, nicht vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag …“

3ebd., S. 2 (alle Zitatnachweise beziehen sich auf die pdf-Datei)

4ebd., S. 3

5ebd.

6ebd., S. 4

7ebd., S. 3

8ebd., S. 4

9ebd., S. 5

10ebd.

11ebd., S. 6

12ebd., S. 7

13Mumford, Lewis: Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht. – Frankfurt a.M., Fischer Taschenbuch, 1977

14Nelles ebd., S. 7

15vgl. dazu von einem andere Ausgangspunkt aus zu „Transhumanismus und Geist-Erkenntnis“, https://emhuisken.de/den-menschen-ueberwinden-transhumanismus-und-geist-erkenntnis/

16ebd., S. 8

17vgl. hierzu auch im Folgenden den Schlussabsatz bei Nelles ebd., S. 8 ff

18ebd., S. 9

19ebd. S. 9 f

20ebd., S. 10

21„Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“, „Wahrheit und Wissenschaft“, „Die Philosophie der Freiheit“

22em Huisken, Stefan Carl: Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen. – Borchen, Ch. Möllmann, 2021, bestellbar =>hier; ebenso manche Artikel auf meiner Website www.emhuisken.de




So weit haben wir es also gebracht – eine Brandrede zu Weihnachten

Nun fällt sie uns auf die Füße, die Frucht unserer Selbstvergessenheit. Wir haben es versäumt, rechtzeitig herauszufinden, woran es liegt, dass jeder neue Gewinn an technologischer Macht über Kurz oder Lang zu neuen Wellen der Selbstzerstörung führt. Selbstzerstörung nicht bei allen und bei jedem, selbstverständlich. Aber bei dem „Wir“ das ich hier meine: dem „Wir“ aller Menschen, der Menschheit insgesamt. Denn ohne das Ganze der Menschheit ist der Einzelne nichts, nicht existenzfähig.

Wir haben lange gemeint, die ungeheure äußere Macht der toten Maschine würde uns in eine neue Welt sorgenfreien Lebens katapultieren. In beeindruckendem Maße scheint das ja auch geglückt zu sein – für Einige. Und wir hier, in der sogenannten zivilisierten, entwickelten Welt danken der Technik unsere Freiheit in gewissem Sinne ja auch wirklich. Aber auf wessen Kosten?

Der in der äußeren Welt lebende Mensch, der so Vieles in der Welt zu erklären gelernt hat, hat darüber Eines ganz vergessen: sich selber als real erlebendes Wesen kennt er nicht mehr.

Gewiss, wir wissen Vieles über bestimmte leibliche Erfordernisse eines jeden Menschenlebens; auch über sogenannte „seelische Bedürfnisse“ dessen, was wir in unseren Erklärungsversuchen „Mensch“ nennen, glauben wir Einiges sagen zu können. Es mag ja auch Vieles davon sinnvoll und richtig sein im Rahmen der gewählten Erklärungsansätze.

Was wir aber nicht wirklich kennen, was wir sogar aus aller Erkenntnis meinen heraushalten zu müssen, weil die Erkenntnis sonst Gefahr liefe, „falsch“ zu werden, das sind wir selbst: die konkreten erlebenden, denkenden, fühlenden, wollenden Wesen, die wir niemals in der äußeren Welt finden können, weil sie dort einfach nicht sind: das ICH, das all das erlebt und tut, es ist nirgends dort zu finden, wo all das Erlebte, Erkannte und Getane west und wirkt.

Das ist unser Versäumnis: wir haben den Menschen aus der Welterkenntnis ausgeschlossen: uns selbst, von dem wir doch sicherer als bei allem Anderen wissen können, dass es existiert. Ohne das Ich als Zentrum und Schauplatz des Weltgeschehens hätte alles, was uns umgibt, Bedeutung und Ziel verloren. Genau dies, die Ausrottung des real im Geist sich selbst erlebenden MENSCHEN, betreiben wir dadurch, dass wir nicht danach streben, uns selbst für die Welt zu entwickeln, sondern stattdessen die Welt zu unserer Bequemlichkeit technologisch auszubeuten, oder – wie Manche wollen – sie als unbedeutend anzusehen, nämlich als etwas, das möglichst schnell für unser Wohlergehen (darum geht es!) unnötig werden soll.

Wenn wir auf uns selber zu schauen vermeinen, sehen wir vorrangig unsere Wünsche, die sich aus den Bedingungen des irdischen Daseins ergeben. Das ist unser irdisches Wesen, das Weltenwesen, das wir auch sind. Was aber in diesem irdischen Wesen als Geistiges lebt, ist das ICH, das frei sein will. Das wird es aber niemals durch Erfüllung irdischer Wünsche. Dieser Weg führt in die Sucht, in immer weiteres Ausufern der Wünsche, und zugleich in immer größere Bequemlichkeit und damit einhergehenden Verfall menschlicher Fähigkeiten. Der derzeitige Zustand der Welt ist Beweis genug dafür.

Damit ist nichts gesagt gegen den Gebrauch heutiger Wissenschaft und Technik; beide haben ihren Anteil an unserem Freiwerden. Aber es ist entscheidend, ob wir selber, aus dem freien Geist, in Ansehung unserer eigenen Bedeutung im Weltenganzen all diese Gaben zu nutzen verstehen, oder ob wir es tun ohne den Blick darauf, wer wir selber sind, werden wollen und werden sollen.

Was ICH bin, bin ich geworden aus der Welt, mit allen Wirkungen der Taten zahlloser Menschen vor mir im Gang der gesamten Menschheitsentwicklung seit einem wie immer gearteten Weltenbeginn. Was wir heute tun, prägt die Welt, aus der unsere Nachkommen hervorgehen werden und in der sie zu leben haben. Das sollten wir bedenken.

Selbst wenn wir das tun, fehlt uns ohne eine wirkliche Erkenntnis unserer Selbst, unseres geistigen Kernes, aller Sinn und jedes Ziel für unser Tun. Wenn wir ehrlich sind: wir haben doch alle Ideale verloren, jedenfalls die, die über unsere eigenen irdischen Lebenswünsche hinausgehen. Solche Ideale erleben wir nicht als etwas Wirkliches, sie sind uns nur Meinungen subjektiver Art, die eben jeder für sich selber setzt und mehr oder weniger befolgt.

Wir selber sind uns dabei völlig abstrakt geworden, und damit auch alle Welterkenntnis. Mit der Wahrheit unserer Selbst haben wir auch die Wahrheit der Welt verloren. Gewaltige Denkkraft wird und wurde darauf verwendet, zu beweisen, zu begründen und als großartige Erkenntnis anzupreisen, dass es eine Wahrheit gar nicht geben kann. Aber ist denn diese Erkenntnis wahr?1Jeder einzelne Mensch, der sich selber ernst nimmt, ist doch der lebende Beweis der Wahrheit seiner Existenz! Und alles, was er über die Welt erkennt, existiert doch nicht ohne ihn! Und diese Grundbedingung aller Erkenntnis soll unwahr, subjektiv, erkenntnisverfälschend sein?

Ja, das kann sein. Aber nur solange bis der erkennende Mensch sich aufrafft, seine eigene, grundlegende, wahre Bedeutung für alle Erkenntnis anzuerkennen, und dann dieses Anerkenntnis zum Anlass nimmt, sich selber zu erforschen, zu erkunden und davon ausgehend sich selber geeignet und würdig zu machen für eine unverfälschte Erkenntnis der Wahrheit. Solange er selber sich ausschließt aus der Erkenntnis, gibt es keine Wahrheit. Solange werden auch die Ergebnisse seiner Erkenntnistätigkeit ihn selber unberücksichtigt lassen – und eben unmenschlich, nicht menschengemäß, nicht menschenwürdig sein.

Das ist unser Versäumnis, dessen Folgen uns jetzt auf die Füße fallen. Wir haben uns selber als real sich selber im Geiste erlebende Wesen aus der Erkenntnis und damit aus der Wissenschaft und Technik ausgeschlossen. Jetzt wirken die von uns aufgebauten toten, maschinellen Prozesse im Sinne des auf das irdische, einzelpersönliche Sein bezogenen Egoismus. Sein Ziel ist immer das Erlangen von Macht zur Erfüllung solcher egoistischer Wünsche. Und wem aus den Eroberungen der Vergangenheit solche Macht zugefallen ist, der wird sie zu erweitern trachten, und sicher niemals freiwillig aus der Hand geben.

Aber auch diese Machtegoisten sind Menschen. Auch sie zerstören mit ihrem Tun letztlich die Grundlage ihres eigenen Seins. Auch sie werden – wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher – ihre Menschlichkeit, ihr ICH nicht dauerhaft machen können. Denn auch sie sind, weil auch sie sich selber nicht kennen, nur Sklaven des technologischen Dogmas der vermeintlichen Weltbeherrschung.

Was hält uns davon ab, endlich dem MENSCHEN den ihm gebührenden, seiner Stellung in der Welt würdigen Platz zu geben? Alles, was dagegen eingewendet werden kann, ist letztlich Frucht der Selbstvergessenheit. Wollen wir wirklich weiter mit einem Denken, einer Wissenschaft, die den eigenen Kern nicht kennt, die Schäden zu bekämpfen suchen, die gerade Folgen sind dieses Denkens, dieser Wissenschaft? Es ist hoffnungslos – das wird nicht funktionieren.

Und je länger wir uns weigern, uns selber als reale Geistwesen, als wirkliche ICH-Menschen anzuerkennen, desto tiefer versinken wir alle im Sumpf menschenunwürdiger (!) Selbstvergessenheit.

Sei im Bewußtsein Träger des Ich
Des Alten vom Tage
Des Herz die Zeit
Des Leib der Weltraum ist,
Des Geist in Deinem Geist
Als Kind erwacht.
Sei Deines Kindes wissender Hüter.
Bedecke es nicht mit Staub.
Gib Nahrung ihm.

(Helmut Siegfried Unbehoven)

Das hier genannte Kind ist das wahre „Kind in der Krippe“, dessen Kommen die Welt zu feiern hat. Die unwürdigen Umstände, unter denen wir zur Zeit diese Feier zu begehen haben, sind eine der heutigen Welt entsprechende Metamorphose des biblischen Bildes: der Erlöser soll geboren werden, aber es findet sich keine Herberge. Bei den Tieren im Stall schließlich findet statt, was der Welt die Erlösung bringen soll2.

Beruhigen wir uns also über diese Zustände. Wenden wir uns lieber dem zu, worum es eigentlich gehen muss, was uns obliegt: uns selber als vor der Welt und für die Welt verantwortliche Menschen anzuerkennen, und auf dieser Grundlage dem in uns zu gebärenden neuen, geistigen Menschen – dem „Kind“, dem „Künder“, unserem „höheren ICH“ – eine Herberge zu geben. Dann haben wir auch eine Chance, dem in uns erstehenden Kind die rechte Nahrung zu geben, so dass es kräftig und weltenwirksam heranwachsen kann.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Anders gesagt: Alle Kretenser lügen, sagt ein Kretenser.

2Man durchdenke das Bild in meditativer Form. Es stimmt bis in die Einzelheiten.


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können. Auch der oben angesprochene Weg der Selbsterziehung zur wahrer Erkenntnis wird darin angesprochen.




