Was hilft die Aufregung? – Die Kräfte wirksam nutzen

Die vielfältig belastenden Ereignisse, die einem täglich begegnen, lösen immer wieder Zorn, Angst, Empörung und Resignation aus, und die Aufregung über solche Neuigkeiten beherrscht vielerorts die Gespräche und Aktionen. Ist das hilfreich? Gibt es andere Verhaltensmöglichkeiten, die unsere Kräfte wirksamer nutzen für den erwünschten Fortschritt?

Den Tatsachen ins Auge schauen

Was auch immer an Neuigkeiten auf uns einstürmt, es scheint überwiegend eines zu bestätigen: der Kampf gegen das Böse (was auch immer das sei) muss weitergehen, und immer noch ist es nicht gelungen, dieses Böse auszurotten, damit wir endlich wieder unseren Frieden haben. Unsere offensichtliche Ohnmacht, das Böse zu beseitigen, verbunden mit immer neuen Meldungen über neues Böses in der Welt zermürbt die Kräfte, die sich nur darauf verlegen können, in Klagechören die Situation zu beweinen und ansonsten zuzusehen, wie die Welt untergeht.

Da waren die Manichäer1 in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung offenbar weiter. Ihnen war klar, dass das Böse in der Welt bis zum Erdenende Bestand haben wird, und dass daher die Hoffnung auf die völlige Befreiung vom Bösen keine realistische Grundlage hat. Vom heutigen Gesichtspunkt aus muss ja auch gesagt werden, dass wir um unserer Freiheit willen auf die Existenz des Bösen angewiesen sind: ohne das Böse gäbe es kein Bewusstsein des Guten (wie auch immer man das im Einzelnen beschreiben will), und damit keine freie Wahl. Wo es keine Wahl gibt, herrscht Unfreiheit – und die ist für Viele ja heute gerade der Inbegriff des Bösen.

Also sollten wir uns entschließen, die Existenz des Bösen erst einmal als gegeben zu akzeptieren. Neue Winkelzüge aus der Höllenküche können wir dann mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis nehmen. Das schont die eigenen Kräfte, die dann für Anderes frei werden.

Was ist eigentlich wirklich gut?

Diese Kräfte können wir dann wirksamer nutzen, um unsere eigenen Zeile zu verfolgen – und die sind doch natürlich gut, oder? Aber halt: ist nicht schon diese Unterscheidung eigentlich böse? Lebt nicht auf diese Weise das Gute, die Freiheit, die Harmonie und Einigkeit gerade von des Bösen Gnaden? Die Verwirrung kann immer mehr Platz greifen: was ist eigentlich wirklich gut?

Man sollte die Sache realistisch anschauen: die aus der einen Sicht „bösen Freiheitsfeinde“, die diejenigen mit der anderen Sicht auf die Dinge drangsalieren: was sollte denn mit ihnen geschehen? Alle einsperren, ihnen die Freiheit nehmen, alle „beseitigen“? Tun wir, die Guten also, denn dann etwas Anderes als gerade sie, die Freiheitsverhinderer? Es ist und bleibt doch so, bei aller Gegensätzlichkeit: wir Menschen sitzen alle in einem Boot, und müssen insofern lernen, gemeinsam auf der Erde zu existieren.

Das schafft ja gerade immer neue Probleme, dass im Wechsel der „herrschenden Weltanschauungen“ immer sehr schnell schlecht wird, was einst gut und richtig war. Die „gute Endlösung“ gibt es also nicht – wie schon die Manichäer wussten: das Böse hat seinen berechtigten Platz im Weltganzen, bis ans Erdenende.

Jeder Versuch, etwas Berechtigtes aus der Entwicklung gänzlich auszutilgen, wird scheitern. Und noch mehr: er wird schnell selber der Vernichtung, der Zerstörung anheimfallen, die er der „anderen Seite“ angedeihen lassen will.

