Wer ist Gott?

Ein mir sehr nahestehender Mensch, der durchaus genialische Züge hatte, sehr viel weiter dachte als viele andere und aus diesen Eigenschaften heraus künstlerisch tätig war – er malte, schrieb, erzählte Geschichten, verfasste Lieder und war im „Brotjob“ journalistisch tätig – pflegte auf die Frage nach Gott das Folgende zu antworten, sinngemäß:

„Mit Gott habe ich nichts zu tun. Entweder er ist allwissend, allweise, allmächtig – dann ist er für mein begrenztes Auffassungsvermögen zu groß, unfassbar, so dass ich mit ihm nichts anfangen kann. Oder er ist bloß mein Gedanke, dann ist er aber mir untertan und daher irrelevant, der Mühe nicht wert. Also habe ich mit ihm nichts zu tun.“

Dieser Mensch, der so dachte, ist an dem zugrunde liegenden Problem letztlich so nachhaltig gescheitert, dass er nur noch aus dem Leben scheiden konnte. Das hat ihn aber natürlich keinen Schritt weiter gebracht im Sinne einer Lösung.

Denn: wie, wenn er nun wirklich den allweisen, allmächtigen Gott gar nicht fassen konnte? Dann könnte er doch gar nicht beurteilen, ob er ihn fassen könnte in seinem Denken? Dann fehlte ihm doch der Urteilsmaßstab? Oder hat er da – unbemerkt – doch schon gleich sein eigenes Urteil über die eigene Begrenztheit Gott untergeschoben?

Und: wie, wenn er nun diesen Gott eben nur so denken könnte, wie er sich selber erkennt, nämlich begrenzt? Dann wäre Gott ihm ja „zu klein“ – ist er sich selber zu klein gewesen? War denn daran gar nichts zu ändern?

Man sieht schon an diesen relativ überschaubaren Fragen, wie sehr auch ein sonst klarer und scharfer Denker Wesentliches übersehen kann.

Die Sache hat ihren Ursprung darin, dass eben sowohl „Gott“ als auch „Ich“ als ein Statisches, also gleichsam „Fertiges“ gedacht werden – also ein Begrenztes. Das sind aber beide nicht; zumindest bei mir selber kann ich ja beobachten, dass ich mich entwickle, anders werde, vielleicht von Zeit zu Zeit sogar ein bisschen weiser – gottähnlicher? Da ich aber zunächst mich als Geschöpf ansehen muss von Mächten, die zu einem relevanten Teil außerhalb meines Bewusstseins liegen, von Mächten also, die ich einmal summarisch auch als „Gott, der Unbegriffene“ oder einfach als „Götter“ bezeichnen könnte, gleichzeitig aber die Entwicklungsfähigkeit grundsätzlich in mir angelegt ist, kann diese Fähigkeit – jedenfalls, soweit ich sie mir nicht eindeutig selber angeeignet habe – nur von eben diesen Mächten in mich gelegt worden sein. Sie müssen sie also besitzen, oder zumindest besessen haben, als sie diese Fähigkeit in mir anlegten. Damit sind aber sowohl „Gott“ bzw. die „Götter“ als auch ich im Grundsatz unbegrenzt, denn Entwicklung aus sich selbst heraus kennt erst einmal keine prinzipiellen Grenzen.

Warum also sollte nicht Gott mich als begrenztes Wesen in seine Allmacht aufgenommen haben? Denn wie entstehen Allmacht und Allweisheit? Nur aus begrenzter Macht und Weisheit, die sich selber aus sich selbst entwickeln. Woher sollte Gott seine Allweisheit und Allmacht haben als aus sich selbst? Es kann kein Wesen über ihm geben, sonst wäre er ja eben nicht – Gott, der Allweise und Allmächtige.

Also schuf er den Menschen zu seinem Bilde. Und das Bild musste alles in sich tragen, was Gott ausmacht, aber so, dass das Bild zugleich all dies erst noch aus sich selber entwickeln musste: die Allweisheit und Allmacht zum Beispiel. Denn sonst wäre es ja nicht das Bild Gottes.

Gott ist frei – Allweisheit und Allmacht sind bloß Attribute dieser Freiheit. Und zugleich ist er der Träger der Allliebe, denn er schenkt seine Freiheit, mit der Allweisheit und Allmacht, seinem Bilde, gibt sein Bestes hin. Aber er schenkt es so, dass sein Bild von alledem nichts kennt, nichts weiß, sich die Erkenntnis und das Wissen erst erarbeiten muss – als eben etwas Begrenztes, aber Entwicklungsfähiges. Den Menschen also, uns selber hat er dann erschaffen. Und der trägt in sich, in jedem Exemplar, den Gott, als Gedanken, als Bild, als Antrieb, als Wille also, als Ziel seines Wollens.

Ist der Mensch bereit, den Gott in sich, in seiner Welt, in jedem anderen Menschen so zu lieben, dass er bereit ist, seine eigene Entwicklung dem Gotte, dem anderen Menschen als Bild des Gottes, ja, auch sich selbst als Gottes Bild zu opfern, so wird er seinem göttlichen Kern und Ursprung gerecht, realisiert durch sich, was er erst werden soll.

Lehnt der Mensch sich aber bequem zurück, dann muss er damit rechnen, dass Gott es ihm gleich tut. Indem der Mensch also seine eigene Entwicklung nicht selber erringen will, sondern sie sich vom Gotte schenken lassen, so wird er erleben, wie der Gott ihn, den Menschen, gleichgültig verschmähen wird, ebenso wie der Mensch es verschmäht, sich dem Gotte hinzugeben.

Wenn der Gott sich durch den Menschen selber neu erschaffen will, so muss er seine Freiheit und damit Allweisheit und Allmacht dem Menschen schenken, in Allliebe. Und dann ist es am Menschen, ob er diese Allliebe erwidern will, in der Hingabe an sein Schicksal, das ihm den Gott vorstellt. Tut er das nicht, dann vernichtet er zugleich sich selber, denn wo kein Mensch, der den Gott erschaffen will, in fortwährender Selbstentwickelung, da ist auch kein Gott, der sich zum Menschen machen will.

