Gun-Lah – Leseprobe

Gun-Lah Leseprobe Cover Sagen von Androulan Tabander

Nur Gueycimús Wohnung lag direkt auf dem Bajacu; die klei­ne Siedlung der Tabander lag am östlichen Fuße des Hügels, um den „Platz des Klanges“ herum. Die inzwischen wachsende Sied­lung der Kaunda lag auf der anderen Seite des Hügels, mehr zum Inneren des Landes gelegen, mit einem eigenen Festplatz in der Mitte, den die Kaunda „Guara“ nannten. Auch der Drontang hatte seine Wohnung dort genommen, ganz in der Nähe des Festplatzes.

Wenn die Throandai und manchmal der Bonigu selbst die Feste der Tabander und der Kaunda durch ihre Anwesenheit zu besonders heiligen Ereignissen machten, hatte Gueycimú daher immer die Ehre, ihnen besonders nahe sein zu dürfen, als einzi­ger gewöhnlicher Mensch in unmittelbarer Nähe des hohen Be­suches.

Einmal kam es so zu einem besonderen Fest der Aufstiegs­gleiche, einem Fest, das die Kaunda ganz unter sich zu feiern pflegten, auf ihrer „Guara“, auch die inzwischen am Bajacu wohnhaften. Immer feierten dann die Tabander ihr eigenes Fest in ihrer Siedlung, auf dem „Platz des Klanges“. Und immer wa­ren auch dort Throandai zugegen. Die Siedlung der Tabander wurde allerdings nach und nach immer kleiner; fast wohnten dort nur noch die Gehilfen und Lehrlinge der Meisterin Guey­cimú. Nichts wünschte Gueycimú stärker, als immer wieder die Throandai bei diesen Festen zu erleben, ihnen nahe zu sein – und dem Bonigu, der dieses Mal dem Fest durch seine Anwesen­heit besondere Weihe gab,

Das Hohelied der Tabander und auch die letzten Sprechge­sänge der Throandai waren verklungen, mit dem letzten Licht Risuhns begaben sich alle zu ihren Wohnungen, und auch Guey­cimú sank ins Einssein, als das letzte Licht verglomm. Was im Einssein erlebt werden konnte, das wussten nur die Throandai, vielleicht die Drontangi, manchmal ein klein wenig der Klang­meister der Tabander. Einen Sonderfall gab es allerdings: wenn ein neuer Mensch durch eine Frau ins Leben getragen werden sollte, dann tat er sich dieser Frau im Einssein kund. Und wenn sie dann am anderen Morgen, noch aus dem Einssein gelenkt, den Namen des Neuankömmlings aussprach, dann wusste sie auch im hellen Bewußtsein davon.

So war es in dieser Nacht bei Gueycimú: am Morgen von Ri­suhn in die Helle gerufen, sprach sie den Namen des Neuan­kömmlings aus: Karayácu, „Auge des Mondes“. Das war ein sehr ungewöhnlicher Name, denn der Mond, den die Menschen auf Androulan „Karayá“ nannten, bedeutete ihnen im Alltag wenig. Wenn Risuhns Licht verschwand, sanken die Menschen ins Einss­ein, Karayás Licht konnte sie nicht in der Helle halten, und so kannten sie ihn nur als im Dunst schwach sichtbaren Beglei­ter in Risuhns Helle.

Dennoch: Gueycimú wusste sicher, dass alles seine Ordnung so hatte. Die Diener des Urgrunds hatten dem Feste und dem Einssein beigewohnt, so würde auch der Name von ihr zu Recht gehört sein. Karayácu würde beim Tiefstand Risuhns in der Hel­le erscheinen. Das war ein Zeitpunkt, der nicht ungewöhnlich war; bei den Kaunda, so erzählte man sich, würden alle neuen Menschen zu dieser Zeit geboren. Bei allen anderen Völkern al­lerdings verteilten sich die Geburten gewöhnlich über das Jahr.


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Rantschilwis Weg – Leseprobe

Abreise

Rantschilwis Weg Sagen von Androulan Cover

Nur kurz und beiläufig berührten seine Füße wechsel­weise die Erde, wie zur kurz­en Ori­entierung für den nächsten langen Laufschritt, der ihn in ei­nem weiten Bo­gen vorantrug, bis wie­der eine neue Ausricht­ung der Bewegung nö­tig schien. Rant­schilwi be­merkte selbst kaum, wie er über den Boden dahin flog, in einer eleganten, ent­spannten Bewegung, die immer nur kurz von der Berührung seiner Füße mit der Erde neu be­lebt wurde.

Rantschilwi – sein Name würde in unserer Sprache etwa „Der-alles-sieht“ oder „Scharfes Auge“ bedeu­ten – Rantschilwi war erfüllt von sei­nem Ziel und sei­ner Aufgabe, denen er entge­geneilte. Risuhn, die „Welter­leuchterin“, erhellte ihm seinen Weg vom Him­mel herab. Manchmal trat sie in sein Gesichts­feld, wenn sich die Richtung seines Laufes änderte, weil der Unter­grund es er­forderte. Dann sahen auch seine Au­gen sie, ringför­mig umge­ben von dem viel­farbigen Schein der Luft, die ihn von ei­nem Fuß-Auf­setzen zum ande­ren trug, oft mehr als zehn Manns­längen weit. Ri­suhn: die große Füh­rerin, ohne die nie­mand sei­nen Weg in der Welt finden könnte.

Rantschilwi bemerkte all dies nur am Rande, denn für ihn gab es im Augenblick nur sein Ziel und seine Aufgabe, die zu er­füllen er auf dem Wege war. Er war aus seinem Heimatort, dem etwas nördlich der Mitte Androulans gelegenen Dorf Bocibao aufgebrochen, als der Drontang, der „Verkünder des Thronn“ ihn, Rant­schilwi, aus allen Bewohn­ern seines Heimatortes dazu bestimmt hatte, Auge zu sein für alle bei dem Er­eignis, das nun eintreten sollte, ganz im Südosten auf der äußersten Landzunge, wo die weißlichen Schwaden immer dichter wurden und der Boden aufhörte zu tragen. Dort also, wo Ba­gua, der un­ergründ­liche Ozean be­gann.