Man kann also festhalten: ein absolut Gutes, das allein die Welt beherrscht, kann es nicht geben (nur mit Auslöschung aller Freiheit, was aber wieder „böse“ wäre). Was aber dann?

Liebet das Böse – gut

Für dieses Dilemma hatten die Manichäer einen Vorschlag, den wir Heutige uns vielleicht genauer ansehen sollten: sie wollten nämlich in ihrem Handeln das Gute in das Böse hineinmischen und so nach und nach für eine Umwandlung des Bösen in ein neues Gutes sorgen.

Damit könnte ja sozusagen jeder an seinem Ort jederzeit beginnen.

Gewiss, ein Paradies auf Erden (also einen Zustand von „oben“ gelenkter Unfreiheit auf der Basis der Unkenntnis des Unterschiedes von Gute und Böse – das ist ja das biblische Paradies) wird man so niemals erreichen können, und schon gar nicht in absehbarer Zeit. Aber vielleicht kann man Schritt für Schritt, bis hin zum Erdenende, einen Zustand des bewusst errungenen und daher freien Guten erreichen.

Was wäre dafür nötig? Dass man als freie Liebestat sich selber das Böse „einverseelt“ (in freier Nachbildung des Wortes „einverleibt“), um es dort aus den eigenen, die Gegensätze heilenden Intentionen heraus umzuarbeiten in ein neues, frei gewolltes Gutes. Ganz konkret würde das bedeuten, den Menschen, der Böses tut, nicht als Unmensch zu betrachten, als Sache also, die auf den Müll gehört (das wäre dann hier: aufs Schafott), sondern als verirrten Menschen, der seine eigene Verirrung nicht begreift, und deshalb einen Anderen braucht, der sie für ihn versteht und ihm darum helfen kann, ebenfalls zu verstehen. Der Hilfswillige wird dann allerdings die Geduld aufbringen müssen zu warten, bis der „Böse“ anfängt, seinen Irrweg einzusehen und dadurch für Hilfe überhaupt empfänglich wird.

Alles schön und gut – aber was hilft das jetzt?

Dass solche Überlegungen gar nicht unbedingt abgehoben sind, zeigt ein kurzes Gespräch, das ich neulich hatte, und das für mich auch zum Anlass für diesen Artikel geworden ist. Dabei tut es nichts zur Sache, welche Position die Beteiligten zu den aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen einnehmen; ich schildere sie nur zur Illustration, um die Sache anschaulich zu machen.

Ich befand mich also in einem Gespräch mit jemandem, der die derzeit so nachhaltig empfohlenen Injektionen experimenteller gentherapeutischer Produkte ablehnt, weil sie aus seiner Sicht, aufgrund der ihm vorliegenden Informationen vielfältige negative Wirkungen haben – man kann sie von diesem Gesichtspunkt aus ohne Weiteres als „Giftspritzen“ ansehen – und daher vorhersehbar zu unermesslichem menschlichem Leid führen müssen. Insofern sind diese Injektionen aus seiner Sicht eine „böse“ Sache, und der gesellschaftliche, moralische, politische und wirtschaftliche Druck, mit dem die Menschen derzeit diesen Injektionen zugeführt werden sollen ebenfalls.

Als wir die Sache so weit erörtert hatten, entstand die Frage, was denn nun zu tun sei. Einmal abgesehen von der äußeren Ohnmacht des Einzelnen dieser geballten „bösen Macht“ gegenüber, kamen wir auf die Frage, was denn überhaupt ein Ziel des eigenen Handelns sein könne. Anzustreben, die Propagandisten dieser Injektionen, die ja überdies mit zahlreichen Täuschungsmanövern, also unwahrhaftig zu arbeiten scheinen, und zudem all die nichtsahnenden Mitläufer, die den Druck der Propaganda ja durch ihr Mittun erst wirksam machen, aus dem gesellschaftlichen Leben zu entfernen – also einzusperren, umzubringen oder anders unfreiwillig unwirksam zu machen –; ein solches Streben wäre letztlich dasselbe, was man gerade den „Anderen“ vorwirft, was sie derzeit mit den „Verweigerern“ tun. Das Böse hätte dann gesiegt, die Spaltung zwischen den Menschen zementiert, und das mit unserer, also der „Guten“ Hilfe. Das kann es also nicht sein. Was aber dann?

