Wozu braucht man den Darwinismus?

Charles Darwin Darwinismus
Charles Darwin

Die Vorstellung, dass jedes höher entwickelte Wesen im Gang der Entwicklung durch eine Art „Naturzüchtung“ im sogenannten „Kampf ums Dasein“ erst entstanden ist, weil es dabei eben sich stärker zeigte als seine Konkurrenten, ist so recht nach dem Geschmack bestimmter parasitär gestimmter Menschengruppen, die ihre vorrangige Aufgabe darin sehen, andere Menschen zu beherrschen zum Zwecke der Ausbeutung. Ein solches Bild der Entwicklung, in dem immer der Stärkere den Schwächeren besiegt und verdrängt, hat – wenn es als gültig angesehen werden soll – allerdings gewisse Voraussetzungen, die kaum jemand wirklich in Rechnung zieht oder gar öffentlich benennt.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als ein solches Menschenbild, das ja auf der Grundlage von Charles Darwins Buch „Über die Entstehung der Arten“ aufgekommen ist, immer größere Bedeutung gewann, wussten klar denkende Menschen von diesen Voraussetzungen und den damit verbundenen Folgen. So zitiert Rudolf Steiner 1904 in seinem Aufsatz „Über moderne naturwissenschaftliche Anschauungen“1 den Forscher W.H. Rolph, der bereits 1884 schrieb:

„Erst durch die Einführung dieser Unersättlichkeit wird das Darwinistische Prinzip der Vervollkommnung im Lebenskampfe annehmbar. Denn nun erst haben wir eine Erklärung für die Tatsache, dass das Geschöpf, wo immer es kann, mehr erwirbt, als es zur Erhaltung seines Status quo bedarf: dass es im Übermaß wächst, wo die Gelegenheit dazu gegeben ist. … Während es also für den Darwinisten überall da keinen Daseinskampf gibt, wo die Existenz des Geschöpfes nicht bedroht ist, ist für mich der Lebenskampf ein allgegenwärtiger. Er ist eben primär ein Lebenskampf, ein Kampf um Lebensmehrung, aber kein Kampf ums Dasein.“2

Damit wird gleichzeitig klar: wer unersättlich ist, braucht den Lebenskampf, um seine Unersättlichkeit auszuleben und sie dabei auch noch als eine für den Menschen unausweichliche Naturnotwendigkeit hinzustellen. Und auch „rein menschlich“, moralisch sozusagen, steht er fein da: er ist ja nicht schuld an den Folgen, das ist eben alternativlose Naturnotwendigkeit.

Solche ausweglosen Situationen, in denen „höhere Gewalt“ dieses oder jenes alternativlos erzwingt – so wird es uns jedenfalls von gewissen tonangebenden Kreisen immer wieder eingehämmert – kennen wir aus der Gegenwart und unmittelbaren Vergangenheit ja zur Genüge. Dass die Sache vielfach nicht recht schlüssig scheint, bemerken allerdings auch immer mehr Menschen. Und dann sucht man die Schuldigen, die „bösen Menschen“ (die „bösen Darwinisten“?), denn wenn man die mit der moralischen Keule auf dem Umwege der Mobilisierung der Massen dann aus ihren Positionen vertrieben hat, so meint man, wird alles besser. Ist das wirklichkeitsnäher als das „Darwinistische Prinzip der Vervollkommnung im Lebenskampfe“?

Was man dabei übersieht, ist dies: man versucht im „Kampf ums Dasein“, im „Lebenskampfe“ nun eben auch mitzuspielen, nur von vermeintlich „höherer moralischer Warte“ aus. Die zugrundeliegende Ideologie – den „Darwinismus“ als solchen, mehr oder weniger simplifiziert – zieht man nicht in Zweifel. Man macht einfach im„Lebenskampf“ mit und bestätigt so durch die Tat dessen daseinsbeherrschende Macht, die – wie ja schon Rolph erkannte – letztlich untrennbar mit der menschlichen Unersättlichkeit verbunden scheint. Aber ist das überhaupt so?

Gewiss: die Exzesse kolonialistischer Kriege, die menschenverachtenden Wirtschaftssysteme sind ja ebenso vorhanden wie die sexuellen und drogenstimulierten Ausschweifungen mancher derzeit die Weltenlenkung darstellenden Figuren. Und dass die Unersättlichkeit parasitierender Triebtäter vor allem aus Übersee nahe daran ist, die menschliche Zivilisation insgesamt zu vernichten, kann ohne gezieltes Wegsehen und Weghören kaum noch jemand ernsthaft ableugnen. Allerdings: die Situation ist nicht ausweglos.

Abgesehen davon, dass sich das gesamte darwinistische Denkmodell ziemlich problemlos anhand von Tatsachen widerlegen lässt3, kann man solch eine Sachlage auch so lakonisch kommentieren wie Rudolf Steiner das obige Zitat von W.H. Rolph schon 1904: „Nur natürlich ist es, daß sich bei solcher Lage der Tatsachen die Einsichtigen gestehen: Die materialistische Gedankenwelt taugt nicht zum Aufbau einer Weltanschauung. Wir dürfen, von ihr ausgehend, nichts über die seelischen und geistigen Erscheinungen aussagen.“4

Die Unersättlichkeit des Menschen (eine „seelische Erscheinung“ also) ist ja nur für denjenigen eine Art unausweichlicher Zwang, der sie in seinem Denken zu einem solchen macht. Das ist dann ein Denken, das hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt und leugnet, dass es sich selber zu steuern in der Lage ist. Das wäre ja ein unbequemer Weg, auf dem man selber Verantwortung für die eigene Weltanschauung übernehmen müsste, frei und ohne Scheuklappen, selber denkend. Was daraus als Taten erflösse, müsste der Einzelne dann auch selber verantworten. Das will er allerdings vielfach nicht, und so bastelt man sich lieber ein Welt- und Menschenbild, in dem die Freiheit des Menschen zugunsten reiner Triebtäterschaft (seien es sogenannten „höhere moralische“ oder „niedere“ Triebe) zurücktritt und die Schuld daran dann weiterhin anderen – Gott, irgendeinem „Gegner“ oder eben der „unausweichlichen Weltgesetzlichkeit“ – zugeschoben werden kann.

Wer diese Situation nachhaltig durchdenkt, und daraus auch Konsequenzen ziehen will, kann gar nicht anders, als sich selber – und damit den Menschen schlechthin – als Geistwesen anzusehen, das sich selbst verloren hat und nun vor der Aufgabe steht, sich selber wiederum – dann allerdings bewusst und frei – unter Kontrolle zu bekommen.

Darum ist es in der derzeitigen Weltlage gar nicht die erste Frage, was konkret zu tun sei, sondern vielmehr, wie jeder Einzelne (und nach und nach immer mehr davon) erst einmal zur Einsicht kommen könne in die Grundlagen seines Handelns. Handeln wir wirklich selber oder überlassen wir die Steuerung unseres Willens dunklen Trieben, zu deren freier Verwendung? Oder, anders gesagt: Wer bestimmt unser Handeln – das eigene ICH oder ein dunkles Triebwesen?

Der „man“, der sich nicht einmal selber benennen mag, nicht einmal den eigenen Namen kennt, der ICH heißt, braucht den Darwinismus zur Rechtfertigung seiner Freiheits-Unwilligkeit, also seiner Bequemlichkeit. Der freie Mensch lehnt ein solches Denken in „Unausweichlichkeiten“ ab, denn es hindert ihn an der eigenen Höherentwicklung im Dienste der (eigenen) Menschlichkeit.

© Stefan Carl em Huisken 2023

1Steiner, Rudolf: Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie 1903-1908. GA 34. – Dornach, 1987, S. 457ff

2Zitiert nach Steiner ebd., S. 464

3Vgl. zum Beispiel Delor, Andreas: Atlantis aus aktueller hellsichtiger und naturwissenschaftlicher Sicht. Band 5a. – Borchen, 2018. S. 6ff

4Steiner, Rudolf: ebd.


Cover Wahnsinn und Denken Menschen-Werden

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Konfessionen, Wissenschaft, Neue Offenbarung – und das Verstehen

Woher Unfreiheit stammt

Wer glaubt, ist unfrei. Denn in seinem Glauben sucht er Anleitungen für sein Handeln. Und wie diese Anleitungen zustande kommen, weiß er nicht – sonst könnte er ja alles überprüfen, und dann wäre es kein Glaube mehr. Einige Beispiele.

Traditionelle Religion – die Konfessionen

Der traditionelle Glaube an einen Gott entsteht aus dem Entschluss, durch bestimmte Urkunden und/oder Priester verkündete, nicht sinnlich wahrnehmbare und mit dem normalen Alltagsverstand nicht ergründbare Offenbarungen für wahr zu halten. Dazu treibt uns zumeist ein Gefühl, das im alltäglichen Leben etwas vermisst, uns dieses alltägliche Leben an entscheidender Stelle unvollkommen erscheinen lässt. Und da wir in den alltäglichen Wahrnehmungen und auch in unseren Möglichkeiten selbständigen Denkens zunächst nichts finden, was uns diesen Mangel beheben kann, greifen wir zu den Offenbarungen, die unseren Altvorderen scheinbar noch zuflossen und die sie für uns – ihre Nachwelt – einst aufgeschrieben haben. Immerhin: diese Dinge sind alt und bewährt, das macht uns das Glauben leichter.