Im Thronn, den wir Heutige etwa „Wo-der-Ur­grund-spricht“ nennen würden, war der Ker­duonc eingekehrt. Kerduonc – der „Der-uns-die-Welt-gibt“ würde sein Name etwa heute lauten kön­nen, oder auch „Der Weltenhärter“. Seitdem waren viele Dinge anders geworden. Nur die Drontangi konnten den Thronn noch finden, durften sich dort auf­halten, alle anderen wurden ohne es zu mer­ken vom Wege abge­bracht.

Als der Drontang ihn, Rantschilwi, auf der Dorf­versammlung bestimmt hatte, waren die Bil­der wie­der aufgestiegen von Be­gegnungen der Vorfahren mit den Drontangi, da­mals noch zu vorbe­stimmten Zeiten am Ort des Thronn, wo der Urgrund di­rekt durch seine Diener sprach. Aber seit der Kerduonc dort an­gekommen war, ver­band sich mit dem Na­men des Thronn so­gleich auch das Gefühl einer großen Gefahr für jeden, der sich diesem Ort unbe­rufen näherte. So suchte niemand ernst­haft den Weg, sondern man mied die mit Bü­schen bewachse­ne Ebene, die den Thronn umgab, mit heiliger Scheu.

Mit diesem Gefühl einer großen Gefahr, die mit dem Thronn, dem „Mund des Ur­grundes“ ver­bunden sein könnte, war vieles schwieriger geworden. Bis in die kleins­ten Verrichtungen des Ta­ges konnte man bemer­ken, dass alles, was Rantschilwis Vorfah­ren noch als selbstverständ­lich und immer gleich erlebt und ge­tan hatten, nun Pflege und Aufmerksamkeit brauch­te. Eine Pfle­ge und Aufmerksamkeit zwar, die jeder von sich aus, ohne Zwei­fel und in größter Selbstver­ständlichkeit aufbrachte, aber an­ders als bei den Vor­fahren war es eben doch. Und diesen Unter­schied spürte je­der, wenn die Be­gegnung mit dem Drontang oder ein Weg an der großen Buschebe­ne vorbei in ihm die Bil­der aufrief von den Erleb­nissen der Vorfahren.

All dies lebte in Rantschilwi als ein großes, zusammenfassen­des inne­res Bild von sei­ner Aufga­be, während er gleichzeitig da­hin lief, in großen Bögen durch die manchmal weißlich, manch­mal vielfarbig schim­mernde Luft schwebend von ei­nem Fußtritt zum nächsten.

Eben ging sein Lauf an der Hügelkette entlang, hin­ter der die Buschebene begann. Am Ende der Hü­gelkette verlangsamte er seinen Lauf, um bei einer klei­nen Strauch­gruppe am letzten Hü­gel gänzlich inne zu halten. Hier würde er Holang treffen, „das große Ohr“, einen entfernten Ver­wandten aus dem Dorf Riyara im Westen, am Fuße des Androun, des Zentralgebirges auf An­droulan. Zusammen würden sie mit dem Vija­geda weiterreisen, das dort bei den Büschen für sie bereit lag. Der weite­re Weg ging über weiches Land, das den Füßen nicht ge­nügend Kraft und Richtung gab für einen guten Lauf. Mit dem Vija­geda könnten sie beide darüber hin schweben, bis zu der Land­zunge, die das Ende ihrer Reise bildete.

Die ganze Geschichte und zwei weitere finden Sie in Stefan Carl em Huisken Buch „Rantschilwis Weg“, das Sie => hier bestellen können. Weitere Informationen dazu finden Sie => hier.




Janko van’t Holt – Leseprobe

Janko van't Holt - UmschlagLangsam nur fand sich Janko hinein in die helle Welt um ihn her, als er aus diesem Schlaf erwachte. Zu lange hatten seine Augen das Licht vermissen müssen, das ihnen doch ganz allein ihren Sinn geben konnte. Eine ganze Weile brauchte Janko auch, um sich selber ins rechte Gleichgewicht zu bringen zwischen dem hellen Tag um ihn her und dem tief dunklen Abgrund der Nacht in sich. Freilich, schon immer hatte er sie in sich getragen, die Nacht. Aber er hatte es nicht gewusst. Darum hatte er auch selber nichts dazu tun müssen um den hellen Tag draußen und die schwarze Nacht drinnen ins rechte Verhältnis zu setzen. Jetzt wusste er davon, und das war ganz etwas anderes. Schließlich gelang es ihm doch. Und was er schon immer gekonnt hatte, nämlich mit allen Wesen der Welt zu sprechen, das lebte nun noch tiefer in ihm, denn nun wusste er auch, wie ein jedes Wesen sich ausnahm im dunkel-hellen Bereich der Nacht.

Nach und nach fiel ihm alles wieder ein, was er erlebt hatte. Die ganze Fülle stieg in ihm auf, alles, was er getan hatte, um seine Frage zu beantworten: Wie kann den Wesen der Welt in ihrem Leid geholfen werden? Er hatte gemeint, einer Antwort immer näher zu kommen, und doch war seine Frage nur immer größer und mächtiger geworden. Aber jetzt hatte er einen Gefährten bei seiner Suche, mit dem er sich ganz Eines wusste: Die Nacht in sich mit allem Leben, das sie in sich trug.