So ist das eben mit der Freiheit. Sie kann sich nur in Liebe zum Fremden selbst erschaffen, oder sie zerstört sich selbst.

Der Mensch, den ich eingangs schilderte, hat diesen grundlegenden Gedanken der Entwicklung nicht denken können. Sonst hätte er im Leben – also in seiner Entwicklung in der Welt – bleiben können. Was in ihm noch lag an möglichen Liebestaten in der Welt – und ich bin sicher, das war noch viel –, ist nun für dieses sein Leben und das seiner Zeitgenossen zunächst verloren. Aber es ist ja nicht weg, einfach weg. Es ist jetzt dort, wo eben sein Unbewusstes lag, das Unbewusstsein der grenzenlosen Entwicklung – in uns allen also, die wir doch Tag für Tag im Alltag uns ähnlich benehmen wie dieser Mensch, indem wir überall Grenzen sehen, die wir nicht übersteigen zu können vermeinen.

Eine dieser Grenzen ist der Tod – aber woher wollen wir eigentlich wissen, dass der Tod eine absolute Grenze ist, nicht nur eine Schwelle, die wir im Entwicklungsgang von Zeit zu Zeit zu überschreiten haben, ebenso wie die Geburt? Wenn unsere Entwicklungsmöglichkeit vorhanden ist, wir also prinzipiell grenzenlos, dann können wir uns auch in unser und des Gottes Ewigkeit hinein entwickeln, also: Gott werden, allweise und allmächtig. Und Gott erschuf den Tod. Also steht er über ihm. Auch wenn der Tod – das eigene Geschöpf – ihm erst die Möglichkeit des ewigen Lebens in der Auferstehung verschafft. Und daran sind wir Menschen nicht ganz unbeteiligt.

Ein Beweis, dass Menschen auch im Tode noch ihre Entwicklungsimpulse fassen können, ist diese kleine Erzählung und Erörterung. Weil der Mensch, von dem ich ausging, so war, wie er war, und danach handelte, entstand dieser kleine Aufsatz. Ohne diesen Menschen wäre das wohl nicht in der gleichen Weise geschehen. Da hat der „Tote“ wohl durch mich seinen Ausdruck gesucht; einen eigenen Leib in der Welt hat er ja gerade nicht zur Verfügung, um das hier Dargestellte zu erleben, zu denken, zu schreiben. – Sind die Toten eigentlich wirklich tot, also „aus der Welt“?

Und ja. ist Gott tot? Haben wir etwas damit zu tun?

© Stefan Carl em Huisken 2023


Cover Wahnsinn und Denken Gott

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Was hilft die Aufregung? – Die Kräfte wirksam nutzen

Die vielfältig belastenden Ereignisse, die einem täglich begegnen, lösen immer wieder Zorn, Angst, Empörung und Resignation aus, und die Aufregung über solche Neuigkeiten beherrscht vielerorts die Gespräche und Aktionen. Ist das hilfreich? Gibt es andere Verhaltensmöglichkeiten, die unsere Kräfte wirksamer nutzen für den erwünschten Fortschritt?

Den Tatsachen ins Auge schauen

Was auch immer an Neuigkeiten auf uns einstürmt, es scheint überwiegend eines zu bestätigen: der Kampf gegen das Böse (was auch immer das sei) muss weitergehen, und immer noch ist es nicht gelungen, dieses Böse auszurotten, damit wir endlich wieder unseren Frieden haben. Unsere offensichtliche Ohnmacht, das Böse zu beseitigen, verbunden mit immer neuen Meldungen über neues Böses in der Welt zermürbt die Kräfte, die sich nur darauf verlegen können, in Klagechören die Situation zu beweinen und ansonsten zuzusehen, wie die Welt untergeht.

Da waren die Manichäer1 in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung offenbar weiter. Ihnen war klar, dass das Böse in der Welt bis zum Erdenende Bestand haben wird, und dass daher die Hoffnung auf die völlige Befreiung vom Bösen keine realistische Grundlage hat. Vom heutigen Gesichtspunkt aus muss ja auch gesagt werden, dass wir um unserer Freiheit willen auf die Existenz des Bösen angewiesen sind: ohne das Böse gäbe es kein Bewusstsein des Guten (wie auch immer man das im Einzelnen beschreiben will), und damit keine freie Wahl. Wo es keine Wahl gibt, herrscht Unfreiheit – und die ist für Viele ja heute gerade der Inbegriff des Bösen.

Also sollten wir uns entschließen, die Existenz des Bösen erst einmal als gegeben zu akzeptieren. Neue Winkelzüge aus der Höllenküche können wir dann mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis nehmen. Das schont die eigenen Kräfte, die dann für Anderes frei werden.

Was ist eigentlich wirklich gut?

Diese Kräfte können wir dann wirksamer nutzen, um unsere eigenen Zeile zu verfolgen – und die sind doch natürlich gut, oder? Aber halt: ist nicht schon diese Unterscheidung eigentlich böse? Lebt nicht auf diese Weise das Gute, die Freiheit, die Harmonie und Einigkeit gerade von des Bösen Gnaden? Die Verwirrung kann immer mehr Platz greifen: was ist eigentlich wirklich gut?

Man sollte die Sache realistisch anschauen: die aus der einen Sicht „bösen Freiheitsfeinde“, die diejenigen mit der anderen Sicht auf die Dinge drangsalieren: was sollte denn mit ihnen geschehen? Alle einsperren, ihnen die Freiheit nehmen, alle „beseitigen“? Tun wir, die Guten also, denn dann etwas Anderes als gerade sie, die Freiheitsverhinderer? Es ist und bleibt doch so, bei aller Gegensätzlichkeit: wir Menschen sitzen alle in einem Boot, und müssen insofern lernen, gemeinsam auf der Erde zu existieren.

Das schafft ja gerade immer neue Probleme, dass im Wechsel der „herrschenden Weltanschauungen“ immer sehr schnell schlecht wird, was einst gut und richtig war. Die „gute Endlösung“ gibt es also nicht – wie schon die Manichäer wussten: das Böse hat seinen berechtigten Platz im Weltganzen, bis ans Erdenende.

