Ich Bin

Ich Bin

Der Vater im Innern
Die Welt davor
Der Sohn, der suchet,
der den Weg verlor.

Er ist der Weg,
kann ihn darum nicht haben,
ist dem Menschen so
die Größte der Gaben.

„Ich Bin!“ – was kann es Größeres geben?
das Wort schließt in sich
allen Tod, alles Leben.

Was fragst du noch: „Bin Ich?“?
Frug denn je einer
der nicht dabei war? –
Genau: Keiner.

© Stefan Carl em Huisken, zum Jahreswechsel 2022/2023


Nunmehr im elften Jahr stellt sich bei mir zum Jahreswechsel jeweils ein Gedicht ein, das ich dann der Öffentlichkeit übergebe. Weitere Gedichte zum Jahreswechsel der verschiedenen Vorjahren finden Sie unter dem Stichwort Jahreswechsel.




So kann es nicht weitergehen

Ausgangslage

Die Welt ist ohne Zweifel in Aufruhr. Unversöhnliche Standpunkte stehen einander gegenüber und bekämpfen sich praktisch unbegrenzt. Einen wirklichen Ausweg kennt jede Seite immer nur im Rahmen ihrer eigenen Vorstellungen – die andere Seite muss klein beigeben, sagt man. Das sind ja ganz offensichtlich keine Auswege, sondern nur Wege zu immer weiteren Kämpfen und Katastrophen. Und immer neue, immer größere Gegensätze werden beschworen, in denen sich die Parteien über die Erde hin zu vernichten trachten können: in bezug auf den Zustand der Erde als Wohnort für Pflanzen, Tiere und Menschen, in bezug auf das Wirtschaften der Menschen und ihre Lebensmöglichkeiten auf der Erde, in bezug auf dasjenige, was jede Partei als Menschlichkeit ansieht, und so weiter, und so fort. Wo ist da ein Ausweg, oder ein Weg zur Überwindung der Situation zu sehen?

Was am meisten auffallen kann, das ist die Ausschließlichkeit (im wörtlichen Sinne), mit der die unterschiedlichen Gruppen von Akteuren ihre Auffassungen zur Geltung bringen wollen. Immer wird der andere, der Gegner oder Feind, als unmenschlich, unwert, böse, zerstörerisch oder anderweitig nicht zur eigenen Art gehörig gekennzeichnet. So sind aus der in Europa derzeit herrschenden Sicht die Angehörigen östlicher Gesellschaften entweder unmenschliche Apparatschiks, Diktatoren, bornierte Ideologen, menschheitszerstörende Aggressoren oder eben von diesen grässlichen Monstern versklavte arme Individuen; aus der Sicht östlicher Gesellschaften stellt sich dies ganz anders dar, da ist es eine im Westen rücksichtslos herrschende, das Daseinsrecht aller anderen Menschen missachtende egoistische sogenannte „Elite“, die die Menschheit durch ihre Uneinsichtigkeit und Unersättlichkeit an den Rand der Gesamtvernichtung im Atomkrieg treibt. Die „integralen Nationalisten“ der Ukraine – die Verehrer des unter dem nationalsozialistischen Regime brutal mordenden Stepan Bandera – die inzwischen die ukrainische Rasse per Gesetz als über allen anderen stehend erklärt haben und Russen nur „abschießen wollen wie Schweine“ (Originalton eines ukrainischen Funktionärs) – haben Förderer in aller Welt, und werden dort als „Vorkämpfer westlicher freiheitlicher Ideologie“ dargestellt. Ebenso gilt auf der anderen Seite der im Krieg gefallen Soldat der Ukraine nicht als Mensch, sondern als Sache, die man „vernichtet“ hat. Schon mehren sich Stimmen in den Kreisen der Befürworter der russischen Seite, die Ukrainer wegen der von ihnen vollführten Brutalitäten als „Untermenschen“ bezeichnen.

Wer so redet, handelt auch so. Alle Gründe, die von der einen oder anderen Seite geltend gemacht werden, mögen ihre Berechtigung haben; es ist aber einerlei, aus welchem Blickwinkel man immer die andere Seite zu entmenschlichen trachtet. Die Sichtweisen sind insofern gleich, als sie immer die andere Seite ausschließen, für ungültig erklären und nicht als einen für Menschen möglichen Gesichtspunkt akzeptieren wollen.

Um solche Akzeptanz wird man allerdings nicht herumkommen. Erstens zeigt man sich selber durch diese Ausschließerei um nichts besser als die andere Seite, und zweitens wird es nicht angehen, dass nur eine Gruppe Menschen ihre Gesichtspunkte für allgemeingültig allen anderen aufzwingt. Dafür sind wir einfach zu viele auf der Erde. Und meint man denn wirklich, dass man die Hälfte, oder – wie ja manche Transhumanisten meinen oder wünschen (siehe Yuval Harari) – 80 % der Menschheit ausrotten sollte, damit der Rest dann so leben kann wie er will? Was für eine Art „Menschen“ ist dann dieser Rest?

Nein, so wird es nicht gehen. Das haben die Menschen seit Jahrhunderten versucht: immer die „Anderen“ auzurotten, zu drangsalieren, zu versklaven oder anderweitig „unberücksichtigt“ zu lassen. Heute würde dieser Versuch zu irgendeinem Zeitpunkt der Eskalation unweigerlich zum Ende aller Menschen führen. So kann es eben nicht weitergehen.

Warum?

Woran liegt es denn – einmal versucht, gewissermaßen „von oben“ auf die Verhältnisse zu blicken – dass diese Kämpfe so zerstörerisch immer weiter eskalieren, und nirgends ein wirklicher Ausweg sichtbar ist?

Es liegt vielleicht – wie bei fast allem, was wir heute erleben – an den einzelnen Menschen und ihren persönlichen Auffassungen, Wünschen und Absichten. Soll eine solche Feststellung nicht einfach nur abstraktes Gejammer sein, so wird sie konkretisiert werden müssen; das soll nun hier versucht werden.

Einig sind sich doch alle Seiten immer darin, dass sie selber, und nur sie selber die Wahrheit vertreten, wissen, wie ein gutes Leben des Menschen auszusehen hat und so weiter. Dabei geht der Zeitgenosse ganz unwillkürlich von den Gedankenformen aus, die er als unserer Zeit entsprechend eingeprägt bekommen hat. Und diese Gedankenformen laufen eben darauf hinaus, dass der einzelne, im Erdenleben stehende Mensch nur diese eine irdische Existenz hat, und mit deren Ablauf auch seine eigene Individualität erledigt ist.

Solch eine Haltung hat ja ihre Berechtigung, wissen wir doch nur dadurch, dass wir uns einer ohne unser bewusstes Zutun gegebenen Außenwelt gegenüber erleben, überhaupt von unserer eigenen Existenz. Und dieses Wissen ist uns lieb und teuer – wir wollen es auf keinen Fall missen, warum wir uns auch an diese eine Existenz klammern und nicht vor ihr lassen wollen. Und zu dieser Existenz gehören eben auch die eigenen Meinungen, Wünsche und Absichten, die man darum auch in diesem einen Leben realisieren möchte.

Damit ist aber notwendig der Einzelne zu einem gewissen Egoismus verdammt. Denn auch, wenn er sich „philanthropisch“ gebärdet, tut er das in der Regel nicht, weil er andere über sich selber stellt, sondern weil er selber gut und moralisch sein will, also den eigenen Auffassungen von Moral entsprechen. Womit er wieder in den eigenen Meinungen von „Gut“ und „Böse“ gefangen ist.

Man kann ja gar nicht abstreiten, dass die vielen Vorschläge – von welcher Seite auch immer – wenn sie zu einer allgemeinen Auffassung aller Menschen würden, vielleicht hilfreich und gut wären. Aber sie sind eben nicht allgemeine Auffassung aller, und lassen sich auch nicht allen anderen aufzwingen, wie viel man das auch versucht. Damit wird klar, dass all diese Denksysteme Utopien sind, ideal gedachte Systeme, die immer nur für den Teil der Menschheit Gültigkeit haben, der unter ihrem Einfluss steht. Damit sind all diese Systeme Ideologien: Versprachlichungen von Ideensystemen, die irgendwer irgendwann ausgedacht hat und die nun alle anderen beglücken sollen. Damit verkennen alle diese Denksysteme aber notwendig die Tatsache, dass sie eben nicht alleine sind auf der Erde. Das Paradies lässt sich wohl denken, aber nicht auf der Erde realisieren. Jeder Versuch einer solchen Realisierung kann nicht anders als egoistisch sein – für einen Einzelnen, eine Gruppe, einen Teil der Menschheit eben. Ideologien sind also die Grundlage für den Illusionismus und die Brutalitäten, die die Menschheit derzeit zu zerreißen scheinen.

Unsere Welt ist in diesem Sinne durch-ideologisiert.

Geht es anders?

Wie aber kann der Einzelne sich zu einem Gesichtspunkt aufschwingen, der das Ganze der Menschheit einschließt und die einzelne, persönliche, individuelle Handlung von dort aus betrachtet und beurteilt?

Wer nur genügend will, kann das leisten – der Mensch ist in seinen Gedankenbildungen frei. Wer also will, kann den Versuch machen, sich selber als ein Glied in der Gesamtentwicklung der Menschheit zu betrachten, und zwar als dasjenige Glied, in dem die Gesamtmenschheit und ihre Entwicklung ins Bewusstsein treten kann. Ob er sich so betrachtet, ist seine eigene Entscheidung, die jeder Mensch insbesondere bei vorbehaltloser Anschauung des zerstörerischen Charakters aller ideologischen Einzelgesichtspunkte auch treffen kann.

Was uns in der Regel hindert, einen solchen Gesichtspunkt für uns selber einzunehmen, ist die Bindung an die eigene, als einzig angenommene irdische Existenz. Denn die würde dann ja eventuell vom übergeordneten Gesichtspunkt aus sich ganz anders darstellen als ich es gewohnt bin – vielleicht viel weniger bedeutend, als ich mich selber immer gefunden habe, oder – vielleicht noch beängstigender – viel bedeutender (und darum noch viel wichtiger als alle anderen ….).

Vor allem wäre dann ja sozusagen die Grundlage weg, auf der ich immer alle Verantwortung auf die Urheber der mich jeweils tragenden Ideologie abwälzen kann. Und – das mag sehr ketzerisch klingen, gilt bei genauer Betrachtung aber uneingeschränkt – auch die Auffassung, dass der Mensch nur eine Existenz habe und diese sich in seinem materiellen Sein erschöpfe (alles Seelische und Geistige insofern nur ein Ergebnis materieller Prozesse sei und damit sekundär) ist eine Ideologie. Allein die Tatsache, dass man zur Formulierung dieser Auffassung das Denken benötigt – also durch Denken die Determiniertheit des Denkens feststellen will – zeigt, auf welchem Terrain man ist. Da ist ziemlich viel Glatteis. Warum kommt denn das determinierte Denken darauf, sich selber als determiniert anzusehen? Warum soll die Materie sich als allein gültiges Sein zeigen, indem sie im Menschen das Denken erzeugt, durch das sie diese Alleingültigkeit feststellt? Da haben wir manchen Zirkelschluss.

Wenn aber meine bisherige Art zu denken – immer bestimmt durch Auffassungen, die mir durch die Verhältnisse der Welt eintrainiert sind von Geburt an – nicht weiterführt, und wegen ihrer Bindung an den irdischen Einzelmenschen notwendig egoistisch und zerstörerisch werden muss, wo finde ich dann einen sicheren Halt? – Gar nicht. Den muss ich mir selber geben. Das ist eben der Charakter der Freiheit, dass sie sehr anstrengend ist, weil man alle Grundlagen selber immer wieder neu auferbauen muss.

Das ist auch etwas, was es für z.B. mittelalterliche Menschen gar nicht gab. Damals war die Welt nicht in derselben Weise materialistisch durchideologisiert wie heute. Auch viele östliche Gesellschaften leben heute noch in ganz anderen Verhältnissen als wir westlich ge- oder verbildete Menschen. Wenn wir auf dieser Erde zusammen leben wollen, müssen wir einander verstehen, und „Verstehen“ bedeutet eben für verschiedene Menschen auch Verschiedenes. Ist nicht die Auffassung allgemein vorherrschend, wir Heutige allein hätten der Weisheit letzten Schluss gefunden, viel mehr jedenfalls als unsere Vorfahren? Sind wir nicht einfach nur ganz anders als sie, und können sie erst wieder verstehen, wenn wir uns in ihre Art des Verstehens hineindenken können?

Und ein Weiteres ist zu bedenken. Wer sich als Glied einer Entwicklung betrachtet, orientiert sein Urteil an einem Prozess, dessen Gesamtheit sich ihm erst nach und nach aus seinen eigenen Verständnisbemühungen ergibt. Ein solcher Mensch schafft also maßgeblich an seinen eigenen Urteilsgrundlagen mit, kennt sie darum genauer und kann sie von den einzelnen Objekten und den an sie geknüpften Sympathien und Antipathien loslösen. Dadurch kann er sich selber zum Objekt werden und bei ausreichender Bemühung auch wahrheitsgemäßer beurteilen lernen. Manch einer fürchtet sich davor – also vor sich selber, ungeschminkt betrachtet. Die Verlässlichkeit des eigenen Urteils gewinnt aber dadurch.

Freiheit

Die Freiheit, in die der Einzelne gestellt ist in unserer Zeit, existierte für unsere Vorfahren gar nicht in derselben Weise. Darum waren die Gesellschaften der Vergangenheit auch anders konfiguriert. Sie waren darum nicht schlechter oder besser als unsere heutige – für uns Heutige würden sie vielleicht gar nicht mehr passen, das stimmt – sondern einfach nur für andere Menschen. Die Menschen entwickeln sich ja auch durch die Jahrhunderte und Jahrtausende.

Und für uns heutige ist eben die Freiheit, selber für das eigene Denken einzustehen und es zu verantworten, ein Ergebnis der Verhältnisse. Wir können ja sehen, dass keine der Parteien für die ganze Menschheit spricht. Wenn wir diesen Gesichtspunkt geltend machen wollen, den der Gesamtmenschheit, können wir damit nur bei uns selber anfangen, aus freiem Wollen. Diese Freiheit schließt aber zweierlei ein:

  • die Einsicht, dass jeder andere Mensch prinzipiell in derselben Lage ist in Punkto Freiheit
  • die Einsicht, dass jede Ablehnung der eigenen Freiheit und der an sie gebundenen Absichten zu eben jenen Sichtweisen – Ideologien – gehört, die andere Menschen-Meinungen ausschließen müssen, notwendig also gegen die Freiheit aller Andersmeinenden gerichtet sein muss. Es gibt in diesem Zusammenhang auch eine Ideologie der „Meinungsfreiheit“, die darin besteht zu sagen, dass es eben keine Wahrheit gibt, nur Meinungen; eine solche Ansicht rechtfertigt darum die derzeitige Menschheitssituation, in der sich eben die Meinungen durch Macht bekämpfen, und erklärt sie für dauerhaft unvermeidbar. Wenn nun jemand sagt, Machtdemonstration sei in diesem Fall nicht zulässig, stellt er wieder seine persönliche Auffassung von Moral über die des Anderen, der vielleicht meint, Meinungen könnten sich nur durch Machtausübung und Erfolg oder Misserfolg im Leben als wahr oder unwahr herausstellen. Das hilft also auch nicht weiter. Nur die Freiheit gibt einen Ausgangspunkt, der keinen anderen ausschließt.