Aber: gelten denn die alten Offenbarungen ungeschmälert auch heute? Müssten sie nicht ganz andere Inhalte und vor allem Formen bekommen, damit sie uns und unseren Lebensumständen ganz entsprechen könnten?

Wissenschaft

Überprüfen – so sagt die derzeit weltbeherrschende Lehre der Wissenschaftlichkeit – kann man alles, was über die unmittelbar wahrgenommene Sinneswelt hinausgeht, nur durch exakte Wissenschaft. Das versucht diese Wissenschaft dann auch, aber sie legt dabei bestimmte Annahmen zugrunde, die sie meint, nicht überprüfen zu müssen. Eine dieser Annahmen besteht darin, nur das für wissenschaftlich begründet zu halten, was durch wiederholbare, kontrollierte Experimente immer wieder die gleichen Wahrnehmungen in der Sinneswelt hervorbringt. Darin versteckt sich die zweite Annahme: dass nämlich alles nicht sinnlich Wahrnehmbare nicht wirklich sei.

Eine solche Auffassung kommt zu dem Ergebnis – jedenfalls wenn sie ehrlich bleibt – dass es eine direkte Erkenntnis der Wirklichkeit nicht geben kann, nur mehr oder weniger wahrscheinliche Annäherungen daran. Und dann muss man eben, solange sich nichts Anderes als wahrscheinlicher herausstellt, an die bisher besten Wahrscheinlichkeiten glauben, und damit im Leben hantieren.

Ja, die Wissenschaft fordert in diesem Sinne Glauben. Sie fußt ja auch auf Glauben: dem Glauben, alles nicht sinnlich wahrnehmbar Aufzeigbare sei nicht wirklich. Aber sind denn die Menschen, die so an „die Wissenschaft“ glauben, ganz unwirklich? Man kann sie ja nicht experimentell „beweisen“, warum es auch Auffassungen gibt, die Dinge wie „Geist“ und „Seele“ – also den konkret sich und die Welt erlebenden Menschenkern – für Illusionen halten.

Ein Vorzug dieses „Wissenschaftsglaubens“ ist es, dass die Priester dieser neuen „Kirche“ die anderen Menschen leicht glauben machen können, bei ihnen – den Wissenschaftlern – müsse man nichts glauben. Es ist ja alles „exakt überprüft“! Dazu muss man nur die oben genannten Grundannahmen als „Selbstverständlichkeiten“, die nicht weiter hinterfragt werden müssen, effektiv genug in den Menschen und ihrer Seelenverfassung verankern. Dies geschieht, seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten durch die aus alter Priesterzeit tradierten, auf Autorität gebauten Bildungseinrichtungen. Wir selber sind Produkte davon.

Neue Offenbarung

Wenn also traditioneller religiöser Glaube und Wissenschaftsglaube uns in der Unfähigkeit zum Auffinden der „wahren Wirklichkeit“ halten, uns ja teilweise glauben machen, die gäbe es gar nicht, wie kommen wir dann aus der Notwendigkeit zu glauben heraus? Wir müssten dafür ja eine neue Offenbarung erhalten, die wir unmittelbar in ihrer Wahrheit erleben können und die darum keinen Glauben an die Überlieferung und keinen Glauben an wissenschaftlich festgestellte Wahrscheinlichkeiten fordert. Eine solche Offenbarung haben wir aber in der Regel nicht.

Aber es gibt da Ausnahmen: Menschen, die von sich sagen (oder von denen Andere sagen), sie seien „hellsichtig“, könnten also für den Normalmenschen Unwahrnehmbares anschauen, und die sich gegenseitig bestätigen oder manchmal auch streiten. Ich nenne nur ein paar Namen aus der fast unbegrenzten, in den letzten Jahren rapide zunehmenden Zahl solcher Menschen: Christina von Dreien, Iris Paxino, Jose Martinéz, Thomas Mayer, Dirk Kruse, Chamuel, Judith von Halle, Daskalos, Verena Staël von Holstein – viele andere könnten noch genannt werden. Bei allen ist von unmittelbaren Geisterfahrungen die Rede.

In der Regel sammelt sich um solche Menschen schnell eine Art „Gemeinde“, die eben – glaubt, was diese Menschen sagen. Ich möchte hier betonen, dass damit nichts gesagt ist ist über Wahrheit oder Unwahrheit der jeweiligen Aussagen. Das Grundproblem bleibt aber bestehen: für den „Normalmenschen“ gibt es zunächst kein untrügliches Kriterium, an dem sich der Wahrheitsgehalt der Aussagen solcher „Hellsichtigen“ überprüfen ließe.

Wahre Erkenntnis

Allen dargestellten Wegen, der Wirklichkeit näher zu kommen, so weit sie über das robuste, naive Alltagserleben hinausgeht, ist gleich die Tendenz zur Unfreiheit des Einzelnen, der sich von so oder so gearteten und bestimmten „Autoritäten“ führen lassen muss, heißen sie nun Priester, Wissenschaftler oder Hellsichtige.

Die Grundlage

Wie also kann es dann möglich werden für den Menschen, Anleitung für sein Handeln zu finden, die er nicht auf geglaubte Aussagen Anderer bauen muss? Gibt es so etwas überhaupt, oder muss eben jeder Mensch glauben, was er kann und will, und allen gemeinsames Wissen von einer Wahrheit ist unmöglich? Dann wäre die Lenkung des menschlichen Zusammenlebens immer nur der Kampf darum, wem eben am meisten geglaubt wird; ein Abgrund, in dem der überzeugendste Lügner schnell auch der mächtigste Menschheitslenker werden könnte.

Stehen wir nicht weltweit gerade im Augenblick vor dieser Frage: gibt es Wahrheit für den Menschen, oder gibt es nur Macht, die dann eben auch bestimmen kann, was als Wahrheit zu gelten hat?

Fänden wir einen Weg zu einem für jeden Menschen zugänglichen Wahrheitskriterium, so läge darin auch eine Chance, das allgemeine Verharren im Glauben dieser oder jener Art und damit die Abhängigkeit von äußeren Autoritäten zu beenden. Wenn jeder beurteilen kann, wer wahr spricht und wer nicht, haben Lügner keine Chance mehr.

Dieses Kriterium gibt es. Es lässt sich finden, wenn wir ansetzen bei den unhinterfragten Vorurteilen, denen das allgemeine Denken der meisten Menschen unbemerkt aufsitzt. Das wichtigste dieser Vorurteile liegt in dem Versuch, die Welt, wie sie wahrgenommen wird, nur aus dieser Welt selber erklären zu wollen. Dies ist aber gar nicht möglich, denn der Erklärende, der dieser Welt gegenübersteht und sie zu erklären sucht, ist zwingend notwendig für das Entstehen einer solchen Erklärung. Die Auffassung, dieser Erklärende selber sei nur ein Teil der zu erklärenden Welt, ist bereits ein Ergebnis einer bestimmten Richtung der Deutung der vorliegenden Tatsachen und damit ein Vorurteil und nicht eine tatsächlich vorhandene Voraussetzung zur Deutung. Voraussetzung für das Entstehen einer Welterklärung ist grundsätzlich nur die Existenz der zu erklärenden Welt (das Objekt) und zugleich das Vorhandensein des erklärenden Subjektes.

Was hier gegeben wird, ist noch keine Deutung der Situation, sondern nur das beschreibende Konstatieren von Tatsachen, das jeder unvoreingenommene Betrachter unmittelbar nachvollziehen kann. Unmittelbar einsichtig ist auch die Tatsache, dass die von einem Menschen erlebte Welt (also das, was in seinem Erleben als ihm gegenüberstehende Welt auftritt) und dieser bestimmte erlebende Mensch niemals voneinander unabhängig vorhanden sein können. Genau dieser eine Gesamt-Weltinhalt kann nur von genau diesem einen Subjekt erlebt werden. Wäre das Subjekt ein anderes, wäre auch die Erlebenswelt eine andere, und umgekehrt.

Das „Dreigestirn“

Zu jeder solcher Erkenntnissituation gehören also genau drei Glieder: das Erkenntnissubjekt („Ich“), das Erkenntnisobjekt („die von mir erlebte Welt“) und die übergeordnete Einheit beider, die im Alltag gewöhnlich unbewusst bleibt und nur in die innere Betrachtung tritt im Rahmen eines Erkenntnis- und Denkweges, wie er hier geschildert wird.

Dieses „Dreigestirn“ ist daher etwas, was

  • in der äußeren, gegebenen Weltwahrnehmung als Ganzes nicht vorkommt;
  • erst vom denkenden Subjekt hervorgebracht werden muss;
  • für welches Hervorbringen nichts als das Denken selbst vorausgesetzt ist;
  • welches nur in der inneren denkenden Betrachtung anschaubar wird;
  • dann aber ICH-Subjekt, Welt-Objekt und die Ganzheit beider einschließt;
  • und daher auch seinen Entstehungsgrund – das im Subjekt realisierte Denken – einschließt.