Jeder Versuch, etwas Berechtigtes aus der Entwicklung gänzlich auszutilgen, wird scheitern. Und noch mehr: er wird schnell selber der Vernichtung, der Zerstörung anheimfallen, die er der „anderen Seite“ angedeihen lassen will.

Man kann also festhalten: ein absolut Gutes, das allein die Welt beherrscht, kann es nicht geben (nur mit Auslöschung aller Freiheit, was aber wieder „böse“ wäre). Was aber dann?

Liebet das Böse – gut

Für dieses Dilemma hatten die Manichäer einen Vorschlag, den wir Heutige uns vielleicht genauer ansehen sollten: sie wollten nämlich in ihrem Handeln das Gute in das Böse hineinmischen und so nach und nach für eine Umwandlung des Bösen in ein neues Gutes sorgen.

Damit könnte ja sozusagen jeder an seinem Ort jederzeit beginnen.

Gewiss, ein Paradies auf Erden (also einen Zustand von „oben“ gelenkter Unfreiheit auf der Basis der Unkenntnis des Unterschiedes von Gute und Böse – das ist ja das biblische Paradies) wird man so niemals erreichen können, und schon gar nicht in absehbarer Zeit. Aber vielleicht kann man Schritt für Schritt, bis hin zum Erdenende, einen Zustand des bewusst errungenen und daher freien Guten erreichen.

Was wäre dafür nötig? Dass man als freie Liebestat sich selber das Böse „einverseelt“ (in freier Nachbildung des Wortes „einverleibt“), um es dort aus den eigenen, die Gegensätze heilenden Intentionen heraus umzuarbeiten in ein neues, frei gewolltes Gutes. Ganz konkret würde das bedeuten, den Menschen, der Böses tut, nicht als Unmensch zu betrachten, als Sache also, die auf den Müll gehört (das wäre dann hier: aufs Schafott), sondern als verirrten Menschen, der seine eigene Verirrung nicht begreift, und deshalb einen Anderen braucht, der sie für ihn versteht und ihm darum helfen kann, ebenfalls zu verstehen. Der Hilfswillige wird dann allerdings die Geduld aufbringen müssen zu warten, bis der „Böse“ anfängt, seinen Irrweg einzusehen und dadurch für Hilfe überhaupt empfänglich wird.

Alles schön und gut – aber was hilft das jetzt?

Dass solche Überlegungen gar nicht unbedingt abgehoben sind, zeigt ein kurzes Gespräch, das ich neulich hatte, und das für mich auch zum Anlass für diesen Artikel geworden ist. Dabei tut es nichts zur Sache, welche Position die Beteiligten zu den aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen einnehmen; ich schildere sie nur zur Illustration, um die Sache anschaulich zu machen.

Ich befand mich also in einem Gespräch mit jemandem, der die derzeit so nachhaltig empfohlenen Injektionen experimenteller gentherapeutischer Produkte ablehnt, weil sie aus seiner Sicht, aufgrund der ihm vorliegenden Informationen vielfältige negative Wirkungen haben – man kann sie von diesem Gesichtspunkt aus ohne Weiteres als „Giftspritzen“ ansehen – und daher vorhersehbar zu unermesslichem menschlichem Leid führen müssen. Insofern sind diese Injektionen aus seiner Sicht eine „böse“ Sache, und der gesellschaftliche, moralische, politische und wirtschaftliche Druck, mit dem die Menschen derzeit diesen Injektionen zugeführt werden sollen ebenfalls.

Als wir die Sache so weit erörtert hatten, entstand die Frage, was denn nun zu tun sei. Einmal abgesehen von der äußeren Ohnmacht des Einzelnen dieser geballten „bösen Macht“ gegenüber, kamen wir auf die Frage, was denn überhaupt ein Ziel des eigenen Handelns sein könne. Anzustreben, die Propagandisten dieser Injektionen, die ja überdies mit zahlreichen Täuschungsmanövern, also unwahrhaftig zu arbeiten scheinen, und zudem all die nichtsahnenden Mitläufer, die den Druck der Propaganda ja durch ihr Mittun erst wirksam machen, aus dem gesellschaftlichen Leben zu entfernen – also einzusperren, umzubringen oder anders unfreiwillig unwirksam zu machen –; ein solches Streben wäre letztlich dasselbe, was man gerade den „Anderen“ vorwirft, was sie derzeit mit den „Verweigerern“ tun. Das Böse hätte dann gesiegt, die Spaltung zwischen den Menschen zementiert, und das mit unserer, also der „Guten“ Hilfe. Das kann es also nicht sein. Was aber dann?

Dann fiel der befreiende Satz, sinngemäß: „Wenn die Folgen dieser Injektionen und der daran geknüpften Maßnahmen dann sichtbar werden, das Leiden daran dann um sich greift, dann können wir, die wir die Spritze aus guten Gründen nicht genommen haben, die anderen doch nicht hängen lassen!“ Ganz gleich, wie die Sache ausgeht, ob dieses große Leiden kommt oder nicht – jeder kann sich ja geirrt haben –: hier zählt die Menschlichkeit und die ist in diesem Fall eben auch ein bisschen manichäisch.

P.S.: Auch diejenigen, die jetzt ganz rücksichtslos ihre Sicht der Dinge durch Manipulation und strukturelle Gewalt anderen aufzuzwingen suchen, kann man vielleicht in diese menschliche Regung aufnehmen: was ist denn, wenn sie die unermessliche Schuld beginnen einzusehen, die sie auf sich geladen haben? Das kann bald sein, oder später, vielleicht auch erst in einem nächsten Leben. Dann werden sie Hilfe brauchen, um ihre verlorene Menschlichkeit wiederzufinden.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Es gibt mancherlei Darstellungen über Manichäismus, die in vielen Fällen vor lauter Einzelheiten das Grundprinzip fast unsichtbar machen oder sehr einseitig ideologisch geprägt sind. Über das Grundprizip des Manichäismus vgl. vor allem Rudolf Steiner: Der Manichäismus. In: Die Tempellegende und die Goldene Legende, GA93, Dornach, 1991. S. 68 ff sowie die zugehörigen Quellenhinweise und -zitate in demselben Band.