Es handelt sich also um eine Grundsatzentscheidung, entweder aus freier Entscheidung sich (die aktuelle irdische Person) zum Funktionär der Entwicklung der Gesamtmenschheit zur Freiheit zu machen, oder die eigenen, irdischen Parteiinteressen über andere, widerstrebende Interessen zu stellen.

Freiheit ist anstrengend, wie schon gesagt.

Übersicht schafft Zusammenhang

Denkt man genau, so wird schnell klar, dass mit Einbeziehung der Freiheit jeder Mensch in seiner Gänze nur verstanden werden kann, wenn er nicht auf einen irdischen Lebenslauf (und schon gar nicht auf das dabei stattfindende Innenleben der Seele) begrenzt gedacht wird, sondern seine Voraussetzungen (äußerlich-leiblich, seelisch, geistig) ebenso wie die Wirkensfolgen durch seine Taten (ebenso äußerlich-leiblich, seelisch, geistig) ihm auch zugerechnet werden. Der Gedanke einer – wie immer im Einzelnen auch gedachten – wiederholten Verkörperung der menschlichen Individualität wird damit unabweisbar. Unvollkommenheiten und Misserfolg in diesem einen irdischen Leben können dann in anderem Licht erscheinen.

Eine Tat ist es dann auch, ob sich ein Mensch entscheidet, sich auf die Suche nach seiner wahren Aufgabe im Menschheitsganzen zu machen, indem er sich frei macht von den Vorbetern der verschiedenen kirchlichen, wissenschaftlichen und anderen ideologischen Denksysteme und Schulen. Es kostet diese Entscheidung jeden Tag immer wieder Kraft, die vor allem dafür aufgewendet werden muss, das eigene Denken, Fühlen und Tun daraufhin zu durchleuchten, ob es wirklich eigenes ist, oder doch nur wieder Nachgeplapper welcher Ideologie auch immer.

Jeder Einzelne kann diese Kraft aber aufbringen, sie ist in uns allen angelegt. Wir müssen sie nur gebrauchen, üben, immer weiter entwickeln.

Vollmenschliche Zukunft

Der Weg in eine vollmenschliche Zukunft der Menschheit insgesamt geht damit durch den frei und bewusst sich in den Dienst an dieser Zukunft stellenden individuellen Menschen, der damit einem allgemeinen Gesetz dient, ohne ihm unterworfen zu sein, ohne also seine Freiheit einzubüßen. Der Mensch ist in diesem Sinne die Auflösung des Dilemmas, in das er hinein gestellt ist.

Der einzelne Mensch, der sich darum bemüht, erkennt von dieser Warte aus den auch irdisch-persönlichen Wert seiner individuell erlebten Welt – einschließlich aller darin vorkommenden Menschen* – für die eigene Weiterentwicklung ebenso wie für diejenige aller anderen. Und er kann dabei lernen einzusehen, wie ohne den frei denkenden Menschen – also konkret ohne ihn selber – keine vollmenschliche Entwicklung in die Zukunft hinein möglich ist. Sonst regieren weiter Ideologien über die Menschen, bis hin zur völligen Zerstörung.

So wie bisher kann es eben nicht weitergehen.

© Stefan Carl em Huisken 2022

*In gewissem Sinne kommen ganz grundsätzlich ja mittelbar alle Menschen in jeder individuellen Lebenswelt vor. Der Einzelne ist sich ihrer nur in unterschiedlichem Grad bewusse, je nachdem sie ihm näher oder ferner stehen.



Cover Wahnsinn und Denken Ideologien

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Über die Notwendigkeit des Weltunterganges

Vorbemerkung – über das Umdenken

In unserer Zeit häufen sich die Stimmen, die ein grundsätzliches Umdenken fordern, eine ganz neue Grundlage für die Gestaltung des äußeren Lebens der Menschen. Die alte Art, darüber zu denken, sei abgelebt und zeige ja an ihren Folgen, dass sie den Anforderungen, die mit dem Ziel eines menschenwürdigen Lebens für alle verbunden sind, nicht gerecht werden könne.

Einer solchen Auffassung kann man ja nur zustimmen. Dass das alte Denken und die daraus hervorgegangene Einrichtung des Lebens nicht mehr taugt, ist offensichtlich. Allein die Frage, wie denn so ein grundsätzliches Umdenken möglich wird, findet in all den Beteuerungen seiner Notwendigkeit kaum eine Antwort.

Die alte Art der Weltgestaltung hat abgelebt, also gehen wir daran, eine neue, dem Menschen und seinem Geist gemäße aufzubauen. Einen Beitrag, vielleicht den entscheidenden Beitrag dazu lieferte Rudolf Steiner mit dem Aufbau der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Kaum ein Kulturimpuls der neueren Zeit ist so entschieden von den Vertretern des überkommenen Wissenschaftsbetriebes ebenso wie von christlichen und anderen Religionsgemeinschaften abgelehnt und bekämpft worden – und wird es noch. Man sieht daran: nichts ist den Menschen so unbequem, ja unannehmbar, wie die Forderung, sich selbst und seine Art des Umganges mit der Welt radikal in Frage zu stellen und neu zu gestalten; genau darum ging es aber Rudolf Steiner.

Dennoch finden manche Ergebnisse anthroposophischer Geisteswissenschaft immer wieder neue Freunde: in der Medizin, der Pädagogik, der Landwirtschaft, den Künsten und in anderen Bereichen nimmt man die Anregungen gerne auf. Denn da hat man Rezepte, so glaubt man, die man nutzen kann, um nur ein bisschen etwas anders zu machen, damit das Leben angenehmer wird.

Aber so wird natürlich aus dem von Rudolf Steiner angestrebten Umdenken nichts. Wenn umgedacht werden muss, ganz grundlegend, dann ist mit kosmetischen Maßnahmen wie den genannten Rezepten nichts getan. Auch diese Rezepte werden nur so lange ein wenig funktionieren, wie in ihnen der Geist der anthroposophischen Geisteswissenschaft oder zumindest ein Rest seiner Tradition waltet. Die Entkräftung vieler anthroposophischer Initiativen im Leben der Welt wird immer offensichtlicher; von manchen ihrer Vertreter wird sogar aktiv die Anpassung an die Gebräuche der gewordenen Lebenswelt gefordert und gefördert. Man will also der immer mehr krisengeschüttelten Lebenswelt der Menschen einen neuen, aufbauenden Impuls einflößen, indem man sich an sie anpaßt. Das kann nicht funktionieren.

Versucht man dagegen, die Lösung scheinbar vordringlicher äußerer Probleme zurückzustellen, um zunächst an die Wurzel zu gehen und die Methoden solcher Problemlösung in Frage zu stellen zugunsten grundsätzlicher Erwägungen über den Menschen und sein Weltendasein, wird man leicht als weltferner Spintisierer angesehen, der das wirklich praktische Leben nicht achtet. Ein bisschen hat diese Haltung etwas von Bertold Brechts paradigmatischem Ausspruch: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Man mache also – egal wie – erst einmal den Menschen das Leben erträglich bis angenehm, dann werden sie schon die Motivation und die Kraft zum Umdenken aufbringen – so übersetze ich mir das.

Was aber, wenn die Lösung der lebenspraktischen Probleme nicht gar mehr gelingt ohne ein grundsätzliches Umdenken, vielleicht auch diesen Satz von Brecht betreffend? Wie, wenn unter dem Einfluss der mit Brechts Ausspruch verbundenen Ideologie dieses Umdenken schon lange unterdrückt wurde und nun inzwischen auch darum mehr als überfällig ist? Rudolf Steiner sah jedenfalls die anthroposophische Geisteswissenschaft als Impulsgeber für ein solches, schon lange überfälliges Umdenken.

Wer nun aber versucht, wirklich selbständig denkend die Wege solcher Geisteswissenschaft zu wandeln, sieht sich schnell mit der Aussage konfrontiert, diese Geisteswissenschaft sei unverständlich und daher wenig hilfreich; und man wendet sich wieder ihren „leichter verständlichen und nützlichen“ Ergebnissen zu. Dazu äußerte sich Rudolf Steiner unmissverständlich: „Es muß unsere Wissenschaft so sein, daß sie mehr Verstand notwendig macht, als man bisher anzuwenden gewohnt ist. Wenn man sagt, die Geisteswissenschaft kann man nicht verstehen, so liegt es aber nicht daran, daß man nicht genügend Verstand hat, sondern daß man nicht genügend Verstand anwenden will. Darüber möchte man sich gerne täuschen. Würde man so viel Verstand anwenden, wie der Mensch haute schon aufbringen kann, so würde man die Geisteswissenschaft schon verstehen.“1

Wer dazu neigt, in der anthroposophischen Geisteswissenschaft den unserer Zeit so offensichtlich notwendigen Impuls der Erneuerung des menschlichen Weltenlebens zu sehen, wird also gut beraten sein, wenn er sich in seinen Bemühungen um die Vertiefung der geistigen Grundlagen für eine Umkehr im menschlichen Weltenleben von solchen Einwänden wie den eben angedeuteten nicht von seinem Weg abbringen lässt. Wer die Lösungen für die Probleme, vor die eine immer mehr zerfallende, absterbende Welt den Menschen stellt, nicht in dieser Welt selbst, sondern in dem diese Welt tragenden und in ihr wirkenden Geist suchen will, wird sich unbeirrt zunächst in diesen Geist zu vertiefen haben da, wo er jedem Menschen heute zugänglich ist: im eigenen, individuellen Weltenleben des Ich, einem Leben, das allen Menschen heutzutage gemeinsam ist.

In diesem Sinne ist dieser kleine Aufsatz gedacht. Er soll einen möglichen Weg des grundstürzenden – und grundsätzlichen – Umdenkens aufzeigen, der den immer deutlicher werdenden Anzeichen des Unterganges derjenigen Welt, in der wir gewohnt sind zu leben, entgegengehalten werden kann. Wer sich ernsthaft bemüht, den hier angedeuteten Weg der Vertiefung zu beschreiten, wird beim Aufbringen der notwendigen Aufmerksamkeit bald bemerken, wie viele der getroffenen Aussagen – recht verstanden – unmittelbar lebenspraktische Hinweise geben können. Sie ergeben sich dann allerdings unmittelbar und selbständig aus dem Nachvollzug der geschilderten Denkwege, und erfordern keine vorgegebenen Rezepte, sondern folgen nur aus dem ernsthaften Erkenntnis-Suchen und Erkenntnis-Schaffen des individuellen, sich seiner selbst bewusst werdenden Menschen. Dem Leser sei in diesem Sinne viel Erfolg gewünscht.

Was ist die Welt?

Diese Frage beschäftigt seit Urzeiten die erkenntnissuchenden Menschen. Sie ist bis heute allerdings ungelöst und wird es vorerst wohl auch bleiben. Eine einmalige und dann dauerhaft gültige Lösung ist nämlich gar nicht möglich – die Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Welt –, und wird darum hier auch gar nicht angestrebt. Was versucht wird, ist lediglich die Beschreibung einer heutzutage wohl für viele gültigen Situation, vom Gesichtspunkt des denkenden, um Wahrhaftigkeit bemühten Menschen.

Diesem Menschen tritt dasjenige, was er Welt zu nennen gewohnt ist, zunächst als in sich selbständig und vom Menschen unabhängig existierende Zusammenstellung von Gegenständen entgegen, die vom Menschen zwar in ihrer Existenz und in ihrem Zusammenwirken erlebt, aber vorerst nicht letztgültig und vollständig begriffen und erklärt werden können. Wir erleben in der Welt also unmittelbar ihre von uns selber unabhängige Existenz, nicht aber das Walten derjenigen Kräfte und Mächte, die ihren jeweiligen Zustand hervorbringen und bestimmen. Was wir erleben, ist also Werk, fertiges Ergebnis, nicht Wirken und auch nicht unmittelbare Offenbarung des in dieser Welt waltenden Wesens.

Nun hat diese von jedem Menschen individuell erlebte Welt als eines ihrer hervorstechenden Charakteristika die Eigenschaft, dass alles in ihr Vorkommende früher oder später abstirbt, ein Ende findet und vergehen muss, um einem Neuen Raum zu geben2. Dazu gehört letztlich auch unsere eigene erlebende Anwesenheit in dieser Erdenwelt, denn diese Anwesenheit ist daran gebunden, dass wir einen Leib haben, durch den wir erleben und wirken können. Dieser Leib ist aus Stoffen und Kräften der Welt auferbaut und damit wie alles in der Welt vergänglich. Ohne den Leib haben wir aber vorerst keine Möglichkeit des Welterlebens. Insofern geht also die individuelle Welt eines jeden Erdenmenschen mit seinem Tod unter, löst sich auf.

Der Bemühungen, diesen persönlichen Weltuntergang zu verhindern, aufzuschieben, aus dem Bewusstsein zu verdrängen oder in etwas Wünschenwertes umzudeuten, gibt es viele. Dazu gehören die Verkündigungen von einem Eingang ins göttliche Paradies, in Gottes Schoß mit dem Tode ebenso wie die transhumanistischen3 Vorstellungen von der Dauerhaftmachung des persönlichen menschlichen Bewusstseins durch dessen Übertragung auf (als dauerhaft angenommene) Maschinen. Auch manche Rücksichtslosigkeit im ungezügelten Genießen des einzelnen Augenblicks, oftmals gesteuert durch die Hingabe an die Befriedigung von Trieben, die an das Dasein der Welt gebunden sind, hat hier ihren Ursprung. Genauso sind manche einflussreiche, oftmals fanatisierende Ideologien hier zu nennen, die der Sucht des Menschen entspringen, das Lebensregiment dem Tode in der Welt zu entreißen.

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass alle derartigen Bemühungen illusionär sind. Denn auch das gewöhnliche Denken der heutigen Menschen ist ein Weltprodukt und trägt damit den Keim des Todes in sich. Wie viele scheinbar gnadenbringende Einrichtungen haben die Menschen aus solchem Denken nicht schon erschaffen, die aber dann allesamt über kurz oder lang entweder den Gang alles Irdischen genommen haben, also abgestorben, vergangen sind, oder den Menschen einem Regiment übermächtiger Weltendauer unterwerfen und damit seine Weiterentwicklung beschädigen oder unmöglich machen.

Die Tatsache, dass alles Weltensein zu seiner Zeit absterben muss, setzt nämlich die andere voraus, dass dieses Weltensein in ständigem Wandel ist, aus sich heraus sich entwickelt, also lebt. Ohne Leben kein Tod, und ohne Tod kein Leben. Wo der Mensch durch seine Taten in der Welt sein eigenes Leben den Regularien der Welt unterwerfen will durch Schaffung bürokratisch-mechanischer oder maschineller Weltprozesse, die ihn dann selber bestimmen, arbeitet er selber mit an seinem eigenen Tod. Alle solche Vorhaben zielen nämlich darauf, den Menschen nach den Regeln seines eigenen gewordenen, von der Welt bestimmten Denkens ewig, dauerhaft zu machen. Diese Regeln sind aber aus dem Erleben der absterbenden Welt gewonnen, und können daher nichts Anderes, als ein totes, ohne Entwicklung sich selber immer gleich reproduzierendes Maschinensein hervorbringen. Auf diese Weise geht aus dem Streben nach dem ewigen Leben des Erdenmenschen sein eigener Weltentod hervor, als dauernde Wiederholung des ewig Gleichen.