Dann fiel der befreiende Satz, sinngemäß: „Wenn die Folgen dieser Injektionen und der daran geknüpften Maßnahmen dann sichtbar werden, das Leiden daran dann um sich greift, dann können wir, die wir die Spritze aus guten Gründen nicht genommen haben, die anderen doch nicht hängen lassen!“ Ganz gleich, wie die Sache ausgeht, ob dieses große Leiden kommt oder nicht – jeder kann sich ja geirrt haben –: hier zählt die Menschlichkeit und die ist in diesem Fall eben auch ein bisschen manichäisch.

P.S.: Auch diejenigen, die jetzt ganz rücksichtslos ihre Sicht der Dinge durch Manipulation und strukturelle Gewalt anderen aufzuzwingen suchen, kann man vielleicht in diese menschliche Regung aufnehmen: was ist denn, wenn sie die unermessliche Schuld beginnen einzusehen, die sie auf sich geladen haben? Das kann bald sein, oder später, vielleicht auch erst in einem nächsten Leben. Dann werden sie Hilfe brauchen, um ihre verlorene Menschlichkeit wiederzufinden.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Es gibt mancherlei Darstellungen über Manichäismus, die in vielen Fällen vor lauter Einzelheiten das Grundprinzip fast unsichtbar machen oder sehr einseitig ideologisch geprägt sind. Über das Grundprizip des Manichäismus vgl. vor allem Rudolf Steiner: Der Manichäismus. In: Die Tempellegende und die Goldene Legende, GA93, Dornach, 1991. S. 68 ff sowie die zugehörigen Quellenhinweise und -zitate in demselben Band.


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Geisteswissenschaft, Krise – und Katharsis?

Krise „mit Ansage“

Die gegenwärtige globale Krise – eine Krise der Menschheit als Ganzes also – ist eine „mit Ansage“. Abgesehen davon, dass diverse einflussreiche Gruppen aus geheimen Zusammenschlüssen, aber auch der weithin sichtbaren Großfinanz, seit Jahrhunderten ihre eigenen Interessen weltweit zur Geltung zu bringen suchen – die meisten davon sprechen sogar öffentlich von ihren Zielen, sorgen allerdings dann für die diskrete Handhabung ihrer Stellungnahmen in der Öffentlichkeit –, abgesehen also von diesen Interessensgruppen, die solche Krisen entweder produzieren oder für ihre Zwecke nutzen, gibt es noch weitere „Akteure“ auf diesem Feld, die vergleichsweise schwieriger aufzufinden sind. Diese Akteure sind zugleich wichtige Inspiratoren der jeweils machthabenden Interessensgruppen; sie regieren sozusagen „von höherer Warte“.

Sie hatte Rudolf Steiner im Auge, als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor vielfachen und sich steigernden Katastrophen warnte1 für den Fall, dass nicht in Bezug auf die Berücksichtigung des Menschengeistes im gesamten Kulturleben ein grundsätzliches Umdenken stattfinde. Dieses Umdenken hat ganz offensichtlich nicht im weiteren Kreis stattgefunden. Die Folgen sehen wir jetzt. Insofern – legt man Rudolf Steiners Warnungen zugrunde – haben wir eine Art Dauerkrise „mit Ansage”.

Umdenken

Welches Umdenken meinte Rudolf Steiner? Immer wieder verwies er darauf, dass die wissenschaftliche Betätigung des Menschen spätestens seit dem 19. Jahrhundert es darauf anlegt, den individuellen Menschen aus der Urteilsbildung über dasjenige, was als Wahrheit gelten soll, heraus zu befördern, mit der Begründung, der einzelne Mensch könne eben nur subjektiv urteilen und daher über die Wahrheit nichts wissen. Diese Auffassung ist ja eindrucksvoll von Immanuel Kant im menschlichen Denken über die Erkenntnis zur Geltung gebracht worden2.