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Die Angst und die Milliardäre

Wer ist Milliardär?

Wie kommt man eigentlich dazu, ein Milliardär zu werden? Lohnt der Aufwand, oder ist es ganz leicht? Immerhin gibt es genügend Menschen, die das als erstrebenswert ansehen – allerdings sind das vor allem solche, die dieses ZIel wohl kaum jemals erreichen werden. Was also ist – in seinem Herkommen, seinem Dasein und seinen Möglichkeiten – ein Milliardär? Wie erfreulich ist so eine Existenz dann eigentlich? Hat er auch Angst?

Dass er der Definition nach Milliarden irgendeiner Währung mindestens dem Papier nach besitzen muss, ist ja klar. Aber das ist ja nichts spezifisch Menschliches. Darum soll es aber gerade hier gehen: was bedeutet es, so viel zu besitzen, einmal ganz menschlich betrachtet, ohne Neid und eigene Wünsche?

Zunächst einmal: in der äußeren Welt, so wie sie nun einmal ist, kann er sich alles leisten. Da ist alles käuflich: Orte, wo man tun und lassen kann, was man will, Schutz vor Nachstellung, Verfolgung und übler Nachrede (dafür braucht man Sicherheitsdienste, Korruption bei Politikern und Beamten und käufliche Medienkampagnen, alles ja heutzutage kein Problem). Wir wissen ja, wie das geht: die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Unsere Zeit bietet täglich neues Anschauungsmaterial. Im Prinzip sind alle derartigen Wünsche erfüllbar; man hat die Macht in den Händen, wenn man reich ist, und man wird durch diese Macht immer reicher.

Wonach man meistens nicht fragt, denn da wird es peinlicher: warum scheint ein solches Dasein als Reicher und Mächtiger überhaupt erstrebenswert? Was gewinnt der Reiche und Mächtige für sich selber dadurch, dass er eben so reich und mächtig ist? Denn das Geld, das weiß man ja, kann man nicht essen; es ist nur Mittel zum Zweck – zum Zwecke der Macht.

Macht und Angst

Was bedeutet es denn dann eigentlich, Macht zu haben? Einfach tun zu können, was einem gerade einfällt? Nun, Freiheit, sagt mancher. Aber dann Freiheit wovon, wofür? Freiheit für meine Wünsche? Für mein Nichtstunwollen? Meine Bequemlichkeit? Bin ich das denn alles, oder sind das nur meine „Auftraggeber“, denen ich durch meinen Reichtum und meine Macht zu Diensten bin? Weil ich mich ihnen nicht widersetzen will? Habe ich etwa Angst vor meinen Wünschen, meiner Bequemlichkeit, meinem Nichtswollen und vielleicht auch meinem Nichtskönnen? Und dann wird die Angst betäubt, mit äußerem Haben, äußerer Macht. Wer bin ich dann eigentlich? Sklave meiner Milliarden? Oder habe wirklich ICH die Macht? Wovor habe ich wirklich Angst?

Es wird wohl die Angst vor der Einsicht in die kaum zu leugnende Tatsache meiner eigenen Nullität sein. Denn mich selber kann ich nirgends in der Welt haben, und von etwas Anderem als von dieser Welt kann ich nichts wissen. Immer wenn die Welt weg ist, bin ich es auch – im Schlaf zum Beispiel, oder im Tod. Beim Schlaf beeinträchtigt mich das nicht so viel, denn daran habe ich mich gewöhnt, auch daran, dass ich dann ja wieder aufwache. Aber beim Tod ist das schon anders – das wäre ja dann endgültig die vollkommene Null, das Nichts, das Endgültige, die völlige Ohnmacht.

Darum sind es besonders Milliardäre, die ihr Dasein möglichst verewigen wollen, zum Beispiel durch „Kopieren“ ihrer Person auf eine Maschine oder durch ähnliche Manipulationen. Aber hilft das überhaupt? Wäre man die Angst dann los? Und wenn dann einer den Strom abschaltet, oder den Speicher irrtümlich löscht? Oder ein Bauteil versagt, und dann wegen digitaler „Demenz“ sozusagen meine maschinelle Kopie Schaden nimmt oder ganz verschwindet? Hat die „Kopie“ dann auch Angst, oder kann die das gar nicht, hat sozusagen die Fähigkeit verloren, Angst zu haben? Und wenn sie keine Angst hätte – wäre es dann wirklich eine Kopie von mir? Wäre ICH das dann noch? Wäre ich dann nicht plötzlich den Grund los, aus dem heraus ich mich verewigen wollte? Wäre es dann überhaupt noch erstrebenswert, ewig zu sein, nicht mehr sterben zu müssen – und zu können?

Die absolute Nullität

Fragen über Fragen, und keine wirkliche Antwort. Aber eine Antwort ist möglich. Nämlich dann, wenn ich mir eingestehe, dass ich diese absolute Nullität, vor der ich mich fürchte, schon lange bin. Ich habe nur Angst gehabt – habe sie noch – mir das einzugestehen. Aber ja, aus mir kommt alles, was ich tue. Doch mich, den Tätigen, den kenne ich nicht, der ist eben Null für mich. Ich kenne nur, was er in der Welt bewirkt, also die Ergebnisse seiner Macht. Und daran klammere ich mich, weil ich eben sonst nichts habe von mir. Und darum will ich mich in der Welt verewigen – aber da bin ich ja gar nicht, nur meine Werke … Egal, Hauptsache, ich vergesse mich, das NICHTS, das ich mir selber bin, und vor dem ich – Angst habe.1

Und so geht es eigentlich jedem Menschen. Sich selber kennt er nicht, kann er nicht sehen. Denn er ist ja der Tätige, Sehende, Schauende, der sein Schauen nicht kennt, weil er es dauernd tut. Und weil es beängstigend ist, nichts zu sehen da, wo das Wichtigste ist, nämlich man selber, braucht man immer mehr Welt um sich her, und will sich zu einem Weltgegenstand machen, zum Beispiel als „Kopie“ seiner selbst in einer Maschine. Dazu braucht man aber viel Macht, denn man will die Sache ja natürlich so sicher wie möglich haben. Das fordert Experimente. Natürlich nicht an mir, für mich kommt es ja erst in Frage, wenn es sicher funktioniert. Also braucht man Labors, Forschungsstätten, und natürlich „Probanden“. Das ist alles möglich, für Milliardäre zumindest. Die kaufen sich die Forschungsstätten, die Labors, und alles, was man dazu braucht. Und die „Probanden“?