Das in der denkenden Selbstbeobachtung so auftauchende „Dreigestirn“ braucht also zu seiner Entstehung und Aufrechterhaltung nichts weiter als den in ihm selber auftauchenden Willen zu sich selbst. Es ist damit durch sich selber wahr, das heißt, es benötigt zu seiner Existenz und Beschreibung nichts als sich selbst. Es ist also durch seine Existenz selber wahr, und kann darum in der Art seiner Entstehung und Konfiguration als Maßstab für die Wahrheit gelten. Was in gleicher Weise aus sich selbst existiert und erklärbar ist, ist wahr.

Die Menschheitsaufgaben verstehen

Das ist zunächst einmal abstrakt-philosophisch beschrieben der Ausgangspunkt für eine wahre Welt- und Menschenerkenntnis. Mit solchen scheinbar abstrakten Schilderungen haben es aber heutzutage viele Menschen schwer. Denn so zu denken, fordert die Loslösung des Denkens von jahrtausendealten Denkgewohnheiten, die eben besagen, dass nichts aus sich selber existieren kann außer „Gott“ (oder wie immer man den Uranfang allen Seins nennen will), der aber grundsätzlich etwas Anderes sei als der Mensch und der darum vom Menschen als einem „Geschöpf Gottes“ niemals gänzlich verstanden werden kann.

Wie nun, wenn diese Denkgewohnheiten in alten Zeiten vielleicht ihren guten Sinn hatten, ihre Gültigkeit aber heutzutage verloren haben? Haben wir nicht gerade eben beschrieben, wie ein solches aus sich selbst existierendes „Dreigestirn“ in jedem Menschen entstehen kann? Können vielleicht die Menschen längst schon anders denken, tun es aber nicht, weil sie den Weg dazu nicht finden können, oder sich dazu nicht aufzuschwingen vermögen? Kann vielleicht der Mensch inzwischen in „Gottes Fußstapfen“ treten, tut es aber nicht genug?

Wäre es so, dann lebten die aus den alten Denkgewohnheiten hervorgehenden Glaubensverhältnisse weiter, obwohl sie dem derzeitigen Menschen und seiner Welt nicht mehr angemessen sind. Dann fänden sich das nach Freiheit strebende Subjekt und die aus Autorität und Glaube hervorgehende soziale Welt in einer ständigen Differenz wieder; der oben schon bezeichnete Abgrund der Herrschaft der besten Lügner könnte eintreten.

Daraus ist schnell ersichtlich, dass ohne die Einsicht, dass ich nichts bin ohne meine Welt, und die Welt ohne mich einen sie tragenden Pfeiler vermissen müsste, dass also ohne ein grundlegendes Bewusstsein des „Dreigestirns“ kein Ausweg aus der gegenwärtigen Menschheitskrise auszumachen ist, allenfalls ein zeitweises Aussetzen und Vor-sich-Herschieben des ansonsten unvermeidbaren Falles in die grenzenlose Barbarei.

Will man die gegenwärtige Lage von Welt und Menschheit grundständig verstehen, wird man einen solchen Gesichtspunkt nötig haben, um nach und nach den aus der Vergangenheit überkommenen Autoritäten die Kontrolle zu entwinden und dem freien Menschen zu übertragen. Alles andere wäre eine neue Glaubens-Partei, die zum Erlangen von Macht Mehrheiten hinter sich bringen müsste. Der oben bereits angedeutete „Abgrund“ könnte eintreten.

Darum ist es entscheidend wichtig, dass immer mehr Menschen Einsicht in das sich selber tragende „Dreigestirn“ von Welt, Ich und dem Ganzen beider bekommen, so dass die Menschen erkennen können nicht nur, woher die aktuelle Misere kommt, sondern mehr noch wie ein Weg in eine lebenswerte Zukunft von einem lebendigen Verstehen von Welt, Mensch und deren untrennbarer Ganzheit („Individuum“=„das Unteilbare“) abhängt.

Dieses Verstehen ist unmöglich, solange wir glauben: den traditionellen Konfessionen, der Wissenschaft, den „neuen Offenbarungen“. Alle diese Richtungen sagen auch Wahres. Das aber kann ich nur als wahr erkennen und von unberechtigter Dogmatik, Spekulation und Fantasterei (also Unwahrheit) unterscheiden durch dauernde Übung des „wahren Verstehens“. Vor dem Kriterium des Dreigestirns in seiner Ganzheit von Mensch und Welt – dem sich langsam enthüllenden zukünftigen Geistes-Menschen – muss nämlich auf Dauer jede Unwahrheit ihren wirklichen Charakter zeigen.

Dieser kleine Artikel mag zeigen, wie so etwas möglich ist; wurde doch von Anfang an vom Gesichtspunkt des Endergebnisses aus argumentiert, dieses verständlich gemacht, und so die Haltlosigkeit und Unfreiheit und damit auch auf die zerstörende Wirkung gegenwärtiger Lebenshaltungen in Religion, Wissenschaft und Neuer Offenbarung hingewiesen.

Dieses kann der menschliche Geist heute schon. Er muss es nur zur Wirkung bringen.

© Stefan Carl em Huisken 2021


Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Wahnsinn und Denken – Der Kampf geht weiter

Buch Wahnsinn und Denken der Kampf um den Menschen

„Wahnsinn und Denken – Der Kampf um den Menschen“ ist ja der Titel meines neuen Buches, das ab sofort lieferbar ist. Manch einer mag ja glauben, dass dieser Kampf demnächst mit dem Ende der Corona-Pandemie entschieden wäre – weit gefehlt. Er fängt gerade erst an, und entschieden ist gar nichts, schon gar nicht mit irgendwelchen einlullenden Nachrichten über „Lockerungen“, „Erleichterungen“ oder Ähnliches.

Bisher ist nämlich das eigentliche Thema, um das die Auseinandersetzung geht, noch gar nicht richtig im Bewusstsein angekommen. Es ist auch zu befürchten, dass es noch eine Weile dauert, bis bemerkt wird, dass alles Bisherige, und auch die kommenden Angriffe auf die Menschlichkeit, die unter Stichworten wie „Klimaschutz“, „weltweite Solidarität mit den Schwachen“, oder vielleicht auch „Endkampf gegen den bösen russischen Totalitarismus“ oder dergleichen vonstatten gehen werden, solange nur zu weiteren Zerstörungen an Mensch und Erde führen können, wie die grundsätzlichen Denkfehler, die die eigentliche, schon lange grassierende „Pandemie“ ausmachen, nicht erkannt und entschlossen angegangen werden.

Dass es zukünftig vielleicht ein paar wenige Menschen mehr geben kann, die die wirkliche Bedeutung dieser schweren Entscheidungszeit ahnen, dazu möchte dieses Buch beitragen. Es ist alles Andere als eine spektakuläre Räuberpistole, die man sich bequem abends im Bett reinziehen kann, um sich dann wohlinformiert und guten Gewissens einem ruhigen Schlaf zuzuwenden. Das Buch ist auch eine wirkliche Forderung an den Leser, eine Forderung allerdings, die derjenige, der sich darauf einlässt, möglicherweise für seine eigene Entwicklung und der Entwicklung seiner Möglichkeiten, zum allgemeinen Wohl beizutragen, außerordentlich schätzen wird.

Bestellt werden kann es => hier.

Oder im Buchhandel: Stefan Carl em Huisken: Wahnsinn und Denken – Der Kampf um den Menschen. 116 Seiten, Hardcover, Fadenheftung. Verlag Ch. Möllmann. 15 €. ISBN 978-3-89979-335-2.




Undenkbar! Oder?

I

Undenkbar

Undenkbarkeiten gibt es viele. Derzeit immer mehr und immer ungeheuerlichere. Dass es Pläne geben könnte zum Beispiel, die seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten verfolgt werden und die völlige Versklavung der Menschheit anstreben. Dass alles Relevante, was in der Menschheit vorgeht, gesteuert, inszeniert, geplant sein könnte: 9/11, die Corona-Pandemie, aber auch schon die Weltkriege des 20. Jahrhunderts und viele andere Grausamkeiten. Dass die ach so gloriose „Wissenschaft“, die seit dem 19. Jahrhundert die äußere Sinneswelt zur alleinigen Wirklichkeit erklärt und die uns im Übrigen durch ihre Errungenschaften wie die Biochemie, die Atomkraft und die maschinelle Durchdringung und Industrialisierung des gesamten äußeren – und inzwischen durch die Computer auch des inneren – Lebens in die Lage gebracht hat, in der wir heute sind, – dass diese glorreiche Wissenschaft in ihrem alles beherrschenden Ziel, den Menschen aus der Erkenntnis zu eliminieren, vielleicht unrecht hätte und von der Wurzel her erneuert werden müsste. Dass Regierende überall auf der Welt vielleicht Getriebene, Gelenkte, oft grässlich Inkompetente, Korrupte und in einem Wahn Befangene sein könnten. Und so weiter, und so fort. Alles natürlich undenkbar.1

Furcht

Warum? Weil wir uns fürchten. Fürchten vor den dunklen Abgründen des Menschlichen, die man im Denken zu ergründen hätte, wenn man es doch versuchte so etwas zu denken. Fürchten auch davor, all die dunklen Unter- und Hintergründe solcher Dinge auch in uns selber zu entdecken. Stattdessen versuchen wir lieber, die Dinge zu tun, die wir nicht denken können oder wollen: Macht gewinnen; zügellos die eigenen Wünsche walten lassen; wissen, dass wir selber die „Guten“ sind; dass wir uns selber und unsere Lebensweise nicht ändern müssen – das müssen nur immer alle anderen.