Was ist der Mensch?

Nun kann man aus dieser Betrachtung bereits eines lernen: indem das erlebende Ich des Menschen in die Welt tritt, und diesen Prozess nach und nach beobachten und begreifen lernt, erfährt es wohl eine Menge über das Weltendasein, nichts jedoch über sich selbst als derjenige, der in dieses Weltendasein mit der Geburt eintritt und es mit dem Tode wieder verlässt. Wer ist dann dieser individuelle Mensch, der sich selber Ich nennt und durch sein Weltensein hindurchgeht? Woher stammt er? Hat er eine Bestimmung, die in ihm selber liegt, oder erschöpft sich diese Bestimmung in dem Durchgang durch das Welten-Dasein? Solche Fragen können demjenigen aufgehen, der die Welt und sein eigenes Erleben darin unvoreingenommen beobachten und durchdenken will.

Wer mit der Frage nach sich selbst beginnt umzugehen, kann sich zunächst ein Grundsätzliches klarmachen: die Erkenntnis der Welt, wie sie uns gegenübertritt, geht zunächst von etwas Gegebenem aus, von den Inhalten unserer Sinneswahrnehmung vor allem, deren exaktes Zustandekommen wir aber genauso wenig unmittelbar gegeben haben, wie es eben bei allen Weltgegenständen ist. Wir nehmen die Erkenntnisinhalte wahr, ihr Entstehen und ihr Zusammenwirken entzieht sich der Wahrnehmung. Was wir darüber aussagen können zu ihrer Erklärung, tragen wir selber durch unsere Tätigkeit an die Gegenstände heran, fügen es ihnen hinzu.

Das ist bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach uns selbst, nach dem Menschen also, grundsätzlich anders. Hier haben wir kein unmittelbar gegebenes Objekt, an dem wir ansetzen können. Als der Wahrnehmende und Denkende im Erkenntnisprozess treten wir als Subjekt auf, als Tätiges, das in Form unserer Gedanken und Vorstellungen sich selber erst Inhalte schaffen muss, bevor etwas erklärt werden kann. Bevor wir etwas über uns selber aussagen können, müssen wir schon etwas getan haben, nämlich den Inhalt der Aussage hervorgebracht haben.

Das ist ja bei allen Erklärungen so – auch gegenüber den Gegenständen der Sinneswelt –, aber deren Objekte sind uns gegeben und wir können unser Gedankenschaffen an ihnen überprüfen. Die Gegenstände der Sinneswelt sind uns aber nur als Ergebnis, als Werk gegeben, nicht jedoch ihr Entstehungsprozess. Das ist beim Denken über uns selbst anders: hier ist das Ergebnis nicht vorgegeben, dafür können wir aber dessen Entstehungsprozess verfolgen, denn wir sind ja selber mit unserem Tun daran beteiligt. Sowohl die Art des Hervorbringens von Vorstellungen und Gedanken als auch die Beurteilung ihres Entstehungsprozesses und ihrer Ergebnisse hängt von unserer eigenen Beteiligung daran ab.

Ist also zwar das Bewusstsein von uns selbst als einer erlebten Welt gegenüberstehendes Wesen eine gegebene Tatsache, die auch von der Sinneswelt zunächst abhängt, so schafft unser Denken über uns selbst Inhalte, die aus uns selber hervorgehen, von uns geschaffen sind und insofern nur noch mittelbar von der Existenz der Sinneswelt abhängig sind, indem sie nämlich das Bewusstsein von uns selbst für ihre Entstehung voraussetzen, nicht aber explizit die Sinneswelt als solche.

Damit schaffen wir in unserem Denken und Erkennen eine innere, geistige Welt mit, deren Entstehung in allen ihren Inhalten ohne unsere Beteiligung nicht möglich wäre. Die Inhalte dieser geistigen Welt bestehen daher gerade durch uns selber und unser Miterleben und Mitgestalten ihres Entstehungsprozesses. Ihre Beurteilung ergibt sich also nicht durch Vergleich des Ergebnisses mit dem zugehörigen gegebenen Objekt wie bei der Erkenntnis der Sinneswelt, sondern unmittelbar aus der Beobachtung ihres Werdens.

Je mehr solcher selbsterschaffener Geist-Inhalte der Mensch hervorbringt, desto mehr kann er sein Bewusstsein von sich selbst auf seine eigene schaffende Tätigkeit stützen und sich aus der Abhängigkeit im Erkennen von den Vorgaben der Sinneswelt lösen, also frei werden. Darin liegen Fluch und Segen zugleich. Der Segen ist das allmähliche Erlangen immer umfassenderer Freiheit im Erkennen. Der Fluch liegt in der Möglichkeit, diese Freiheit so zu nutzen, dass dabei die gegebene Sinneswelt den Motiven des eigenen Tuns untergeordnet wird.

Alle Utopien und Ideologien erliegen dieser Versuchung, den eigenen Zukunftswunsch den gegebenen Tatsachen überzuordnen und damit zu vergessen, woraus das Bewusstsein von uns selber ursprünglich gespeist wurde – nämlich aus dem Erleben der Sinneswelt. Damit stellt sich die Frage nach der Bestimmung des Menschen: ist er da, um seine eigenen, aus dem ja auch noch weitgehend unerkannten Inneren aufsteigenden Wünsche zu realisieren, indem er die gegebene Welt nur als Mittel seiner eigenen Macht betrachtet, oder ist er selber sozusagen das Mittel, das die Welt aus sich herausgesetzt hat, sich selber gegenüber gestellt hat, um sich selber durch den Menschen weiter zu entwickeln?

Notwendigkeit und Freiheit

Die umgebende Welt konfrontiert uns mit der Tatsache ihrer Vergänglichkeit und damit auch der Vergänglichkeit unseres eigenen, von der Existenz der Welt abhängigen Bewusstseins. Dieser Tatsache des Todes gegenüber kann also von Freiheit keine Rede sein. Wir sind hier der ehernen Notwendigkeit unterworfen, der gegenüber jede Auflehnung zwecklos ist.

In unserem Denken über uns selbst und in der Beobachtung der von uns selber ausgehenden Entstehungsprozesse unserer Gedanken und Vorstellungen bewegen wir uns demgegenüber in der Region der Freiheit, und dies umso mehr, als wir nach und nach lernen können, uns in unserem Selbstbewusstsein immer mehr auf diese selbsterschaffenen Prozesse zu stützen und uns so unabhängig zu machen von der Stütze, die uns die Sinneswelt sonst gibt.

Beide Reiche – die eherne Todesforderung der Sinneswelt, die letztlich nichts als erstorbene, fest gewordene Ergebnisse uns unmittelbar nicht gegebenen Werdens enthält, und das Reich des Lebens im Geiste, das aber in sich die Tendenz birgt, das eigene Schaffen der gegebenen Welt vorzuziehen und damit den eigenen Entstehungsgrund im Gegebenen zu leugnen – beide Reiche stehen sich so zuerst als Gegensätze gegenüber. Notwendigkeit des Todes in der Sinneswelt und Freiheit des Lebens im Geiste scheinen unvereinbar.

Wenn wir so denken, vergessen wir dabei unseren eigenen Beitrag: die Gegenüberstellung dieser beiden Seinsbereiche – Weltentod und Geistesleben – ist unser eigenes Werk im erkennenden Umgang mit den Tatsachen unseres Lebens. Die Unvereinbarkeit beider stellen wir fest aufgrund eigener, im Geiste von uns mitgestalteter Denkprozesse. Wenn wir dies bemerken, verhalten wir uns einer von uns selber geschaffenen Geisttatsache (Gedanke der Unvereinbarkeit von Notwendigkeit und Freiheit) gegenüber so, wie wir dies der Sinneswelt gegenüber gewohnt sind: wir vergleichen Denkprozess und Ergebnis und bemühen uns, beide in Übereinstimmung zu bringen. Dabei können wir feststellen, dass wir ein wichtiges Glied in der Kette noch übersehen haben.

Die Notwendigkeit des Weltenwerdens hat aus sich heraus ein Werk vollbracht – den seiner selbst sich bewusst werdenden Menschen –, das den Keim der Freiheit in sich birgt, in der Möglichkeit der Abkehr vom ersterbenden Werk und der Zuwendung zum lebendigen Schaffen. Was liegt aber dann dem Weltenwerden zugrunde als Garant des Selbstbewusst-Werdens des Menschen zu seiner Freiheit? Ist das nicht dieselbe geistige Welt des Schaffens und Hervorbringens, die wir Menschen im Gedankenschaffen in uns tragen und deren selbstbewusstes Glied wir werden können, je mehr wir uns auf diese lebendige Welt selber zu stützen lernen und damit von der gegebenen Sinneswelt uns unabhängig machen?

Der Versuch einer vorläufigen Antwort auf solche Fragen führt uns in den Bereich der tiefsten Urgründe des Menschenwesens. Was liegt der Welt der Sinneserlebnisse ebenso zugrunde wie der geistigen Welt unseres eigenen Erkenntnisschaffens? Es ist dies dasjenige Wesen, das als Urgrund unseres selbstbewussten Schaffens erst den Gegensatz von Weltobjekt und erkennendem Subjekt hervorbrachte, aus dem der freiheitssuchende Mensch hervorgeht. Dieser Mensch braucht daher zu seinem Dasein beide Seiten, um diese nach und nach in seine Freiheit aufzunehmen und in eine neue, ihrer selbst bewusste Einheit zu überführen, die sich dann aus ihrer Mitte heraus selber tragen kann.

Der Vater-Gott, der Welten-Urgrund also stellte sich im toten Werk seinem eigenen lebendigen, schaffenden Geist gegenüber und schuf sich so den Menschen-Sohn, der erst durch sich den unerbittlich waltenden Vater-Gott der Welt mit dem alles zu neuem Leben führenden Geist in sich zu einen vermag. So führt er im Sohn die Welt in den Geist, indem er den Geist der Welt in sich belebt, und den Geist in die Welt, indem er ihr sein Schaffen als Werk einfügt.

Dies kann mit Recht der Christus genannt werden, der erst durch das Auftreten des schaffenden Gottes in der Werkwelt sich mit dieser einte im Tode, und damit Ausgangspunkt zu einer Auferstehung der untergehenden Werkwelt zu neuem Leben im Geiste werden konnte. Dieser Geist des MENSCHEN-GOTTES, des Gottes-Menschen gibt in seinem Auftreten in der Werkwelt der Welt und dem aus ihr hervorgegangenen Menschen ihren Entwicklungs-Sinn.

Durch ihn ist der Vater-Gott, der Welt-Erschaffer von seinem Wirken durch die Welt zum Wirken durch jeden einzelnen Menschen, mithin durch die Menschheit als Ganzes übergegangen; er selbst, der Menschen-Gott wird im Menschen-Sohn zum Repräsentanten der Menschheit schlechthin. In jedem Einzelnen von uns lebt seitdem eine Variante dieses Menschheits-Repräsentierens, bewusst oder unbewusst.

Und weil so der innerste Kern aller individuellen Menschen ein einheitlicher, universeller ist, schließt er auch die Existenz der Welt und ihr Hervorbringen mit ein, ja, ist geradezu diese Welt, hat sich mit ihr geeint und wirkt daher durch sie. Jeder einzelne Mensch, der seinen innersten Kern sucht, kann sich sagen: das Einzigartige, Unverwechselbare, in dem meine Individualität besteht, liegt in meiner Welt! Indem ich mich meiner Welt hingebe, so wie der Christus sich der Erdenwelt als Ganzer einte, werde ich erst wirklich frei. Dann erst, im Einswerden mit der Welt nehme ich auch die Grundbedingung meiner Existenz, meiner Entwicklung zur Bewusstwerdung in mich auf, nämlich den Tod in der Welt, und schaffe damit einen Ausgangspunkt für ein zukünftiges, wahrhaft freies, geistiges Welten-Leben.

Worin liegt die Zukunft?

Meine Zukunft liegt daher in einem geistigen Leben, das seinen Gegensatz zur Welt nicht als Erleben eines dunklen Weltenzwanges ansieht, sondern darin gerade die Bedingung seines bewussten Menschenseins erkennt. Damit einher geht eine Veränderung im Leben, die radikaler nicht sein könnte: sahen wir zunächst unsere Individualität als eine welt-entsprungene an, die daher nur insofern frei sein kann, als dieser Ursprung es zuläßt, werden wir nun im Laufe der Entwicklung mehr und mehr zu Geistwesen, die ihren eigenen Weltenursprung einschließen und damit die wahre Freiheit nach und nach entstehen lassen können.

Die Führung des Lebens der Welt geht daher von der fremden, unerkannten Welt auf uns selber über, in vollem Bewusstsein. Vergessen wir aber nicht, was nötig dafür war, immer noch ist, und noch lange bleiben wird: der mehr oder weniger allmähliche, von Zeit zu Zeit aber auch sprunghaft voranschreitende Untergang der uns gegebenen, fremden Außenwelt, ihr Tod also, ihr Vergehen.

Dies kann man einerseits ganz individuell auf sich selbst beziehen. Indem ich die Welt verlasse, geht sie mir unter. Mein Dahinscheiden ist also identisch mit dem Untergang meiner individuellen Sinnes- und Erlebniswelt. Soweit diese Welt mir fremd geblieben ist, wird auch mein Geist-Erleben das Bewusstsein verlieren. Soweit ich diese Welt aber in liebender Hingabe mit mir vereint habe, also auch ihren geistigen Urgrund anstelle ihres äußeren Werk-Seins als Bedingung meines Selbst-Bewusstseins erkannt habe, habe ich mich unabhängig vom Gewordenen gemacht und kann mein individuelles Bewusstsein im Untergang der Welt aufrecht erhalten. Soweit ich also mich bewusst zum Ausdruck des Christus, des Menschheits-Repräsentanten gemacht habe, werde ich auch im Bewusstsein Anteil haben an der Auferstehung des Geistes aus dem Weltentode.

Ohne den Untergang derjenigen Welt, in der Leben und Tod sich bedingen, werde ich also des Ewigen nicht teilhaftig werden. In der Sinneswelt regieren die Lebenszyklen der Entwicklung zwischen dem sprießenden Keim und dem Vergehen; nur im Geiste können wir erleben lernen, wie aus Leben und Tod erst Entwicklung – also neues Leben – hervorgeht, können uns mit diesem Gang vereinen und so als Mitschöpfer in die ewige Entwicklung eintreten.

So wie dieser Vorgang im einzelnen irdischen Menschenleben sich ereignet, geschieht es auch in der ganzen Menschheit. Soweit, wie es Menschen gibt, die die Bedingungen der Weiterentwicklung der Menschheit und ihrer Welt in sich selber aus dem Geiste heraus erschaffen können, wird das dunkle Walten der fremd gewordenen Welt durch ein helleres, menschliches ersetzt. Das heißt aber im Umkehrschluß auch, dass die Bedrohung unserer Existenz durch den Weltuntergang, das Zerfallen, Vergehen derjenigen Welt also, die uns aus sich hervorgehen ließ und heute noch trägt, solange immer stärker und bedrängender werden wird, wie es diese geist- und weltentragenden Menschen-Söhne nicht gibt. Nicht der Weltentod, der Welt- Untergang ist also das eigentliche Problem, der Stein des Anstoßes, sondern die damit verbundene Bedrohung unserer Existenz. Diese hängt aber von unserem Umgang mit der aufgeworfenen Frage ab: sterben wir mit der Welt ab, oder erheben wir sie durch uns in den Geist?