Was haben wir gelacht, liebe Nacht!“ sprach er in sich hinein, „Und ich weiß doch immer noch nicht warum! Kannst du mir nicht wenigstens einen ganz kleinen Hinweis geben?“

Nun,“ sprach die Nacht, „das Lachen hat dich endlich wieder in die Welt gebracht, dahin, wo du nun einmal deinen Weg erobern musst. Und in der Welt: wer macht dort aus den Dreien Eins? Wer trägt den Löwen und den Adler und die Kuh in sich?“

Na, das bist du, die Nacht!“ antwortete Janko, mit dem Erfolg, dass die Nacht schon wieder begann zu kichern.

Aber ich,“ kicherte die Nacht, „ich bin doch nicht in der hellen Welt!“

Wie Schuppen fiel es da Janko von den Augen: Ja natürlich, er selbst war es, der aus den Dreien erst ein Ganzes macht, denn er war durch die Nacht mit ihnen Eins geworden.

Ihr Wesen der Nacht habt aber auch Rätsel auf Lager!“ lachte er der Nacht entgegen, „es ist manchmal gänzlich zum Verzweifeln!“.

Rüstig schritt Janko nun vom Fuß des Berges fort, um den Führer noch einmal auf zu suchen, der ihm nun schon zweimal den Weg gewiesen hatte. Bald erreichte er das Dorf am Fuße des Gebirges und fand richtig auch den Führer dort vor seiner Hütte vor.

Da bist du ja!“ sprach dieser, als habe er Janko schon erwartet. „Weißt du denn nun, wohin dein Weg dich führen wird?“

Ich weiß wohl, dass ich bald nach Haus und zu Marie und meiner Mutter reise.“ antwortete Janko. „Doch ganz scheint mir mein Plan noch nicht gereift. Die Drei – der Mut, die Weisheit und die Lebensruhe, sie werden nur ein Ganzes dort, wo ich auch bin. Doch wie kann ich nun Sorge tragen, dass die drei und alle andern Wesen mit dem Wissen von dem Ganzen auch die dunklen Zeiten überdauern? Die Zeiten, in denen niemand sie noch kennen will?“

Nun,“ sprach der Führer, „so will ich noch ein drittes Mal den Weg dir weisen. Doch sage erst mir noch, wie es geschehen konnte, dass wir uns begegnen?“

Das ist leicht!“ lachte Janko. „Ich trug die Nacht schon immer unerkannt in mir, und sie ist jedem Wesen eins, das irgendwo nur leben kann. So warst auch du in ihr – in mir – und führtest meinen Schritt zu deiner Hütte.“

Bravo!“ rief der Führer. „Dann wirst du ganz gewiss auch selbst schon wissen, auf welchen Weg ich dich nun weisen werde!“

Und da war es wieder, das Gefühl in Janko, dass er eigentlich schon wusste, was zu tun sei, aber – es nicht fassen konnte. Genau so wie zuvor, als dann das große Gelächter ausgebrochen war, das ihn der hellen Welt zurück gegeben hatte. Fast wollte der Mut ihm sinken – fast! Aber schon sprach der Führer:

Doch damit du deinen Weg auch fassen kannst, will ich dir helfen! Wer fasst denn alle Wesen in ein Ganzes, und weiß auch noch davon?“

Das bin ja ich!“ rief Janko, und ergänzte: „Ob es noch einen andern gibt, kann ich nicht wissen.“

Nun denn, wovon die Menschen gar nichts wissen, das können sie auch schwerlich ganz zerstören. Und wenn der eine, den es gibt, mit allem Leben sich fort macht in die Nacht, die jeder Mensch schon in sich trägt und doch nichts weiß davon, so bleibt das Ganze und das Wissen doch am Leben.“

Doch wie soll dann die Welt einmal erneut davon erfahren?“

Dazu braucht es nur einen kleinen Ort, den finden kann, wer es aus seinem Herzen wirklich will. Auch du hast schließlich mich gefunden durch den Ruf in deinem Herzen. Bis dahin brauchst du alle drei: den Mut, die Weisheit, und zum Schluss vor allem Lebensruhe. Doch die sind nun schon unzertrennlich deine Freunde. Grüß deinen Wald, von mir, in dir! Wir werden uns zur rechten Zeit erneut begegnen.“

Und mit diesen Worten trat der Führer in seine Hütte, die sich im nächsten Augenblick auflöste, als hätte es sie nie gegeben. Aber jetzt brauchte Janko auch keinen Führer mehr. Sein Plan war klar.

 

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Seben Seebär – Leseprobe

Und diese anderen Zeiten sollten auch bald kom­men. Schneller als ge­dacht wuchs Seben soweit her­an, dass er selber die Welt, in die er gekom­men war, erfor­schen konn­te. Ein Fischer an Bord muss sich ja um Wind und Wetter und die Netze kümmern, und kann darum selbstverständ­lich einen eigenwilligen Kerl wie Seben nicht in jedem Au­genblick unter Kon­trolle ha­ben. Eilt Poppens Versuche, den Kleinen durch Ab­sperrun­gen für die Zeit der Fangfahrt in der Kajüte zu halten, erwiesen sich schnell als zwecklos. Das mark­erschüt­ternde wüten­de Gebrüll aus Sebens Mund war nicht lange zu ertragen, außerdem zeigte sich bald, dass man es hier mit einem außer­gewöhnlich kräftigen Kerl zu tun hatte, der nicht lan­ge fackel­te, wenn ihm etwas im Wege stand. Der gewandte Kletterer über­stieg man­che Absperrung in kürzester Zeit, und etwa­ige Hinder­nisse aus Fischern­etz überstanden das Rei­ßen und Rüt­teln der Kin­derhände regelmä­ßig nur kur­ze Zeit. So war es bald unver­meidlich, dass Seben, den sie spä­ter den Seebär nannten, schon in ungewöhnlich zartem Alter das Fischer­boot aus­führ­lich erkundete. Auf See, ver­steht sich, und bei jedem Wetter. Gerade bei Wind und Seegang war Eilt Poppen von seiner Fischerar­beit so in Anspruch genommen, dass für die Kinderbeaufsichtig­ung nicht viel Zeit und Kraft übrig blieb. Zwar hatte sich der Fischer allerlei einfallen las­sen, was auf den kleinen Fischerbooten mindestens für unge­wöhnlich gelten musste – wer hatte denn schon eine komplette Reling mit Netz­bespannung ums Deck, so etwas hindert doch bloß beim Auswerfen und Ein­holen der Net­ze? Die Hand­griffe hier und da an Deck, wozu waren die nötig, wenn ein Fischer doch beide Hände ständig für seine Ar­beit braucht? Außerdem erwiesen sich alle die­se In­stalla­tionen sehr schnell als wenig tauglich: der kleine Seben turnte bald wie ein Affe im Baum an Schoten, Fallen, Gaffeln und Spieren herum, dass einem Hö­ren und Se­hen vergehen konn­te. Hätte Eilt Poppen nicht der Satz des Wickwiefs in den Ohren geklun­gen: „Die Mächte sind dem Kleinen gewogen!“, er hätte schier verrückt werden müs­sen. So aber gewöhnte er sich bald an die wag­halsigen Aus­flü­ge seines Sohnes, und bald verschwand manche hin­der­liche „Schutzvor­rich­tung“ wieder von Deck. So sah das Fischer­boot ja auch wieder schick­licher aus.