Die Furcht vor dem Ende des schon Bekannten produziert ständige „Dosiserhöhungen“ dessen, was wir schon kennen. Wenn uns die heutige materialistische Wissenschaft in eine Sackgasse führt: mehr davon. Oder auch: wenn der Lockdown nicht wirkt: mehr davon. Wenn die Computermodelle mit ihren irrwitzigen Vorhersagen von der Wirklichkeit widerlegt werden: mehr und neue davon. Also, kurz gesagt: reines Suchtverhalten.

Sucht

Wer schon einmal ausführlicher mit Süchtigen zu tun hatte, weiß eines: da, wo die Angst ist, geht es lang. Das ist der einzig rettende Weg. Also: die eigene Ohnmacht eingestehen (aber nicht zu dem Zweck, sich dann zurückzulehnen und zu sagen: „ich wusste es schon immer, ich kann nichts machen, das müssen die anderen“; das ist nur eine noch perfidere Finte der Furcht). Die Ohnmacht des heutigen Wissenschaftsbetriebes einsehen, die Wirklichkeit zu erkennen. Die eigene moralische Labilität – freundlich ausgedrückt – und damit das eigene Getriebensein von Egoismus betrachten. All das dann aushalten und nicht aufgeben.

Dann können wir vielleicht auch nachvollziehen lernen, was die „bösen Anderen“, die „skrupellosen Weltenlenker“ bewegt, wenn sie tun, was sie tun, und ja auch unverblümt zugeben. Die Reichenversammlung des WEF fürchtet sich vor der Unvollkommenheit des menschlichen Wesens, findet offenbar Computer (Menschenwerk also!) viel perfekter und möchte gerne damit verschmelzen: Transhumanismus nennt sich das dann. Regierende überall fürchten sich vor ihrem Volk und möchten es daher gerne zu etwas Kontrollierbaren, Planbaren, Steuerbaren machen. Wissenschaftler fürchten sich vor den Abgründen des menschlichen Geistes und möchten ihn darum aus der Erkenntnis ausschließen; da treffen sie sich mit den Transhumanisten, siehe oben. Der Gläubige fürchtet sich davor über das Absolute etwas zu wissen, der Unvollkommenheit der Wirklichkeit des Irdischen unausweichlich gerecht werden zu müssen.

Und so arbeiten sie alle zusammen – aus Furcht. Aus dem gleichen Grund im Übrigen, aus dem wir das alles mitmachen. Und wenn wir aus Furcht nicht mehr mitmachen wollen, machen wir dasselbe wie sie: wir suchen Macht, moralische Erhebung, Perfektion (das heißt dann hier „Kompetenz“), um die „Despoten“ zu zwingen.

Wir suchen also – Macht für die Liebe, die des Anderen Freiheit zwingt? Aber etwas Anderes können wir doch nicht, das ist doch undenkbar! So? Wer sagt das? Schon mal versucht? Oder, wie der Kabarettist Bodo Wartke es in einem Lied sagt: „Was, wenn doch?“2

II

Grenzen

Wer beginnt, über die derzeitige Situation der Menschheit und ihre (möglichen) Hintergründe nachzudenken, kommt schnell an Grenzen: Grenzen des Fassbaren, des Verstehbaren, des Erträglichen, oder auch ganz grundsätzlich des für uns heutige Menschen überhaupt Denkbaren. Dadurch ergibt sich die auf allen Seiten gleichbleibende Wiederholung der immer gleichen Argumente, Attitüden, Urteile und Gedankengänge. Man ist es inzwischen irgendwie leid: man versucht etwas zu erfassen und muss sich dann eingestehen, dass es einem nicht gelingt. Oder man gesteht sich die Ohnmacht nicht ein und dreht sich weiter in den immer gleichen Gedankenkreisen.

Sicherheit

Es ist daher vielleicht Zeit, die Gründe für dieses Erlebnis des Zerbröselns aller Sicherheit – auch und gerade Urteilssicherheit – einmal woanders zu suchen als beim immer falschen Denken der Anderen, der „Gegenpartei“ also.

Vielleicht liegt das Zerfallen aller Denk- und Lebenssicherheit ja auch an Gewohnheiten weltanschaulicher Art, die allen beteiligten, streitenden und in immer kleinere Fraktionen zerfallenden Akteuren gleich sind, und die deswegen das menschliche Zusammenleben auf der Erde so allgemein zerstören können, wie das schon seit langer Zeit geschieht, derzeit aber erst wirklich an die Oberfläche des Bewusstseins dringt, als Ausdruck einer ins Extrem getriebenen Unterbewusstheit der Wahrheit gegenüber.

Aber das können wir nicht denken: die ganze Menschheit, zumindest in der überwältigenden Mehrzahl der leitenden Personen in einem grandiosen, die Menschheit als solche in ihrer Existenz bedrohenden Irrtum, ja vielleicht Wahn? Undenkbar!

Moral und Wahrheit

Was aber wäre die Alternative? Etwa, dass diese Mehrheit der Leitenden aus bösem Vorsatz handelten? Also, kurz gesagt, seit Jahrzehnten oder länger an ganz klaren Plänen zur Vernichtung der Menschlichkeit systematisch arbeiten, aus welchen – undenkbaren! – Motiven auch immer? Wieder eine solche Undenkbarkeit.

Aber was sollten dann auch die Motive derjenigen sein, die solche Pläne verfolgen? Reicht die Annahme eines grenzenlosen Egoismus‘ aus, um Menschen zu Taten zu treiben, die in dem Maße zerstörerisch sind, wie es derzeit geschieht? Und wenn ja: wer oder was treibt die Menschen dann in diesen überbordenden Egoismus? Und was treibt diejenigen an, die diesem Egoismus dann irgendeine – welche auch immer – moralisch sich gebende Ideologie entgegenhalten: „Man muss doch, man kann doch nicht …“.

Doch, man muss offenbar, man kann auch. Das beweist ja einfach die Existenz derjenigen Menschen, die man da bekämpfen will. Daraus folgt zwingend, dass die Ideale, die man da verfolgt, eben nicht allgemeingültig sind, denn für die Bekämpften gelten sie ganz offenbar nicht. Solche Ideale bleiben eben auf der Ebene persönlichen Glaubens und Meinens – die Meinungsfreiheit ist doch ein hohes Gut, oder? Gewiss, das ist sie, aber sie wirkt real zur Zeit extrem sozial desintegrativ, vorsichtig ausgedrückt. Das wäre nur überwindbar, wenn es eine wirkliche Wahrheit gäbe, die für jeden Menschen nachvollziehbar wäre, und über die es daher keinen Streit geben könnte.

Aber das ist undenkbar! Eine Wahrheit? Die gibt es nicht! Höchstens kann durch Zwang und Unterwerfung, durch Manipulation und ähnliche Machenschaften der äußere Anschein der einen wirklichen Wahrheit einer Mehrheit der Menschen aufgedrückt werden. Die eine Wahrheit, die Wirklichkeit selbst, die gibt es nicht! Das steht fest, alles andere ist undenkbar!

Wer entscheidet?

So könnte man noch viele Dinge aufzählen, die von dieser oder jener Warte aus undenkbar sind: so böse, so inkompetent, verlogen, oder auch so gottgleich philanthropisch, so messiashaft gut etc. pp., wie es sich auf solchen Denkwegen ergibt, können die Menschen gar nicht sein, das ist undenkbar. Der „Great Reset“, die „Corona-Pandemie“ als Weg zur Menschheits-Versklavung, die wirre Politik mancher Regierungen als Ausdruck völliger Lebensfremdheit, und was es dergleichen an Zumutungen in der gegenwärtigen Auseinandersetzung noch mehr gibt, all das ist dann für große Menschengruppen einfach „undenkbar“ (und wird ihnen auch täglich so dargestellt), und muss daher aufs Schärfste bekämpft werden.

Der Richter, der all diese Dinge beurteilt, ist aber immer da zu suchen, wo etwas als „undenkbar“ dargestellt wird. Also bei demjenigen, der aus seinem Denken entscheidet, was für ihn „undenkbar“ ist. Und genau da liegt die Crux.

Genauso wie derjenige, der an die universelle Gültigkeit irgendeines Moralsystemes glaubt, in uralten, längst vergangenen gesellschaftlichen Verhältnissen, den uralten Theokratien offenbar hängen geblieben ist – die in weiten Teilen vollkommen moralfreie, rein nützlichkeitsbezogene und aus blindem Egoismus getriebene Handhabung der Macht hat solche alle Menschen umfassenden Moralcodice längst abgelöst –, genauso also ist der Wissenschaftler, der mit unbeugsamem Willen versucht, den Menschen und seine heutzutage unvermeidliche Subjektivität aus aller Erkenntnis auszuschließen (natürlich nur im Dienste der Wahrheit!), vollkommen in die Irre gegangen. Woher weiß denn dieser Wissenschaftler, was objektiv ist und was subjektiv? Ja, genau: aus seinem, seiner eigenen Ansicht nach ja ganz subjektiven Denken!