Rudolf Steiner formulierte es einmal so: Es ist ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen dem, was menschliches Bewußtsein ist, und den zerstörerischen Kräften des Weltenalls, gerade den Untergangskräften des Weltenalls. (…) er besteht so, daß das eine als Ersatz für das andere auf der einen Seite dienen kann oder auf der anderen Seite dienen muß …“4. Der Weltuntergang kann also etwas Notwendiges sein, die Not, die mit ihm einhergeht, wenden, indem seine andere Seite auftritt: der Mensch als Welten-tragen-Wollender.

Irrtümer

Der im Vorstehenden umrissene Gedankengang kann nun vielfältige Irrtümer in das Bewusstsein treten lassen, die dazu führen können, dass das Erreichen des Ewigkeitszieles der bewussten Durchgeistigung von Erde und Mensch behindert und geschädigt wird. Einige davon sollen hier abschließend kurz angedeutet werden.

So kann der einzelne Mensch dazu neigen, seinen eigenen Beitrag als so unwesentlich anzusehen – aus der Erfahrung der dauernden Übermacht der Sinneswelt mit ihren Gesetzen –, dass er die mit seinem eigenen Beitrag verbundene Mühe nicht aufbringt. Wer sich so verhält, hat noch nicht genügend Verständnis erlangt für den grundsätzlich anderen Charakter der geistigen Welt, die sich in der Selbstbeobachtung des Menschen auftut, im Vergleich zur äußeren Sinneswelt, die uns gegeben ist. Auf die in der Vorbemerkung angeführte Aussage Rudolf Steiners über das Verstehen-Können und Verstehen-Wollen sei hier nochmals hingewiesen.

In der gegebenen Sinneswelt liegen die Dinge getrennt von einander vor uns, und das Gesetz der Menge regiert. Was mehr ist, wird diese Welt stärker prägen als das Wenige. Ganz anders im Geiste: hier lebt alles ineinander, geht auseinander hervor und eint sich aufs Neue. Bringt ein Einzelner Bewusstsein in bestimmte Verhältnisse hinein, so tut er dies zugleich für die ganze Menschheit – auch, wenn diese vielleicht zunächst nichts davon bemerkt. Was einer erkannt hat, ist damit für immer ein Erkanntes. Darum lebt ja auch jeder sein individuelles Leben, das ihm seine individuellen, konkreten Aufgaben stellt. Was also der eine nicht zu Bewusstsein bringt, bleibt als Erkenntnisaufgabe ungelöst, bis entweder er selber oder ein anderer die Lösung bringt. Es gibt darum ganz prinzipiell gar keinen unwesentlichen Beitrag zum Ganzen; jeder, auch der kleinste Beitrag ist wesentlich. Und alles, was der Einzelne aus sich heraus, frei gewollt leistet, kann ein solcher Beitrag sein.

Des Weiteren könnte man die Einsicht in die Notwendigkeit des Welt-Unterganges zum Anlass nehmen, nun gleich ganz vorsätzlich einmal „tabula rasa“ machen und selber den Schalter auf „Aus“ stellen zu wollen. Das ist aber genauso wie der vorher angesprochene Irrtum nur ein Ausfluss des Unwillens, die Arbeit, für die der Mensch im Weltenganzen einmal vorgesehen ist, auch auf sich zu nehmen. Den Schalter auf „Aus“ zu drehen, ist scheinbar leicht und schnell getan; die Welt in Hingabe an jedes kleine Weltenwerk nach und nach in den Geist zu führen, ist eine Aufgabe für lange Zeit, die dem Menschen daher schwer erscheint.

Den Schalter auf „Aus“ zu stellen, ist aber unwiderruflich; und der Mensch kann irren, wenn erglaubt, seine Entwicklungsaufgaben würden ihm schon von anderen abgenommen. Sind wir denn tatsächlich schon so weit entwickelt, dass wir auf den ständigen Zyklus von Leben und Tod in der Sinneswelt verzichten können? Warum erscheint uns dann immer noch der uns bedrohende Weltuntergang? Der Schalter auf „Aus“ – wäre das denn nicht derzeit auch der endgültige Menschheitstod?

Nein, die Vernichtung der Welt ist ja kein Sinn in sich; sie ist nur im Rahmen der Vergeistigung durch den Menschen not-wendig, und dies fordert eben jeden Einzelnen, der sich zum Repräsentanten reiner Menschlichkeit entwickeln will. Es geht nicht um den Tod an sich, sondern darum, den Welten-Tod in sich aufzunehmen, um ihn dadurch zum Geist hin zu überwinden.

Die Welt zu leugnen, sich von ihr loszusagen oder sie sogar mutwillig zerstören zu wollen um selber im Geiste von ihrem Walten frei zu werden, kann wohl persönlicher Wunsch sein. Aber in der Welt muss ein Gleichgewicht sein von Leben und Sterben. Wer sein inneres Leben nur für sich behalten will, entzieht es dem Welt- und Menschheitsganzen, und wirkt darum mit an dem Ungleichgewicht, das dort entsteht. Da nimmt man die eigene selbstbewusste Existenz als ein Geschenk des Weltenwerdens hin und gibt nichts zurück. Die ganze Welt als Werkzeug meiner Wünsche, indem ich sie mir aus dem Bewusstsein hinausschaffe, um (vermeintlich) von ihr frei zu werden?

Aber das Leben, das Er-leben ist in mir. Gebe ich es nicht der Welt, so erstarrt sie umso mehr im maschinellen Tode, in der automatischen Lebensimitiation. Ohne mein hingegebenes Miterleben der Welt stirbt sie ab – ohne dass darin die Not gewendet wird zum Geist, ohne Notwendigkeit also, nur aus reiner Willkür des sterblichen Erdenmenschen. Diese Willkür ist auch ein Irrtum. Denn der Mensch, der ihm erliegt, ist noch nicht frei geworden von dieser Welt, für diese Welt, und wird mit ihr im selbstgeschaffenen Strudel untergehen.

Man muss sich der Idee erlebend gegenüberstellen können, sonst gerät man unter ihre Knechtschaft.“5

Leben in der Liebe zum Handeln, und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.“6


Aphoristische Ergänzungen zum Thema

I

Der Tod ist not-wendig. Wird er nicht im Leben selbst vollzogen, so zwingt er von außen. Er muss erkannt werden als der Schlüssel zum Leben. Wer sich selbst erstirbt, zum Sterben bringt, wird sich auferstehen sehen. – Die Rede ist nicht vom „Selbstmord“ –

Was ist mein Wille? Welches Wesen spricht da in mir? Wer lebt in all den Ideen, Willensimpulsen, Gefühlen, die mich durchziehen?

Wer ist dann Volk, Familie, Menschheit, Ich? Sie alle leben in mir, durch meine Welt offenbart. Aber ich erkenne sie nur, wenn ich ihre Sprache erlausche.

Jeder Gedanke ist Wesen. Jeder Weltgegenstand spiegelt Wesen. Jeder Stoff ist Geist – in Stoffesform. Treten wir ein in den Chor der Wesen.

Hören wir, was sie sprechen. Hören wir ihr Urteil, in den Ereignissen der Zeit. Lassen wir unser Wünschen fahren – treten wir machtlos, wie wir sind, aber voller Mut und Lebensliebe alldem entgegen, was uns in den Strudel der Zerstörung ziehen will. Christus in uns – der Welt der Teilung gegenüber. Werden wir zum Quell der Heilung.

II

Deutschland kann nichts. Wer sich zum Deutschen macht, kann viel. Wer Michaels Ruf hört, geht ihm entgegen, ohne Furcht, in Liebe zum Menschen.

Dies Hören, dies Schreiten, diese Liebe sind seine Kraft, die er der Zukunft schenken wird.

Zögern wir nicht: wir alle sind Siegfried, wir alle können ihm die Erlösung schenken. Erlösung von schwerer Schuld, von Irrtum und Versagen.

So wird er uns vorangehen auf unserem Weg, zwischen Skylla und Charybdis, aber frei, den Sirenen trotzend, dem Gesang widerstehen. Beide Wege zugleich sind uns gegeben.

––––––––––––––––––––––

Die Welt zeigt außen, was wir innen leben. Nehmen wir die Führung in unsere Hände, jeden Augenblick, den wir leben.

III

Was uns umgibt, ist Wesen, ebenso wie alles, was in uns – in MIR – lebt. Wir sind Geist unter Geistern, und erleben uns doch in einem toten Schattenspiel.

Ja, meine Welt ist meine. Ich bin Wesen. Aus mir geht sie hervor. Aus ihr ging ich hervor – ihrem Wesen. So ist es, und so wird es erst einmal bleiben. Gehe ich mit meiner Welt um – innen und außen – so gehe ich mit mir um. Doch ich verstehe mich nicht, kenne meine Sprache nicht, mit der ich mich anrufe.

So soll ich etwas und kann es nicht. Nein, ich muss es tun und kann es nicht. Ich muss erst wachsen, doch wachse ich erst, wenn ich mir das Wachstum schenke, das ich nicht kenne, von dem ich nicht weiß.

Das ist unmöglich. Und doch: tagtäglich geschieht es. Lerne ich es hinnehmen. Lasse ich mich führen von mir. Nehme ich den Irrtum auf mich, den unvermeidlichen. Durch ihn lasse ich mich wachsen.

Wo der Irrtum stirbt, ersteht die Wahrheit zum Leben. Ich bin der Irrtum.
Sterbe ich, so steigt die Wahrheit auf – aber ohne mich, mein Tun, mein Wollen. Wo ich mir sterbe, lebe ich in der Wahrheit der Welt. Sterbe ich der Welt – die Welt mir – so lebe ich in mir in Wahrheit – aber ich suche die Welt, durch die ich zu mir sprechen kann.

Dass nicht ich, sondern andere die Welt in mir sprechen lassen, ist Lüge. In mir lebt der Gott, der Tropfen göttlichen Seins, der Herr ist allen Schicksals, der Sprache des Karma mächtig. Ich bin es selbst. Immer. Bis ans Ende aller Tage.

Das Fremdsein ist Lüge, geboren aus meiner Furcht vor mir selber. Ich bin unteilbar, „Individuum“. Und doch mir selber fremd geworden.

Stefan Carl em Huisken


1Rudolf Steiner: Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur. GA 254. – Dornach, 1986, S. 187

2selbst für die ganze Erde geht die Geologie spätestens seit Eduard Süß (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Suess) davon aus, dass die Erde sich in einem allmählichen Ab­sterbeprozess befindet. Vgl. dazu von Rudolf Steiner z.B. der Vortrag vom 7. Mai 1923 in Rudolf Steiner: Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten. Die Verinnerlichung der Jahresfeste. GA 224. – Dornach, 1992, S. 144ff

3vgl. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Transhumanismus und https://emhuisken.de/den-menschen-ueberwinden-transhumanismus-und-geist-erkenntnis/

4Rudolf Steiner: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis. GA 177. – dornach, 1999, S. 17

5Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. GA 4. Dornach, 1973, S. 271)

6ebd., S. 166


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Cover Wahnsinn und Denken Umdenken Weltuntergang

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Was tun in der anthroposophischen Gesellschaft?

Vorbemerkung

Aufgrund meiner Stellungnahme zur Frage der Mitgliedschaft in der anthroposophischen Gesellschaft1 ergab sich die weiterführende Fragestellung, wie es nun möglich sein könnte, aus einer solchen Perspektive Schritte in die Zukunft auszumachen. Da scheint es mir angebracht, vorab wieder einmal auf eine der wichtigsten Handreichungen Rudolf Steiners zu Fragen der Zukunftsgestaltung im sozialen Feld hinzuweisen:

„Die Aufgaben, welche das soziale Leben der Gegenwart stellt, muß derjenige verkennen, der an sie mit dem Gedanken an irgendeine Utopie herantritt. Man kann aus gewissen Anschauungen und Empfindungen den Glauben haben, diese oder jene Einrichtungen, die man sich in seinen Ideen zurechtgelegt hat, müsse die Menschen beglücken; dieser Glaube kann überwältigende Überzeugungskraft annehmen; an dem, was gegenwärtig die «soziale Frage» bedeutet,
kann man doch völlig vorbeireden, wenn man einen solchen Glauben geltend machen will.“2

In den darauf folgenden Sätzen Rudolf Steiners, ja eigentlich im gesamten folgenden Buch geschieht nichts anderes, als diese Einleitungssätze immer weiter auszuführen und bis ins Einzelne hinein zu konkretisieren.

In meinem nun folgenden Versuch, einige Gedanken zu Schritten zu formulieren, die in der anthroposophischen Gesellschaft3 in die Zukunft hinein gegangen werden könnten, bemühe ich mich, diese Sätze Rudolf Steiners zu beherzigen. Angesichts meiner mangelnden Fertigkeit, jeden der Sätze mit umfangreichen Zitaten zu belegen, bin ich genötigt, meine Darstellung gleichsam „mehr aus dem einförmigen Umgang mit mir selbst als aus einer reichen Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben“4 auf mein eigenes Denken zu stützen.

„Dreigliederung des sozialen Organismus“

Allzuleicht rutscht der strebende Mensch bei diesem Ausdruck in eine letztlich doch wieder utopistische Denkweise hinein, indem er versucht, Rudolf Steiners Ausführungen darüber irgendwie handlungsleitende Zielsetzungen und Konzeptionen zu entnehmen, durch die diese „Dreigliederung“ in der Welt geltend gemacht werden kann.

Aus meiner Sicht schildert Steiner nirgends derartige Zielsetzungen. Er beschreibt die vorhandene Dreigliederung in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben der Menschen. Die Menschen lassen sich aber von überholten, angelernten Einheitsvorstellungen vom sogenannten „Sozialen“ bestimmen, wodurch die vorhandene, zugrundeliegende Dreigliederung nicht ins Bewusstsein kommt, und in der Folge immer mehr Unordnung und damit Krankheitserscheinungen von den Menschen in den sozialen Organismus hineingebracht werden. Die Dreigliederung ist also da, aber mangels Bewusstsein davon entsprechen die Handlungen der Menschen ihr nicht.

Wir sehen ja derzeit nur allzu deutlich, wie überall das Gegenteil des Nötigen geschieht, wenn zum Beispiel Verbrüderungen in ideologischen Zirkeln welcher Art auch immer im Verbund mit wirtschaftlicher Konkurrenz sich des äußeren Rechtes bedienen (dieses auch bestimmen), um die ihnen genehme Weltgestaltung allen anderen Menschen aufzuzwingen. Das hat ein einheitliches Zentrum in dem rein auf das Irdische und dessen abstrakt-ideologische Nutzung für das eigene Wohlergehen gerichtetenDenken, Fühlen und Wollen der heutigen Alltags-Egoisten – wozu wir uns wohl alle in gewissem Sinne zählen dürfen.