Die Dorfbewohner von Endersiel beobachteten die Ent­wicklung ge­nauestens. In so einem Fall darf einem ja schließlich nichts entgehen. Und was man gleich ge­ahnt hatte, wurde ihnen nun eine sicher fest­stehende Tatsache: der Fischersohn Seben Eilts hatte einen be­sonderen Pakt mit den Unsichtbaren gleich bei seiner Geburt mitgebracht. Man konnte schließ­lich eins und eins zusammenzählen. Und wie es eben so ist mit dem Unbegreiflichen, rührt es immer eine dumpfe Furcht in den Menschen auf, eine Furcht, die sie selber als solche oft gar nicht bemerken, die sie aber doch dazu bringt, den richtigen Abstand zum Ge­schehen zu be­ach­ten. „De kann mehr as blot Brood eten!“ hieß es schon bald in Bezug auf Seben Eilts, den sie später den Seebär nann­ten, und solche Leute sind ja natürlich nützlich, wenn man ihre besonderen Fähigkeiten braucht, an­sons­ten hält man sie aber besser auf genü­gendem Ab­stand.

So kam es, dass der kleine Seben bei seinen selte­nen Landaufenthalten nicht recht Spielkameraden fin­den konn­te – die Kinder waren immer ge­rade hier und da unab­kömmlich –, und auch der Fischer Eilt Poppen fand „vor­sichtshalber“ an Land nur noch we­nig An­sprache. Tauchte er doch einmal im Dorfkrug auf, so saß er meist allein an einem Tisch, und bald brachte er selbst bei die­sen Gele­genheiten Seben mit – man woll­te sich ja schließlich ir­gendwie die Zeit vertreiben, wenn schon sonst keiner wirk­lich mit ei­nem sprach.

Auf diese Weise wuchsen die beiden – der Vater und der Sohn – nach und nach zu einem unzertrenn­lichen Paar zusammen, das einer nicht unfreundli­chen, aber doch auf Abstand bedachten Dorfbevölke­rung sein ku­rioses Leben als ständigen Anlass für Gerede, Gerüchte und dunkle Ver­mutungen präsen­tierte. Der unbändige Freiheitssinn des kleinen Seben steckte selbst den eige­nen Vater an, so dass beide bald immer weniger Rück­sicht auf Schicklichkeit und über­lieferte Gewohnheit nahmen. Sie lebten einfach daher, wie es ihnen passte, manchmal fröhlich, manchmal auch mit einem etwas bitteren Spott – was ihnen wie­derum we­nig neue Freunde machen konn­te.

Die ungewöhnliche, weil so ganz außerordentlich frühe Fischerlehre des Seben Eilts gipfelte nun in ei­nem neuen Höhepunkt, der jedem, der noch Zweifel hatte, ganz end­gültig bewies, dass dieser Junge mit den Mäch­ten im Bunde war.

Wie es ihre Gewohnheit war, waren Vater und Sohn mit dem ablau­fenden Wasser zum Fang aufge­brochen. Es wa­ren die ersten Herbsttage, und ein kräftiger, et­was böiger Nordwest versprach un­sicheres Wetter. Während die bei­den sich dem Seegat zwischen den Eilanden nä­herten, frischte der Wind auf. Der kleine Seben mochte wohl drei­einhalb Jahre sein, und er turnte sicher an Deck umher, als sei er von Natur aus mit dem Boot, der See und dem Wind verwachsen. So sinnierte jedenfalls Eilt Poppen, wäh­rend er seinen Sohn auch ein wenig stolz beobachte­te.

Im Seegat stand ordentlich Seegang, das konnte man schon von Wei­tem sehen. Es hatte zuvor ein paar Tage hef­tig erst aus Südwest, dann von Westen gebla­sen, und die mächtig rollenden Wogen von See türm­ten sich, zwischen den Inseln in die Enge getrie­ben, zu gischtbe­krönten mäch­tigen Wellen. Man musste schon Acht ge­ben, wenn man da hindurch wollte. Aber Eilt Poppen kannte das: ein paar we­nige steile Seen musste man neh­men, dann war man hin­durch und auf gutem Weg zu den Fischgründen. Er segelte das Seegat daher mit gerefftem Großsegel und in voller Konzen­tration an. Seben stand derweil auf dem Vorschiff, die Hände am Vorstag, und sang aus voller Brust seinen ei­genen, ganz urtümlich-schwer­mütigen Gesang, zu dem sich das ja schon ganz be­sondere Säuglingsgeschrei inzwi­schen entwickelt hat­te. Seltsam – wenn der Junge so sang, über­kam den Vater immer ein Ruhe und Furcht­losig­keit, die ihm schon im ersten Schrei seines Soh­nes wie ein Licht­strahl erschienen war.