Konfessionen, Wissenschaft, Neue Offenbarung – und das Verstehen

Woher Unfreiheit stammt

Wer glaubt, ist unfrei. Denn in seinem Glauben sucht er Anleitungen für sein Handeln. Und wie diese Anleitungen zustande kommen, weiß er nicht – sonst könnte er ja alles überprüfen, und dann wäre es kein Glaube mehr. Einige Beispiele.

Traditionelle Religion – die Konfessionen

Der traditionelle Glaube an einen Gott entsteht aus dem Entschluss, durch bestimmte Urkunden und/oder Priester verkündete, nicht sinnlich wahrnehmbare und mit dem normalen Alltagsverstand nicht ergründbare Offenbarungen für wahr zu halten. Dazu treibt uns zumeist ein Gefühl, das im alltäglichen Leben etwas vermisst, uns dieses alltägliche Leben an entscheidender Stelle unvollkommen erscheinen lässt. Und da wir in den alltäglichen Wahrnehmungen und auch in unseren Möglichkeiten selbständigen Denkens zunächst nichts finden, was uns diesen Mangel beheben kann, greifen wir zu den Offenbarungen, die unseren Altvorderen scheinbar noch zuflossen und die sie für uns – ihre Nachwelt – einst aufgeschrieben haben. Immerhin: diese Dinge sind alt und bewährt, das macht uns das Glauben leichter.

Aber: gelten denn die alten Offenbarungen ungeschmälert auch heute? Müssten sie nicht ganz andere Inhalte und vor allem Formen bekommen, damit sie uns und unseren Lebensumständen ganz entsprechen könnten?

Wissenschaft

Überprüfen – so sagt die derzeit weltbeherrschende Lehre der Wissenschaftlichkeit – kann man alles, was über die unmittelbar wahrgenommene Sinneswelt hinausgeht, nur durch exakte Wissenschaft. Das versucht diese Wissenschaft dann auch, aber sie legt dabei bestimmte Annahmen zugrunde, die sie meint, nicht überprüfen zu müssen. Eine dieser Annahmen besteht darin, nur das für wissenschaftlich begründet zu halten, was durch wiederholbare, kontrollierte Experimente immer wieder die gleichen Wahrnehmungen in der Sinneswelt hervorbringt. Darin versteckt sich die zweite Annahme: dass nämlich alles nicht sinnlich Wahrnehmbare nicht wirklich sei.

Eine solche Auffassung kommt zu dem Ergebnis – jedenfalls wenn sie ehrlich bleibt – dass es eine direkte Erkenntnis der Wirklichkeit nicht geben kann, nur mehr oder weniger wahrscheinliche Annäherungen daran. Und dann muss man eben, solange sich nichts Anderes als wahrscheinlicher herausstellt, an die bisher besten Wahrscheinlichkeiten glauben, und damit im Leben hantieren.

Ja, die Wissenschaft fordert in diesem Sinne Glauben. Sie fußt ja auch auf Glauben: dem Glauben, alles nicht sinnlich wahrnehmbar Aufzeigbare sei nicht wirklich. Aber sind denn die Menschen, die so an „die Wissenschaft“ glauben, ganz unwirklich? Man kann sie ja nicht experimentell „beweisen“, warum es auch Auffassungen gibt, die Dinge wie „Geist“ und „Seele“ – also den konkret sich und die Welt erlebenden Menschenkern – für Illusionen halten.

Ein Vorzug dieses „Wissenschaftsglaubens“ ist es, dass die Priester dieser neuen „Kirche“ die anderen Menschen leicht glauben machen können, bei ihnen – den Wissenschaftlern – müsse man nichts glauben. Es ist ja alles „exakt überprüft“! Dazu muss man nur die oben genannten Grundannahmen als „Selbstverständlichkeiten“, die nicht weiter hinterfragt werden müssen, effektiv genug in den Menschen und ihrer Seelenverfassung verankern. Dies geschieht, seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten durch die aus alter Priesterzeit tradierten, auf Autorität gebauten Bildungseinrichtungen. Wir selber sind Produkte davon.

Neue Offenbarung

Wenn also traditioneller religiöser Glaube und Wissenschaftsglaube uns in der Unfähigkeit zum Auffinden der „wahren Wirklichkeit“ halten, uns ja teilweise glauben machen, die gäbe es gar nicht, wie kommen wir dann aus der Notwendigkeit zu glauben heraus? Wir müssten dafür ja eine neue Offenbarung erhalten, die wir unmittelbar in ihrer Wahrheit erleben können und die darum keinen Glauben an die Überlieferung und keinen Glauben an wissenschaftlich festgestellte Wahrscheinlichkeiten fordert. Eine solche Offenbarung haben wir aber in der Regel nicht.

Aber es gibt da Ausnahmen: Menschen, die von sich sagen (oder von denen Andere sagen), sie seien „hellsichtig“, könnten also für den Normalmenschen Unwahrnehmbares anschauen, und die sich gegenseitig bestätigen oder manchmal auch streiten. Ich nenne nur ein paar Namen aus der fast unbegrenzten, in den letzten Jahren rapide zunehmenden Zahl solcher Menschen: Christina von Dreien, Iris Paxino, Jose Martinéz, Thomas Mayer, Dirk Kruse, Chamuel, Judith von Halle, Daskalos, Verena Staël von Holstein – viele andere könnten noch genannt werden. Bei allen ist von unmittelbaren Geisterfahrungen die Rede.

In der Regel sammelt sich um solche Menschen schnell eine Art „Gemeinde“, die eben – glaubt, was diese Menschen sagen. Ich möchte hier betonen, dass damit nichts gesagt ist ist über Wahrheit oder Unwahrheit der jeweiligen Aussagen. Das Grundproblem bleibt aber bestehen: für den „Normalmenschen“ gibt es zunächst kein untrügliches Kriterium, an dem sich der Wahrheitsgehalt der Aussagen solcher „Hellsichtigen“ überprüfen ließe.

Wahre Erkenntnis

Allen dargestellten Wegen, der Wirklichkeit näher zu kommen, so weit sie über das robuste, naive Alltagserleben hinausgeht, ist gleich die Tendenz zur Unfreiheit des Einzelnen, der sich von so oder so gearteten und bestimmten „Autoritäten“ führen lassen muss, heißen sie nun Priester, Wissenschaftler oder Hellsichtige.

Die Grundlage

Wie also kann es dann möglich werden für den Menschen, Anleitung für sein Handeln zu finden, die er nicht auf geglaubte Aussagen Anderer bauen muss? Gibt es so etwas überhaupt, oder muss eben jeder Mensch glauben, was er kann und will, und allen gemeinsames Wissen von einer Wahrheit ist unmöglich? Dann wäre die Lenkung des menschlichen Zusammenlebens immer nur der Kampf darum, wem eben am meisten geglaubt wird; ein Abgrund, in dem der überzeugendste Lügner schnell auch der mächtigste Menschheitslenker werden könnte.

Stehen wir nicht weltweit gerade im Augenblick vor dieser Frage: gibt es Wahrheit für den Menschen, oder gibt es nur Macht, die dann eben auch bestimmen kann, was als Wahrheit zu gelten hat?

Fänden wir einen Weg zu einem für jeden Menschen zugänglichen Wahrheitskriterium, so läge darin auch eine Chance, das allgemeine Verharren im Glauben dieser oder jener Art und damit die Abhängigkeit von äußeren Autoritäten zu beenden. Wenn jeder beurteilen kann, wer wahr spricht und wer nicht, haben Lügner keine Chance mehr.

Dieses Kriterium gibt es. Es lässt sich finden, wenn wir ansetzen bei den unhinterfragten Vorurteilen, denen das allgemeine Denken der meisten Menschen unbemerkt aufsitzt. Das wichtigste dieser Vorurteile liegt in dem Versuch, die Welt, wie sie wahrgenommen wird, nur aus dieser Welt selber erklären zu wollen. Dies ist aber gar nicht möglich, denn der Erklärende, der dieser Welt gegenübersteht und sie zu erklären sucht, ist zwingend notwendig für das Entstehen einer solchen Erklärung. Die Auffassung, dieser Erklärende selber sei nur ein Teil der zu erklärenden Welt, ist bereits ein Ergebnis einer bestimmten Richtung der Deutung der vorliegenden Tatsachen und damit ein Vorurteil und nicht eine tatsächlich vorhandene Voraussetzung zur Deutung. Voraussetzung für das Entstehen einer Welterklärung ist grundsätzlich nur die Existenz der zu erklärenden Welt (das Objekt) und zugleich das Vorhandensein des erklärenden Subjektes.

Was hier gegeben wird, ist noch keine Deutung der Situation, sondern nur das beschreibende Konstatieren von Tatsachen, das jeder unvoreingenommene Betrachter unmittelbar nachvollziehen kann. Unmittelbar einsichtig ist auch die Tatsache, dass die von einem Menschen erlebte Welt (also das, was in seinem Erleben als ihm gegenüberstehende Welt auftritt) und dieser bestimmte erlebende Mensch niemals voneinander unabhängig vorhanden sein können. Genau dieser eine Gesamt-Weltinhalt kann nur von genau diesem einen Subjekt erlebt werden. Wäre das Subjekt ein anderes, wäre auch die Erlebenswelt eine andere, und umgekehrt.

Das „Dreigestirn“

Zu jeder solcher Erkenntnissituation gehören also genau drei Glieder: das Erkenntnissubjekt („Ich“), das Erkenntnisobjekt („die von mir erlebte Welt“) und die übergeordnete Einheit beider, die im Alltag gewöhnlich unbewusst bleibt und nur in die innere Betrachtung tritt im Rahmen eines Erkenntnis- und Denkweges, wie er hier geschildert wird.

Dieses „Dreigestirn“ ist daher etwas, was

  • in der äußeren, gegebenen Weltwahrnehmung als Ganzes nicht vorkommt;
  • erst vom denkenden Subjekt hervorgebracht werden muss;
  • für welches Hervorbringen nichts als das Denken selbst vorausgesetzt ist;
  • welches nur in der inneren denkenden Betrachtung anschaubar wird;
  • dann aber ICH-Subjekt, Welt-Objekt und die Ganzheit beider einschließt;
  • und daher auch seinen Entstehungsgrund – das im Subjekt realisierte Denken – einschließt.

Das in der denkenden Selbstbeobachtung so auftauchende „Dreigestirn“ braucht also zu seiner Entstehung und Aufrechterhaltung nichts weiter als den in ihm selber auftauchenden Willen zu sich selbst. Es ist damit durch sich selber wahr, das heißt, es benötigt zu seiner Existenz und Beschreibung nichts als sich selbst. Es ist also durch seine Existenz selber wahr, und kann darum in der Art seiner Entstehung und Konfiguration als Maßstab für die Wahrheit gelten. Was in gleicher Weise aus sich selbst existiert und erklärbar ist, ist wahr.

Die Menschheitsaufgaben verstehen

Das ist zunächst einmal abstrakt-philosophisch beschrieben der Ausgangspunkt für eine wahre Welt- und Menschenerkenntnis. Mit solchen scheinbar abstrakten Schilderungen haben es aber heutzutage viele Menschen schwer. Denn so zu denken, fordert die Loslösung des Denkens von jahrtausendealten Denkgewohnheiten, die eben besagen, dass nichts aus sich selber existieren kann außer „Gott“ (oder wie immer man den Uranfang allen Seins nennen will), der aber grundsätzlich etwas Anderes sei als der Mensch und der darum vom Menschen als einem „Geschöpf Gottes“ niemals gänzlich verstanden werden kann.