Das Undenkbare denken

Nein, eine Wahrheit kann man den Menschen heute nicht mehr von oben herab verkünden. Die müssen sie schon selber einsehen können. Das gilt auch für scheinbar unumstößliche Wahrheiten wie sogenannte „Grundrechte“. Wer deren Existenz nicht einsehen kann, achtet sie eben nicht. Das ist die ungeschminkte Wirklichkeit. Und wer nun meint, die Achtung für diese Grundrechte erzwingen zu müssen, z.B. auch für die menschliche Freiheit? Der zerstört sie genau mit diesem Anspruch.

Es bleibt kein anderer Weg, als immer genau gerade das „Undenkbare“ – denken zu lernen. Das heißt ja nicht, dass man das, was man da denken lernt, um es zu verstehen, nun auch gut und richtig finden muss. Aber ohne ein wirklich vorurteilsfreies Nachdenken gerade des scheinbar Undenkbaren entsteht kein wirkliches Verständnis für einander, und auch keine Möglichkeit, einen lebbaren Umgang mit einander zu finden. Wenn ich lerne, auch das für mein Urteil Fürchterliche zu denken, zu verstehen, dann komme ich der Wirklichkeit näher und baue an einer Grundlage für ein neues Zusammenleben auf dieser Erde.3

Leider ist diese Grundlage dann – horribile dictu!4 –für Viele eine ganz undenkbare, nämlich keine, da bloß geistig, und daher subjektiv und darum unwirklich. Echt jetzt? Ist es denn ganz undenkbar, dass der menschliche Geist eine wirksame Tatsache wäre und keine Einbildung? Ist die Freiheit des Menschen denn nur als egoistische Freiheit des Ungezügelt-Seins denkbar? Ist Freiheit nicht auch Voraussetzung wirklicher Liebe? Nein, das geht gar nicht?

Undenkbar!

© Stefan Carl em Huisken 2021

1 Was man nicht denken kann, nennt man heute „Verschwörungstheorie“

2Das Lied findet sich z.B. hier: https://www.youtube.com/watch?v=T1IDSzs1Ai8

3Vgl. meine Artikel Den Anderen nach-denken hilft und Der Spiegel des Individuellen – Den Anderen nach-denken II, zu finden unter https://emhuisken.de/uebersicht-beitraege-geisteswissenschaft/

4„Es ist schrecklich zu sagen“




Vom Einswerden mit der geistigen Welt

Der freie Mensch als Mit-Schöpfer im Weltprozess

Wie nimmt man teil an diesem äußeren Leben? Man informiert sich über das, was in der Welt vorgeht; man informiert sich so, daß man sich gewissermaßen in sein Erleben hin­eintragen läßt, was durch diesen oder jenen Anstoß in das Leben hereinkommt. Man gibt sich irgendeiner populären Agitation hin. Man untersuche nur einmal, wieviel in die­sem Hingeben an eine populäre Agitation dem eigenen Willen entsprießt und wieviel einfach darauf zurückzuführen ist, daß man mitgenommen wird von dem, was da an­stürmt aus den Wogen des Lebens! Und vieles, vieles könnte ich Ihnen anführen von dem, was in das Denken hereinstürmt, das Denken beherrscht, ohne daß der Wille des Menschen selbst in dieses Denken unmittelbar hineinwirkt.

Das war gerade die geschichtliche Aufgabe bei Abfassung meines Buches «Die Philoso­phie der Freiheit», darauf hinzuweisen, wie Freiheit des Menschen überhaupt nur mög­lich ist, wenn dieses unwillkürliche, träumerische Denken nicht da ist, sondern Impulse aus dem vollbewußten Willen heraus sich geltend machen. Dieses Denken – welcher Na­tur ist es denn ? Wann ist es wirkliches Denken ? – Wenn es wirklich aus dem vollbewuß­ten Willen kommt, wenn wir den Gedanken so fassen, daß wir selbst es sind, die den Ge­danken fassen. In dem Augenblicke, wo der Gedanke uns faßt, sind wir nicht mehr frei. Nur wenn wir aus unserer Kraft, aus unserem Wesen heraus den Gedanken fassen kön­nen, sind wir frei.“ (Rudolf Steiner: Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwi­ckelung. GA 196. – Dornach, 1992. S. 110f)

Mensch und Welt

Die vorige Betrachtung1 führte zu der Einsicht, dass Mensch und Welt nur als eine Einheit exis­tieren können; jede Seite für sich kann weder Sein noch Entwicklung haben. Der Mensch, der sich als von der Welt geschiedenes, mit ihr aber durch den Leib verbundenes seelisch-geistiges Wesen erlebt, ist aus der Weltentwicklung hervorgegangen, ohne die Welt also nicht möglich. Die Welt als vom Menschen geschiedenes, ihn erst hervorbringendes Ganzes, ist aber als solche nur solange und insofern vorhanden, als der Mensch als die Welt Erkennender ihr gegenüber ritt. Sonst gäbe es niemanden, der ihre Existenz überhaupt feststellen könnte. Ohne denjenigen aber, der ihre Existenz erlebt und erkennt, kann über die Welt nichts gesagt werden; ihre geisti­gen Grundlagen, die Gesetze ihres Werdens sind ohne ein sie erkennendes Wesen gar nicht vorhanden. Ohne diese geistigen Grundlagen aber kann auch die Welt nicht sein.

Insofern kann man davon sprechen, dass der Weltprozess sich das Instrument seiner Selbster­kenntnis im Menschen erst erschaffen habe. Aber auch diese Einsicht ist nur vorhanden im selbstbewussten menschlichen Denken. Die heute erlebte Trennung von (geistig-seelisch leben­dem) Menschen und äußerer, gegenüberstehender, scheinbar geist- und seelenloser Welt ist nur ein Glied es gesamten Entwicklungsprozesses dieser Selbst-Erkenntnis des Welt-Ganzen im Menschen. Es bekommt daher diese einzelne, akute Situation ihren Sinn nur durch den Blick auf das Ganze, das Mensch und Welt betrachtet.

Das Ganze denken

Diese Einheit zu erkennen, stößt auf besondere Schwierigkeiten, denn es ist ja gerade ein Cha­rakteristikum jeder Eerkenntnis, dass in ihr zwei von einander verschiedene Wesenheiten oder Funktionen – das Erkannte und der Erkenner nämlich – gerade möglichst klar von einander un­terschieden werden müssen, gewissermaßen „aus einander gehalten“. Sonst ist nicht auszuma­chen, ob das zu Erkennende dem Erkenner bloß etwas vorgaukelt, was gar nicht vorhanden ist, oder ob umgekehrt der Erkenner in seiner Erkenntnis Gesichtspunkte zur Geltung bringt, die dem Erkannten nicht entsprechen, es also verändern und insofern die Erkenntnis verfälschen.

In der vorigen Ausarbeitung2 wurde gezeigt, dass der Abgrund zwischen dem geistig-seelisch erlebenden Menschen und der ihm erscheinenden Welt jedenfalls vom heutigen Menschen nur auf Denkwegen bewältigt werden kann, die das sich selber beobachtende und sich in der den­kenden Beobachtung selbst erschaffende Denken zu ihrem Ausgangs- und Zielpunkt machen. Indem der rein geistige Vorgang der Selbstbeobachtung des Denkens sich selbst zum Gegen­stand macht, also aus sich selbst heraustritt als ein „Etwas“, ein von sich selbst getrenntes Ge­genüber, erschafft er sich selber in einer geistigen Welt. Das so sich selber beobachtende Den­ken bildet darin nach, was der Weltprozess aus sich selbst als erkennenden Menschen hervor­gebracht hat, durch den er seiner selbst erst „gewahr“ wird: dasjenige, was Wahrheit gibt.

Indem die sich selbst beobachtende Selbstbeobachtung des Denkens im Sinne der vorigen Ab­handlung dem Menschen erst das Wahrheitskriterium gibt, kann der Mensch seiner selbst be­wusst werden als berufen,dem geistigen Urgrund und Ziel der Entwicklung erst zum wahren Sein zu verhelfen. Denn durch seine Erkenntnisarbeit erschafft er erst die geistigen Grundlagen für sein eigenes Werden aus der Welt heraus3. Leistete der Mensch dies nicht, so zerstörte er damit seine eigene Entstehungsgrundlage und damit sich, seine Vergangenheit und Zukunft gleich mit: also alles, was er als „Welt“ erleben kann.

Ein Ganzes ist ein Ganzes. Nichts darf dabei verloren gehen. Welt und Mensch sind ein solches Ganzes.

Die Aufgabe unserer Zeit

Wie schon erwähnt, stellen sich die Aufgaben und Denkwege in dieser Form dem heutigen Menschen. Die Menschen der Urzeit mögen anders dazu gestanden haben, ebenso wie die Menschen der Zukunft ein anderes Verhältnis zu dem hier eben Dargestellten begründen mö­gen. Was ist aber nun das Charakteristische, Grundlegende unserer Zeit, auf das in den Gedan­kengängen, von denen hier die Rede ist, hingewiesen wurde?