Was alle diese Auffassungen unberücksichtigt lassen: sie sind alle von individuellen Menschen erdacht und damit subjektiv, über die Wahrheit letztlich nichts sagend –jedenfalls in ihrem eigenen Urteil, wenn man es konsequent anwendet. Alles Erkennen der Welt hat aber zwei polare Ausgangspunkte: Wahrnehmung und Denken. Von diesen beiden ist das Denken primär, denn auch die verstehende Einsicht über das Erkennen kann nur mittels des Denkens erreicht werden. Alle Theorien über die Welt, auch diejenigen, die die materielle Welt zur allein wirklichen machen und das Denken selbst aus dieser materiellen Welt erklären wollen sind – gedacht, und setzen damit das Denken voraus. Daran lässt sich einfach nichts ändern. Es ist dies eine universelle Eigenschaft des heutigen Menschen schlechthin, dass er eine Erklärung der Welt und seiner selbst nur durch Denken finden kann.3

Genau darauf bezog sich Steiners Reden vom Umdenken. Wenn schon die weltweite wissenschaftliche Betätigung sich darin ergeht, den konkreten, denkenden individuellen Menschen aus ihrer Betrachtung auszuschließen – als Untersuchungs-SUBJEKT, versteht sich, als OBJEKT verwendet man den Menschen dagegen gerne –, dann kann es auch nicht verwundern, dass die Ergebnisse solcher Wissenschaft, wie sie sich vor allem in der rasant wachsenden und immer mehr Bedeutung gewinnenden Technologie der Weltgestaltung zuwenden, den konkreten Menschen, wie er sich selbst erlebt, gänzlich unberücksichtigt lassen. Der Mensch ist und bleibt in solcher Betrachtung Objekt, mit dem man dieses oder jenes machen kann, experimentell, versteht sich, denn alle Wissenschaft dieser Art besteht in Theorie, Hypothese und Experiment. Anders glaubt man nicht zu irgendwelchen Einsichten kommen zu können.

Wenn man aber über den konkreten, individuell denkenden und derartige Wissenschaft betreibenden Menschen nichts weiß, weil man ihn aus der Betrachtung ausschließt: WER REGIERT DANN DAS DENKEN?

Geheime Regenten

Davon sprach Rudolf Steiner: von diesen, für das gewöhnliche Denken seiner Zeit (und noch viel mehr unserer Zeit) unsichtbaren Akteuren, die eben immer wieder durch diesen oder jenen individuellen Menschen die Menschheitsgeschichte inspirieren und auf diesem Wege auch „lenken“, wenn man es einmal so ausdrücken will. Diese Akteure kann im Prinzip jeder Mensch anerkennen und im Detail kennen lernen, der sich dazu durchringen kann, das weltbeherrschende Dogma von der Irrelevanz der Illusion eines individuell denkenden Subjektes aufzugeben und SICH SELBER ALS EINE VOLLE GEISTIGE REALITÄT anzuerkennen.

Dann nämlich wird klar, dass es ebenso wie den einzelnen individuellen, denkenden Menschen als Geistwesen gibt – Denken ist eine Tätigkeit, die durchaus nur im Geistigen wahrgenommen und ausgeübt werden kann –, auch Geistwesen geben kann, die keinen äußeren Leib haben und uns daher auf der Ebene der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung nicht unmittelbar begegnen können. Solche Wesen leben dann nur auf der Ebene des geistig-seelischen Erlebens – also IM MENSCHEN.