Wie nun, wenn diese Denkgewohnheiten in alten Zeiten vielleicht ihren guten Sinn hatten, ihre Gültigkeit aber heutzutage verloren haben? Haben wir nicht gerade eben beschrieben, wie ein solches aus sich selbst existierendes „Dreigestirn“ in jedem Menschen entstehen kann? Können vielleicht die Menschen längst schon anders denken, tun es aber nicht, weil sie den Weg dazu nicht finden können, oder sich dazu nicht aufzuschwingen vermögen? Kann vielleicht der Mensch inzwischen in „Gottes Fußstapfen“ treten, tut es aber nicht genug?

Wäre es so, dann lebten die aus den alten Denkgewohnheiten hervorgehenden Glaubensverhältnisse weiter, obwohl sie dem derzeitigen Menschen und seiner Welt nicht mehr angemessen sind. Dann fänden sich das nach Freiheit strebende Subjekt und die aus Autorität und Glaube hervorgehende soziale Welt in einer ständigen Differenz wieder; der oben schon bezeichnete Abgrund der Herrschaft der besten Lügner könnte eintreten.

Daraus ist schnell ersichtlich, dass ohne die Einsicht, dass ich nichts bin ohne meine Welt, und die Welt ohne mich einen sie tragenden Pfeiler vermissen müsste, dass also ohne ein grundlegendes Bewusstsein des „Dreigestirns“ kein Ausweg aus der gegenwärtigen Menschheitskrise auszumachen ist, allenfalls ein zeitweises Aussetzen und Vor-sich-Herschieben des ansonsten unvermeidbaren Falles in die grenzenlose Barbarei.

Will man die gegenwärtige Lage von Welt und Menschheit grundständig verstehen, wird man einen solchen Gesichtspunkt nötig haben, um nach und nach den aus der Vergangenheit überkommenen Autoritäten die Kontrolle zu entwinden und dem freien Menschen zu übertragen. Alles andere wäre eine neue Glaubens-Partei, die zum Erlangen von Macht Mehrheiten hinter sich bringen müsste. Der oben bereits angedeutete „Abgrund“ könnte eintreten.

Darum ist es entscheidend wichtig, dass immer mehr Menschen Einsicht in das sich selber tragende „Dreigestirn“ von Welt, Ich und dem Ganzen beider bekommen, so dass die Menschen erkennen können nicht nur, woher die aktuelle Misere kommt, sondern mehr noch wie ein Weg in eine lebenswerte Zukunft von einem lebendigen Verstehen von Welt, Mensch und deren untrennbarer Ganzheit („Individuum“=„das Unteilbare“) abhängt.

Dieses Verstehen ist unmöglich, solange wir glauben: den traditionellen Konfessionen, der Wissenschaft, den „neuen Offenbarungen“. Alle diese Richtungen sagen auch Wahres. Das aber kann ich nur als wahr erkennen und von unberechtigter Dogmatik, Spekulation und Fantasterei (also Unwahrheit) unterscheiden durch dauernde Übung des „wahren Verstehens“. Vor dem Kriterium des Dreigestirns in seiner Ganzheit von Mensch und Welt – dem sich langsam enthüllenden zukünftigen Geistes-Menschen – muss nämlich auf Dauer jede Unwahrheit ihren wirklichen Charakter zeigen.

Dieser kleine Artikel mag zeigen, wie so etwas möglich ist; wurde doch von Anfang an vom Gesichtspunkt des Endergebnisses aus argumentiert, dieses verständlich gemacht, und so die Haltlosigkeit und Unfreiheit und damit auch auf die zerstörende Wirkung gegenwärtiger Lebenshaltungen in Religion, Wissenschaft und Neuer Offenbarung hingewiesen.

Dieses kann der menschliche Geist heute schon. Er muss es nur zur Wirkung bringen.

© Stefan Carl em Huisken 2021


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Geisteswissenschaft, Krise – und Katharsis?

Krise „mit Ansage“

Die gegenwärtige globale Krise – eine Krise der Menschheit als Ganzes also – ist eine „mit Ansage“. Abgesehen davon, dass diverse einflussreiche Gruppen aus geheimen Zusammenschlüssen, aber auch der weithin sichtbaren Großfinanz, seit Jahrhunderten ihre eigenen Interessen weltweit zur Geltung zu bringen suchen – die meisten davon sprechen sogar öffentlich von ihren Zielen, sorgen allerdings dann für die diskrete Handhabung ihrer Stellungnahmen in der Öffentlichkeit –, abgesehen also von diesen Interessensgruppen, die solche Krisen entweder produzieren oder für ihre Zwecke nutzen, gibt es noch weitere „Akteure“ auf diesem Feld, die vergleichsweise schwieriger aufzufinden sind. Diese Akteure sind zugleich wichtige Inspiratoren der jeweils machthabenden Interessensgruppen; sie regieren sozusagen „von höherer Warte“.

Sie hatte Rudolf Steiner im Auge, als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor vielfachen und sich steigernden Katastrophen warnte1 für den Fall, dass nicht in Bezug auf die Berücksichtigung des Menschengeistes im gesamten Kulturleben ein grundsätzliches Umdenken stattfinde. Dieses Umdenken hat ganz offensichtlich nicht im weiteren Kreis stattgefunden. Die Folgen sehen wir jetzt. Insofern – legt man Rudolf Steiners Warnungen zugrunde – haben wir eine Art Dauerkrise „mit Ansage”.

Umdenken

Welches Umdenken meinte Rudolf Steiner? Immer wieder verwies er darauf, dass die wissenschaftliche Betätigung des Menschen spätestens seit dem 19. Jahrhundert es darauf anlegt, den individuellen Menschen aus der Urteilsbildung über dasjenige, was als Wahrheit gelten soll, heraus zu befördern, mit der Begründung, der einzelne Mensch könne eben nur subjektiv urteilen und daher über die Wahrheit nichts wissen. Diese Auffassung ist ja eindrucksvoll von Immanuel Kant im menschlichen Denken über die Erkenntnis zur Geltung gebracht worden2.

Was alle diese Auffassungen unberücksichtigt lassen: sie sind alle von individuellen Menschen erdacht und damit subjektiv, über die Wahrheit letztlich nichts sagend –jedenfalls in ihrem eigenen Urteil, wenn man es konsequent anwendet. Alles Erkennen der Welt hat aber zwei polare Ausgangspunkte: Wahrnehmung und Denken. Von diesen beiden ist das Denken primär, denn auch die verstehende Einsicht über das Erkennen kann nur mittels des Denkens erreicht werden. Alle Theorien über die Welt, auch diejenigen, die die materielle Welt zur allein wirklichen machen und das Denken selbst aus dieser materiellen Welt erklären wollen sind – gedacht, und setzen damit das Denken voraus. Daran lässt sich einfach nichts ändern. Es ist dies eine universelle Eigenschaft des heutigen Menschen schlechthin, dass er eine Erklärung der Welt und seiner selbst nur durch Denken finden kann.3

Genau darauf bezog sich Steiners Reden vom Umdenken. Wenn schon die weltweite wissenschaftliche Betätigung sich darin ergeht, den konkreten, denkenden individuellen Menschen aus ihrer Betrachtung auszuschließen – als Untersuchungs-SUBJEKT, versteht sich, als OBJEKT verwendet man den Menschen dagegen gerne –, dann kann es auch nicht verwundern, dass die Ergebnisse solcher Wissenschaft, wie sie sich vor allem in der rasant wachsenden und immer mehr Bedeutung gewinnenden Technologie der Weltgestaltung zuwenden, den konkreten Menschen, wie er sich selbst erlebt, gänzlich unberücksichtigt lassen. Der Mensch ist und bleibt in solcher Betrachtung Objekt, mit dem man dieses oder jenes machen kann, experimentell, versteht sich, denn alle Wissenschaft dieser Art besteht in Theorie, Hypothese und Experiment. Anders glaubt man nicht zu irgendwelchen Einsichten kommen zu können.

Wenn man aber über den konkreten, individuell denkenden und derartige Wissenschaft betreibenden Menschen nichts weiß, weil man ihn aus der Betrachtung ausschließt: WER REGIERT DANN DAS DENKEN?

Geheime Regenten

Davon sprach Rudolf Steiner: von diesen, für das gewöhnliche Denken seiner Zeit (und noch viel mehr unserer Zeit) unsichtbaren Akteuren, die eben immer wieder durch diesen oder jenen individuellen Menschen die Menschheitsgeschichte inspirieren und auf diesem Wege auch „lenken“, wenn man es einmal so ausdrücken will. Diese Akteure kann im Prinzip jeder Mensch anerkennen und im Detail kennen lernen, der sich dazu durchringen kann, das weltbeherrschende Dogma von der Irrelevanz der Illusion eines individuell denkenden Subjektes aufzugeben und SICH SELBER ALS EINE VOLLE GEISTIGE REALITÄT anzuerkennen.

Dann nämlich wird klar, dass es ebenso wie den einzelnen individuellen, denkenden Menschen als Geistwesen gibt – Denken ist eine Tätigkeit, die durchaus nur im Geistigen wahrgenommen und ausgeübt werden kann –, auch Geistwesen geben kann, die keinen äußeren Leib haben und uns daher auf der Ebene der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung nicht unmittelbar begegnen können. Solche Wesen leben dann nur auf der Ebene des geistig-seelischen Erlebens – also IM MENSCHEN.

Gegenüber einem solchen Gedanken kommt verständlicherweise große „Reserviertheit“ auf: wie nun, sollte ich etwa in mir selber nicht richtig „Herr im Hause“ sein, sondern mindestens teilweise Instrument anderer, mir unbekannter Wesen? Den Gedanken, das eigenen Innenleben sei auch von feststellbaren Gesetzmäßigkeiten des Seelischen bestimmt, die einem selber unbewusst bleiben, das Handeln aber doch leiten, kann man ja noch gerade akzeptieren: er ist abstrakt genug, und die leitenden Gesetze auch eindeutig definierbar, damit kann man ja rechnen. Aber direkt in mir wirkende WESEN, mit womöglich eigenen Willensimpulsen, die mich durch das Unterbewusste unerkannt steuern? Dieser konkrete, gegenüber der abstrakten Vorstellung mehr oder weniger berechenbarer, also toter Gesetze viel realere, lebensvollere Gedanke lässt Furcht aufkommen – und bleibt darum zumeist unberücksichtigt.

Wirkende Geistwesen

Rudolf Steiner wurde nicht müde an immer neuen symptomatischen Beispielen aufzuzeigen, wie das Menschenleben und die Menschheitsgeschichte das Werk wirkender, sich offenbarender Geistwesen ist. Und diese Geistwesen können ebensogut in einzelnen menschlichen Individuen auftreten, wie sie durch Gruppen und einzelne Menschen hindurch, „im Geheimen“ sozusagen zu wirken vermögen. Rechnen die Menschen mit ihnen und ihren Intentionen, weil sie sie kennen und erkennen, so vermögen die Menschen ihr Leben wirklichkeits- und tatsachengemäß einzurichten und sich selber im Gesamtverlauf zur Geltung zu bringen. Rechnen die Menschen nicht damit, so bringen sich die die Menschheit begleitenden Wesen anderweitig zur Geltung.