Das Boot stieg nun die erste dieser steilen Seen im Gat hinauf. Hätte Eilt Poppen achteraus geschaut, er hätte im hinter ihm liegenden Wellen­tal den aufge­wühlt­en Sand des Meeresbodens sehen können. Aber dazu hatte er gar keine Zeit – das Boot musste ge­nau im richtigen Winkel zu See­gang und Wind gehalten werden, wenn alles klar gehen sollte. Vorn stand Seben und sang aus Leibeskräften.

Auf dem Gipfel des Wellenbergs angekommen, neig­te sich der Bug, um krachend in die gischtende See zu schlagen und dem nächsten Wellen­tal entge­gen zu ra­sen. Der Bug des Bootes verschwand einen Augen­blick hinter schlagenden Segeln und schäu­mender See. Als er wieder auftauchte, um sofort dem nächsten zu bestei­genden Wel­lenberg entgegen zu ei­len, war das Vorschiff leer. Eilt Poppen konnte es nicht glauben, hörte er doch deutlich – viel lauter und deutlicher als zuvor – den brüllenden Ge­sang seines Sohnes, dessen Klang sich mit dem Rauschen und Schlagen von Wind und Wellen zu einer abenteuerli­chen Symphonie ver­band.

Ehe Eilt überhaupt recht zur Besinnung kommen konn­te, nahm ihn die nächste Woge in Beschlag. Wie­der stieg das Boot gleichsam dem von dunklen Wolken ver­hangenen Himmel entgegen, wieder hing der Bug oben auf dem Gip­fel einen Augenblick in der Luft, ehe er kra­chend in den hinteren Abhang der Woge fiel, um dem Wellental entge­gen zu schießen. Und wieder ver­schwand auch ein guter Teil des Vor­schiffes in schäu­mender Gischt. Als es wieder auf­tauchte, konnte Eilt Poppen mit ungläubi­gem Stau­nen beobachten, wie eine kleinere, nachfolgende Welle seinen Sohn an Bord hob und sanft vor dem Mast absetzte – einen la­chenden Seben, für den das Ganze wohl mehr ein lus­ti­ges Spiel gewesen zu sein schien. Jedenfalls sang er jetzt umso kräftiger seinen Ruf der schäumenden See entgegen, und ein auf­merksamer Zuhörer konnte fast meinen, dass Wind und See ihm jetzt antworteten.

So kam es, dass auch der allerletzte Zweifel an Sebens Pakt mit den Unsichtbaren beseitigt war.

Die ganze Geschichte finden Sie in dem Buch „Geschichten vom Weltenrand“. Bestellen Sie es =>hier. Dort finden Sie auch Em Huiskens CD „Güntsied“, auf der das zur Geschichte gehörende Lied „Seben Seebär“ enthalten ist.




Rungards Rose – Leseprobe

eine zauberhafte Geschichte von Carl em Huisken

Weit entfernt von allen Ländern, die wir gewöhnlich zu unserer Welt zu zählen gewohnt sind, vor Urzeiten und doch so vertraut, dass man meinen könnte, es sei vorgestern gewesen, an einem Ort, von dem nie­mand wusste, und an dem jedermann doch schon einmal gewesen zu sein schien, kurzum: an einem unbekannten Ort mitten unter uns wuchs Rungard auf, vielleicht eine Königstochter, jedenfalls in einem Schloss, umgeben von herrlichen Gärten, deren schönster der Rosengarten war, den Rungard besonders liebte. In der Mitte dieses Gartens wuchs eine Rose, größer und schöner als alle anderen umher, eine Rose, deren An­blick niemand je vergessen konnte, der sie einmal besucht hatte. Die Nähe dieser Rose liebte Rungard besonders, und jeden Tag sah man sie entwe­der verträumt in den Anblick versunken oder geschäftig hier und da etwas herrichten, damit es der Rose auch gut ergehe.

Frei und ungebunden verlebte Rungard hier ihre Kinderzeit, umge­ben von den zahlreichen überaus freundlichen Bedienten ihrer Eltern, unter deren aufmerksamer Obhut sie schön und kräftig heran­wuchs. Eine einzige Regel hatte sie zu beherzigen: einen einsamen Bergpfad durfte sie nicht betreten. Dort sei oft ein einsamer Wanderer anzutreffen, hatte man ihr erklärt, und der habe ein besonderes Buch. Wenn Rungard ihm begeg­nete und in sein Buch schaute, sollte ihr wunderbares Leben im Schloss vorbei sein. „Darum warte, bis es Zeit ist!“ hatten ihre Eltern sie ermahnt. Nun, warum sollte sie dies Gebot missachten? Es gab gar keinen Grund, so viele wunderbare Erlebnisse warteten auf Rungard in Schloss und Garten, dass sie gar nicht auf die Idee kam, den Weg zu betreten. Leicht fiel ihr die Beachtung dieser Regel, wenn sie überhaupt hin und wieder daran dachte. Der Bergpfad war für Rungard eigentlich gar nicht vorhan­den, so schien es.

Eines Tages ging Rungard ganz nach ihrer Gewohnheit in den herr­lichen Ländereien spazieren, und als sie an der Einmündung des verbotenen Weges vorbeikam, mied sie ihn folgsam. Rund um den Fuß des Berges lief sie, folgte Bienen, Schmetterlingen und kleinen Vögeln und vergnügte sich mit ihnen. Ein besonders großer, rotbunter Schmetterling hatte es ihr am meisten angetan, und sie folgte ihm hierhin und dorthin, konnte sich gar nicht satt sehen an den Ornamenten seiner Flügel­zeich­nung und vergaß dabei alles andere um sich her. Immer weiter und weiter lockte der Schmetterling sie, und unversehens fand sie sich auf einem steinigen Pfad am Berg wieder, den sie noch nie gesehen hatte. Sie erschrak so sehr, dass ihre gerade noch vor Begeisterung geröteten Wangen plötz­lich ganz blass wurden. Sie kehrte sofort um und suchte den Weg zurück, dorthin, wo sie hergekommen war.