Das ist zweifellos der Blick auf die Anforderung an uns Heutige, eine radikale (im Wortsinne, also „an die Wurzel gehende“) Abkehr von allem Glauben an die alleinige Gültigkeit äußeren Weltwissens zu vollziehen, und darin die unentrinnbare Notwendigkeit der Mitwirkung des Menschen und der Menschheit in der Gestaltung der Gesamtentwickelung anfänglich zu reali­sieren. Ohne dass der erkennende Mensch im denkenden Beobachten seiner eigenen Bewusst­werdung diese Bewusstwerdung erst erzeugt, wird die für das Ganze von Mensch und Welt in seiner Entwicklung erforderliche Selbsterkenntnis verfehlt.

Die zukünftige Entfaltung des im Uranfang Angelegten würde verhindert. Damit aber würde im Ewigen, d.h. überzeitlichen, die Existenz von Mensch und Welt insgesamt ausgelöscht. Denn die Vergangenheit kann im Geiste nicht existieren ohne die Zukunft, und ohne beide gibt es keine Gegenwart. In dieser Gegenwart ist eben der Mensch derjenige, auf den es ankommt: leistet er nun die ihm obliegende (Selbst-)Erkenntnis-Aufgabe oder nicht?

Man sieht, es geht hier nicht um irgendwelche Kinkerlitzchen; es geht schlicht um Sein und Nicht-Sein des Ganzen aus Mensch und Welt. Die Verantwortung dafür ruht nun nicht mehr im schützenden Schoß einer allmächtigen Gottheit; sie ist Schicksal und Kern des Menschen. Sie ist im Menschen gleichsam „aus der geistigen Welt geboren“. Wer sie nicht annimmt und weiterhin als bloßes „Denkmodell“ neben anderen möglichen ansieht, nimmt den denkenden Menschen als Tatsache und notwendiges Glied es Ganzen nicht ernst – und damit also auch sich selbst.

Der Mensch ist das Maß

So erklärt sich die Unerbittlichkeit, mit der alle Vorgänge unserer Zeit auf uns einwirken. Lesen wir darin die Sprache des Menschheitsschicksales: „Erkenne dich selbst!“, so ruft es uns zu. Wenn der Mensch nun aber zu Maß und Gestalter der Zukunft werden soll, so muss er zuerst sich selbst als dieses Maß und diesen Gestalter erkennen – erschaffend erkennen! – und da­durch auch die Bedeutung dieses seines Schicksales. Verfehlt er diese Erkenntnis – sein Schick­sal also –, so wird er in die Irre gehen müssen, denn er kann dann nur diesem oder jenem, aus alten Zeiten in unsere Gegenwart hinein wirkenden Impuls folgen und diesen fortsetzen. Das grundstürzend Neue, das dem Menschen heute obliegt – uns Zeitgenossen also – wird sich dann vorerst nicht vollziehen können.

Damit kommt aber auch der Gestaltung des Verhältnisses eine neue Bedeutung zu, das der in­dividuelle Mensch zu seiner Umgebung und damit auch zu den anderen Menschen gewinnen kann. Es muss dieses Verhältnis die im Ganzen intendierte Einheit ermöglichen, das heißt also eine Erkenntnis der sozialen Welt (also auch aller nicht-menschlichen Wesenheiten der Erde und des Kosmos) immer den individuellen Menschen und sein denkendes Selbstbewusstsein ein­schließen so, dass soziale Welt und Einzelseele sich entsprechen, der denkende Mensch, der sich selber zum Maß für die Wahrhaftigkeit aufschwingt, also auch im Verhältnis der Menschen untereinander und zur Natur zur Richtschnur werden kann.

Wie wenig ist davon heute schon realisiert! War die griechische Geisteskultur nur möglich, weil eine großer Teil der Bevölkerung als Sklaven von ihrer Menschenwürde ferngehalten wurden, war die mittelalterliche Geisteshöhe der Scholastik vor allem der Fortsetzung alter Herrschaftsst­rukturen in Leibeigenschaft und Macht des Klerus geschuldet, so ist der heutige äußerlich-materielle relative Wohlstand in einem großen Teil der zivilisierten Welt ein Produkt des Um­gangs mit der Arbeit des Menschen als Ware auf dem Arbeitsmarkt und als Kostenfaktor; der Unterschied zu antiken Sklaven oder mittelalterlichen Leibeigenen ist graduell, kann doch nie­mand seine Arbeitskraft verkaufen ohne selber mit ihr mit gehen zu müssen.

Alle Wirren, Unruhen, Kämpfe und Kriege der neueren Zeit stehen damit im Zusammenhang, dass die Menschen nun immer mehr vor die Aufgabe gestellt sind, sich selber zu wohlverstan­denen Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung zu machen, dieser Aufgabe aber in keiner Weise gerecht werden, ja, sich geradezu mit aller Kraft gegen die Einsicht in diese Aufgabe und die da­mit verbundene Verantwortung wehren.

Aber der Mensch hat diese Aufgabe, und er wird sie erfüllen müssen. Wenn nicht aus eigenem, freiem Willen, so dann unter Zwang. Nur wird die erzwungene Aufgabenerfüllung das Wichtigs­te entbehren: das Herzblut und die Würde des selbständigen, freien Menschen, der sich zum lie­benden Mitschöpfer mach von allem, was ihn selbst einst hervorbrachte.

Schöpferwille

Ziehen wir eine Art Resümee des bisherigen Denkweges, so erkennen wir uns heutige Men­schen als aufgerufen, in uns, in unserem denkenden Geist das Prinzip des Weltenwerdens zu realisieren, das wohl Goethe einmal den „von Ewigkeit zu Ewigkeit sich selbst Produzierenden“ nannte4. Jeder Einzelne von uns, der dies energisch anstrebt, trägt ein neues Denken in das so­ziale Leben hinein, aus dessen lebendigem Fluss erst eine neue Gestaltung des sozialen Lebens möglich werden kann. Es liegt ja auf der Hand, dass hier niemand jemals die „allein richtigen Rezepte“ für das endgültige Erreichen eines wie immer gedachten „paradiesischen“ irdischen Lebens hervorbringen kann. Soll das Soziale leben, so wird es in ständigem Zusammenwirken der beteiligten konkreten irdischen Menschen immer wieder neu gefunden werden müssen. Le­ben kann es ja nur im Willen der Mitwirkenden.

Dieser Wille aber ist erwachsen aus der Vergangenheit, dem Werden des heutigen Menschen, der aus dem Geist herabstieg in die irdische Welt, um dort sich selber kennen zu lernen5. Was dieser Mensch schon kennt, erschauen kann in sich und seiner Welt, all die „Begabungen“ also, die er aus dem Geiste schon mitbringt in die Gegenwart, sie müssen sich ausprägen können in seinem Willen und in seinen Strebensrichtungen. Wie anders ist aber das Bildungssystem unse­rer Zeit, das als obersten Grundsatz die Zurichtung der werdenden Menschen im Hinblick auf ihre Nützlichkeit im herrschenden System der Lohnsklaverei hervorhebt!

Schon 1919 befand Rudolf Steiner: „Wenn nicht mehr Menschen über Menschen in der alten Art ‚regieren‘sollen, so muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß der freie Geist in jeder Men­schenseele so kraftvoll, als es in den menschlichen Individualitä­ten jeweilig möglich ist, zum Lenker des Lebens wird6. Dieser Geist läßt sich aber nicht unterdrücken. Einrichtungen, die aus den bloßen Gesichts­punkten einer wirtschaftlichen Ordnung das Schulwesen regeln wollten, wären der Versuch einer solchen Unterdrückung. Sie würde dazu führen, daß der freie Geist aus seinen Naturgrundlagen heraus fortdauernd revol­tieren würde. Die kontinuierliche Er­schütterung des Gesellschaftsbaues wäre die notwendige Folge einer Ordnung, die aus der Lei­tung der Pro­duktionsprozesse zugleich das Schulwesen organisieren wollte.“ (Rudolf Steiner: Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Weltlage 1915-1921. GA 24. – Dornach, 1982, S. 43)

Daraus ergibt sich auch die Frage nach dem Recht, die wir ja heute so zu beantworten gewohnt sind, dass eben durch bestimmte Entscheidungsstrukturen ausgewählte Menschen zu bestim­men haben, was als allgemeines Gesetz zu gelten hat, und dadurch alle davon betroffenen Menschen zu unfreien Untertanen gemacht werden sollen. Wer aber kann dafür einstehen, dass es gerade die Weisesten sind, die diese Gesetze festlegen, und dass es gerade die Unbe­stechlichsten sind, die dann die Untertanen bezüglich der Einhaltung dieser Gesetze überwa­chen? Gibt es diese „Übermenschen“ überhaupt? Kann der freie Mensch ein solches abstraktes System als Herrscher über sich überhaupt wollen? Oder muss hier ganz Neues gefunden wer­den?7

In diesem endlichen irdischen Leben der Gegenwart kann es nur gleiche Rechte für alle geben; aber sie dürfen dann auch nur das umfassen, was bei allen Menschen gleich ist. Ihre Begabun­gen und Fähigkeiten – das ursprünglich aus dem Geiste Mitgebrachte also – können ebenso nicht für jeden gleich sein wie die Lebensbedürfnisse; was also dem Geistigen oder dem Wirt­schaftlichen angehört, fällt in allen Einzelheiten aus dem Rahmen des Rechtlichen. Zu welchen schreienden Ungleichheiten der Menschenwürde gegenüber der Versuch führt, Geistiges oder Wirtschaftliches dem sogenannten gleichen Recht zu unterstellen, erleben wir tagtäglich im All­tag der heute noch herrschenden Staatskonstrukte. Allein das Recht, seine Tätigkeitsmöglich­keiten zu realisieren, seine Begabungen also zu nutzen, und die Pflicht, dies zum Nutzen aller und mit für alle gleichen Einsatz-Rahmen auch zu tun, kann daher durch staatlich-rechtliche Festlegungen demokratisch geregelt werden.