Aber das sind eben die Krankheitserscheinungen, die nur überwindbar werden, wenn sie als solche erkannt werden, und diese Erkenntnis sich im Bewusstseinsleben der Menschheit auch ausdrücken kann. Daran mitzuwirken, ist Aufgabe der anthroposophischen Gesellschaft – nicht irgendeiner äußeren Organisation (eines „Vereines“) also, sondern des Zusammenwirkens derjenigen Individualitäten, die sich darin zu einander gesellen. Dies kann nur gelingen, wenn dabei die vorhandene Dreigliederung des sozialen Organismus berücksichtigt wird.

Was kann das konkret heißen? Nichts anderes ist doch damit intendiert als ein Schritt zur Befreiung des Geisteslebens, welches konkret das lebendige Zusammenwirken geistiger Wesen (verkörpert oder nicht, vielleicht sogar menschlich oder nicht) im Sinne der freien Entfaltung der geistigen Tätigkeit all dieser Wesen ist. Wo mehrere Einzelne sich – frei! – in den Dienst anthroposophischer Geisteswissenschaft stellen, ist Aussicht auf einen Beitrag zur Gesundung des Ganzen. Denn es ist ja unabweisbar: wenn die Erkrankung des Ganzen nicht zunächst als solche erkannt wird, ist keine Aussicht auf Besserung.

Anthroposophische Gesellschaft

Der Zusammenschluss anthroposophisch Strebender in der anthroposophischen Gesellschaft ist insofern ein Glied des Geisteslebens, indem er in dem Zusammenwirken von Geistwesen welcher Art auch immer zum Zwecke der Pflege anthroposophischer Geisteswissenschaft besteht. Als solcher ist dieser Zusammenschluss Ergebnis des Zusammenfließens der konkreten Willensimpulse der Beteiligten, und also nur solange und in dem Maße überhaupt vorhanden, wie die beteiligten Wesen ihn vorantreiben und ihm ihre individuellen Kräfte zur Verfügung stellen. Jede andere Handhabung würde aus dem lebendigen Zusammenwirken der Geister eine vom äußeren irdischen Dasein bestimmte Art von „Maschine“ machen. Der Geist kann sich eben nur da geltend machen, wo er in der Freiheit leben kann. Das schließt allerdings immer auch die Möglichkeit des Scheiterns, des Absterbens und Neuerstehens ein. Der Tod gehört zum Leben, kein Leben ohne Tod. Zum Geistesleben gehört in diesem Sinne also auch das Absterben des lebendigen geistigen Impulses in das Äußere hinein.

Will ein solcher Zusammenschluss im irdischen Leben der Welt und der Menschen wirksam werden, indem er darin als Ausdruck seines Zweckes auftritt, so benötigt er selbstverständlich dafür Formen, die sowohl das äußere Zusammenwirken der Beteiligten beschreiben (Recht) als auch die irdischen Bedürfnisse der Beteiligten befriedigen (Wirtschaft). Nur müssen diese „Nebentätigkeiten“, die durch den Willen der Gesellschafter zum gemeinsamen Wirken erforderlich werden, aber jederzeit dem Charakter des Ganzen der Gesellschaft dienen, nämlich dem sich entwickelnden Menschengeist. Diese „Nebentätigkeiten“ können daher niemals – wenn sie dem frei gewählten geistigen Ziel der Pflege anthroposophischer Geisteswissenschaft dienen – diesem Ziel hinderlich werden, wie sehr dies auch äußerlich so scheinen mag.

Werden solche Tätigkeiten scheinbar hinderlich, so sind sie nicht weiter als Tätigkeiten der freien Geistgemeinschaft anzusehen, sondern sind offensichtlich „in andere Hände“ übergegangen. Dass sie selbst dann aber noch – indem sie äußerlich gesehen zerstörerisch wirken – ihrem ursprünglichen Ziel dienen können, erhellt sich aus der Tatsache, dass sie dadurch gerade zur Weiterentwicklung der Erkenntnis innerhalb der Geist-Gemeinschaft beitragen können; jedenfalls gilt dies dann, wenn die Geist-Gemeinschaft den Erkenntniswillen und die Erkenntniskraft aufbringt, dieses „Fremde“ in sich aufzulösen. Man kann an diesen „aus der Art geschlagenen“ Tätigkeiten eben lernen, wie der Geist nicht wirkt. Es ist hinzunehmen, wenn das eigene Tun sich im Werk verfestigt und abstirbt.

Wer möchte, kann in diesem Zusammenhang durchaus die Okkupation zentraler anthroposophischer Wirkungsstätten zum Beispiel durch Mormonen, Freimaurer, Jesuiten und abstrakte Akademiker wiedererkennen. So wirkt der ursprüngliche – freie – Zusammenschluss der Geistindividualitäten eben nicht mehr; dieser sucht sich dann andere Wirkungsstätten. „Wir betreiben hier aus Freiheit Anthroposophie, früher gemeinsam mit Dornach, nun nach der Okkupation eben ohne Dornach“ hörte ich letztens sinngemäß ein leitendes Mitglied in einem größeren anthroposophischen Kreis sagen.

Wirksam werden

Wirksam wird die anthroposophische Gesellschaft – so betrachtet – eben nicht, indem sie äußere Institute schafft, sondern indem Menschen und Geister frei gemeinsam agieren. Was diese Vielen (oder Wenigen) tun, tritt in der Welt auf in Allem, was diese Gesellschafter im Sinne ihrer Geistgemeinschaft in die Welt stellen so, dass es sich mit dem Tun Anderer verbindet, zu einem gemeinsamen „Werk“ zusammen „wirkt“.

Nun wird ja zumeist davon ausgegangen, dass bei solchem Zusammenwirken mit Anderen eben immer Kompromisse nötig sind. Kompromisse versteht dann Mancher als die Notwendigkeit, seinen „Standpunkt“ eben dem des Anderen anzunähern, also ein Stück weit seine eigenen Gesichtspunkte zu verlassen, ja vielleicht sogar „zu verraten“. Davon kann aber hier keine Rede sein. Ein Zusammenwirken mit Anderen aus Erkenntnis – und darum kann es ja hier nur gehen – schließt die Berücksichtigung von deren geistiger Aufgabe im Rahmen der Menschheitsentwicklung immer mit ein, jedenfalls dann, wenn es wie hier um die anthroposophische Gesellschaft als Akteur geht. Der Entwicklung feindliche Impulse können in diesem Zusammenwirken nur insoweit zur Geltung kommen, als das Bewusstsein für eine klare Erkenntnis der unterschiedlichen Intentionen nicht ausreicht.

Es kann also nur darum gehen, die anthroposophische Erkenntnisart immer weiter zu verstärken, so dass das zunächst Fremde in der Erkenntnis mit dem Eigenen zusammenkommen kann. Dann fließen wiederum Willensimpulse zusammen, aus freiem Antrieb, so dass jede Seite sich und das Ihrige darin wiederfinden kann. Anders ist Frieden heute gar nicht mehr möglich. Es geschieht nur das, was auch gewollt ist – bewusst von den Mitwirkenden aus, oder unbewusst durch sie hindurch.

Ein äußeres Zusammenwirken in der Welt der toten, erstarrten Institutionen erfordert daher umso mehr innere Kraft bei denjenigen, die aus dem Erstarrungstode des vormals lebendigen Geistes neues Leben erstehen lassen wollen; denn alles, was auf diesem Felde äußerlich erschaffen wird, tendiert zu einer toten, maschinellen Dauer, muss darum über kurz oder lang dem Herrn des Todes und der Materie anheimfallen, und also – vergehen. Das kann durchaus so weit gehen, dass das eigene, freie, lebendige Tun aus dem Geiste von den dann erstarrten Institutionen so aufgefasst wird, dass sie dieses Leben aus dem Geist für sich selber als zerstörerisch ansehen müssen, und es daher aufs Schärfste bekämpfen.

Man denke aber dabei an Rudolf Steiners Schilderung der damals noch unausgeführten Statue des Menschheitsrepräsentanten. Die rechte Hand der Menschengestalt weist auf Ahriman, dem diese Geste Anlass ist, sich selber an die Materie zu fesseln. Nicht der Christus tut dies, Ahriman fesselt sich selber. In ähnlicher Weise wird dort auch auf die erhobene linke Hand der Statue hingewiesen, deren Geste dazu führt, dass Luzifer sich die Schwingen bricht und stürzt.5

Wo also das Zerstörungspotential äußerer Institute zum Anlass genommen wird, sie äußerlich zu bekämpfen, ist man schon auf dem Holzweg, ebenso da, wo man sich von ihnen veranlassen lässt, die eigenen Erkenntniswege zu relativieren und damit „faule“ Kompromisse einzugehen. Weder zu bekriegen, noch sich vereinnahmen zu lassen, sondern immer wieder die geistige Freiheit zu erringen, die erst eigenständiges Leben ermöglicht, kann neues Leben in der äußeren Welt zur Wirkung bringen. Dafür kann es notwendig sein, Institutionen auch sterben zu lassen und in den Folgen ihres Vergehens neue Samen zu legen.

Tod und Auferstehung

Der Tod ist im Äußeren immer mit Auflösung verbunden, die im Inneren aber zu einer Verstärkung des Eigenlebens führen kann, immer gerade so weit, wie das Bewusstsein es tragen kann. Dem physischen Tod des Christus und seiner Auferstehung folgte der Tod des gegebenen, „instinktiven“ Geisterlebens der Menschheit, final im Denken im 19. Jahrhundert, und dann die Auferstehung des Geist-Erlebens durch das Wirken Rudolf Steiners im Beginn des 20. Jahrhunderts. Was jetzt im allmählichen Absterben der damals zunächst geschaffenen äußerlichen (rechtlichen und wirtschaftlichen) Lebensformen der anthroposophischen Gesellschaft geschieht, ist insofern eigentlich der „Beweis“, dass der lebendige Geist wirkt. Sonst würden die äußeren „anthroposophischen“ Institutionen weltweit angesehene, für alle Zeiten reibungslos funktionierende Wirkungsstätten sein – Wirkungsstätten desjenigen, was es eben in der wirklichen anthroposophischen Gesellschaft nicht geben kann. Seien wir froh, dass der Tod sich das Seine holt; aber lassen wir uns auch nicht verleiten, selbst Hand anzulegen bei diesem Sterbeprozess (vgl. das oben im Hinblick auf die Statue Gesagte).

Die Auferstehung erfolgt eben so, wie das in diesem Fall allein möglich ist: in den Einzelnen, die sich und ihre persönliche Wirkungsstätte in der Welt – ihre irdische, leibliche Person also – frei in den Dienst der Anthroposophie stellen wollen. In ihrem Zusammenwirken, in ihrem Wirken in den weiteren Verbindungen mit dem Weltgeschehen spricht sich das Leben des Geistes in der Anthroposophie aus. Anthroposophie und anthroposophische Gesellschaft leben eben nicht so in der Welt, dass sich der einzelne Anthroposoph davon tragen lassen kann. Sie leben nur dort und solange die einzelnen Anthroposophen selber sie tragen.

Was kann das konkret bedeuten?

Daraus ergibt sich, dass es äußere Einrichtungen der Zusammenarbeit eben nur dann und nur insoferne geben kann, wie konkrete irdische Projekte verfolgt werden, in denen sich Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft wirkend betätigen. Letztlich ist dies der Grund dafür, dass manche sogenannte „anthroposophische Institution“ sich den Regeln der äußeren Welt völlig angeglichen hat, nachdem die sie tragenden („charismatischen“) Gründergeister sie verlassen haben. Diese Einrichtungen waren dann eben Instrumente, Werkzeuge des durch die Gründer wirkenden Geistes. Und wo keine Nachfolger sich finden, die das Bestehende aus ihrem Geiste aufgreifen und weiterentwickeln wollen und können (frei und individuell), stirbt das Bestehende. Es bleibt also vielleicht schon etwas bestehen, aber das ist dann tot, erstarrt und geistverlassen. Man sollte das nicht als etwas Schlimmes ansehen; der Tod gehört zum Leben. Schließlich hat zum Beispiel die erstarrte katholische Kirche doch auch dafür gesorgt, dass die Überlieferung des Ereignisses von Golgatha erhalten blieb.

Man wird also aus der Perspektive des Geisteslebens äußere Institutionen immer nur als Werkzeuge des Geistes ansehen können, die entstehen, leben und vergehen, aber niemals als in sich selber dauerhaft lebensfähige Systeme. Was so geschaffen wird, macht dann die eigenständige Rechts- und Wirtschaftsorganisation des Geisteslebens aus. Sie ist immer an die Lebenszyklen des Geistes in der Welt gebunden, aus dem sie hervorgegangen ist, das heißt also hier: an die sie tragenden individuell wirkenden Menschen.

Für mich wurde schon vor vielen Jahren klar, dass viele der tradierten „anthroposophischen Institutionen“ – also die äußeren anthroposophischen Vereine, aber auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Verknüpfungen mit anderen Rechts- und Wirtschaftsinstituten in der Welt so, wie sie bestanden und bestehen, auf Dauer nicht lebensfähig sind. Wie man sehen kann, fallen sie ja nach und nach „feindlichen Übernahmen“ anheim oder verfallen, transformieren sich zu „ganz normalen“ Einrichtungen der heutigen Zeit. Inwieweit sich auf den Überresten ehemaligen anthroposophischen Lebens in der Welt Neues errichten lässt, wird sich aus der Kraft und dem Willen derjenigen ergeben, die sich solchen Aufgaben erkennend zuwenden wollen.

Wie das Karma wirkt, haben wir ohne Murren hinzunehmen; was daraus an Neuem entstehen kann, obliegt uns zu gestalten. Es gibt keine äußere Institution „Anthroposophie“, die uns trägt – wir sind sie selber, und sie ist und wird durch uns. Der äußere Niedergang ist bloß die Begleitmusik für das Entstehen neuen geistigen Lebens.

Nachbemerkung

Ja, wie denn nun? – mag der Leser fragen, der bis hierhin durchgehalten hat. Die Frage wird er sich wohl selber zu beantworten haben. Allerdings kann hier noch hingewiesen werden auf eine Ermahnung Rudolf Steiners für den Umgang mit den Einflüssen von Luzifer und Ahriman: der Mensch möge doch dem eigenen Denken gegenüber recht ahrimanisch sein und alles Gedachte erst der harten Prüfung an den Weltgesetzen unterwerfen, dagegen dem ahrimanischen Blendwerk der toten physischen Welt gegenüber doch luziferisch geprägte Liebe zu jeder Einzelheit der eigenen Welt walten lassen, im Versuch, sie zu verstehen.6 So sei man geschützt – so verstehe ich Steiners Ausführungen in diesem Zusammenhang – sowohl vor fantasierendem Irrlichtelieren im Denken wie auch vor Ignoranz und Dilettantismus im Umgang mit der Welt.

Worauf will ich damit hinweisen? Darauf, dass die Beachtung beider Teile dieser Ermahnung erst die Grundlage bildet für ein eingreifendes Wirken in der Welt aus dem Geiste heraus. Wer ahrimanische Institutionen, wie sie in der Welt nun einmal sind, für Aufgaben nutzen will, die sich aus dem Geist der Menschheitsentwicklung ergeben, wird die Gesetze der Welt so gut kennen müssen, dass er sie auch beherrschen kann. Wer seine Ideen, durch die er sich im Geiste finden will, vor dem Abgleiten in Wunschdenken beschützen will, wird sie an den Tatsachen des irdischen Lebens überprüfen und den Ausgang dieser Prüfung dann gelassen hinnehmen müssen.