Die Angst der Anderen und die eigene

Nun, das ist einfach. Milliardäre sind ja nicht dumm. Sie wissen schon, wovor sie Angst haben, und wovor die meisten Menschen auch Angst haben: vor der eigenen Nullität, besonders vertreten durch den Tod. Und weil sie selber so viel Angst haben, dass sie so viel Reichtum und Macht brauchen um die Angst zu betäuben, benutzen sie die Macht, um ihre Angst bei den anderen Menschen abzuladen. Gemeinsam trägt sich das doch leichter, oder? Die kollektive Angst heißt dann „Solidarität“ oder „Menschlichkeit“, und jeder versucht so gut er kann, genug Macht zu bekommen, dass er die Angst betäuben kann. Der eine wird dem anderen ein Hindernis, ein „Gefährder“, ein Böser jedenfalls, der leiden muss, damit er Angst bekommt, Angst vor mir, damit ich mich daran aufrecht halten kann. Denken wir zum Beispiel an die Reaktion Hillary Clintons angesichts der mehr als brutalen Ermordung Gaddafis.

Wo viel Angst ist, sammelt sich dann auch die Macht, und der Reichtum. Und wo viel davon ist, sammelt sich die Angst, es zu verlieren. Menschlich gesehen, auch ein bisschen bemitleidenswert, oder? Aber das kann natürlich kein Grund sein, die Sache so wie sie ist gut zu finden. Gerade, wo es doch auch andere Wege gäbe, wie schon erwähnt.

Für jeden möglich

Jeder kann das: die eigene Nullität im eigenen Bewusstsein erkennen. Und dann eben nicht davor wegzulaufen und die Einsicht betäuben zu wollen. Keine Forschungsinstitute in der Welt kaufen, keine Probanden „überreden“, sondern mutig sich selber zum Probanden machen für den eigenen Weg zu sich selbst. Sich selber zum Instrument und Experimentierfeld machen für den Entwurf eines selbstbestimmten Lebens.

Nebenbei: dafür braucht es auch keine komplizierten Gesetze, zum Beispiel zum Schutz der Probanden (die alle ja selbstverständlich vor allem zum Schutz der Experimentatoren verfasst sind). Da wird der Experimentator schon selber darauf achten, dass alles verantwortungsvoll durchdacht ist – schließlich ist er ja selber auch der Proband. Man braucht da keine Gesetze, Moralgebote und dergleichen. Der eigene Egoismus und die Angst reichen vollkommen aus.

Ist es da nicht auch ein Glück, Angst zu haben? Jedenfalls dann, wenn man sie nicht mit Milliarden (oder anders: Alkohol, Drogen, Computerspiele, Finanzspekulationen, Leistungssport etc. usw. usf.) zu betäuben versucht.

Es zählt nicht, was ich von mir IN DER WELT haben kann. Da, wo die Angst sitzt, bei mir selber, da sitzt auch das Gegenmittel. Ich bin es selber. Es kommt nur auf mich selber an. Und die Angst. Auch bei Milliardären.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Hier erlaube ich mir einen Hinweis auf mein Buch „Janko van’t Holt – Eine Parabel zur Rettung der Welt. ISBN 978-3-942108-19-5, erhältlich im Buchhandel oder =>hier. Darin begegnet Janko van’t Holt tief in der Erde, in völliger schwarzer Dunkelheit der Nacht, und sie klagt ihm ihr Leid: „Nimm mich mit, in dir, auf deine Reise. Vielleicht kann ich dann herausfinden, warum die Menschen so viel Furcht haben vor mir. Nirgendwo lassen sie mich walten, alles muss erleuchtet werden in der Welt, damit ich bloß vertrieben werde. Und dabei lebe ich doch in jedes Mensch Innern, dunkler bin ich nirgendwo als dort. Doch wenn die Menschen mich in sich entdecken, ja, dann treibt sie die Panik zur Flucht ins Helle, Laute, in die weite Welt und fort von mir.“ Menschen, die sich mit solchen eher spirituellen Themen auch gerne in Form von Geschichten befassen, sei das Buch hier ans Herz gelegt.


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Verbotener Spaß, erlaubte Pflicht – die Katastrophe unserer Zeit

Der Anlass

„Der Spaß ist verboten, die Pflicht erlaubt“, so fasste ein Freund den Charakter der in immer neuen Wellen auf uns hereinstürmenden Regeln „zum Infektionsschutz“ zusammen. Ein schlichter Satz, der aber symptomatisch hinweist auf tiefgründige Unterlagen der derzeitigen Ereignisse.

Nehmen wir diesen Satz doch einmal genauer unter die Lupe, „sine ira et studio“, also ganz nüchtern, und ohne auf gewiss vorliegende Sympathien und Antipathien Rücksicht zu nehmen. Was sagt er eigentlich genau?

Pflicht und Spaß

„Pflicht“ ist etwas, was dem Einzelnen auferlegt ist, „insbesondere auch das …, was von einer äußeren Autorität oder durch ein Gesetz von jemandem gefordert wird und Verbindlichkeit beansprucht“ (Wikipedia). Es trägt also den Charakter des nicht frei Gewählten, das ggf. auch die Möglichkeiten, Befindlichkeiten und Strebensrichtungen des Einzelnen unberücksichtigt lässt. In dem obenstehenden Satz also ganz offenbar vor allem Dinge, die eher unangenehm sind, keinen Spaß machen. Und genau das bezeichnet der Satz als „erlaubt“.