Das ist dann die Frage der Katastrophen und des Umdenkens, von der Steiner sprach. Die Menschheit, derzeit gefangen in einem Dogma scheinbar objektiver (aber immer „subjektiv“ gedachter) Wissenschaft, wird dann eben von den Tatsachen auf anderen Wegen in Kenntnis gesetzt, wenn sie sich nicht selber durch eigene Anstrengung um ein Erkennen ihrer selbst und den Aufbau einer neuen Wissenschaft bemüht – einer Geisteswissenschaft, die dann ihren Namen verdient, weil sie von etwas Realem spricht. Ohne diese Wissenschaft wirken die „Akteure“ der geistigen Welt aus dem „Geheimen“, Unterbewussten, durch Natur- und Menschheitskatastrophen.

Katastrophen

Wie kommt es zu diesen Katastrophen? Indem die Ereignisse in Natur- und Menschengeschichte zu einer Entscheidung drängen4, die dann aber nicht oder nicht angemessen durch den Menschen erfolgt und damit die „Katastrophe“5 auslöst. In unserer Zeit also lässt sich sagen: denken die Menschen nicht um und berücksichtigen sich selber als geistige Realitäten nicht, sondern schreiben alles Geschehen weiterhin sogenannten „objektiven Gesetzen“ zu, so entscheiden sie eben gegen sich selber als Welten-Mitlenker, und für diejenigen Wesen, die sich durch tote Gesetze und die daraus folgende Technologie geltend machen.

Die transhumanistischen Ideen von der Verschmelzung von Mensch und Maschine (unter „Optimierungsgesichtspunkten“), wie sie von Klaus Schwab oder Elon Musk und anderen als erstrebenswert hingestellt werden, sind ja nur eine logische Konsequenz daraus. Wenn die Menschen sich nicht dazu aufraffen können, sich selber als geistig wirksame Akteure des Weltenwerdens geltend zu machen, in vollem Umfang auch Verantwortung zu übernehmen für das, was geschieht, dann geschieht eben, was andere wollen, die geheimen Akteure und die von ihnen inspirierten Machthaber, und die Menschen bleiben weiterhin unselbständige Objekte. Das mag für den Einzelnen zunächst einfacher erscheinen, aus Furcht vor der Realität des – eigenen und fremden – Geistes. Die Katastrophen werden aber folgen. Nichts anderes sagte Rudolf Steiner voraus.

Nun dient – in der griechischen Tragödie6 jedenfalls – die Katastrophe aber einem höheren Zweck: der Reinigung der Seele von Affekten, durch Mitleid und Furcht. Der Begriff hatte umfangreiche medizinische, religiöse und kultische Aspekte. Die „Katastrophe“ war in diesem Sinne also eine Art Erziehungsmittel, indem der Zuschauer der Tragödie durch die Krise in die Katastrophe geführt wurde mit dem Ziel der Katharsis7, der Reinigung der Seele.

Krise heute

Die Krise unserer Zeit ist aber gerade eine solche, die den Zuschauer – den alltäglichen Menschen also, der sich von seinen Affekten ebenso wie von heutiger Wissenschaft oder vom Glauben an die Versprechungen kirchlicher oder anderer Heilspropheten leiten lässt – gerade zur Entscheidung zu sich selbst als Mitwirkendem der Weltgeschichte drängen will. Ohne den einzelnen, individuellen Menschen und seinen selbstgewollten Beitrag geschieht eben immer nur dasselbe: Krise, Katastrophe, Krise, Katastrophe, und so weiter, bis sich die Menschen aufschwingen – oder eben an der eigenen Entscheidungslosigkeit zugrunde gehen. Die Katharsis könnte hier das mutige Ergreifen der eigenen Mitwirkung in der Weltentragödie8 erwirken, mit dem Ziel, das (ja auch sehr bequeme) Zuschauerdasein des Menschen zu beenden und ihn selbstbewusst in seine Verantwortung für die Zukunft eintreten zu lassen.

Das dauert viel zu lange, höre ich schon die Einwände, bis alle oder genügend viele Menschen davon überzeugt sind, ist die Erde schon x Mal am Ende. Das mag ja sein. Aber müssen den überhaupt erst alle, überhaupt sehr viele Menschen davon überzeugt sein? Reichen – im Hinblick auf das Geistwesen Mensch – nicht auch wenige Entschlossene? Haben wir es denn überhaupt einmal ernsthaft versucht? Oder haben wir immer darauf verzichtet – weil es ja zu lange dauert, und wir dann einfach immer so weitergemacht haben wie bisher? Aber: folgt die nächste Krise, die nächste Katastrophe dann nicht auf dem Fuß? Wann werden wir uns entschließen zu verstehen, und die Katastrophe zur Katharsis zu nutzen? Und dann aus uns, aus unserem Denken eine Geisteswissenschaft aufzubauen, die uns ein Zusammenleben mit den Entwicklungsfragen von Erde, Mensch und Menschheit ermöglicht?

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Die Hinweise Steiners sind derartig viele, dass sich eine irgendwie verantwortbare Auswahl hier verbietet; man suche bei Steiner nach, und man wird fündig werden.

2vgl. z.B. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. – In: Kants Werke, Bd. IV, Berlin, 1968

3Genaueres lese man nach z.B. in Steiner, Rudolf: Die Philosophie der Freiheit, – Dornach, 1973. Einen Versuch der Darlegung für unsere Zeit habe ich gemacht in: em Huisken, Stefan Carl: Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen. – Borchen, 2021, erhältlich z.B. über www.emhuisken.de/shop

4das griechische Wort „Krisís“ bedeutete etwa „Urteil“ oder „Entscheidung“

5aus griechisch „Katastrophé“ – „Umwendung“, „Niedergang“)

6„Im Kontext der Tragödie bedeutet „tragisch“ im Gegensatz zur Alltagssprache aber nicht, dass etwas sehr traurig ist, sondern dass jemand aus einer hohen Stellung „schuldlos schuldig“ wird und damit den Sturz über eine große „Fallhöhe“ … erlebt …“ (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tragödie)

7griechisch „Kátharsis“ – „Reinigung“

8Lessing sah in der göttlichen Offenbarung ein Mittel zur Erziehung des Menschengeschlechts, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Erziehung_des_Menschengeschlechts


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Plädoyer für den Menschen – gegen die Missachtung

Warum muss man ihn eigentlich verteidigen, für ihn „plädieren“, den Menschen? Kann er das nicht selber? Aber ja doch, tut er ja gerade, denn ich bin auch Mensch, oder? Und andere Verteidiger als Menschen sind ja nicht zur Hand ….

Missachtung

Aber wogegen überhaupt? Wer greift ihn an? Nun, das ist eine schwere Frage, denn die Missachtung des Menschen ist groß in der Welt, aber die Missachtenden sind alle eines: Menschen. Und dann ist das mit der Verteidigung auch so eine Sache, denn nach gängigem Verständnis hätte der Verteidiger als seine Gegner eben Menschen. Und deren Missachtung des Menschen müsste man dann, wenn man ihr nicht beipflichten kann und will – was ja ein Verteidiger natürlich weder kann noch darf – eben erst einmal als ungerechtfertigt ansehen und dadurch diese Menschen in ihrer Ansicht erst einmal – und jetzt wird es schwierig – missachten.

Kurzum: die Missachtung des Menschen, des realen, der ich bin, von dem ich ganz sicher weiß wie jeder andere Mensch auch, ist eine Art selbsterfüllende Vorgabe: hat sie ein Mensch, diese Missachtung, so ist jeder, der gegen sie streitet, und damit ihre Existenz im anderen nicht gelten lassen will, erst einmal gezwungen, sie auch zu haben. Oder?

Erlebte Wirklichkeit

Worauf das hinweist, ist aber eigentlich eine ganz einfache Sache. Jeder von uns erlebt sich in sich, geistig-seelisch, von außen unmessbar und nur für den sich selber erlebenden real. Sehr real allerdings, denn man braucht nicht einmal äußere Sinne, um von der eigenen Realität überzeugt zu sein. Sie ist für jeden wachen Menschen einfach gegeben in unserer heutigen Welt.

Wohl brauchen wir die Sinne, aber nur mittelbar. Denn ohne Sinneswahrnehmung sind wir in der Regel nicht wach, und wissen daher auch nicht von uns selber, der wir ja allen diesen Wahrnehmungen gegenüberstehen und sie doch nicht sind. Könnten wir wach sein ohne Sinneswahrnehmungen – und es gibt Menschen, die sagen, dass sie das können – so wüssten wir auch dann von unserer eigenen Existenz, und hätten darin dann den praktischen Beweis, dass wir selber, die geistig-seelischen Menschen, von der Sinneswelt unabhängige, sagen wir einmal „übersinnliche“ oder „geistige“ Wesen sind.

Weil wir solche Wesen eben nur sind, aber nicht wahrnehmen, vor allem dieses geistige Sein im Anderen nicht wahrnehmen können, missachten wir es. Denn für wirklich halten wir immer nur, was wir auch wahrnehmen können, was uns gewissermaßen „gegenübersteht“. Denn das können wir uns dann von Anderen bestätigen lassen, und erst dann gilt es uns als „wirklich“.

Selbst-Missachtung

Warum eigentlich? Genau, weil wir selber mit der Missachtung des Menschen bei uns selber anfangen. Selbst, was wir als ganz unumstößlich vorhanden erleben, uns selber nämlich, und unser Denken, achten wir nicht.

Womit der Quell der sich selbst erfüllenden Vorgabe der Missachtung des Menschen ausfindig gemacht wäre: er liegt in der Selbst-Missachtung des Einzelnen. Allerdings, um hier einem Missverständnis gleich zuvor zu kommen: es geht um die Missachtung oder wieder zu erlangende Achtung des unmittelbaren, geistig-seelischen Selbst-Erlebens des Menschen, nicht um die Missachtung oder Achtung gegenüber irgendwelchen inhaltlichen, auf die erlebte Welt bezogenen Meinungen, Gefühlen, Erkenntnissen oder „Wollungen“. Das sind nämlich alles beschreibbare Gegenstände einer inneren geistig-seelischen Umwelt. Die sieht man in der Regel als genauso unwirklich, “bloß subjektiv“ an wie sich selber. Aber wenn man erst einmal die Wirklichkeit der eigenen geistig-seelischen Existenz anerkennt, also überhaupt etwas Un-Sinnliches, Übersinnliches als wirklich anerkennt, stellen sich in Bezug auf die genannten innerseelischen „Begleiter“ auch andere Fragen.

Diagnose

Jedenfalls können wir festhalten: die allgemein zu beklagende Missachtung des Menschen in der Welt hat einen Ausgangspunkt in uns selber, in unserer Missachtung für unser ohne Zweifel reales Selbst-Erleben. Wer sich selber nicht achtet, hat es schwer, das Menschsein des Anderen zu achten. Allerdings gibt es da viele Regeln, Gewohnheiten und Haltungen, die uns im verflossenen Leben zugewachsen sind, und die uns dann auch dazu bringen können, es mit der Missachtung nicht zu übertreiben. Wie die einfache Beobachtung des Lebens ergibt, verlieren diese Regeln aber rasant an Kraft.