Die allen gemeinsame Zukunft der Menschheit erwächst aber aus dem, was die Menschen aus ihrem Wollen dieser Zukunft entgegentragen. Diese Zukunft wird so werden, wie die Menschen im Hervorbringen miteinander umgehen. Arbeiten sie als freie, selbständige Menschen zusam­men, die ihre Fähigkeiten in gemeinsamem Zukunftswillen zum Wohle des Ganzen zusammen­fließen lassen, jeder den Beitrag des Anderen achtend, würdigend und ergänzend, oder suchen sie noch immer weiter das alte Herrschaftssystem aus Lohnsklaven und Kapitalisten fortzufüh­ren? Denken wir an Steiners Wort von der „kontinuierlichen Erschütterung des Gesellschafts­baues“ (s.o.)!

Die Zukunft liegt also ebenso wie die Vergangenheit in einer geistigen Welt, die der Mensch nur in innerer Tätigkeit zu erfassen in der Lage ist. Diese irdische Welt ist unser Lern- und Erzie­hungsort, der uns notwendig ist, wenn wir der Zukunft dienen und diese erst dadurch mit-erschaffen wollen. Je mehr wir auch hier, im Irdischen, die uns gegebene Möglichkeit des freien, selbstbeobachtenden Denkens als unsere Richtschnur nutzen, desto mehr können wir auch und schon in diesem irdischen Leben uns selber mit der geistigen Welt der Zukunft vereinen. Da­durch nehmen wir die Erdenwelt in die geistige Zukunft mit.

Tun wir dies, so werden wir Mit-Schöpfer des göttlichen Urgrundes, aus dem Mensch und Welt einst hervorgingen und in den sie wieder – dann auf einer neuen Entwickelungsstufe – einge­hen werden.

Menschen-Interesse

Rudolf Steiner sprach am 6. Februar 1920 über die Frage „Wessen bedarf die Menschheit zur Neugestaltung Europas?“. Die folgenden Worte könnte er auch heute sprechen, allerdings dann auf die Welt als Ganzes bezogen:

Das ist eben das große Unglück unserer Zeit, daß die Menschen, ohne sich nun wirklich anzustrengen, ohne Interesse zu gewinnen für die Angelegenheiten der Menschheit, aus Unterbewußtem heraus heute urteilen, das oder jenes für richtig halten, das oder jenes für unerläßlich halten. Aber die Zeit ist nicht mehr da, wo man aus dem Unbewußten heraus das oder jenes für unerläßlich halten kann. Die Zeit ist gekommen, wo nur aus dem Sachlichen heraus geurteilt werden darf, wo man sich einmal anstrengen muß, sich wirklich einen Überblick zu verschaffen über die Notwendigkeit der Zeit und über dasje­nige, was die Zeit von einem fordert. Es schnürt einem heute das Herz zusammen, wenn man Menschen begegnet, die sich nur für sich selbst interessieren. Denn das ist das große Unglück unserer Zeit, während die einzige Erlösung der Zeit darin bestehen könn­te, daß nun, nachdem das Schreckliche vor sich gegangen ist in den letzten Jahren, die Menschen sich sagen würden: Wir müssen uns für die Angelegenheiten der ganzen Menschheit interessieren, wir dürfen nicht bei dem stehenbleiben, was unmittelbar mit uns nur im Umkreise unseres Volkes sich vollzieht.“ (Rudolf Steiner: Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung. GA 196. – Dornach, 1992. S. 165)

Wieviel davon haben wir heute schon realisiert?

© Stefan Carl em Huisken 2021

1 „Der individuelle Mensch als Ausdruck und Bedingung einer geistigen Welt“. In: Die Lahnung, Mitteilungen für individuelle Entwicklung und Lebenskunde, Nr. 4. Januar 2021

2 vgl. „Der individuelle Mensch als Ausdruck und Bedingung einer geistigen Welt“, ebd.

3 Diese Tatsache kann Grund zur Beruhigung sein: der Mensch wird es leisten müssen, sonst wäre er selber gar nicht da. Allerdings: wann und unter wieviel selbstverschuldetem Leiden, das hängt vom Menschen selber ab.

4 Der Text soll von Goethes langzeitigem Sekretär Riemer im Jahre 1835 in einer Ergänzung zu seinen „Mitteilungen über Goethe“ veröffentlicht worden sein; die Quelle konnte noch nicht nachgewiesen werden. Der ganze Wortlaut steht hier: https://emhuisken.de/geisteswissenschaft/

5 Siehe wiederum „Der individuelle Mensch als Ausdruck und Bedingung einer geistigen Welt“, ebd.

6 Dass solche Gedanken Steiners unserer Zeit nicht gänzlich fernliegen, zeigt zum Beispiel ein Lied des Kabarettisten Bodo Wartke: „Was, wenn doch?“ das man hier wahrnehmen kann: https://www.youtube.com/watch?v=T1IDSzs1Ai8

7 Im Mittelalter gab es ein aufrechtes Volk, das sich selber in jedem Einzelnen nur Gott und dem Kaiser untertan, und ansonsten frei fühlte, sein eigenes Recht zu setzen. Das Recht wurde als etwas Bewegliches angesehen, das jederzeit durch Besseres ersetzt werden konnte. Recht sprachen bei diesen freien Friesen die jährlich aus der Mitte des Volkes gewählten Richter jeder Landgemeinde. Geschriebenes Recht gab es entweder als fast religiös gefühlte Verkündigung natürlicher Rechte jedes Menschen oder als eine Art Erinnerungsstütze für zukünftige ähnlich gelagerte Fälle. Ein genauerer Blick darauf lohnt. Vgl. auch z.B. hier: https://emhuisken.de/wordpress/tag/friesen/




Der Weise – Der Krüppel – Was uns bleibt

Ein Triptychon

Der Weise

Geh‘ nun, geh‘, du Frucht des Bösen,
Geh‘ die ersten Schritte selbst.
Sollst die Rätsel selber lösen,
Die du dir vor Augen hältst.

Kannst es nicht? Dir fehlt die Frage,
Die aus dir den Weg gebiert.
Was du selbst dir gibst, das trage
Dass es dich als Krone ziert.

Was aus Leiden und Fragen den Wanderer führt,
Was die Seele in Schmerzen zerreißt,
Die Herzen füllt mit erwollten Plagen –

Das öffnet die Wege, die es dir weist.
Die Wege zu selbst gelebten Tagen:
Das Neue, wie es dem Weisen gebührt.

Der Krüppel

Nur mit Mühe und Schmerzen den Steilpfad empor
Ohne Ziel kriecht zu Berg, der sich selber verlor,
Kann nicht stehen, nicht gehen, nicht leben, nicht sterben.
Doch ist er es, der einstmals den Himmel soll erben.

Kein Gesang, kein verständliches Wort kann die Kehle
verlassen und dringen von Seele zu Seele.
In Verwirrung und ohne ein leitendes Ziel
Durch das Leben sich quälend ist alles zu viel.

Doch ihn treibt unbesiegbare Kraft.
Was er will, kann niemals geschehen.
Er lässt es nicht los, trägt es durch in den Tod.

Sein Blick erschaut, was noch niemand gesehen.
Er kann es fassen, in höchster Not.
Wohl dem, der den Krüppel in sich erschafft.

Was uns bleibt

Was uns bleibt, ist die Mitte, die alles trägt.
Was noch niemand sah, keiner kann oder will,
und doch täglich lebt, ohne Sinn und Ziel,
Aus dem Quell, der alle Taten wägt.

Niemals quellen wilde Taten
Ohne Sinn aus tiefem Schlund.
Immer kannst du selber raten
Was dir zukommt aus dem Grund.

Trage, was weise,
Denke es gut,
Fühle es wesen,
in dir, in mir.

Wer ist es denn, den du fühlst, denkst, trägst?
Schaffst du ihn selber – wer ist sein Gott?
Wer ist sein Herz, sein Leib, sein Geist?
Selbstsein, im Denken, im Fühlen, im Tun?

Im Leiden
Im Tragen
Erstehe.

© Stefan Carl em Huisken 2020




Kunst, Kultur und Kommerz – ein paar Anmerkungen

Kultur heute

Als „Kultur“ wird in der Regel die Gesamtheit der Äußerungen des menschlichen Geistes bezeichnet; Näheres dazu habe ich gerade in einem Artikel zur Friesischen Kultur heute dargelegt. Nun gibt es aber ja auch das vertrackte Problem, das dadurch entsteht, dass Kultur heutzutage nicht als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von Mensch und Welt angesehen wird – dann wäre es schon aus ganz egoistischen Gründen der Menschen völlig klar, dass jede Kulturäußerung ermöglicht werden muss, indem die Kulturschaffenden Menschen aus freien Stücken von allen anderen das nötige Einkommen erhalten, um ihre Tätigkeit ausführen zu können. Nein, heutzutage ist ja Kultur entweder überflüssig und kann weg, oder sie ist in völlig kommerzialisierter Form Gegenstand der Profitjagd der damit befaßten Menschen.