Im Wort „erlauben“ liegt in der Vorsilbe „er-“ die Bedeutung von „etwas hervorbringen“ darinnen, im Sinne von „etwas erschaffen“. Und im „-laubt“ steckt das loben, das gutheißen. Das Wort spricht also eigentlich davon, dass etwas hervorgebracht wird durch loben und gutheißen, und ist urverwandt mit dem altindischen Wort lōbháyati ‚erregt Verlangen, lockt an‘. Was erlaubt ist, sollte also eigentlich, der Wortbedeutung nach, wohl etwas Sympathisches sein, etwas, was man niemandem als „Pflicht“ auferlegen muss. In dem untersuchten Satz klingt das etwas anders. Die Formulierung scheint widersprüchlich, lässt aufhorchen.

Was Spaß ist, erklärt sich von selbst. Und wenn verboten ist, was Spaß macht, ist das ganz klar eine unsympathische Angelegenheit, da gibt es nicht viel zu verhandeln. Das Wort „bieten“ verbindet noch im mittelhochdeutschen die Bedeutungen für „anbieten, darreichen“ und „gebieten“ oder „befehlen“.

Mit der Vorsilbe „ver-“ ist die Verneinung verbunden, das Vergehen von etwas, ganz im Gegensatz zum „er-“ im Erlauben.

Der ganze Satz enthält also klar ein Über- und Unterordnungsverhältnis, in dem der eine dem anderen vorschreiben kann, was er in diesem Fall zu lassen hat: „Spaß“ nämlich, und was ihm „erlaubt“ ist, die Pflicht nämlich, das heißt das Gehorchen.

Freiheit und Selbstbestimmung

Warum so eine Sprachbetrachtung? Nun, sie differenziert genauer, was man normalerweise sowieso fühlt bei einem solchen Satz. Und diese Differenzierung weist auf Tieferliegendes hin. Nämlich darauf, dass wir in der Regel die Pflicht nicht lieben, den Spaß aber sehr wohl. Das hat seinen Grund darin, dass die Pflicht eben etwas ist, was nicht von uns selber ausgeht, was wir also in der Regel nicht frei gewählt haben. Der Spaß taucht hier als das Gegenteil auf, als das, was wir also selber, von uns aus wollen können.

In dem Satz spricht sich also der Freiheitswille des Menschen aus und die Empfindung, dass nur, was diesem Willen entspricht, auch eigentlich wirklich „Verlangen erregt“ und „anlockt“, und darum eigentlich „erlaubt“ sein sollte.

Darin spricht sich eigentlich die ganze Tragik unserer Zeit aus. Warum sind wir so darauf aus, vor allem Spaß zu haben, also angenehme Erlebnisse, und empfinden schon beim Worte „Pflicht“ eher etwas säuerliches, Ungeliebtes? Es gab doch Zeiten, da haben Menschen die Pflicht als heilig angesehen, also als etwas, was der Mensch aus sich selbst heraus anstrebte, wollte, und darum auch Freude an der Pflichterfüllung haben konnte. Warum ist das heute so anders? Warum sind die „Pflicht“ und der „Spaß“ so etwas Gegensätzliches geworden?

Charakter unserer Zeit

Ich will in diesem Text – auf diese Feststellung lege ich Wert – nicht irgendwen oder irgendetwas verurteilen, kritisieren oder dergleichen. Ich will nur beschreiben, um ausfindig zu machen, wie sich in allerkleinsten Dingen des Alltags ganz Grundsätzliches, für die Erkenntnis unserer Zeit Bedeutendes aussprechen kann. Darum auch solche scheinbar nutzlosen Sprachbetrachtungen; der Sinn wird sich gleich schon zeigen.

Dass „Pflicht“ und „Spaß“ für uns Gegensätze sind, weist auf ein Charakteristikum unserer Zeit hin: wir arbeiten, um die nötigen Ressourcen zu haben, um dann – zu leben, also Spaß zu haben. Die Arbeit ist in der Regel eher notwendiges Übel. Deswegen gelten ja Musiker und Künstler zum Beispiel vielfach nicht als „arbeitende Menschen“, denn sie machen ja bloss, „was ihnen Spaß macht“, tun also nichts Ernsthaftes, Bedeutendes. Arbeit ist eben Pflicht, und wir beneiden diejenigen, die ohne Arbeit genug haben für ihren Spaß1. Muss das eigentlich so sein?

Es hat seinen Grund in der Art und Weise, wie unsere Arbeit, unser schaffendes Tun in der Welt also, in die menschliche Gesellschaft eingeordnet ist. Arbeit gilt ja bei uns als etwas Käufliches, als Kostenfaktor bei Unternehmern, als in seinem Wert durch den „Markt“ bestimmt. Wenn man die Arbeit also billiger kriegen kann, nimmt man sie natürlich da. Nur: Arbeit gibt es niemals ohne den Menschen, der sie leistet. Der muss dann immer mit der Arbeit mitgehen. Er kann sie nicht auf dem Markt verkaufen, dann nach Hause gehen und den erlangten Erlös genießen. Er muss seine Lebenszeit dafür hingeben. Bei den alten Griechen kaufte man die ganzen Menschen als Sklaven. Im Mittelalter gab es Leibeigene. Und heute eben „Arbeitskräfte“, was mindestens für die gekaufte Lebenszeit nicht viel Unterschied macht zum Leibeigenen und Sklaven. Die Auffassung von der menschlichen Arbeit als Ware – käufliches Gut also – verletzt die Würde des freien Menschen; das fühlt heutzutage wohl fast jeder, und diese Empfindung liegt der Ungeliebtheit der Arbeit zugrunde.

Gleichheit im Recht

Jeder Mensch, der etwas arbeitet, gibt der Welt und allen anderen sein eigenes Leben hin, seine Zeit, seine Kraft, oft auch seine Gesundheit. Das gilt für alle Menschen gleich, und auf dieser Grundlage müsste eigentlich rechtlich geregelt werden im Hinblick auf die vorhandenen gesellschaftlichen Bedürfnisse, das heißt auf die in einer Region insgesamt nötige Arbeit, wie viel, wie lange und unter welchen Umständen jeder seinen Beitrag zu Ganzen zu leisten hat. Und eine solche rechtliche Regelung müsste selbstverständlich so getroffen werden, dass jeder Einzelne bei dieser Regelung betroffen ist und mitwirken kann, d.h. dass das, was er für andere fordert immer auch genauso für ihn selber gilt – also einfach demokratisch2.