Denn freilich, freie Achtung für einander wächst nur in Menschen, die sich selber genauso achten wie den Anderen. Man kann das auch so ausdrücken: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Auch diese Formulierung gibt ja nur dann einen Sinn, wenn man mit der Selbst-Liebe nicht die Liebe zur Erfüllung der eigenen Wünsche, zum eigenen Rechthaben oder zur Macht über Andere meint, sondern wirklich zu sich selbst, diesem elementaren Ich-Erlebnis, unabhängig von allen geistig-seelischen „Begleitern“.

Heilmittel

Dann kennen wir aber – wie überhaupt in der Heilkunde überall – mit der Diagnose das Heilmittel. Nehmen wir uns selber ernst in unserer geistig-seelischen Existenz! Wachen wir auf dafür, dass auch unsere inneren „Begleiter“ Tatsachen sind, Wirklichkeiten, mit denen zu rechnen ist! Wie viele Dinge in der Welt hat es zuerst als Gedanken, als Wünsche gegeben, die nun aber Welt-Tatsachen sind!? Nur leider, wie oft haben wir oder die anderen Urheber solcher Gedanken, Gefühle oder Willensimpulse nicht gewusst, was sie auslösen, wenn das Innere durch Taten erst zu Lebens-Tatsachen wird! Und dann stehen wir staunend, manchmal auch schaudernd vor den Ergebnissen.

Wie gut wäre es, wenn wir über das Verhältnis zwischen der geistig-seelischen Welt, als deren Teil wir selber in uns leben, und der äußeren Sinneswelt mehr wüssten als bisher? Diejenige Wissenschaft, die nur auf das Äußere geht, kann das niemals klären; sie kann nur eines, was sie ja auch ganz ausdrücklich will: den inneren, sich selbst erlebenden, „bloß subjektiven“ Menschen missachten.

Und da solche Dinge wie Moral, Achtung, Gefühl und Ähnliches eben alles keine äußeren Gegenstände sind und bloß im „subjektiven“ Menschen vorkommen, gelten diese Dinge solcher Wissenschaft nichts. Sie soll ja „wertfrei“ sein. Damit schließt sie aber den unmittelbar wahren, lebenden Menschen aus.

Leider merkt sie dabei gar nicht, dass sie sich selber auch für unwirklich erklärt: ihre Gedanken über die Welt, ihre theoretischen Gedankengebäude, die den inneren Menschen zu etwas Unwirklichem erklären, sind ja bloß eines, nämlich: Gedanken, also subjektiv. Und ihre subjektiven Gedanken sind dann eben so, dass sie den real sich selbst erlebenden Menschen missachten müssen.

Geisteswissenschaft

Was uns fehlt, ist daher eine erneuerte Wissenschaft, eine Wissenschaft vom Menschen aus, und damit eine Geistes-Wissenschaft vom realen Geist, der in jedem Menschen lebt, denn der erlebende Mensch ist geistig. Solche Wissenschaft kann man auch Anthroposophie nennen; sie erkennt dann selbstverständlich an, was Welt-Wissenschaft über ihren Gegenstand zu sagen hat, geht aber darüber hinaus und schließt auch die reale Grundlage der Welt-Wissenschaft mit ein: den realen, geistigen Menschen. Und dann kommt es auch zu einem Ende mit der Missachtung des Menschen.

Und wir kennen damit auch den „Retter“, der alle Verteidigung, jedes Plädoyer für den Menschen dann unnötig macht: den Menschen selber, der sich in freiem Entschluss zu sich selbst und dem Geist bekennt, dem er entstammt und in dem er lebt.

Tut er das nicht, so wird die Missachtung bleiben, und voraussichtlich wachsen. Denn ohne den Menschen ist kein Leben in der Erkenntnis; nur er kann dieses Leben geben. Ohne ihn wird alle Erkenntnis nur eine abstrakte, absterbende, tote sein. Und wie alles, was erst im Geiste ist, wird sie dann auch Welten-Wirklichkeit – also den Tod in die Welt bringen. Sehen wir das nicht täglich, wo scheinbar „wertfreie“ Wissenschaft und Technik den Menschen missachtet, ihm seinen inneren Wert raubt und seine Welt zerstört?

© Stefan Carl em Huisken 2021




Ein Jahr Lockdown-Maßnahmen – ein Leserbrief von mir

Vorbemerkung: Vor Kurzem riefen die Nachdenkseiten (www.nachdenkseiten.de) auf, Erfahrungsberichte aus „einem Jahr Lockdown-Maßnahmen“ einzureichen, die dann ggf. veröffentlicht werden könnten. Aus diesem Anlass schrieb ich den nachfolgenden Text, den ich für die Veröffentlichung an dieser Stelle nur geringfügig bearbeitet habe.

Ich hatte seit vielen Jahren schon erwartet, dass das weltweit herrschende System von materialistischer Wissenschaft und daran geknüpfter egoismusgesteuerter Interessenwirtschaft (egal unter welchem ideologischen Vorzeichen – westlich-kapitalistisch oder östlich-autoritär) irgendwann zu einer Katastrophe führen würde. Aus langjähriger Beschäftigung mit einschlägiger Literatur – insbesondere unter ernstmeinenden Anthroposophen, aber auch anderswo gibt es da eine Menge – war mir auch klar, dass es in der Welt einflussreiche Gruppen gibt, die sehr langfristig planen und ihre Pläne dann umsetzen, wenn die Situation so weit vorbereitet ist (es handelt sich nicht um Verschwörungstheorien; diese Verschwörungen sind ganz im Sinne der Darlegungen von Daniele Ganser zu diesem Wort Realität). Dass die sogenannte Demokratie dafür nur eine Fassade abgibt, die im Übrigen sehr effektiv genutzt werden kann für solche Pläne, stellte Rudolf Steiner schon im ersten Weltkrieg fest.1

Als dann die „Corona-Pandemie“ ausgerufen wurde, ergaben Gespräche mit mir bekannten verantwortungsvollen Medizinern schnell die Unsinnigkeit der Maßnahmen, wenn man jedenfalls nicht die rein materialistische Medizin zugrunde legt, für die der Mensch ein biologischer Automat ist, und der daher mit Computermodellen gänzlich vorherberechnet werden kann (siehe z.B. die Prognosen von Neil Ferguson, Michael Meyer-Hermann, Melanie Brinkmann und Co.; dass diese Sichtweise mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, haben die folgenden Ereignisse ja bewiesen).

Dass die erwartete große Krise nun bereits gekommen zu sein scheint, wurde mir erst im Laufe der Zeit klar – zu unerwartet trafen die Maßnahmen immer genau den Punkt, an dem man bei sich und anderen durch eigene Gedanken, Gespräche und Hinweise ein Bewusstsein für die grundsätzliche Moralfreiheit aller materialistischen Weltanschauung (Moral ist ja in dieser Sichtweise nur eine Art Rauch, der aus einer gewissen Masse organischer Materie aufsteigt) und die Ohnmacht irgendeines religiösen oder anderweitig ideologischen Glaubens hätte wecken können. Das war ungemein schmerzhaft. Ich hatte ja wie wohl so viele gehofft, mindestens noch eine Weile lang davon verschont zu bleiben.

Daneben habe ich ja unmittelbar ab März 2020 praktisch alle Einkommensmöglichkeiten verloren (Musiker, Autor, Vortragender, bei allen Gelegenheiten Verkauf eigener CDs und Bücher, in der Folge Tantiemenausschüttungen durch die GEMA – alles entfällt seitdem bis weit in die Zukunft hinein weitestgehend). Was mich rettete, war die Tatsache, dass ich ab Mitte des Jahres eine Rente (weit unter dem Grundsicherungssatz) und sehr viel private Unterstützung bekommen habe. Die Sklavenbewirtschaftung über die Grundsicherung wird mich jedenfalls nicht zu sehen bekommen.

Seitdem befasse ich mich einerseits mit schriftlichen Darstellungen zu Analyse und Auswertung der Situation, und andererseits mit eingehenden Überlegungen für die Zeit „danach“2. Dies ist – realistisch orientiert an Bill Gates‘ Vorhersage von vier Jahren Corona-Maßnahmen und zehn Jahren Wiederaufbau, Halbzeit haben wir ja schon 2022, vielleicht geht es ja auch schneller – also noch eine Weile hin, die Vorbereitung darauf aber absolut notwendig. Das Chaos wird dann groß sein, und sehr viel fordern. Vor allem wird es nötig sein, dann Gedankengänge erkundet und erübt zu haben, die in dem bis dahin notwendig zunehmenden Durcheinander situationsorientiert Beiträge liefern können für ein Gegengewicht gegen die offenbar vorgesehene Situation von verelendeter, außengesteuerter Bevölkerung, die sklavenartig für alle Drecksarbeit genutzt werden kann, unter vollständiger digitaler Überwachung (die Chinesen machen das derzeit noch etwas „humaner“ als für uns geplant, denke ich) und Gängelung. Wie also wird man dann noch Menschlichkeit ermöglichen können?

Dass die Fahrt in diese Richtung geht, und dass die Weltenlenker – wer auch immer das im Einzelnen sein möge, viele sind sicher einfach inkompetente, etwas dümmliche oder korrupte Mitläufer – aus jedem scheinbaren Rückschlag Nutzen für ihre Pläne ziehen können, zeigt die aktuelle Situation: die Sache mit der sogenannten „Osterruhe“. Ein vollständiger Erfolg für die zerstörerischen Planungen! Denn: so sind ohne große Auseinandersetzungen die Öffnungsdiskussionen vom Tisch, außer man macht es so wie Tübingen und (geplant) das Saarland: Überwachung durch eine App mit zentraler Datenspeicherung, offener Flanke zum Gesundheitsamt (also der staatlichen Überwachung), und nicht Open Source (App „Luca“). So etwas geht jetzt schon so en passant – man denke an die langwierigen Diskussionen um die Corona-App im letzten Jahr – und mit äußerlich sichtbarem Teilnahmeausweis an der digitalen schönen neuen Welt (das wunderbare QR-Code-Armband aus Tübingen). Und alle machen begeistert mit: endlich wieder „Freiheit“!3

Was will ich damit sagen? Ich lerne in einer ziemlich harten Schule derzeit, die vollkommen moralfreien, nur von egoistischer Interessenvertretung bestimmten Gedankengänge materialistischer Wissenschaft und ihrer Nutzer in der Weltenlenkung zu denken und praktisch voraus zu ahnen. Das ist schwer erträglich, aus meiner Sicht aber der einzige Weg, irgendwann in die Vorhand zu kommen. Da sollte man niemals aufgeben.

Sonst werden wir wohl in absehbarer Zeit die völlige Vernichtung aller Menschlichkeit – und in der Folge vielleicht der Menschheit insgesamt – erleben. Das wollen diese Leute ja explizit: Transhumanismus fordert eben seinen Tribut. Man braucht nur noch 500 Millionen Sklaven, der Rest kann weg. Das ist zwar eine Rolle rückwärts ins alte Griechenland (die ganze griechische Kultur wäre ohne das Heer von Sklaven nicht denkbar gewesen!), aber das wünschen sich diese Leute ja auch so.