In beiden Richtungen ist wohl in der Vergangenheit in der anthroposophischen Bewegung mancherlei versündigt worden; Kompetenz auf dem Felde der übernommen Aufgaben – ganz im traditionellen Sinne – und fester, wacher Tatsachenbezug in der Entwicklung des eigenen Denkens sind erforderlich. Wo beides (oder eines von beiden) nicht genügend vorliegt, wenn Institutionen aus dem Geist heraus in die Wirksamkeit in der Welt treten wollen, kann man vorhersehbar zumeist menschliche und wirtschaftliche Katastrophen erleben. Leidvolle Erfahrungen dieser Art liegen wohl für jeden genügend vor, auch im Rahmen der anthroposophischen Gesellschaft.

Was insbesondere den Umgang mit den ahrimanisch geprägten Einrichtungen der heutigen Welt betrifft, kann gar nicht genug darauf hingewiesen werden, dass weder der Verzicht auf die Klarheit äußerer Festlegung („das brauchen wir jetzt nicht festzulegen, das findet sich dann ganz lebendig“, oder „solche Festlegungen ignorieren wir einfach, sie sind nicht geistgemäß“) noch das Abwürgen jeder Lebensregung durch Vorschriften bis ins Kleinste (das kennen wir doch aus den letzten zwei Jahren zur Genüge) irgendwie weiterführt. Man muss Ahriman in seinem Wirken verstehen, ihn also im Detail kennenlernen, dann verliert er seine Kraft.

In besonderer Weise drückt dies ein Gedicht von Helmut Siegfried Unbehoven aus, das ich daher hier ergänzend anfügen möchte7:

Fürchte einzig des Dämons Lächeln,
Des Verfälschers tröstliche Glätte,
Des Lügners einleuchtende Wahrheiten,
Des Mörders Lebensklugheit,
Des Verräters daseinsbezwingende List,
Des Verleumders exakte Wissenschaft.

Fürchte nur des Dämons
Uralt unerkannte Gottähnlichkeit,
Die strahlende Maske,
Vielen tödlich.

Und fürchte ihn nicht!
Blick ihm ruhig ins trauernde Antlitz:
Von kalten Blitzen entzündet,
Gefurcht von Verachtung der Feigen,
Von Haß zerstört gegen
Einen ihm schweigenden Gott –
Blick ihm ruhig ins versteinerte Aug,
Immer steht er neben Dir.

Nicht schenkte ein Gott Dir sein Blut,
Daß in Furcht du erstarrst,
Leuchte dem Dämon zu späterer Erlösung,
Da er trug auch Dich,
Als Du ihm ähnlich warst.
Nun hilf ihm.

© Stefan Carl em Huisken 2022

1vgl. https://emhuisken.de/wordpress/2022/06/wer-ist-mitglied-der-allgemeinen-anthroposophischen-gesellschaft-eine-stellungnahme/, auch in: Ein Nachrichtenblatt 14/2022, S. 14f

2Steiner, Rudolf: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. – Stuttgart, 1920. S. 5

3Mit dem Ausdruck „anthroposophische Gesellschaft“ bezeichne ich hier ausschließlich den freien geistigen Zusammenschluss von Individualitäten (verkörpert oder nicht) zum Zwecke der Pflege der Anthroposophie. Nach Rudolf Steiners Worten sollte ja die anthroposophische Gesellschaft allem Vereinsmäßigen, d.h. also allem äußerlich Institutionellen ferne sein.

4vgl. Schiller, Friedrich von: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In ders.: Schriften. Schillers Werke, Bd. 4. – Frankfurt a.M., 1966, S. 193

5vgl. Steiner, Rudolf: Das Geheimnis des Todes. GA 159. – Dornach, 1980. S. 248f. Die Textstelle ist auch wiedergegeben in DIE LAHNUNG – Mitteilungen für individuelle Entwicklung und Lebenskunde, Nr. 7, Januar 2022, wo die hier besprochene Frage der Bildung von Geist-Gemeinschaften von anderen Gesichtspunkten aus ebenfalls erörtert wird.

6vgl. dazu Steiner, Rudolf: Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage. – Dornach, 1989. 12. Vortrag, S. 211ff, dort auch viele weitere Hinweise zur Vertiefung der in diesem Artikel angeschnittenen Fragen.

7Das Gedicht kam zu mir durch Freunde, die einige Zeit lang mit Helmut Siegfried Unbehoven zusammengearbeitet haben. Unbehoven ist inzwischen verstorben. Trotz intensiver Bemühungen konnte kein Rechteinhaber ausfindig gemacht werden. Sollte also ein Leser Rechte an diesem Text haben und nachweisen können, bitte ich um Kontaktaufnahme mit mir über Email info@emhuisken.de.


Cover Wahnsinn und Denken anthroposophische Gesellschaft

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Schottisch-Friesische Freiheit – neues musikalisches Projekt

Im September 2020, mitten in den widrigen Umständen Pandemiemaßnahmen, veranstaltete das Moormuseum Moordorf ein Benefizkonzert, zu dem sich das Duo jank frison, die Moorland Pipes an Drums und die von der Gruppe LAWAY bekannte Sängerin Petra Fuchs zusammenfanden. Das Konzert war von einer ganz besonderen Stimmung geprägt, getragen vom Zusammenklang unterschiedlichster Instrumente und Musikstile, und es fand großen Anklang.

Aus diesem sehr spontan und wegen der besonderen Umstände teilweise provisorischen Konzert ergab sich ein Projekt, das nun im Herbst 2022 zur Premiere kommen soll. Es trägt den Titel „Schottisch-friesische Freiheit – Klänge von Moor und Mee(h)r“ und soll am 26. November 2022 im Hayungshof Dunum Premiere haben.

Mitwirkende sind die Moorland Pipes an Drums, das Duo jank frison, Petra Fuchs und der Chorus LokEmotion sowie die Moorland Smallpipes & Friends, die sich erst anlässlich dieses Projektes zusammengefunden haben. Die Technik wird – wie schon in Moordorf – vom Veranstaltungsservice Derk Trei versorgt.

Die “Schottisch-friesische Freiheit“ bietet etwas Neues, eine Kombination, die es so wohl noch nicht gegeben hat.

Weitere Angaben zu der Veranstaltung gibt es hier.




Pandemie der Realitätsverleugnung

Ausgangslage

Die Vorstellung, dass es zwischen Menschen keine grundsätzlichen Unterschiede gibt oder geben sollte, beruht auf einem unbewussten, berechtigten Zukunftsimpuls. Dieser Impuls zielt auf den eigentlichen Kern des Menschen, den wir „Ich“ zu nennen pflegen, der aber ein durchaus problematischer ist. Dieser Kern kann nämlich nicht unmittelbar wahrgenommen werden, da er ja gerade dasjenige Wesen ist, das alles andere wahrnimmt und erlebt. Zwar kann der Mensch sich im Verlauf der Erlebnisse Vorstellungen von sich selber machen; allein ist dieser Vorgestellte dann niemals unmittelbar derselbe, der jetzt diese Vorstellung hat und damit umgeht. Der heutige Mensch ist insofern ein Selbstvergessener1.

Dies steht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass wir Heutige die ja nur geistig fassbaren Verhältnisse und Urgründe der uns umgebenden Welt nicht unmittelbar erleben können – objektive Wahrheit also für uns nicht etwas Gegebenes ist – sondern wir anhand der Wahrnehmungen, die wir machen, uns zunächst Hypothesen, Annahmen über den Weltzusammenhang bilden müssen, die wir dann mehr oder weniger systematisch experimentell an der Wahrnehmungswelt zu überprüfen versuchen. Was uns dann am wahrscheinlichsten erscheint, weil es in der Überprüfung am wenigsten Widersprüche produzierte, glauben wir solange, bis es einen „schlagenden Gegenbeweis“ gibt. Das ist – in einfache Worte gebracht – das Verfahren der heutigen Wissenschaft, sofern sie ihren eigenen Impulsen folgt.

Welterklärung

Nun ist aber der Grundtrieb, der den ungeheuren Anstrengungen zugrundeliegt, die Wissenschaftler überall auf der Welt auf sich nehmen, der Drang des Menschen nach einer in sich stimmigen Welterklärung. Darin sucht er die Sicherheit, die er in sich selbst nicht finden kann, weil er sich selber eben nicht wahrnimmt, sondern nur durchlebt. Nun ist es zumindest weiter denkenden Menschen ja klar, dass es solche Sicherheit auf dem Wege von Theorie und Experiment niemals geben kann. Das reale Leben schafft immer wieder Abwechslungen, die dann das bisherige Weltmodell erschüttern können.

Um in dieser Situation zu bestehen, gibt es unterschiedliche Wege:

  1. Man akzeptiert die Unvollkommenheit der eigenen Erkenntnismöglichkeiten der Wahrheit gegenüber, und sucht sich für die Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit ein Feld aus, das man für grundsätzlich unerkennbar erklärt – die Wahrheit eben –, auf dem dann die persönliche Glaubensentscheidung gilt. Wo man nicht erkennen kann, glaubt man eben. Das ist der Quell aller Konfessionen.
  2. Man glaubt – ohne es zu bemerken, dass man glaubt – an die Objektivität äußerlich-technologisch vermittelter Modelle von Wirklichkeit und erklärt diese dann zur Realität. Beispiele davon gibt es zu Hauf.

Nur ein besonders aktuelles Beispiel sei herausgegriffen: die Frage der Existenz von Viren (und mancher anderer, mit unseren „normalen“ Sinnen unwahrnehmbarer Kleinstlebewesen). Hier gibt es zwei unterschiedliche Herangehensweisen.

Die eine Richtung will sich darauf verlegen, diese Wesen durch technische Mittel (z.B. Elektronenmikroskop) eben doch „wahrnehmbar“ zu machen. Diese Richtung vergisst dabei aber, dass die technischen Mittel auf bestimmten Theorien beruhen, die glaubhaft machen wollen, dass das, was man im Elektronenmikroskop sieht, eine „Realität“ und in der Welt so, wie man es da sieht, vorhanden sei. Das Bild aber, was man da sieht, ist aus elektrischen Impulsen zusammenkonstruiert, und diese Impulse und ihre Bedeutung sind für sich genommen unwahrnehmbar, nur Gegenstand einer bestimmten Theorie über den Zusammenhang solcher Impulse mit den Tatsachen, einer Theorie im Übrigen, die auch der Konstruktion des Hilfsmittels zugrunde liegt. Hier wirkt also der Glaube an eine bestimmte Möglichkeit der Abbildung von Realität, gespeist durch die zugehörige Theorie. Im Kleide der „realen Wahrnehmung“ begegnet uns also Glaube.

Die andere Richtung basiert auf einer anderen Theorie: derjenigen der statistisch fassbaren Übereinstimmung von errechneten Werten als Kennzeichen der Realität. Man hat dabei eine bestimmte Gesamtheit von Messwerten, die man in Bezug auf eine wahrnehmbare Tatsache gemacht hat, und wenn man bei anderer Gelegenheit Messwerte generiert, die sich als in einem als aussagekräftig angenommenen Rahmen (wer bestimmt diesen Rahmen?) als übereinstimmend mit der ersten Messreihe erweisen, so stellt man dadurch das Vorhandensein derselben Realität in beiden Fällen fest. Nur bleibt dabei außer Acht, welche Messwerte warum für aussagekräftig angesehen werden (warum gerade diese, unter Außerachtlassung anderer möglicher Messwerte?), und die Tatsache, dass jedes Rechenmodell begrenzt ist, die Realität aber – wie wir wissen – prinzipiell unbegrenzte Möglichkeiten hat. Die „anderen möglichen Messwerte“ können sich eben unvorhersehbar geltend machen, und die erfolgte „Berechnung der Realität“ widerlegen. Beispiele dafür haben die diversen Modellberechnungen epidemiologischer Art und ihre regelmäßige Widerlegung durch die Realität im Rahmen der sogenannten „Corona-Pandemie“ geliefert, ebenso der PCR-Test, der nach einem ähnlichen Grundprinzip funktioniert.

Beiden Herangehensweisen ist gemeinsam, dass sie – ebenso wie der konfessionelle Glaube – nicht auf einer unmittelbar gegebenen Tatsachenwahrnehmung fußen, sondern auf (im Geiste!) erdachten Methoden der Wahrnehmungserzeugung, an deren Ergebnisse man dann das Etikett „Realität“ heftet.

Dass eine überstarke Theorie- oder Glaubensverliebtheit dazu verleitet, Widersprechendes einfach zur „ungültigen Wahrnehmung“, zum „Messfehler“ zu erklären, dafür gibt es viele Beispiele. Was mit den eigenen Mitteln unerklärbar ist, gilt eben als nicht existent. Eine ganze Reihe solcher Fälle von „unterdrückten Realitäten“ führt Andreas Delor in seinen umfangreichen Atlantis-Studien auf2. Der Satz von Christian Morgenstern: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“3 scheint vielfältiger zu gelten, als man zunächst annimmt. Was also zu den gängigen Theorien oder dem eigenen Glauben nicht passt, wird einfach für nicht existent erklärt. Man ist eher geneigt, Wahrnehmungen zu unterdrücken oder zu verdrängen, als die Grundlagen der eigenen Weltanschauung in Frage zu stellen. Wie sollte man sich auch sonst seiner selbst versichern?

Wahre Wirklichkeit oder „Virtuelle“ Realität?

Durch Wahrnehmungen tut sich aber die Realität kund. Wo ich Wahrnehmungen „aussortiere“, verdränge ich immer auch einen Teil der Wirklichkeit. Dadurch entsteht nach und nach eine neue, eine „virtuelle“ Realität4, in deren Rahmen man sich bewegt. Wer also die Wirklichkeit als eine solche ansieht, die nach den (Teile der Wahrnehmungen ausschließenden) fassbaren Gesetzen im Rahmen der eigenen Theorie (des eigenen Glaubens also) „funktioniert“, kann gar nicht anders, als zunehmend die tatsächliche Wirklichkeit unbeachtet zu lassen, aus den Augen zu verlieren – jedenfalls dann, wenn er nicht seine Theorie grundsätzlich in Frage stellen will.

Die vielfältigen Fehlprognosen und Fehlentscheidungen der letzten zwei Jahre geben ein sprechendes Beispiel für diese Art der Abkoppelung des eigenen Handelns von der Realität, hier vor allem in den Bereichen der Virologie und Epidemiologie. Gegenüber anderen Weltverhältnissen setzt sich dies derzeit fort – mit äußerst gefährlichen Auswirkungen für die Menschheit insgesamt. Das sind aber nur die nun sichtbar werdenden „Spitzen der Eisberge“, zwischen denen unsere Zivilisation laviert. Das Handeln so, „als ob“ die vorliegenden technischen Werkzeuge Wahrheit zutage fördern könnten, prägt alle Erkenntnis- und Gestaltungsbereiche des menschlichen Umganges mit sich und der Welt.

Diese Situation ist offensichtlich nicht gesund, eine Art weltweiter gesellschaftlicher Grunderkrankung, und kann darum als „Pandemie der Realitätsverleugnung“ bezeichnet werden.