Und genauso müssten natürlich auf rechtlicher Grundlage jedem, der etwas für die Gesamtheit schafft, auch die nötigen Mittel gegeben werden: Werkzeuge, Maschinen, Grund und Boden, was auch immer. Es ist doch eigentlich, bei näherer Betrachtung nichts weiter als ein völliger Unsinn, wenn jemand davon sprechen will, er habe einen Teil der Erde – also Grund und Boden – als sein persönliches Eigentum, mit dem er machen kann, was er will. Genauso wie der Mensch ja mitgehen muss, wenn seine Arbeit gekauft werden soll, was der heute immer intensiver empfundenen Menschenwürde widerspricht, soll mit dem Eigentum an Grund und Boden etwas Unmögliches getan werden: ein Stück Erde isoliert und vom Rest der Welt unabhängig gekauft und verkauft werden.

Besitz und Eigentum

Leider ist aber genau das heutzutage die Regel: die Menschen meinen, die Erde gehöre ihnen, und sie könnten damit machen, was sie wollen. Die Erde selber, und bei rechter Überlegung auch jeder klar denkende Mensch kann davon eigentlich nicht erbaut sein; die Erde wehrt sich ja inzwischen auch und macht uns klar, dass wir als Menschheit auf diese Art nicht mehr lange auf ihr weilen werden. Die Masse der Menschen hat aber offenbar noch nicht erkannt, wie unsinnig so ein Gedanke ist: ein Stück Erde zum willkürlichen Gebrauch ohne Rücksicht auf Verluste einfach als Eigentum haben zu wollen.

Um hier Missverständnisse zu vermeiden: Besitz ist keineswegs unsinnig, das ist – wie das Wort besagt – das „darauf sitzen“, sich und seine Tätigkeit darauf stützen. Wenn also auf rechtlicher Grundlage jemandem ein Gut zum Besitz gegeben wird, dann muß er selbstverständlich frei damit umgehen können, wir hätten ja sonst eine überbordende Bürokratie mit noch viel schlimmeren Herrschaftsmöglichkeiten, als sie derzeit bei uns in Deutschland jedenfalls gegeben sind (kommunistische Gesellschaftssysteme lassen grüßen … warum gehen sie auf die Dauer in Korruption und eigensüchtiger Nomenklatura unter?).

Der Mensch, dem wir im Vertrauen in seine Fähigkeiten ein Gut zur Nutzung für das Wohl der Allgemeinheit hin die Hände legen, muss natürlich seine Kräfte und Fähigkeiten frei entfalten können, nur dann wird er mit vollem Engagement und dadurch aucheffektiv arbeiten können.

Eigentum im Unterschied zu Besitz kann daher nur sein, was auf dem eigenen Schaffen beruht, also beim Künstler zum Beispiel die Gestalt (die nur geistig fassbare Form), die er einem Material gegeben hat. Das Material gehört weiterhin der Erde und allen Menschen gemeinsam. Die Ressourcen an Grund und Boden, Maschinen, Hilfsmitteln, die einem Unternehmer zur Verfügung gestellt werden, gehören natürlich der Erde und der Menschheit an, aber sein Umgang damit ist der originäre Beitrag des Unternehmers, der diese Ressourcen erst für die Allgemeinheit ertragreich machen kann.

Das ist nur ein Beispiel, das man aber auf sehr viele andere Situationen, bei genauem Hinsehen selbst für traditionelle Arbeitssituationen wie diejenigen in der Industrie anwenden kann.

Ideologie der Unfreiheit

Wo aber die Arbeit gebraucht wird, um die Menschen zu versklaven (nein, es sind nicht einfach nur die „bösen Kapitalisten“, die die Lage für sich ausnutzen, es sind alle Menschen, die überhaupt Arbeit als käuflich ansehen, die dafür sorgen, dass hier kein Umdenken einsetzt), da kann die Arbeit nur zu etwas werden, was ungeliebte Pflicht ist. (Und wo man die Erde als beliebig zerstückelbare Ware zum Zwecke der Eigentumsanhäufung ansieht, da kann sie nur leiden und nach und nach absterben.)

Damit man die Menschen weiterhin in dieser Unmündigkeit und Unfreiheit halten kann, hat man den Spaß erfunden, der eben der Gegensatz ist zur ungeliebten Pflicht. Strenge reformiert-protestantische Ideologie sprach davon, dass die Erde eben ein Jammertal ist, wo man nur immer arbeiten und leiden könne, und später erst, nach dem Tode, käme man ins Himmelreich, zum „Spaß“.

Heute geht das dann so, dass man eben nach der Arbeit (dem „Jammertal“) dann die Freizeit hat (in der man frei sein darf, im Gegensatz zur Arbeitszeit – das „Himmelreich“), wo man sich dann – scheinbar frei, aber gesteuert von der in der Arbeit unterdrückten Sehnsucht, seine inneren Impulse und Möglichkeiten zur Geltung zu bringen – bis in wüsteste (Selbst-)Zerstörung und Verschwendung „ausleben” kann.

Verfolgt man die Argumentationen, die die immer neuen Regelungen derzeit begleiten, so kann man leicht erkennen, dass die Ideologie „erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen“ offenbar das Denken mancher an den obrigkeitlichen Entscheidungen Beteiligter regiert. Es liegt das ja auch im Grundzug unserer Zeit. Aber es liegt dann auch an uns, uns allen, ob wir damit weiterhin einverstanden sind und – auch in unserem ureigensten Denken – mitmachen.

Freiheit kann heilen

Auf ein Weiteres muss hier noch hingewiesen werden; ausführen kann ich es hier nicht. Es ist doch eigentlich eigenartig, dass aus geistigen Tätigkeiten, wie zum Beispiel der ärztlichen, die ja darauf verpflichtet ist, in Ansehung des Einzelnen Leidenden heilend zu helfen, inzwischen Computermodelle geworden sind (also keine menschliche Arbeit mehr), die ausrechnen, welche Zukunft sich aus dem bisherigen Gang der Dinge ergibt, und diese Ausrechnungen dann herangezogen werden, um rechtliche Festlegungen zu treffen, die dann für alle Menschen gelten. Der Mensch – ein Teil eines Computermodells? Wo ist da Menschenwürde?