Es reicht nicht, nur darüber zu klagen. Wir müssen umdenken, weg von einer Wissenschaft, in der der Mensch und sein subjektives Erleben explizit nicht vorkommen darf4 – wie soll man denn auf solcher Grundlage auch etwas Anderes erwarten als maschinelle Steuerung im Sinne äußerer Nützlichkeit? Mir ist es daher immer mehr ein Anliegen geworden, ganz abseits von Wehklagen oder wirrem Gefasel durch klares Denken Wege aus dieser menschheitlichen Prüfung zu finden, für mich selber und wo möglich im Gespräch mit Anderen.

Abgesehen von allen Ungeheuerlichkeiten, die derzeit passieren, komme ich immer mehr zu der Überlegung: will ich überhaupt zurück zum „vorher“? Da war doch schon so viel Gruseliges vorhanden, das nur durch allgemeine Bespaßung und entsprechendes Medienwirken nicht so ins Bewusstsein kam, dass sich Grundsätzliches geändert hätte (Kriege, Atomkraft, Naturzerstörung, Autoritätsglauben, Despotismus etc. pp.). Liegt in dieser jetzigen „Krise“ vielleicht auch die Chance, dass mehr Menschen aufwachen und sich nach einem Sinn für ihr eigenes Leben und das der Menschheit insgesamt fragen, einem Sinn, der einem nicht autoritär von irgendwelchen „Priesterkasten“ (religiös, „wissenschaftlich“, ideologisch oder anderweitig) vorgesagt werden muss?

Ich kann nur in solchen Überlegungen einen Weg finden, die allgemeine Zerstörung, die längst geschehen ist und nun nur immer mehr an die Oberfläche des öffentlichen Bewusstseins kommen wird, überhaupt zu ertragen. Bisher gelingt es mir noch.

Stefan Carl em Huisken

1Rudolf Steiner am 28. Oktober 1917 in Dornach, in: Steiner, Rudolf: Die spirituellen Hintergrunde der äußeren Welt, S. 264 ff über das Buch von Francis Delaisi: La Democratie et les Financiers von 1910, in dem dieser unter anderem geschrieben habe, dass „es dem Großkapitalismus gelungen sei, aus der Demokratie das wunderbarste, wirksamste, biegsamste Werkzeug zur Ausbeutung der Gesamtheit zu machen“.

2Vieles davon findet sich hier auf meiner Website, siehe hier: https://emhuisken.de/tag/corona/

3In den ganzen Diskussionen über richtige, fundierte oder nicht fundierte Zahlen und „wissenschaftliche“ Aussagen kann ich nur Ablenkungsmanöver sehen: die Kritiker müssen ja auch das Gewünschte zu tun bekommen und vom allem Angst, sonst würden sie noch etwas merken …. Ich spare mir diesen ganzen Bereich darum.

4Ja, ich weiß, Erkenntniswissenschaft ist ein schwieriges Feld. Hilfreich sind Rudolf Steiners Dissertation „Wahrheit und Wissenschaft“ und seine „Philosophie der Freiheit“; das ist extrem schwer zu lesen, kommt aber wohl kaum in den Verdacht, Phantasterei und Geschwurbel zu sein.




Undenkbar! Oder?

I

Undenkbar

Undenkbarkeiten gibt es viele. Derzeit immer mehr und immer ungeheuerlichere. Dass es Pläne geben könnte zum Beispiel, die seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten verfolgt werden und die völlige Versklavung der Menschheit anstreben. Dass alles Relevante, was in der Menschheit vorgeht, gesteuert, inszeniert, geplant sein könnte: 9/11, die Corona-Pandemie, aber auch schon die Weltkriege des 20. Jahrhunderts und viele andere Grausamkeiten. Dass die ach so gloriose „Wissenschaft“, die seit dem 19. Jahrhundert die äußere Sinneswelt zur alleinigen Wirklichkeit erklärt und die uns im Übrigen durch ihre Errungenschaften wie die Biochemie, die Atomkraft und die maschinelle Durchdringung und Industrialisierung des gesamten äußeren – und inzwischen durch die Computer auch des inneren – Lebens in die Lage gebracht hat, in der wir heute sind, – dass diese glorreiche Wissenschaft in ihrem alles beherrschenden Ziel, den Menschen aus der Erkenntnis zu eliminieren, vielleicht unrecht hätte und von der Wurzel her erneuert werden müsste. Dass Regierende überall auf der Welt vielleicht Getriebene, Gelenkte, oft grässlich Inkompetente, Korrupte und in einem Wahn Befangene sein könnten. Und so weiter, und so fort. Alles natürlich undenkbar.1

Furcht

Warum? Weil wir uns fürchten. Fürchten vor den dunklen Abgründen des Menschlichen, die man im Denken zu ergründen hätte, wenn man es doch versuchte so etwas zu denken. Fürchten auch davor, all die dunklen Unter- und Hintergründe solcher Dinge auch in uns selber zu entdecken. Stattdessen versuchen wir lieber, die Dinge zu tun, die wir nicht denken können oder wollen: Macht gewinnen; zügellos die eigenen Wünsche walten lassen; wissen, dass wir selber die „Guten“ sind; dass wir uns selber und unsere Lebensweise nicht ändern müssen – das müssen nur immer alle anderen.

Die Furcht vor dem Ende des schon Bekannten produziert ständige „Dosiserhöhungen“ dessen, was wir schon kennen. Wenn uns die heutige materialistische Wissenschaft in eine Sackgasse führt: mehr davon. Oder auch: wenn der Lockdown nicht wirkt: mehr davon. Wenn die Computermodelle mit ihren irrwitzigen Vorhersagen von der Wirklichkeit widerlegt werden: mehr und neue davon. Also, kurz gesagt: reines Suchtverhalten.

Sucht

Wer schon einmal ausführlicher mit Süchtigen zu tun hatte, weiß eines: da, wo die Angst ist, geht es lang. Das ist der einzig rettende Weg. Also: die eigene Ohnmacht eingestehen (aber nicht zu dem Zweck, sich dann zurückzulehnen und zu sagen: „ich wusste es schon immer, ich kann nichts machen, das müssen die anderen“; das ist nur eine noch perfidere Finte der Furcht). Die Ohnmacht des heutigen Wissenschaftsbetriebes einsehen, die Wirklichkeit zu erkennen. Die eigene moralische Labilität – freundlich ausgedrückt – und damit das eigene Getriebensein von Egoismus betrachten. All das dann aushalten und nicht aufgeben.

Dann können wir vielleicht auch nachvollziehen lernen, was die „bösen Anderen“, die „skrupellosen Weltenlenker“ bewegt, wenn sie tun, was sie tun, und ja auch unverblümt zugeben. Die Reichenversammlung des WEF fürchtet sich vor der Unvollkommenheit des menschlichen Wesens, findet offenbar Computer (Menschenwerk also!) viel perfekter und möchte gerne damit verschmelzen: Transhumanismus nennt sich das dann. Regierende überall fürchten sich vor ihrem Volk und möchten es daher gerne zu etwas Kontrollierbaren, Planbaren, Steuerbaren machen. Wissenschaftler fürchten sich vor den Abgründen des menschlichen Geistes und möchten ihn darum aus der Erkenntnis ausschließen; da treffen sie sich mit den Transhumanisten, siehe oben. Der Gläubige fürchtet sich davor über das Absolute etwas zu wissen, der Unvollkommenheit der Wirklichkeit des Irdischen unausweichlich gerecht werden zu müssen.

Und so arbeiten sie alle zusammen – aus Furcht. Aus dem gleichen Grund im Übrigen, aus dem wir das alles mitmachen. Und wenn wir aus Furcht nicht mehr mitmachen wollen, machen wir dasselbe wie sie: wir suchen Macht, moralische Erhebung, Perfektion (das heißt dann hier „Kompetenz“), um die „Despoten“ zu zwingen.

Wir suchen also – Macht für die Liebe, die des Anderen Freiheit zwingt? Aber etwas Anderes können wir doch nicht, das ist doch undenkbar! So? Wer sagt das? Schon mal versucht? Oder, wie der Kabarettist Bodo Wartke es in einem Lied sagt: „Was, wenn doch?“2

II

Grenzen

Wer beginnt, über die derzeitige Situation der Menschheit und ihre (möglichen) Hintergründe nachzudenken, kommt schnell an Grenzen: Grenzen des Fassbaren, des Verstehbaren, des Erträglichen, oder auch ganz grundsätzlich des für uns heutige Menschen überhaupt Denkbaren. Dadurch ergibt sich die auf allen Seiten gleichbleibende Wiederholung der immer gleichen Argumente, Attitüden, Urteile und Gedankengänge. Man ist es inzwischen irgendwie leid: man versucht etwas zu erfassen und muss sich dann eingestehen, dass es einem nicht gelingt. Oder man gesteht sich die Ohnmacht nicht ein und dreht sich weiter in den immer gleichen Gedankenkreisen.

Sicherheit

Es ist daher vielleicht Zeit, die Gründe für dieses Erlebnis des Zerbröselns aller Sicherheit – auch und gerade Urteilssicherheit – einmal woanders zu suchen als beim immer falschen Denken der Anderen, der „Gegenpartei“ also.

Vielleicht liegt das Zerfallen aller Denk- und Lebenssicherheit ja auch an Gewohnheiten weltanschaulicher Art, die allen beteiligten, streitenden und in immer kleinere Fraktionen zerfallenden Akteuren gleich sind, und die deswegen das menschliche Zusammenleben auf der Erde so allgemein zerstören können, wie das schon seit langer Zeit geschieht, derzeit aber erst wirklich an die Oberfläche des Bewusstseins dringt, als Ausdruck einer ins Extrem getriebenen Unterbewusstheit der Wahrheit gegenüber.

Aber das können wir nicht denken: die ganze Menschheit, zumindest in der überwältigenden Mehrzahl der leitenden Personen in einem grandiosen, die Menschheit als solche in ihrer Existenz bedrohenden Irrtum, ja vielleicht Wahn? Undenkbar!

Moral und Wahrheit

Was aber wäre die Alternative? Etwa, dass diese Mehrheit der Leitenden aus bösem Vorsatz handelten? Also, kurz gesagt, seit Jahrzehnten oder länger an ganz klaren Plänen zur Vernichtung der Menschlichkeit systematisch arbeiten, aus welchen – undenkbaren! – Motiven auch immer? Wieder eine solche Undenkbarkeit.

Aber was sollten dann auch die Motive derjenigen sein, die solche Pläne verfolgen? Reicht die Annahme eines grenzenlosen Egoismus‘ aus, um Menschen zu Taten zu treiben, die in dem Maße zerstörerisch sind, wie es derzeit geschieht? Und wenn ja: wer oder was treibt die Menschen dann in diesen überbordenden Egoismus? Und was treibt diejenigen an, die diesem Egoismus dann irgendeine – welche auch immer – moralisch sich gebende Ideologie entgegenhalten: „Man muss doch, man kann doch nicht …“.

Doch, man muss offenbar, man kann auch. Das beweist ja einfach die Existenz derjenigen Menschen, die man da bekämpfen will. Daraus folgt zwingend, dass die Ideale, die man da verfolgt, eben nicht allgemeingültig sind, denn für die Bekämpften gelten sie ganz offenbar nicht. Solche Ideale bleiben eben auf der Ebene persönlichen Glaubens und Meinens – die Meinungsfreiheit ist doch ein hohes Gut, oder? Gewiss, das ist sie, aber sie wirkt real zur Zeit extrem sozial desintegrativ, vorsichtig ausgedrückt. Das wäre nur überwindbar, wenn es eine wirkliche Wahrheit gäbe, die für jeden Menschen nachvollziehbar wäre, und über die es daher keinen Streit geben könnte.