Nur wenige Schritte war sie gegangen, da erblickte sie vor sich einen gebeugten Mann auf einem Felsblock sitzen, Rungard den Rücken zu­kehrend, der versunken vor sich hin schaute und Rungard nicht zu bemer­ken schien. Leise trat sie an den Mann heran. Als sie über seine Schulter blickte, sah sie das aufgeschlagene Buch in seinen Händen. Bilder waren in diesem Buch, von atemberaubender Schönheit, wie Rungard sie noch nie erlebt hatte; als der Mann umblätterte, Blatt für Blatt, erschienen grausige Häßlichkeiten im Wechsel mit erhabener Schönheit, so das Rungard meinte, es müsse ihr das Herz zerreißen. Auch wenn ihr fast die Kraft ver­ging, sie konnte sich nicht losreißen von diesen Bildern. Erst als der Mann das Buch zuschlug, kehrte sie in ihre Welt zurück. Sie hatte sich unbe­merkt geglaubt, der Mann stand jedoch auf, sah sie mit weise leuch­tenden Augen an und sagte: „Du hast fürs Erste genug gesehen. Achte, dass du das Rechte tust!“ Damit drehte er sich um und schritt den steilen, steini­gen Pfad hinab, und ehe Rungard so recht wieder zu sich gekommen war, verlor sie ihn aus den Augen. Vielleicht war er um eine Ecke des Berges gebogen, vielleicht im Wald verschwunden, der seinen Rand bis in die Nähe des Bergpfades geschoben hatte. So konnte Rungard den Fremden nichts mehr fragen und ihm auch nicht folgen. Verwirrt und erschüttert eilte sie den Berg hinab, und fand sich bald auch in bekann­teren Gefilden wieder.

Zu Hause angekommen, konnte sie sich kein Herz fassen, von ihren Erlebnissen zu erzählen. Aber sie war stiller geworden, nachdenklicher, manchmal grüblerisch. Immer suchte sie zu verstehen, was ihr da gesche­hen war. Nicht lang dauerte es, bis ihre Eltern die Veränderung ihrer Tochter bemerkten. Milde wie immer, aber nachdrücklich und ein wenig sorgenvoll drangen sie auf Rungard ein, bis sie ihr Herz ausschüttete und alles erzählte, was ihr widerfahren war. „So früh? Aber es muss sein!“ sprachen die Eltern, und für den nächsten Tag wurde ihr eine große Veränderung in ihrem Leben angekündigt.

Am nächsten Morgen, nach einer durchwachten Nacht, fand sie vor dem Schloss einen gepackten Wagen vor, mit allem, was ihr nötig sein könnte. Ihre Eltern erklärten ihr, dass sie von nun an aus dem Land, dem Schloß und den schönen Gärten verbannt sei und mit dem Wagen in ein fernes, fremdes Land ziehen müsse. Nur der liebe, aber strenge alte Hof­marschall sollte sie begleiten, um ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Bitterliche Tränen weinte Rungard, aber es half nichts: die Eltern blieben bei ihrem Entschluss.

Bevor die Reise nun losging, überreichte ihr der Vater die wunderbare Rose aus der Mitte des Gartens, die sorgsam ausgegraben und in einen großen Kübel verpflanzt worden war. „Pflege sie gut, so wird sie dir helfen zu ihrer Zeit!“ ermahnte er die Tochter. Und die Mutter ergänzte: „Wo du auch bist, vergiss die Rose nie, und berichte überall von ihrer Schönheit, und verzage nie dabei. Sieh, dass du bei Zeiten den Garten richtest, damit die Rose ihren Ort hat und auch den anderen Menschen zu sehen sein kann!“ – „Das will ich alles beher­zigen!“ versprach Rungard, und ergab sich in ihr Schicksal. Die Reise konnte beginnen.

 

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Jabbo von Hugsand – Leseprobe

Das Watt ist eine seltsame Gegend, durchzogen von Prie­len, die zwischen den Sänden und Schlickbänken fast täg­lich ihre Lage verändern, so dass nur der Kundige im­mer weiß, welchen Weg er nehmen muss, um wohlbe­halten sein Ziel zu erreichen. Auch die Sandinseln, die mehr oder weni­ger weit vom Fuß des mächtigen Fest­landsdeiches entfernt irgendwo im Gewirr der Sandbän­ke und Priele liegen, zie­hen mit dem Drang des Stromes und des ewigen Westwin­des an der Küste entlang, lang­sam zwar, aber doch merk­lich. So war es jedenfalls Jahrtausende lang, bis der Mensch sich entschloss, den Elementen die Stirn zu bieten und feste Wälle im Wes­ten der Inseln auf­zurichten, aus Stein und Teer, um den ewig heranstür­menden Wogen die Kraft zu brechen. Nur zu oft aber er­weisen sich See und Sturm als stärker, und immer auf­wendiger wird es, diese Wälle zu halten. Alle paar Jahre muss etwas getan werden; aber was sind Jahre, Jahrzehnte, ja selbst Jahrhun­derte im Verhält­nis zum ewig gleichen und doch immer neuen Atem der See? Die­ses riesige, erdumspannende Wesen kann war­ten, bis des Men­schen kurze Frist abgelaufen ist; dann wird es wie­der in seine Rechte eintreten – mit oder ohne den Men­schen, je nach­dem.