Derselbe Staat, der sich hier anmaßt, Heiler der Gesellschaft sein zu wollen, verteilt dann auch die Mittel, nach seinem Gusto, damit seine Art der Heilung auch erfolgen kann. Das ist wie der Säufer, der zur Heilung seines Alkoholismus immer neue Schnapssorten erfindet und behauptet, die würden ihn jetzt vom Saufen abbringen.

Dieser Staat sollte lieber selber einen Heiler suchen, bei den Menschen, die ihn ausmachen, um sich selbst in etwas zu transformieren, was den Menschen und ihren Bedürfnissen entspricht, also menschenwürdig ist. Er ist zur Zeit nämlich krank, sterbenskrank. Aber er braucht einen Heiler, der sich frei machen kann von dem Glauben, alle Bereiche des menschlichen Daseins sollten zentral von einer Stelle aus – dem Staat nämlich – reguliert werden.

Die geistige Tätigkeit der Menschen, also alles, was sich aus den individuellen Begabungen und Fähigkeiten der Menschen ergibt, ist individuell, und muss frei walten können. Dann wird auch der Mensch seine Fähigkeiten mit Freude in den Dienst der Allgemeinheit und der anderen stellen. Jedes Gesetz, jede Vorschrift, die hier angibt was und wie der einzelne zu sein und zu arbeiten hat, kann die volle Wirksamkeit des einzelnen Menschen nur behindern. Aber dies Gesetz der Freiheit gilt eben nur in Bezug auf die besonderen Begabungen und Fähigkeiten jedes Einzelnen.

Wieviel von seinem Individuellen er für die Allgemeinheit zu geben hat, das muss für alle Menschen gleich sein, also eine demokratisch festzulegende Rechtsregel, im Hinblick auf die vorhandenen Bedürfnisse der Menschen. Und das Wirtschaften ist dann eigentlich nur noch das Hervorbringen all dessen, was aufgrund der natürlichen Verhältnisse und der von den Menschen geleisteten Arbeit zur Befriedigung dieser vorhandenen Bedürfnisse möglich und nötig ist. Das kann nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit im Blick auf die Gesamtheit des Bedarfs erfolgen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

So bekommen die drei Ideale der französischen Revolution eine genauere Bedeutung:

Freiheit im Gebrauch der individuellen Fähigkeiten, im geistigen Anteil aller menschlichen Tätigkeit also; Gleichheit bei der Regelung all dessen, was für jeden Menschen gleich ist (die Fähigkeiten und Begabungen sind ebenso nicht gleich wie die Bedürfnisse, also nicht Inhalt demokratischer Festlegungen); Brüderlichkeit im gemeinsamen Hervorbringen all dessen, was zur Befriedigung der insgesamt vorhandenen Bedürfnisse nötig ist, auf der Grundlage der natürlichen Gegebenheiten.

Man kann auf dieser Grundlage immer weiter denken, bis in viele Einzelheiten hinein. Das Konkrete wird immer von den tatsächlich vorhandenen Menschen, den Naturgegebenheiten und dem mehr oder weniger effektiven Umgang damit abhängen. Das ist dann eben das konkrete Leben, aus dem sich die Einzelheiten erst ergeben.

So können sich dann Lösungen finden für viele ernsthafte Probleme, vor denen die Menschheit steht. Der Anfang ist aber immer da, wo jeder Einzelne anfängt, umzudenken, und davon abkommt, die Arbeitskraft des Menschen ebenso als Ware anzusehen wie die Erde, die unser aller Leben erst ermöglicht, und wo die Achtung vor der Freiheit des Individuums – nicht seiner Willkür! – den rechten Ort bekommt.

Rudolf Steiner in den Katastrophen unserer Zeit

Solche Gedanken stellte Rudolf Steiner bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, im allgemeinen Chaos nach dem ersten Weltkrieg dar und führte sie aus, unter dem Namen der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ Sie wurden damals nicht berücksichtigt.

Die zweite Katastrophe folgte dann auch bald: die allgemeine brutale Barbarei der Mitte des 20. Jahrhunderts, die schlimmer wurde als die vorige Katastrophe, und die gipfelte im Abwurf zweier Atombomben in Japan. Auch damals wurden zumindest in Deutschland Gedanken laut, die an Rudolf Steiners Darstellungen anknüpfen wollten. Sie blieben unberücksichtigt.

Es ist offensichtlich, dass die kommende, auch durch die Handlungen der Mächtigen zur Zeit aktiv vorangetriebene Katastrophe (in vielen, in unseren Medien weitgehend unberücksichtigten Ländern ist sie bereits da) noch tiefgreifender und furchtbarer werden kann als alles bisherige, auf allen Gebieten: Natur, Gesellschaft, Wirtschaft – alles Leben auf der Erde. Wer sich standhaft weigert, eine Lebensweise zu ändern, die ganz offensichtlich auf Lebenslügen basiert (Käuflichkeit von Erde und Mensch, Mißachtung des freien Menschen) – die Menschheit insgesamt also, das heißt jeder Einzelne von uns – muss damit rechnen, dass die Katastrophen sich immer weiter aufschaukeln werden, und das Menschsein ganz allgemein vielleicht unmöglich machen werden.

Ist es nicht erstaunlich, was man alles an tiefen Betrachtungen aus so einem einfachen Satz hervorholen kann: „Die Pflicht ist erlaubt, der Spaß ist verboten“?

© Stefan Carl em Huisken 2021

1 Konsequent gedacht, müsste man dann allerdings auch festhalten, dass sie nichts Bedeutendes tun.

2 Unter „Demokratie“ wird hier allerdings nicht die derzeitig überall vorherrschende Parteien- und Funktionärsoligarche verstanden, die heute oftmals mit dem Wort bezeichnet wird. Diese Art der Beherrschung von Untertanen sollte wohl eigentlich mit dem Ende des 19. Jahrhunderts schon als überholt gelten; leider hat sich diese Einsicht bisher noch nicht durchgesetzt.