Aber das ist undenkbar! Eine Wahrheit? Die gibt es nicht! Höchstens kann durch Zwang und Unterwerfung, durch Manipulation und ähnliche Machenschaften der äußere Anschein der einen wirklichen Wahrheit einer Mehrheit der Menschen aufgedrückt werden. Die eine Wahrheit, die Wirklichkeit selbst, die gibt es nicht! Das steht fest, alles andere ist undenkbar!

Wer entscheidet?

So könnte man noch viele Dinge aufzählen, die von dieser oder jener Warte aus undenkbar sind: so böse, so inkompetent, verlogen, oder auch so gottgleich philanthropisch, so messiashaft gut etc. pp., wie es sich auf solchen Denkwegen ergibt, können die Menschen gar nicht sein, das ist undenkbar. Der „Great Reset“, die „Corona-Pandemie“ als Weg zur Menschheits-Versklavung, die wirre Politik mancher Regierungen als Ausdruck völliger Lebensfremdheit, und was es dergleichen an Zumutungen in der gegenwärtigen Auseinandersetzung noch mehr gibt, all das ist dann für große Menschengruppen einfach „undenkbar“ (und wird ihnen auch täglich so dargestellt), und muss daher aufs Schärfste bekämpft werden.

Der Richter, der all diese Dinge beurteilt, ist aber immer da zu suchen, wo etwas als „undenkbar“ dargestellt wird. Also bei demjenigen, der aus seinem Denken entscheidet, was für ihn „undenkbar“ ist. Und genau da liegt die Crux.

Genauso wie derjenige, der an die universelle Gültigkeit irgendeines Moralsystemes glaubt, in uralten, längst vergangenen gesellschaftlichen Verhältnissen, den uralten Theokratien offenbar hängen geblieben ist – die in weiten Teilen vollkommen moralfreie, rein nützlichkeitsbezogene und aus blindem Egoismus getriebene Handhabung der Macht hat solche alle Menschen umfassenden Moralcodice längst abgelöst –, genauso also ist der Wissenschaftler, der mit unbeugsamem Willen versucht, den Menschen und seine heutzutage unvermeidliche Subjektivität aus aller Erkenntnis auszuschließen (natürlich nur im Dienste der Wahrheit!), vollkommen in die Irre gegangen. Woher weiß denn dieser Wissenschaftler, was objektiv ist und was subjektiv? Ja, genau: aus seinem, seiner eigenen Ansicht nach ja ganz subjektiven Denken!

Das Undenkbare denken

Nein, eine Wahrheit kann man den Menschen heute nicht mehr von oben herab verkünden. Die müssen sie schon selber einsehen können. Das gilt auch für scheinbar unumstößliche Wahrheiten wie sogenannte „Grundrechte“. Wer deren Existenz nicht einsehen kann, achtet sie eben nicht. Das ist die ungeschminkte Wirklichkeit. Und wer nun meint, die Achtung für diese Grundrechte erzwingen zu müssen, z.B. auch für die menschliche Freiheit? Der zerstört sie genau mit diesem Anspruch.

Es bleibt kein anderer Weg, als immer genau gerade das „Undenkbare“ – denken zu lernen. Das heißt ja nicht, dass man das, was man da denken lernt, um es zu verstehen, nun auch gut und richtig finden muss. Aber ohne ein wirklich vorurteilsfreies Nachdenken gerade des scheinbar Undenkbaren entsteht kein wirkliches Verständnis für einander, und auch keine Möglichkeit, einen lebbaren Umgang mit einander zu finden. Wenn ich lerne, auch das für mein Urteil Fürchterliche zu denken, zu verstehen, dann komme ich der Wirklichkeit näher und baue an einer Grundlage für ein neues Zusammenleben auf dieser Erde.3

Leider ist diese Grundlage dann – horribile dictu!4 –für Viele eine ganz undenkbare, nämlich keine, da bloß geistig, und daher subjektiv und darum unwirklich. Echt jetzt? Ist es denn ganz undenkbar, dass der menschliche Geist eine wirksame Tatsache wäre und keine Einbildung? Ist die Freiheit des Menschen denn nur als egoistische Freiheit des Ungezügelt-Seins denkbar? Ist Freiheit nicht auch Voraussetzung wirklicher Liebe? Nein, das geht gar nicht?

Undenkbar!

© Stefan Carl em Huisken 2021

1 Was man nicht denken kann, nennt man heute „Verschwörungstheorie“

2Das Lied findet sich z.B. hier: https://www.youtube.com/watch?v=T1IDSzs1Ai8

3Vgl. meine Artikel Den Anderen nach-denken hilft und Der Spiegel des Individuellen – Den Anderen nach-denken II, zu finden unter https://emhuisken.de/uebersicht-beitraege-geisteswissenschaft/

4„Es ist schrecklich zu sagen“




Europa braucht etwas Anderes

Das technokratische Wissenschafts-Dogma

Fast überall herrscht es, kaum widersprochen: das Dogma von der universellen Alleingültigkeit der heutigen Form materialistischer Wissenschaft und der aus ihr abgeleiteten Technik als Problemlöser. Dogma nenne ich diese Ansicht, weil sie umfassende Alleingültigkeit für sich in Anspruch nimmt, Glaube also fordert, und jede abweichende Ansicht daher auszurotten versucht.

Beherrschender Aspekt dieser Sichtweise ist die daraus abgeleitete Auffassung, dass das rein materiell-biologische Dasein unbedingten Vorrang vor allem anderen hat; denn alles andere ist ja materialistisch nicht messbar, nicht in dieser Wissenschaft erfassbar – allenfalls noch durch umfangreiche Statistiken zu Wahrscheinlichkeiten zu verdichten – und daher eigentlich gar nicht wirklich. Der Mensch ist dann mehr oder weniger eine Art „wirtschaftender Automat“1, der eben auf der Erde herumgeht, und dort durch seine wirtschaftliche Tätigkeit die Grundlagen für seine Existenz schafft. Das Wirtschaftliche, da für den materiell fassbaren Leib am wichtigsten, ist darum für den Menschen das Vorrangige.

Zwei Varianten – China und die USA

Von dieser Ansicht gibt es zwei in unserer Zeit sehr gegensätzlich scheinende Varianten: die westlich, vor allem amerikanisch geprägte, und die östliche, die sich in einer Extremform zur Zeit in China zeigt. Geht die westliche Form davon aus, dass das Optimum an Erfolg für den Menschen herauskommt, wenn jeder Einzelne möglichst ungehemmt über einen Teil der Erde verfügen kann, den man als „Privatbesitz“ bezeichnet, und das Zusammenleben der Menschen sich auf diese Art und Weise nach den Gesichtspunkten des „freien Spiels der Kräfte“ mehr zufällig ergibt, geht die östliche Variante den anderen Weg, der das Wirtschaften stramm Top-Down aufgrund vorab festgelegter ideologischer Kriterien für den Bedarf der einzelnen Menschen regelt, und daher menschliche Freiheit nur insofern zum Tragen kommen kann, als sie die vorrangige Wirtschaftsorganisation nicht stört.

Wie verderblich beide Varianten sind, kann man leicht einsehen: man schätzt die Zahl der Todesopfer der chinesischen Kulturrevolution, die letztlich ja die Grundlage schuf für die heutige Situation auf ca. 20 Millionen Menschen ein; andere Schätzungen, die die Wirkungen auf umliegende asiatische Staaten und die Verbrechen von deren Regimes einbeziehen, kommen auf 70 Millionen. Das amerikanische Wirtschaftsmodell hat durch die Betonung der Freiheit des wirtschaftenden Menschen die Tendenz hervorgebracht, immer mehr und mehr produzieren zu wollen und damit begrenzte natürliche und menschliche Ressourcen zu verbrauchen, was wiederum die Konkurrenz zwischen Menschen und Staaten auf der Erde immer mehr verschärft, so dass dieses System eigentlich ohne ständige Kriege gar nicht bestehen kann. Die Millionen Menschen, die durch diese Kriege getötet wurden, sind schwerer zählbar, aber sie werden wohl mindestens das Maß der chinesischen Kulturrevolution erreichen.

Am heutigen Zustand unserer Welt kann man also sehen, wohin eine solche einseitige Sicht auf den Menschen führt. Wo nur das Biologisch-Materielle zählt, haben moralische oder auch einfach das Seelisch-Geistige des Menschen berücksichtigende Ansichten keine Bedeutung. Der „Glaube“ an die Materie macht alle Wissenschaft nach und nach zwangsläufig vollkommen a-moralisch. Und diese Weltanschauung, die uns durch ihre Wissenschaft und Technologie in die Krisen der heutigen Zeit gebracht hat, soll die Probleme jetzt auch lösen? Aber andere Lösungswege kennt sie ja nicht.

Streit um die Weltherrschaft

Die beiden Systeme – so will ich sie einmal nennen – streiten sich nun schon seit Aufkommen der materialistischen Wissenschaft um die Weltherrschaft. Vorbereitet hat sich das seit dem 15. Jahrhundert, so richtig Fahrt aufgenommen hat es seit dem 18. Jahrhundert.

In England kam der Ökonom Adam Smith auf den Gedanken, das der wirtschaftende Mensch gerade dann, wenn er seine egoistischen Eigeninteressen verfolgt, am meisten für die Gesamtheit leistet; die „unsichtbare Hand“ des Marktgeschehens regele das, ganz unabhängig vom Menschen. Die westliche Form materialistischer Weltgestaltung ging aus solchen Gedanken hervor; sie ist vor allem von England, später Amerika als den mächtigsten Akteuren propagiert worden.

Karl Marx legte den Schwerpunkt auf die durch die ökonomischen Verhältnisse geschaffenen Ungleichheiten der Menschen, woraus sich mit der Zeit das Konzept des Klassenkampfes und der „Diktatur des Proletariates“ ergab, das immer größere zentral verwaltete Volkswirtschaften ergab. Die wirtschaftlich mächtigste Variante davon gibt es heute in China, getragen von einem religiös anmutenden Glauben an die ideologische Führung, entstanden in der chinesischen „Kulturrevolution“ unter der Führung Mao-Tse-Tungs..

In unserer Zeit ist die Kriegführung nach und nach auf andere Methoden als ausschließlich den „heißen“ Krieg mit Waffen verfallen. Die Konkurrenz zwischen den USA und China um den Einfluss in der Welt liegt ja auf der Hand; derzeit hat dabei offenbar China „die Nase vorn“. Die sogenannten „Lockdowns“ sind eine Sache, die gleich zu Beginn der derzeitigen „Pandemie“ von China aus propagiert wurden. Zu keinem Zeitpunkt wäre man in China allerdings darauf gekommen, gleich ganze Länder mit Lockdowns zu überziehen; das war dort immer eine spektakulär propagierte lokale Massnahme in China. Die Welt hat das System verallgemeinert übernommen.