Auf den Inseln, die sich in einer langen Kette von Westen nach Osten erstrecken, lebte man daher immer in dem Be­wusstsein, mit der Insel mitziehen zu müssen, eines Tages das Haus abbre­chen oder aufgeben zu müs­sen, um weit im Osten des alten Wohnplat­zes ein neues Zuhause zu errich­ten. Bei den ärmlichen Hütten der Ei­länder war das natür­lich leichter getan als bei den heu­tigen Be­ton­komplexen, aber ein unsicheres Leben blieb es doch allzeit.

Auf allen Inseln lebte man so – außer auf Hugsand. Hug­sand lag weit vom Deichfuß entfernt, kaum noch in Sicht­weite, und vom Lande aus nur per Boot oder – zu ganz be­stimmten Zei­ten – durch eine gefahrvolle und kräftezehren­de Wattdurchquerung zu errei­chen, auf der auch noch ein tiefer Priel durchwatet werden musste. Mancher Unkundige hatte sich schon hoff­nungslos da­bei verirrt, bis das Wasser­volk von den Schlickbänken ihn zu sich holte. Auch die Fahrwasser nach Hugsand waren gewunden und an Gefah­ren reich, und so war es kein Wunder, dass sich außer den Inselfischern kaum einmal jemand auf die Reise machte.

Dass überhaupt Menschen auf diesem Eiland leb­ten, lag an ei­nem außergewöhnlichen Vorzug von Hug­sand: die In­sel machte den stetigen Zug von Westen nach Os­ten nicht mit. Weit im We­sten der In­sel, durch eine of­fene Schlickpla­te vom eigentlichen Dünenkern getrennt, erhob sich eine mächtig hohe Düne, die – der Teufel mochte wis­sen, warum – nie­mals Schaden litt, wenn wieder einmal eine Flut von Westen heran­stürmte, an­geführt von den weiß schäu­men­den Bran­dungsrössern. Es schien, als ob die Düne für das Wasservolk eine ver­botene Zone sei, an die es niemals zu rüh­ren wagte.

Diese Besonderheit kannten natürlich auch die Hug­sander; aber die Düne war ja weit genug von ih­rem Wohn­platz in einem Dü­nental im Herzen der In­sel ent­fernt, darum mochte es dort sein, wie es wollte, man musste ja nicht hin­gehen. Es reichte für das kärgliche In­sulanerdasein völlig aus, den Schutz die­ses scheinbar uneinnehm­baren Boll­werks zu genie­ßen und darum sei­ne Hütten größer und schöner bauen zu können als auf den anderen Eilan­den. Wenn er eini­ger­maßen leben kann, was küm­mert dann den Insel­fischer das Merk­würdige, Düwel noch mal? Kärg­lich und arbeitsreich war das Leben sowie­so, wie auf jeder In­sel, und da musste man schon auch auf seinen Vor­teil be­dacht sein, wenn es einigerma­ßen gehen sollte!

Durch den Umstand mit der großen Düne bedingt, hat­ten nun Generationen von Menschen weitgehend unge­stört von den Ele­menten das Dorf, seine Wege und Gär­ten, die Pflanzen und Tier­welt dort hegen und pfle­gen können. Unvergleichlich reicher als auf den ande­ren Ei­landen blüh­te und summte es daher in dem Dü­nental des Dorfes. Mühsame Arbeit hatte man­chen ein­stigen Sandfleck in fruchtbare Erde verwandelt, und so war das Leben auf Hugsand von Generation zu Genera­tion behaglicher geworden.

Aber wie es so ist, wenn der Mensch es zu bequem hat: er ver­gisst leicht, was zum Erhalt dieser günsti­gen Lage nö­tig ist. Und dass dies einmal ins Unglück führen könnte, das ging aus einer alten Sage hervor, die die Großmütter den Kindern immer wieder zu er­zählen pflegten. Darin war von einem mächtigen Ha­sen die Rede, der die große Düne be­wohnte und hüte­te. Was auch durch menschliche Fehlbar­keit auf Hug­sand verlo­ren ging, es gehörte unwei­gerlich ihm, dem Meister der Düne, die darum durch jede Untat ei­nes Hugsanders größer und mächtiger wurde. Kurzsichti­ge Figuren konnten da wohl auf den Gedanken verfal­len, man müs­se nur recht ordentlich sündigen, dann wür­de die Düne um so siche­rer vor dem Wasservolk schüt­zen. Aber wie wertvoll ist dann noch das Leben im Schutz eines sol­chen Bollwerkes? Unmöglich soll­te es je­denfalls sein, den Hasen zu finden, geschweige denn, ihn zu schießen. Aber das versuchte ohnehin niemand ernst­haft, hatte man doch genug Respekt vor dem Unheimli­chen, das wegen ihres beinahe wi­derna­türlichen Daseins von die­ser Düne aus­ging. Am besten – so sagte man sich auf Hugsand – man vergaß im Alltag einfach, dass es die Düne gab, dann konnte sie einen auch nicht beunruhi­gen und auf dumme Gedan­ken bringen.

Aber einmal – so erzählte die Sage – sollte es doch nö­tig wer­den, den Meister der Düne zu finden. Eine Sint­flut soll­te über das Eiland hereinbrechen, und nur ein kühner und dreister Insula­ner sollte das Dorf noch ret­ten können. Er musste sich dann trauen, dem un­geheu­ren Hasen gegen­überzutreten, und erst, wenn man vom Dorf aus die Sonne aus der Düne auf­steigen sehe, sei die Insel gerettet.

Das war natürlich klar, sagten die Insulaner, das sind Am­menmärchen. Denn wer hat schon jemals die Sonne im Westen aufgehen sehen, wo sie doch sonst, in der Osterzeit regelmäßig, hinter der Düne unter­ging? Am­menmärchen also, eines erwachse­nen Men­schen nicht würdig!