Nun muss eines klar sein: selbstverständlich ist auch der völlig kommerzialisierte Kulturbusiness eine Äußerung des menschlichen Geistes und damit Kultur. Allerdings eine, die nicht auf die Weiterentwicklung von Mensch und Welt zielt, sondern auf die Weiterentwicklung der Einnahmen der kommerziellen Nutzer der Kulturinhalte. Also ist dies eine Kultur, die letztlich ihre eigenen Grundlagen (schöpferisches Tun der Menschen um Neues zu schaffen und wahrheitgemäße Erkenntnisse zu erringen) mehr oder weniger in Frage stellt bzw. zerstört. Denn profitabel ist ja in der Regel nicht das Neue, Unerhörte, manchmal aber auch völlig Unspektakuläre, sondern das, was dem Drang der Menschen, sich bespielen zu lassen, Rechnung trägt.

Das Problem ist zur Genüge bekannt – jeder Künstler weiß davon bestens zu berichten.

Die Existenzfrage

Wie aber nun einen Ausweg finden? Denn es ist ja natürlich auch klar: man kann erstens niemandem vorschreiben, für was für eine Kultur er sich zu interessieren hat (außer durch verdeckte oder offene Manipulation zur Maximierung eigenen Profits, aber das ist dann eine Herabwürdigung der Manipulationsobjekte, sprich Kulturnutzer), un zweitens müssen ja die Leute, die das alles organisieren, auch von etwas leben. Und da es keinerlei Einrichtungen gibt in unserer Gesellschaft, die das Schaffen neuer Kulturinhalte durch freie und freilassende Alimentierung der Kulturarbeiter sicherstellen, sind sie eben gezwungen, was sie tun, als gewöhnliche Ware zum Verkauf zu stellen. Und wenn dann das Beharrungsvermögen der Masse eben einen fähigen Künstler verhungern läßt – Pech gehabt.

Kann der Staat das?

Da gibt es dann die Leute, die meinen, dass diese Aufgabe der Staat zu übernehmen habe. Hat er ja in der Vergangenheit auch eine ganze Zeitlang getan, inzwischen aber immer mehr abnehmend. Dass die Förderung abnimmt, ist eigentlich auch verständlich. Denn der Staat muss als Gemeinschaftseinrichtung der Rechtspflege und gemeinsamen Sicherheit der in einer bestimmten Weltgegend lebenden Menschen immer darauf achten, dass er sich nur mit den Dingen befasst, die auch zu seinen unverzichtbaren Aufgaben gehören. Insofern mag es angehen, dass er die Mittel bereitstellt, den derzeitigen gesellschaftlichen Zustand aufrecht zu erhalten. Aber staatliche Stellen können ja nicht beurteilen, was nun wirklich förderliches, vorandrängendes Kulturschaffen ist, und was Kommerz. Denn der dürfte natürlich nicht gefördert werden, der muss selber sehen, wie er überlebt. Wo dann der Staat diese Aufgabe doch übernommen hat, ist er auch regelmäßig in die Kritik geraten wegen „ideologischer Aufsicht“ etc. pp. Die Presse hat ebenso wie die Kunst eben wirklich frei zu sein. Blickt man auf die ungeheuren kulturellen Zerstörungen, die eine bestimmte Ansicht von „Kultur“ als Staatsräson bewirkt hat (und noch bewirkt), kann man also den Weg der staatlichen Förderung nicht wirklich befürworten.

Natürlich, dann versucht man diese und jene Konstruktion von Proporzkommissionen und dergleichen. Ich sage es gleich: davon halte ich rein gar nichts. Denn diese Kommissionen werden dann auf krummen Wegen von Profitjägern okkupiert, siehe oben. Wer sich umschaut in unserem Lande, wird es auch unschwer erkennen können.

Ja, aber wie dann? Da wird wohl das dabei herauskommen, was praktisch sehr viele Kulturschaffende machen: sie haben einen „Brotjob“ und machen die Kultur als Hobby. Entsprechend ist sie dann auch angesehen, und – glücklicherweise, das läßt die Gewissen sehr schön ruhig! – braucht man dann auch nicht darüber nachdenken, den Künstlern eventuell finanzielle Mittel in Form von Eintritten, freiwilligen Spenden (so eine Art Massen-Mäzenatentum oder dergleichen) zukommen zu lassen. Nein, man kann von ihnen etwas fordern: meine Bedürfnisse muss der Künstler bitte befriedigen, dann geben ich ihm auch was. Es hat schließlich alles seinen Preis …

Da müssen wir schon selber ran

Es wird wohl kein Weg darum herum gehen, dass nach und nach ein Umdenken einsetzt. Ich denke auch, dass das unausweichlich werden wird. Wir sehen es doch: der aktuelle Wissenschafts-, Kunst-, Religions- und überhaupt generell Kulturbetrieb leistet einfach nicht mehr, was er leisten müsste. Die Wissenschaft ist käuflich geworden, in weiten Teilen nur noch MIttel zur Begründung vorgefasster Meinungen in der Öffentlichkeit zum Zwecke der Gewinnung von (zahlenden) Anhängern. Die Kunst – naja, das habe ich ja gerade ausführlicher geschildert. Und die Religion? Ich will gar nicht darüber rechten, ob und in welcher Form Religion sinnvoll oder wünschenswert ist. Ich beobachte nur: die religiösen Einrichtungen werden immer mehr Dienstleister im Sozialen (da brauchen sich ja dann alle anderen nicht mehr drum zu kümmern …), der ja dann auch meistens „kostenlos“ ist (es gibt keine Tätigkeit, die keine Kosten verursacht, nur unterschiedliche Verteilungen der Zahlungstätigkeiten), und für das andere verlieren sie immer mehr Mitglieder. Es sei denn, sie sind in der Lage, die ihnen zugeordneten Menschen derartig zu manipulieren, dass sie eher fanatisch werden. Es mag hier sicherlich Ausnahmen geben, aber das Gros schaut aus meiner Sicht so aus: die „Religionen“ verlieren Bedeutung, jedenfalls wenn es um ihre eigentlichen Anliegen geht.

Religion?

Dabei ist doch gerade das „re-ligio“, die „Wieder-Verbindung“ mit dem schaffenden Geist das A und O, wenn der Mensch nicht einfach auf der derzeitigen Stufe stehenbleiben will – und Stillstand ist Rückschritt. Also bleibt doch nur der Weg, nach und Nach das Umdenken zu fördern, das Umdenken auch an der Stelle, wo die Frage nach dem Verantwortlichen für den Menschen- und Weltenfortschritt gestellt wird. Wer Religion so auffasst, dass er sich sagt: „Für die Weiterentwicklung ist Gott/Allah/etc. pp. zuständig, ich kann das ja sowieso nicht, dazu bin ich viel zu dumm/unwissend etc. pp.“, der verkennt aus meiner Sicht, was Religion für ihn selber bedeuten könnte. Es mag ja sein, dass man jetzt noch zu unfähig ist dazu. Aber man kann doch auch eines tun: sich selber entwickeln!

Und dann wird die Sache sicherlich interessant. Dann geht es auch gleich um Verantwortung, um Freiheit, und alle die schönen Dinge (siehe o.a. Artikel zur Friesischen Kultur, oder Stichwort „Freiheit“). Dann fängt nämlich das echte Leben wieder an, und all die Einredungen, es müsse immer alles sicher und vorhersehbar sein, die hören auf. Und wer das bemerkt, könnte ja auch plötzlich Interesse bekommen, mal etwas andere Kulturinhalte zu nutzen als die, die er sowieso schon kennt. Die könnten dann nämlich Mittel zur eigenen Entwicklung werden.

Es geht nur – frei

Um es gleich noch einmal ganz klar zu sagen: ich rede hier nicht von „man sollte“, „man könnte“. Niemand soll etwas, jedenfalls nicht, weil ich es sage. Der Mensch kommt nämlich zur Freiheit nur – frei. Ich zeige nur auf, was aus meiner Sicht möglich wäre, und hoffe, dass es Menschen gibt, die sich mit meinen Darlegungen auch befassen und vielleicht Entwicklungs-Gewinn daraus ziehen. Und dann kommen sie schon selber darauf, was sie tun wollen, ganz unabhängig von dem, was man ihnen einredet als ganz unbedingt zu Wollendes.

Und dann, ja dann ist auch ein bisschen Kommerz in der Kultur gar kein Problem mehr. Es steht doch schließlich jedem frei, dieses oder jenes kulturell zu bevorzugen, oder? Nur gebe ich eben hier die Folgen dieser oder jener Entscheidung zu bedenken. Das tue ich frei – keiner hats mir eingeredet. Auch keine irgendwie göttlich-allwissende „Wissenschaft“. Ich habe einfach mich als Mensch betragen und gedacht. Dagegen ist doch nichts einzuwenden, oder? Kann doch jeder andere auch tun. Und dann überbieten wir uns im Weiterdenken, Erkennen, Umgestalten und Verschönern der Welt. Das wäre doch was, oder?