Gegenüber einem solchen Gedanken kommt verständlicherweise große „Reserviertheit“ auf: wie nun, sollte ich etwa in mir selber nicht richtig „Herr im Hause“ sein, sondern mindestens teilweise Instrument anderer, mir unbekannter Wesen? Den Gedanken, das eigenen Innenleben sei auch von feststellbaren Gesetzmäßigkeiten des Seelischen bestimmt, die einem selber unbewusst bleiben, das Handeln aber doch leiten, kann man ja noch gerade akzeptieren: er ist abstrakt genug, und die leitenden Gesetze auch eindeutig definierbar, damit kann man ja rechnen. Aber direkt in mir wirkende WESEN, mit womöglich eigenen Willensimpulsen, die mich durch das Unterbewusste unerkannt steuern? Dieser konkrete, gegenüber der abstrakten Vorstellung mehr oder weniger berechenbarer, also toter Gesetze viel realere, lebensvollere Gedanke lässt Furcht aufkommen – und bleibt darum zumeist unberücksichtigt.

Wirkende Geistwesen

Rudolf Steiner wurde nicht müde an immer neuen symptomatischen Beispielen aufzuzeigen, wie das Menschenleben und die Menschheitsgeschichte das Werk wirkender, sich offenbarender Geistwesen ist. Und diese Geistwesen können ebensogut in einzelnen menschlichen Individuen auftreten, wie sie durch Gruppen und einzelne Menschen hindurch, „im Geheimen“ sozusagen zu wirken vermögen. Rechnen die Menschen mit ihnen und ihren Intentionen, weil sie sie kennen und erkennen, so vermögen die Menschen ihr Leben wirklichkeits- und tatsachengemäß einzurichten und sich selber im Gesamtverlauf zur Geltung zu bringen. Rechnen die Menschen nicht damit, so bringen sich die die Menschheit begleitenden Wesen anderweitig zur Geltung.

Das ist dann die Frage der Katastrophen und des Umdenkens, von der Steiner sprach. Die Menschheit, derzeit gefangen in einem Dogma scheinbar objektiver (aber immer „subjektiv“ gedachter) Wissenschaft, wird dann eben von den Tatsachen auf anderen Wegen in Kenntnis gesetzt, wenn sie sich nicht selber durch eigene Anstrengung um ein Erkennen ihrer selbst und den Aufbau einer neuen Wissenschaft bemüht – einer Geisteswissenschaft, die dann ihren Namen verdient, weil sie von etwas Realem spricht. Ohne diese Wissenschaft wirken die „Akteure“ der geistigen Welt aus dem „Geheimen“, Unterbewussten, durch Natur- und Menschheitskatastrophen.

Katastrophen

Wie kommt es zu diesen Katastrophen? Indem die Ereignisse in Natur- und Menschengeschichte zu einer Entscheidung drängen4, die dann aber nicht oder nicht angemessen durch den Menschen erfolgt und damit die „Katastrophe“5 auslöst. In unserer Zeit also lässt sich sagen: denken die Menschen nicht um und berücksichtigen sich selber als geistige Realitäten nicht, sondern schreiben alles Geschehen weiterhin sogenannten „objektiven Gesetzen“ zu, so entscheiden sie eben gegen sich selber als Welten-Mitlenker, und für diejenigen Wesen, die sich durch tote Gesetze und die daraus folgende Technologie geltend machen.

Die transhumanistischen Ideen von der Verschmelzung von Mensch und Maschine (unter „Optimierungsgesichtspunkten“), wie sie von Klaus Schwab oder Elon Musk und anderen als erstrebenswert hingestellt werden, sind ja nur eine logische Konsequenz daraus. Wenn die Menschen sich nicht dazu aufraffen können, sich selber als geistig wirksame Akteure des Weltenwerdens geltend zu machen, in vollem Umfang auch Verantwortung zu übernehmen für das, was geschieht, dann geschieht eben, was andere wollen, die geheimen Akteure und die von ihnen inspirierten Machthaber, und die Menschen bleiben weiterhin unselbständige Objekte. Das mag für den Einzelnen zunächst einfacher erscheinen, aus Furcht vor der Realität des – eigenen und fremden – Geistes. Die Katastrophen werden aber folgen. Nichts anderes sagte Rudolf Steiner voraus.