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Burfjäll in der Stadt der tausend Gärten – Leseprobe

(…)

Nach einer unruhigen Nacht, in der er mehr­mals mit üblen Träumen erwacht war, machte sich ein un­ausgeschlafener Burfjäll mit den beiden Al­ten auf den Weg zum Ar­beitshaus. Erst führten ihn die beiden durch be­kannte Wege, bald aber ka­men sie in Stadt­viertel, die Burfjäll völlig unbe­kannt waren. Schließ­lich stiegen sie einen Berg hinauf; die steil an­stei­gende Straße wurde nach und nach kahler, und Burfjäll ahn­te, wohin der Weg führte: zu der einzigen Stelle der sonst so lieblichen Stadt der tausend Gär­ten, die ihm gleich unheimlich gewesen war. Oben, am gegen­über­liegen­den Hang nämlich war ihm ein Stadtteil aufge­fallen, der so ganz anders aussah als der Rest der Stadt. Kahl und grau lagen dort die Hal­len neben­einander, an denen nichts an die bunten und blüten­verzierten Häuser erin­nerte, von denen die Stadt sonst so voll war. Der Mund wurde Burfjäll troc­ken, ein Schauer lief ihm den Rücken hinab: da sollte er hin? Aber es gab kein Zurück. Bei einem scheuen Sei­ten­blick bemerkte er, wie die Frau ihn et­was be­sorgt an­sah, während der Alte still in sich hin­einlächelte.

Schließlich kamen sie bei einer der Hallen an, die sich nur durch ein großes Schild mit der Auf­schrift Arbeitshaus – Eingang von den anderen unter­schied. Ohne zu zögern tra­ten die beiden Al­ten ein, gefolgt von Burfjäll. Durch abgetre­tene Gänge kamen sie an eine Tür, deren Klinke so ab­gegriffen war, dass sie glänzte. Der Mann klopfte, und eine dröh­nende Stimme ant­wor­tete: „Herein!“ In dem Zimmer fan­den sie einen Herrn vor, der ebenso beweglich wie umfangreich war. Er saß zuerst in einem etwas spe­ckigen Büro­sessel hin­ter ei­nem alten Schreibtisch, er­hob sich dann aber, um Burf­jäll durchdringend zu mustern und den Alten dann an­zudröhnen: „So, das ist er also. Wann macht ihr euch wieder auf?“ – „Morgen, diesmal in die andere Rich­tung.“ antwor­tete der Alte. „Unsere letzte Reise im Übri­gen.“ fügte die Frau hinzu. „Gut!“ dröhn­te der Dicke, „dann wol­len wir mal.“ Er gab den beiden Alten die Hand, schlug dem Mann dabei auf die Schul­ter, dass er in die Knie ging, und tänzelte dann zu ei­ner anderen Tür, indem er Burfjäll hinter sich her­zog. Kaum hatte Burfjäll Zeit, sich von den bei­den lieben Al­ten zu ver­abschieden, da musste er sich eilen, um hinter dem Dicken herzu­kommen.

Der Weg führte durch ein schier endloses Laby­rinth von We­gen, Gängen, Treppen, Hallen, Kel­lern, Leitern und Ste­gen. Überall war Lärm; oft roch es nach Öl oder Feuer. Man sah Menschen, die an den riesigen Maschi­nen standen oder schwere Lasten schleppten. Die meis­ten sahen blass und schwach aus, ein Anblick, der Burf­jäll aus seiner Heimat ganz un­bekannt war. Jeder schien gänzlich von seiner Ar­beit mit Beschlag belegt; je­denfalls hörte Burfjäll während des ganzen endlo­sen Weges kein menschliches Ge­räusch au­ßer man­chem Seufzer, einem Prusten oder Stöhnen von schwer bela­denen Menschen und ab und zu den Erklä­rungen des Dic­ken, der sichtlich stolz er­läuterte, was hier und was dort ge­tan würde und wozu es gut sei.

Burfjäll taten die Menschen unendlich leid, die hier arbei­ten mussten. Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle, und ab und zu rollte eine Träne aus dem Auge, wenn er wieder jeman­den beson­ders hart schuf­ten sah. Erst nach und nach wurde ihm klar, dass auch er viel­leicht – nein, das konnte er nicht den­ken. Im­mer schwe­rer wurde es ihm, dem Dicken zu folgen, der unveränd­ert fröhlich plaudernd durch die Hallen eilte. Schließlich ka­men sie in eine zugige Hal­le, wohl ziem­lich am Ende des Arbeitshauses, in der es beson­ders dun­kel war. Schattenhafte Gestalten huschten auf und ab zwischen laut quietschenden und knirschenden Rä­dern und Stan­gen. „Hier ist es gleich!“ rief der Dicke fröhlich, und er schien nicht zu merken, wie Burfjäll das Herz fast ste­henblieb.

Ganz am Ende der Halle hing eine alte, schwere Bret­tertür etwas windschief in den Angeln. Ein ver­blasstes Holz­schild trug die Aufschrift Bitte klopfen! Der Dicke steu­erte auf die Tür zu, blieb davor stehen und klopfte zart gegen die Tür. Burf­jäll wunderte sich, dass die di­cken Finger so gefühlv­oll sein konn­ten. Geduldig wartete der Dicke, bis die Tür sich knarrend öff­nete. Burfjäll konnte nur erkennen, dass dahinter im Halbdunkel ein bärti­ger, uralt scheinen­der Mann mit funkelnden Au­gen stand. Er wechselte einige Wor­te mit dem Di­cken, die Burfjäll jedoch nicht verstand. Dann ver­abschiedete der Dicke sich aus­gesucht höflich und schob Burfjäll mit ei­nem Klaps durch die Tür. Alles ging so schnell, dass Burf­jäll erst wieder zu sich kam, als die Tür hinter ihm kra­chend zufiel.

 

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