So hat man es nun erreicht, dass die Staaten der Welt sich von Lockdown zu Lockdown hangeln und dabei ihre Wirtschaft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ihre gesamte Lebensform zerstören. Mit dem Effekt, dass alle Länder geschwächt werden, nur China nicht – das hat mit diesen Dingen längst aufgehört, oder bietet hin und wieder eine gut durchkalkulierte, in jeder Hinsicht verkraftbare Propagandaaktion, mit Abriegelungen, riesigen Desinfektionsspritzen und derlei mehr. Heutzutage führt man eben Informations- oder besser Propaganda-Kriege.2

Europa zwischen den Blöcken

Wir hier in Mitteleuropa sind bisher ja vor allem unter dem Einfluß der westlichen, Egoismus-orientierten Modelle regiert worden. Nun kommt Europa durch die ausgedehnte Propaganda von Seiten Chinas in die Lage, mittels des harten Lockdown-Regimes deren Gesellschaftssystem zu kopieren, das mit den eigenen Lebensbedürfnissen aber nichts zu tun hat. In China mit seiner ganz anderen Geschichte, auch gewachsenen Mentalität der Menschen, mag so ein System, wenn es zusätzlich immer nur lokal angewandt wird, funktionieren. Je weiter man nach Westen kommt, desto schlechter funktionieren die Lockdowns. Nur, wo man China in der Unerbittlichkeit, auch des gewaltsamen Zwanges noch übertrifft, in Neuseeland und Australien zum Beispiel, kann man mit einem solchen Modell leben. Das sind im Übrigen auch Inselstaaten, die sich problemlos nach außen abriegeln lassen.

Dass Lockdowns nicht funktionieren in Europa, hat unterschiedliche Gründe. Zum einen wohl ganz praktische: ein ausgemachtes Transitland wie Deutschland zu Beispiel, von den unterschiedlichsten anderen Staaten umgeben, mit langen, für alle „normalen“ Lebensgewohnheiten notwendig offenen Grenzen und im Übrigen vom Export lebend, kann solche Abriegelung gar nicht realisieren. Also wirkt sie dann auch nicht.

Aber es gibt auch noch ganz andere Gründe: beide Ideologieen, die des Westens und die des Ostens, passen nicht zu den Menschen, die hier leben. Weder der ausgeprägte, auf den Eigennutz zentrierte Egoismus als herrschendes Gesellschaftsprinzip wie in Amerika, noch die erzwungene und engmaschig überwachte Unterordnung unter ein von oben herab verordnetes sogenanntes „Wohl des Ganzen“ wie in China können die Menschen bei uns auf die Dauer zufriedenstellen. Zu stark ist immer auch die andere, die Gegenfraktion. Und so ergehen sich die Menschen in dauernden Streitereien, so dass sie keine Kraft finden können, etwas Eigenes den beiden übermächtigen Einflüssen entgegen zu stellen.

Einerseits versucht man, in der derzeitigen „Pandemie“ zugunsten der besseren Regierbarkeit das Unterdrückungs- und Überwachungssystem Chinas zu kopieren, andererseits aber wird gerade dies dann vor allem von mit Europa verflochtenen Großkonzernen des Westens genutzt, um ins Irreale steigende Profite zu erwirtschaften. Ja, man findet in der kleinen Gruppe von Superreichen sogar, dass die Gelegenheit zu tiefgreifenden Umgestaltungen der Wirtschaft zum eigenen Nutzen jetzt gerade besonders günstig ist. So wirken bei uns beide einträchtig zusammen: Das Unterdrückungssystem Chinas zerstört durch die Lockdowns unseren gesellschaftlichen Zusammenhang, und unter diesem Deckmantel setzt man von der anderen Seite zum ultimativen wirtschaftlichen Ausrauben an. Von freiem europäischem Geist keine Spur.

Man sieht, was letztlich auf derselben Basis – der materialistischen Weltanschauung im Bunde mit dem technokratischen Wissenschaftsdogma – an ganz verschiedenen Orten der Erde, im Westen und im Osten, ganz unterschiedliche Gesellschaften begründet, wirkt für Europa gerade zusammen, und umfassend zerstörend.

Und was dann?

Schon nach dem sogenannten „ersten Weltkrieg“ wies Rudolf Steiner darauf hin, dass in Europa und davon ausgehend dann in der ganzen Welt etwas Anderes geschehen müsse3. Die Gesellschaftsverfassung seiner Zeit zeigte bereits, was wir heute bis ins Extrem getrieben vorfinden: wirtschaftliche Macht, die die Staatsstrukturen unter ihre Kontrolle bringt, und auf diesem Wege das von Staat gänzlich kontrollierte Geistesleben (Wissenschaft, Bildung, Kultur) ebenfalls seinen Wünschen unterordnen kann. Was Not tut – so wurde er nicht müde zu betonen – sei eine völlige Trennung dieser Bereiche des Wirtschaftlichen, des Geistig-Kulturellen und des Rechtlich-Staatlichen, anzufangen mit einer Befreiung des Geisteslebens aus den Zwängen des Staates. Dann könnten Deutschland und Europa ihren eigenen Beitrag zur positiven Entwicklung der Welt leisten: die richtige Mitte zu finden zwischen dem übermächtigen Zwang der Ideologie (China) und der Orientierung am individuellen Egoismus (Amerika) als eigenen Weg.

In China herrscht durch die allumfassende Ideologie ein völlig einseitiges Geistesleben; in den USA (und Großbritannien, ansonsten überall in Europa infiltriert) ein alles beherrschendes, vom wirtschaftlichen Egoismus geprägtes Wirtschaftsleben. Was aber den Menschen in seinem Zentrum betrifft, im sozialen Leben der Gesellschaft, das also, was wir auch „Staat“ zu nennen pflegen, ist nur noch Instrument – entweder für die Ideologie, oder für die Interessen von Wirtschaftsmächten.

Es wäre gut, wenn sich im Herzen Europas, dort, wo sich in der Schweiz einst eine erste Art Basisdemokratie gründete, und wo aus Deutschland eine ungeheuer wirksame Kulturblüte das Leben der Welt veränderte und bereicherte, möglichst bald und möglichst kräftig ein eigener Weg zum Regeln des menschlichen Zusammenlebens finden ließe. Rudolf Steiners Überlegungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts haben an Aktualität nichts eingebüßt, im Gegenteil. Die Probleme, die er damals sah und zum Anlass seiner Ausführungen machte, sind bis heute in immer wieder gesteigerter Form als Zertrümmerer von Kultur, Kunst, Bildung, Wissenschaft, ja, als allgemeiner Zerstörer jeder geistigen Entwicklung überhaupt zutage getreten. Aber es sind eben immer noch dieselben Tendenzen, und sie brauchen daher immer noch Lösungsansätze, wie sie Rudolf Steiner schilderte.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Vgl. Rudolf Steiner: „Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen“, GA 202, Dornach, 1993. S. 116 ff

2Eine sehr ausführliche und äußerst umfangreich belegte Stellungnahme zur Rolle Chinas in der Pandemie von einer Gruppe renommierter US-Anwälte gibt es hier in deutscher Übersetzung https://www.wodarg.com/app/download/9041427014/Der%20globale%20Lockdownbetrug%20der%20CCP.pdf?t=1610370568. Das englische Original mit allen Quellenangaben hier: https://ccpgloballockdownfraud.medium.com/the-chinese-communist-partys-global-lockdown-fraud-88e1a7286c2b

3Vgl. zum Beispiel Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. Erstausgabe 1919, diverse Auflagen Dornach, Rudolf Steiner Verlag




Kurze Worte zur „Wissenschaftlichkeit“

Sich selbst vergessen

Jeder Begriff, den sich welcher Mensch auch immer von „Wissenschaftlichkeit“ machen kann, entstammt seinem eigenen Denken. Das ist eine Tatsache, der wohl niemand entgehen kann. Diese Tatsache sorgt aber auch dafür, dass es sehr viele unterschiedliche Begriffe davon geben kann.

Wer nun meint, er müsse „DEN RICHTIGEN“ Begriff von Wissenschaftlichkeit finden, und ohne den sei alle Bemühung um Wissenschaft sowieso zwecklos, der übersieht eines: er hat sich einen neuen, der „Wissenschaftlichkeit“ übergeordneten Begriff gemacht, an dem er seines und das erkennende Tun der anderen messen will, nämlich den des (ausschließlich) „Richtigen“.

Es ist einfach unentrinnbar: unsere Begriffe formen wir uns selber durch unser Denken. Darin sind wir alle gleich, wir Menschen. Und auch, wer immer wieder meint, wir täten das nicht selber, formt sich diese Meinung – pardon – selber.

Wer also „Wissenschaftlichkeit“ begreifen will, muss immer mit sich selber rechnen, mit der eigenen Art und Weise zu denken. Ohne das ist das Ergebnis immer bodenlos.

… und wiederfinden?

Das schafft zugegebenermaßen ein Dilemma: denn die Art, wie wir denken, können wir nicht unmittelbar beobachten, wie schon Rudolf Steiner Ende des 19. Jahrhunderts ausführlich darlegte (Wahrheit und Wissenschaft, Philosophie der Freiheit). Dennoch haben wir mit der oben genannten Feststellung etwas gewonnen: einen Maßstab nämlich für die Wahrheit unseres Erkenntnisstrebens.

Und der ist in jedem Einzelnen von uns vorhanden. Die Tatsache, dass wir uns selber im Tun nicht unmittelbar beobachten können, läßt sich ja nur auf eine Art erklären: ich selbst als Denkender befinde mich offenbar in einer anderen Sphäre als alles, was ich als Gedankeninhalte und Begriffe mir vor das innere Auge führen kann. Dadurch kommt es ja gerade, dass unser Denken – daran gewöhnt, alles „Wirkliche“ außerhalb seiner selbst zu suchen – so große Schwierigkeiten hat, sich selbst zu finden.

Aber es ist doch ganz einfach: keine noch so ausgebuffte Wissenschaft, die mich selber nicht einbezieht, hat jemals mich, mein ICH-Erleben, mein Denken finden können. Und dennoch entstammt sie ausnahmslos dieser Quelle (ebenso natürlich jedem anderen denkenden Menschen). Und damit haben wir den universellen Quell aller Erkenntnis – wenn zunächst auch nur im Negativ – gefunden: er liegt im Menschen.

Anthroposophie

Aber es gibt eine Art der Wissenschaft, die genau diesen Quell zum Ausgangspunkt nimmt, jedenfalls in dem Namen, der ihr im Laufe der Zeit auch gegeben wurde: Anthroposophie – Weisheit vom Menschen (aus).

Rudolf Steiner wurde nicht müde, immer wieder darauf hin zu weisen., dass eine Erkenntnis der Wirklichkeit nur möglich ist, wenn sie den Menschen (also konkret: mich, dich, jeden Einzelnen, in seinem Selbst-Erleben) mit einbezieht.

Wer also davon redet, Anthroposophie solle „wissenschaftlich“ sein, kann nur zu einem irgendwie sinnvollen Ergebnis kommen, wenn er im hier genannten Sinne anthroposophisch zu Werke geht.

Das ist einfach eine Sache, die hier nur in einer bestimmten Wiese beschrieben wird, die aber für jeden Menschen, der darauf aufmerksam werden will, unmittelbar beobachtet werden kann und daher keines Beweises bedarf. Einziges Kriterium ist, ob ein Mensch wirklichkeitsgemäß denken WILL oder nicht. Wer nicht will, der hat schon, sagt man ja.

Also lassen wir weitere Auseinandersetzungen über dieses Thema auf sich beruhen ….