© Stefan Carl em Huisken 2022

1Mehr und ausführlicher dazu vgl. em Huisken, Stefan Carl: Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen. – Borchen: Ch. Möllmann, 2021, vor allem Kapitel I-III

2Delor, Andreas: Atlantis aus aktueller hellsichtiger und naturwissenschaftlicher Sicht. Bd. 1-8. – Borchen: Ch. Möllmann, 2011 ff. Näheres dazu => hier. Beim Thema „Atlantis“ liegt es nahe, dass z.B. archäologische Funde, die weithin als gültig angesehene Theorien in Frage stellen, in dieser Weise „aussortiert“ werden. Sie sind aber vorhanden.

3Vgl. das Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ in: Morgenstern, Christian: Alle Galgenlieder. – Frankfurt a.M.: Insel Verlag, 1975, S. 165 f

4Das Wort „virtuell“ bedeutet dem Sinne nach „möglich, als Mögliches wirkend“. Eine virtuelle Realität ist also eine mögliche, die aber so wirken kann, als sei sie eine tatsächliche, jedenfalls dann, wenn an sie geglaubt wird.




Freie Geistgemeinschaft oder äußere Institution?

Ergänzende Anmerkung zu meiner Stellungnahme

In ENB1 14/2022, S. 14f wurde eine Stellungnahme von mir zur Frage der Mitgliedschaft in der anthroposophischen Gesellschaft veröffentlicht2. Der abschließende Absatz führte zu Nachfragen. Ich schrieb damals:

„Nur der Vollständigkeit halber sei zum Abschluss darauf hingewiesen, dass Rudolf Steiner vielfältig und immer wieder darauf aufmerksam machte, dass geistige Initiativen, wenn sie zu irdischen Institutionen werden, verkannt werden und sich in ihr Gegenteil verkehren müssen. Beides gut voneinander zu unterscheiden, und die äußere Institution, wenn sie ihrem Zweck nicht mehr angemessen dient, aufzugeben oder wenn möglich gänzlich neu zu fassen scheint für manche Menschen schwer oder gar nicht denkbar. Notwendig könnte es trotzdem sein.“

Insbesondere wurde nach einer Quelle für die entsprechenden Hinweise Rudolf Steiners gefragt. Dazu möchte ich feststellen, dass ich meine, sicher zu wissen, dass es eine Aussage Rudolf Steiners gibt, die den im ersten Satz des Abschnitts umrissenen Sachverhalt klar zum Ausdruck bringt, ich diese nach meiner Erinnerung fast wörtlich so formulierte Aussage aber derzeit nicht belegen kann3.

Das ändert meiner Ansicht nach aber nichts an der Aussage selbst, und auch nicht daran, dass sie ganz offensichtlich mit den geistigen Tatsachen zusammenstimmt, von denen Rudolf Steiner bei diesem Thema immer wieder sprach. In diesem Sinne stehe ich zu meiner Aussage; sollte ich das Zitat wiederfinden, werde ich es unmittelbar zur Verfügung stellen. Die Aussage selbst möchte ich aber im Folgenden ein wenig illustrieren. Möglicherweise wirft das auch ein zusätzliches Licht auf die in ENB 15/2022 mitgeteilte4 und in ENB 16/2022 anfänglich diskutierte5 Aussage Rudolf Steiners zur Dreigliederung.

Geistesleben

„In dem einen der drei Glieder des sozialen Organismus strebt diese Idee [von der Dreigliederung des sozialen Organismus]6ein Zusammenwirken von Menschen an, das ganz auf den freien Verkehr und die freie Vergesellschaftung von Individualität zu Individualität begründet ist. In keine vorbestimmte Einrichtung werden da die Individualitäten hineingezwängt.“7

Nimmt man diese Aussage ernst, so kann es keine äußerlichen Institutionen geben, die diesen freien Verkehr erst ermöglichen, denn sie würden durch ihre äußeren (rechtlichen und/oder wirtschaftlichen) Setzungen gerade etwas „vorbestimmen“. Eine Befreiung des Geisteslebens kann daher niemals irgendwie von außen erfolgen, sondern ist nur als eine Selbstbefreiung aus dem Geiste heraus denkbar. Die sinnvolle Regulierung aller anderen Bereiche geht ja gerade vom Geistesleben aus. Äußere Institutionen, die dem Geistesleben dienen sollen, können also allenfalls verwalten, was vom Geistesleben ausgeht, und dies auch nur in Sinne einer Selbstverwaltung.

Eine solche Auffassung geht von der Tatsache aus, dass es sich bei der Dreigliederung um eine Idee handelt, die existierende Verhältnisse beschreibt (analog der Dreigliederung des menschlichen Organismus), aber nur gesund wirken kann, wenn sie im menschlichen Bewusstsein erfasst und geltend gemacht wird. Dann ist sie geistige Tatsache und keine Utopie8.

Institutionen

„Was hinzukommen muß, ist die lebendige Anschauung, die für dieses Erdenleben auch mit dem Tod rechnet, die sich bewußt wird: Wir machen in der Gegenwart Institutionen, die notwendigerweise auch untergehen müssen, weil sie schon das Todesprinzip in sich tragen, die gar nicht wollen einen ewigen Bestand haben, die gar nicht daran denken, etwas Bleibendes zu sein. Wodurch kann denn aber so etwas realisiert werden ? (…) wenn man erkennen wird: Wir leben im Reich der Phrase, unter dem das bloße Wirtschaftsleben, der bloße wirtschaftliche Imperialismus glimmt –, dann wird man rufen nach dem Geiste, der unsichtbar, aber in der Wirklichkeit waltet.“9

„Die «soziale Frage» (…) wird für jeden Augenblick der weltgeschichtlichen Entwickelung neu gelöst werden müssen. Denn das Menschenleben ist mit der neuesten Zeit in einen Zustand eingetreten, der aus dem sozial Eingerichteten immer wieder das Antisoziale hervorgehen läßt. Dieses muß stets neu bewältigt werden. Wie ein Organismus einige Zeit nach der Sättigung immer wieder in den Zustand des Hungers eintritt, so der soziale Organismus aus einer Ordnung der Verhältnisse in die Unordnung. Eine Universal­arznei zur Ordnung der sozialen Verhältnisse gibt es so wenig wie ein Nahrungsmittel, das für alle Zeiten sättigt. Aber die Menschen können in solche Gemeinschaften eintreten, daß durch ihr lebendiges Zusammenwirken dem Dasein immer wieder die Richtung zum Sozialen gegeben wird.10

Ich lese daraus: die (ja unbezweifelbar äußere) Institution AAG hat möglicherweise das Ende ihres Lebenszyklus erreicht, weil sie verkannt wird, für mehr gehalten wird als für ein vorübergehendes Verwaltungsinstrument, sich darum vom Sozialen ins Antisoziale verkehrt und damit den ursprünglichen Geistimpuls der Anthroposophie dem Reiche Ahrimans (der äußeren Welt also) öffnet.

Die Rache der Geister

„Der irrigste Glaube, den jemals die Menschheit hat hegen können, das ist der – wenn ich mich trivial ausdrücken darf –, daß die Geister es sich gefallen lassen, ignoriert zu werden. Fassen Sie es meinetwillen auf als einen Egoismus, als eine Selbstsucht der Geister, aber in der geistigen Welt gilt eine andere Terminologie als hier in der sinnlich-physischen Welt. Also fassen Sie es meinetwillen auf als einen Egoismus der Geister, aber die Geister rächen sich, wenn sie ignoriert werden hier. Es ist ein Gesetz, es ist eine eherne Notwendigkeit: Die Geister rächen sich. Und unter den mancherlei Charakteristiken, die man geben kann für die Gegenwart, ist auch diese richtig, daß man sagen kann: Die Rache der Geister dafür, daß man sie so lange ignoriert hat, das ist das gegenwärtige Menschheitschaos. (…) Es ist ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen dem, was menschliches Bewußtsein ist, und den zerstörerischen Kräften des Weltenalls, gerade den Untergangskräften des Weltenalls. (…) er besteht so, daß das eine als Ersatz für das andere auf der einen Seite dienen kann oder auf der andern Seite dienen muß …“11

Sollte eine solche Aussage nicht auch für die Anthroposophie und die anthroposophische Gesellschaft gelten? Von verschiedenen Seiten ist dargelegt worden, wie vielleicht eine Notwendigkeit sich darin ausspricht, dass die äußere Institution AAG vielfach nicht (mehr) dem eigentlichen Geist der anthroposophischen Gesellschaft (der Gesellschaft von freien Individuen, die sich geistig einander zugesellen) zu entsprechen scheint12. Wenn etwas diskutiert werden muss, ist es ja keine unmittelbar erfahrene Wahrheit mehr. Solche Wahrheit aus dem individuellen Wollen der beteiligten Geist- und Menschenwesen neu zu fassen, wäre dann eine aktuelle Aufgabe der anthroposophischen Gesellschaft, wiederum verstanden als freier Zusammenschluss von mit der Anthroposophie arbeitenden Individualitäten13.


1Ein Nachrichtenblatt, Näheres unter https://einnachrichtenblatt.org

2Auf dieser Website hier zu finden: Wer ist Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft?

3trotzdem ich über Wochen immer wieder intensiv nach dem Zitat gesucht habe

4vgl. ENB 15/2022, S. 10: „Die Dreigliederung war an eine kurze Zeit gebunden“

5vgl. ENB 16/2022, S. 1-9

6sinngemäß ergänzt SCeH

7Steiner, Rudolf: Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921. GA 24. – Dornach, 1961, S. 70

8vgl. dazu die Vorrede und Einleitung zum 41. bis 80. Tausend dieser Schrift in Steiner, Rudolf: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. – Stuttgart, 1920, S. 5 ff

9Steiner, Rudolf: Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung. Dornach, 1992, S.285

10Steiner, Rudolf, wie Anm. 8, S. 10, Hervorhebung SceH

11Steiner, Rudolf: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis. – Dornach, 1999, S. 16f

12vgl. z.B. Barkhoff, Martin: Kulmination, Grab und goldene Zeit der Anthroposophie. Voraussagen Rudolf Steiners werden Wirklichkeit. Manuskriptdruck Kooperative Dürnau, 2019; Delor, Andreas: Das Ereignis Rudolf Steiner im Lebenswerk von Sigurd Böhm und Judith von Halle – Borchen, 2018, v.a. Kapitel 6 „Rudolf Steiners Wiederkehr“

13Ergänzend kann in diesem Zusammenhang hingewiesen werden auf Rudolf Steiners Darstellungen zu dem notwendigen Zerstörungsherd, den der Mensch in sich trägt, und seinem Verhältnis zur Außenwelt in GA 207, sowie von mir: „Individuelle Entwicklung: von der Drei zur Vier“, in: DIE LAHNUNG – Mitteilungen für individuelle Entwicklung und Lebenskunde, Nr. 8 – Juni 2022, S. 3ff


Cover Wahnsinn und Denken anthroposophische Gesellschaft

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart und der Bedeutung der Anthroposophie habe ich veröffentlicht in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Wer ist Mitglied der allgemeinen anthroposophischen Gesellschaft? – Eine Stellungnahme

Vorbemerkung: Für manchen Leser, der mit Fragen der anthroposophischen Gesellschaftsbildung nicht oder wenig vertraut ist, mögen die folgenden Ausführungen seltsam, überflüssig oder unverständlich klingen. In diesem Fall ist es das Einfachste, nicht weiter zu lesen. Falls aber doch Fragen entstehen, kann man sich gerne an mich wenden.

Das Nachdenken über die Existenz oder Nichtexistenz der allgemeinen anthroposophischen Gesellschaft, die zu Weihnachten 1923/24 in Dornach unter der Leitung von Rudolf Steiner begründet wurde, zieht sich ja durch die Jahrzehnte seit diesem Gründungsakt. Daran knüpft sich auch die Frage nach der Mitgliedschaft in dieser Gesellschaft. Der Versuch, diese Fragen nach der heutzutage üblichen Methode der Interpretation vergangener Prozesse anhand von Zeugenaussagen und vorhandenen Dokumenten zu entscheiden, hat vor allem zu Einem geführt: einer Vielzahl möglicher Standpunkte, die mehr oder weniger – meist weniger bis überhaupt nicht – vereinbar erscheinen und sich teilweise heftig bekämpfen.

Meine eigenen Überlegungen und Erfahrungen dazu mögen ja vielleicht für den Einen oder Anderen von Interesse sein, weswegen ich hier eine Art Essenz davon referiere. Dabei muss ich auch einiges Persönliche mitteilen; ich tue dies nur, um daran aufzuzeigen, wie sich die zugrunde liegenden geistigen Verhältnisse gleichsam symptomatisch im Leben aussprechen können.

Mitte der 1970er Jahre mit der Anthroposophie in Berührung gekommen, war ich sofort unheilbar infiziert; die Anthroposophie ist seitdem untrennbares, prägendes Glied meines Lebens. Durch Andreas Delor zur Anthroposophie gebracht, begegnete ich bald eindrucksvollen Persönlichkeiten wie Gerhard Kienle, Heinz und Christel Frankfurt, Christof Lindenau, und dann auch – wiederum durch Andreas Delor vermittelt – Sigurd Böhm, dessen kompromissloses Denken mich zu den eigenen Wurzeln rief, was dann letztlich auch dazu führte, dass ich wieder aus seinem Umkreis entfernt wurde.

Sobald ich von der Weihnachtstagung 1923/24 erfahren hatte, betrachtete ich mich wie selbstverständlich mit denjenigen Menschen geistig verbunden, die daran teilnehmend damals den „Grundstock“ der anthroposophischen Gesellschaft gebildet hatten. In den Schicksalsfügungen, die mich immer tiefer in die Anthroposophie leiteten, sah ich einen Ausdruck des „Willkommensgrußes“ in ihrem Kreis. Dieser „Grundstock“ und die freie Zuordnung des Individuums zu ihm ist für mich eine geistige Tatsache, die unauslöschlich Bestand hat.

Der äußeren Institution – den entsprechenden Vereinen in der Schweiz und in Deutschland – stehe ich sehr distanziert gegenüber. Ich sehe sie als vergängliche Zeiterscheinungen, die mit der geistigen Realität zu einem großen Teil nicht übereinstimmen.

Die Begegnung mit Bernd Lampe führte zu dem Wunsch, an den von ihm geleiteten Hochschulstunden teilzunehmen. Dies war aus den Verhältnissen der Zeit heraus (1990er Jahre) nur möglich durch eine Beitrittserklärung zur Anthroposophischen Gesellschaft und in der Nachfolge durch Aufnahme in die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft auf entsprechenden Antrag.

Weder auf der rosa noch auf der blauen Karte steht irgendein Hinweis auf den Charakter der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft oder der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland als Verein, d.h. einer äußeren Institution, die der jeweils am Ort gültigen Rechtsordnung unterworfen ist. Auch die damals verwendeten Beitrittsformulare enthielten solche Hinweise nicht. Inwiefern stillschweigendes Einvernehmen zum Beitritt in solche Vereine von irgendwem vorausgesetzt wurde, vermag ich nicht zu sagen. Mein Einverständnis zu einem entsprechenden Vereinsbeitritt habe ich jedenfalls niemals gegeben.