Nun dient – in der griechischen Tragödie6 jedenfalls – die Katastrophe aber einem höheren Zweck: der Reinigung der Seele von Affekten, durch Mitleid und Furcht. Der Begriff hatte umfangreiche medizinische, religiöse und kultische Aspekte. Die „Katastrophe“ war in diesem Sinne also eine Art Erziehungsmittel, indem der Zuschauer der Tragödie durch die Krise in die Katastrophe geführt wurde mit dem Ziel der Katharsis7, der Reinigung der Seele.

Krise heute

Die Krise unserer Zeit ist aber gerade eine solche, die den Zuschauer – den alltäglichen Menschen also, der sich von seinen Affekten ebenso wie von heutiger Wissenschaft oder vom Glauben an die Versprechungen kirchlicher oder anderer Heilspropheten leiten lässt – gerade zur Entscheidung zu sich selbst als Mitwirkendem der Weltgeschichte drängen will. Ohne den einzelnen, individuellen Menschen und seinen selbstgewollten Beitrag geschieht eben immer nur dasselbe: Krise, Katastrophe, Krise, Katastrophe, und so weiter, bis sich die Menschen aufschwingen – oder eben an der eigenen Entscheidungslosigkeit zugrunde gehen. Die Katharsis könnte hier das mutige Ergreifen der eigenen Mitwirkung in der Weltentragödie8 erwirken, mit dem Ziel, das (ja auch sehr bequeme) Zuschauerdasein des Menschen zu beenden und ihn selbstbewusst in seine Verantwortung für die Zukunft eintreten zu lassen.

Das dauert viel zu lange, höre ich schon die Einwände, bis alle oder genügend viele Menschen davon überzeugt sind, ist die Erde schon x Mal am Ende. Das mag ja sein. Aber müssen den überhaupt erst alle, überhaupt sehr viele Menschen davon überzeugt sein? Reichen – im Hinblick auf das Geistwesen Mensch – nicht auch wenige Entschlossene? Haben wir es denn überhaupt einmal ernsthaft versucht? Oder haben wir immer darauf verzichtet – weil es ja zu lange dauert, und wir dann einfach immer so weitergemacht haben wie bisher? Aber: folgt die nächste Krise, die nächste Katastrophe dann nicht auf dem Fuß? Wann werden wir uns entschließen zu verstehen, und die Katastrophe zur Katharsis zu nutzen? Und dann aus uns, aus unserem Denken eine Geisteswissenschaft aufzubauen, die uns ein Zusammenleben mit den Entwicklungsfragen von Erde, Mensch und Menschheit ermöglicht?

© Stefan Carl em Huisken 2021

1Die Hinweise Steiners sind derartig viele, dass sich eine irgendwie verantwortbare Auswahl hier verbietet; man suche bei Steiner nach, und man wird fündig werden.

2vgl. z.B. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. – In: Kants Werke, Bd. IV, Berlin, 1968

3Genaueres lese man nach z.B. in Steiner, Rudolf: Die Philosophie der Freiheit, – Dornach, 1973. Einen Versuch der Darlegung für unsere Zeit habe ich gemacht in: em Huisken, Stefan Carl: Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen. – Borchen, 2021, erhältlich z.B. über www.emhuisken.de/shop

4das griechische Wort „Krisís“ bedeutete etwa „Urteil“ oder „Entscheidung“

5aus griechisch „Katastrophé“ – „Umwendung“, „Niedergang“)

6„Im Kontext der Tragödie bedeutet „tragisch“ im Gegensatz zur Alltagssprache aber nicht, dass etwas sehr traurig ist, sondern dass jemand aus einer hohen Stellung „schuldlos schuldig“ wird und damit den Sturz über eine große „Fallhöhe“ … erlebt …“ (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tragödie)

7griechisch „Kátharsis“ – „Reinigung“

8Lessing sah in der göttlichen Offenbarung ein Mittel zur Erziehung des Menschengeschlechts, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Erziehung_des_Menschengeschlechts


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.