In der Folge habe ich nach meinen Möglichkeiten Beiträge an den für mich relevanten Zweig Friesland geleistet; diese Beiträge waren von mir so gewollt und bedurften keiner Mitglieds- oder Finanzordnung irgendeines Vereines.

Das gesamte Szenario von Fragen um die Mitgliedschaft begann zu brodeln, als Anfang der 2000er Jahre finanzielle Unregelmäßigkeiten im Verein der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland auftauchten. In der Folge suchte und fand ich Möglichkeiten, Beiträge auch wirtschaftlicher Art zu demjenigen zu leisten, was mir als der geistige Sinn der anthroposophischen Arbeit in der Gesellschaft vorschwebte.

In einem Briefwechsel mit verschiedenen Personen im Arbeitszentrum Nord, in der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland und im Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach wurden dann einige Feststellungen getätigt, die von niemandem ausdrücklich bestritten wurden:

  • Ich bin Mitglied der am 28. Dezember 1923 begründeten Anthroposophischen Gesellschaft und auf dieser Grundlage Mitglied der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft.
  • Ich bin niemals Mitglied eines anthroposophischen Vereines – weder im ehemaligen Bauverein (heute AAG e.V. in der Schweiz) noch im Großverein AGiD e.V. in Stuttgart geworden. Insofern konnte ich auch dort nicht austreten, und satzungsgemäße Rechte und Pflichten dieser Vereine betrafen und betreffen mich nicht.

Bemerkenswert ist, dass in vielen der Schreiben immer wieder die Frage der finanziellen Mitgliedsbeiträge in den Vordergrund gerückt wurde. Ist die Mitgliedschaft in der Anthroposophischen Gesellschaft für die Verfasser solcher Schreiben vorrangig eine Frage finanzieller Art? Dieser Eindruck konnte dabei entstehen.

Die Mitgliedschaft in der anthroposophischen Gesellschaft, die ja nach Rudolf Steiners Worten nichts mit Vereinsmäßigem zu tun habe, entsteht also durch den freien Zusammenschluss von Individuen, dessen Vollzug äußerlich durch eine Mitgliedskarte dokumentiert ist. Ein Ausscheiden kann daher ebenso nur im Einvernehmen erfolgen, weswegen die ursprünglichen Statuten auch keinen Ausschlußparagrafen enthielten. Bei einem äußeren Verein, dessen Interessen als irdisches Rechtsinstitut ja über den Interessen des einzelnen Mitgliedes rangieren können, ist ein solcher Ausschluss möglich.

Bezüglich eines Ausschlusses aus der Freien Hochschule muss die Frage aufgeworfen werden, welche der jeweils am Goetheanum tätigen Personen sich als fähig und berechtigt ansehen konnte bzw. kann, einen solchen Schritt als Massnahme der Leitung der Hochschule wirksam zu vollziehen. Soweit ich weiß, hat Rudolf Steiner vor seinem Hingang keinen Nachfolger benannt. Wer kann also hier in seinem Sinne handeln?

Die Begründung der anthroposophischen Gesellschaft durch den „Grundstock“ zu Weihnachten 1923/24 ist also eine geistige Tatsache, die nicht ausgelöscht werden kann. Die nachträgliche Zuordnung eines individuellen Menschen zu diesem „Grundstock“ (einschließlich derjenigen, die ihm nachträglich angewachsen sind) ist eine Frage des freien Individuums an diesen „Grundstock“; eine lebenswirksame Antwort kann der heutigen Situation entsprechend (viele der ursprünglichen Mitglieder des „Grundstockes“ haben ihr irdisches Leben bereits beendet) nur auf dem Wege von Schicksalsfügungen im Leben des fragenden Menschen gegeben werden. Einzelne oder mehrere Vertreter irgendeines Vereines können wohl Mitwirkende in solchen Schicksalsfügungen sein (z.B. Unterschriften auf Mitgliedskarten leisten), niemals aber ohne das Einverständnis des Betroffenen, allein aus ihren Gesichtspunkten heraus, die Ergebnisse solcher Fügungen für ungültig erklären.

Kurzum, mir scheint in der gesamten Diskussion um diese Fragen oftmals die Unterscheidung zwischen geistigen Tatsachen, die aufgrund wirksam vollzogener Handlungen entstanden sind, und äußeren Verwaltungsakten, die doch – wenn sie als voll berechtigt gelten wollen – immer nur Ausdruck geistiger Realitäten sein können, nicht klar genug zu Bewusstsein gebracht zu werden.

Nur der Vollständigkeit halber sei zum Abschluss darauf hingewiesen, dass Rudolf Steiner vielfältig und immer wieder darauf aufmerksam machte, dass geistige Initiativen, wenn sie zu irdischen Institutionen werden, verkannt werden und sich in ihr Gegenteil verkehren müssen. Beides gut voneinander zu unterscheiden, und die äußere Institution, wenn sie ihrem Zweck nicht mehr angemessen dient, aufzugeben oder wenn möglich gänzlich neu zu fassen scheint für manche Menschen schwer oder gar nicht denkbar. Notwendig könnte es trotzdem sein.

© Stefan Carl em Huisken 2022


Wahnsinn und Denken MItglied der anthroposophischen Gesellschaft

Denkerische Grundlagen für meine Darstellungen zur Situation der Gegenwart habe ich dargestellt in meinem Buch „Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen“, das Sie hier oder im Buchhandel bestellen können.




Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt – Friesentreffen 2022

Im Nachklang eines inspirierenden Friesentreffens

„Ich hab‘ mein Sach‘ auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ist’s so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein“1

Die erste Zeile dieses Gedichtes von Johann Wolfgang von Goethe kam mir in den Sinn, als ich über das Friesentreffen am 6. Juni 2022 – dem Pfingstdienstag – am Upstalsboom bei Aurich nachsann. Und auch eine Ergänzung dieser ersten Zeile drängte sich mir auf:

Ich hab‘ mein Sach‘ auf Nichts gestellt,
nichts als den freien Menschen.

Auch wenn es in diesem Falle vielleicht nahe gelegen hätte zu sagen „… den freien Friesen“, so klang für mein Empfinden die allgemeine Formulierung mit dem „freien Menschen“ schlüssiger. Aber vielleicht ist der Unterschied zwischen beiden Formulierungen ja auch gar nicht so groß …

Bei dieser Versammlung beeindruckten mich zwei Redner besonders: Oebele Vries, Historiker und emeritierter Dozent der Rijksuniversiteit Groningen, und Christoph Schmidt, Direktor des Nordfriisk Instituut in Bredtstedt/Nordfriesland.

Upstalsboom bei Aurich Friesentreffen 2022

Oebele Vries rezitierte den Prolog und die ersten drei Küren der Friesen eindrucksvoll auf Altfriesisch (mit anschließender deutscher Übersetzung). Dabei kamen vor allem die Aussagen der 2. und 3. Küre und ihr Zusammenhang klar zum Ausdruck: sollte eines der verbündeten „sieben friesischen Seelande“ von einem Außenstehenden angegriffen werden, so würden die anderen sechs ihm beistehen, um seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu wahren, so die zweite Küre. Die dritte Küre sagt: sollte aber eines der Seelande ungerecht rauben oder morden, so sollten die anderen sechs das siebte zwingen, wiederum gerecht zu handeln.

Wer sich diese einfachen Regeln ein wenig besinnend „auf der Zunge zergehen lässt“, wird schnell bemerken, wie hier in einfachen und klaren Worten auch und gerade für unsere Zeit Wege aufgewiesen werden aus den Katastrophen des Umgangs der Staaten und Länder miteinander. Allerdings: es muss dabei sichergestellt werden, dass die Frage „gerechten“ oder „ungerechten“ Handelns Freund und Feind gegenüber aus gleichen Beurteilungsmaßstäben heraus entschieden wird. – Dafür trugen einst die gewählten Richter die Verantwortung.

In seinem Grußwort machte dann Christoph Schmidt darauf aufmerksam, dass es für einen lebensvollen und entwicklungsfähigen Umgang miteinander weniger entscheidend sei festzustellen, was nun das „richtige“ oder „falsche“ Friesentum, oder die „wahre“ beziehungsweise die „unwahre“ friesische Sprache sei; darüber bestehen naturgemäß unterschiedliche Auffassungen und Erfahrungen, und keine davon könne einfach für „ungültig“ erklärt werden zugunsten einer anderen. Vielmehr sei es wichtig, dass jeder Einzelne seine Sache mit Einsatz und Tiefgang verfolge und dem anderen auch dessen Weg gönne und nicht abspreche. Im Ergebnis könne daher eigentlich nur jeder Mensch selber darüber entscheiden, ob er „Friese“ sei oder nicht, und inwieweit seine friesische Sprache eine wahre sei.

Mich erinnerte diese Aussage sofort an ein Wort Rudolf Steiners in seiner „Philosophie der Freiheit“: „Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.“2 Damit sei – so Rudolf Steiner – auch ein hinderliches Aufeinanderprallen und Missverstehen bei sittlich freien Menschen ausgeschlossen. Diese Worte Rudolf Steiners kann man – so meine ich – gerade in unserer Zeit nicht oft und tief genug durchdenken. Sie standen auch bei meinen früheren schriftlichen Versuchen zu Fragen des Friesentums3 und der friesischen Kultur4 im Hintergrund. Beide Artikel kann ich dem Interessierten daher hier zur (nochmaligen) Lektüre empfehlen; vielleicht können sie ja Hinweise geben für die noch bessere Fundierung des eigenen (friesischen?) Selbstverständnisses in der Welt.

Das eingangs zitierte Gedicht Goethes gibt im Übrigen Hinweise darauf, welche Folgen es haben kann, wenn man sich frei zu machen versteht von aller Lenkung und Stütze von Außen, wenn man also sozusagen „sein Sach‘ auf Nichts stellt“. Er spricht nämlich vom Willen zur Kameradschaft, der für den Zusammenklang – das „mit einstimmen“ – entscheidend ist. In den weiteren Strophen des Gedichtes schildert er, wie es ihm gegangen ist, als er hier und da in der Welt seine Stütze suchte. Die angedeuteten Folgen sprechen für sich. Auch dies Gedicht in Gänze sei daher zur Lektüre empfohlen.

© Stefan Carl em Huisken 2022

1vgl. Goethe, Johann Wolfgang: Vanitas! vanitatum vanitas! – In: Goethes Werke. Bd. 1. – Bibliographisches Institut Leipzig, 1926. S. 70f

2Steiner, Rudolf: Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung. Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode. – Dornach, 1973, S. 166

3vgl. https://emhuisken.de/wordpress/2017/08/wer-ist-friese/

4vgl. https://emhuisken.de/wordpress/2019/07/friesische-kultur-heute/




Moralpredigten helfen nicht – was kann Mitteleuropa beitragen?

Eine ungeheure Welle moralischer Empörung rollt durch die Welt, insbesondere durch diejenigen Länder, die sich als dem sogenannten „Wertewesten“ zugehörig betrachten. In immer höheren Tönen verdammt man den russischen Aggressor, verbunden mit ebenso vielen Beteuerungen der eigenen moralischen Integrität.

Man täte vielleicht aber gut daran, ganz nüchtern zu erwägen, worüber man hier eigentlich spricht. In lapidarer Weise fasst das ein Wort von Egon Bahr zusammen: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“1 Und da der Krieg ja bekanntlich als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln angesehen wird, muss man diesen Satz wohl auch auf Kriege anwenden; hier liegt seine Gültigkeit ja sogar unmittelbar auf der Hand.

Seit Jahrzehnten wird die internationale Politik geprägt von wenigen großen und mächtigen Staaten: vor allem die USA mit ihrem Anspruch, die „einzige Weltmacht“ zu sein2, dann aber Russland, das sich nach seiner zeitweiligen Übernahme durch vom Westen gesteuerte Politiker wieder auf seine eigenen Grundsätze stellen will, und schließlich China. Europa, insbesondere Mitteleuropa spielt keine besondere Rolle, da es durch die von den USA dominierte NATO und durch Einbindung in von den USA gesteuerte Personal- und Organisationsstrukturen praktisch wenig oder kaum eigene, souveräne Entscheidungen treffen kann (bzw. durch die entscheidenden Personen überhaupt treffen will). Rein geografisch, aber auch im Hinblick auf die Geschichte ist für Europa das Verhältnis zwischen den USA und Russland prägend.

Da lohnt sich ein Blick auf die Interessen dieser beiden. Sie sind ja klar genug öffentlich formuliert und nachvollziehbar, ihre Hintergründe leicht ersichtlich.

Die USA sind – zumindest in ihrem Selbstverständnis – dasjenige Land, das die größten Erfolge in der Bemeisterung der äußeren Welt, zum Zwecke eines möglichst großartigen Lebens in dieser Welt errungen hat. Rein äußerlich ist dies auch stimmig, wenngleich in Rechnung gestellt werden sollte, welche Rolle dabei aus Europa „importierte“ hochkarätige Wissenschaftler besonders nach 1945 gespielt haben. Daraus ergab sich ein Lebensstil, der auch in Sachen Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung führend in der Welt ist. Dieser Lebensstil definiert aber das Selbstverständnis von „Great America“ maßgeblich mit, und ist deswegen etwas, worauf man nicht verzichten will – jedenfalls, was die wesentlichen, entscheidenden Kreise betrifft. Da die eigenen natürlichen, technologischen und menschlichen Ressourcen Nordamerikas dafür schon lange nicht mehr ausreichen, ist man dazu übergegangen, die Ressourcen eben auf dem Wege der heißen oder kalten Eroberung den Menschen anderer Weltgegenden wegzunehmen.

Das wird zwar immer schwieriger, da sich immer öfter die zu Erobernden wehren, mit der Folge höheren Aufwandes für die Eroberung, was wieder zusätzliche Ressourcen fordert; aber bisher hat es noch immer geklappt, insbesondere durch die Einbeziehung von Staaten (wie vielen der europäischen), die man hat veranlassen können, ihre eigenen Interessen denjenigen der USA unterzuordnen. Hierbei spielt das Moralisieren als psychologisches Massensteuerungsmittel eine große Rolle.

Kurz gesagt, liegt das Interesse der USA auf der Fortsetzung ihres zerstörerischen Lebensstiles (den sie möglicherweise in großen Teilen gar nicht als solchen erkennen!), wofür die Ressourcen (nicht die Menschen) anderer Länder benötigt werden. Menschen braucht man dafür nur insofern, als sie einem möglichst die Kastanien aus dem Feuer holen sollen; das ist ansonsten nämlich anstrengend und risikobehaftet, und man hält es daher mehr für andere Menschen geeignet als für Amerikaner, die ja auf ihrem eigenen Kontinent, weitab von den europäischen Konfliktfeldern leben.

Dieser Lebensstil als der eigentlich „beste“, die zugehörige Denkweise und die Akzeptanz für das Dominieren der USA wurde nach dem 2. Weltkrieg im 20. Jahrhundert gezielt in der Kultur West- und Mitteleuropas verankert3 und wirkt bis heute tiefgreifend fort4.

Dem steht im wiedererstarkten Russland ein ganz anderes Welt- und Menschenbild gegenüber. Der russische Präsident Putin und weitere Angehörige der russischen Regierung formulierten es aus, im Dezember 2021 zunächst in einem umfassenden Vorschlag zur vertragsmäßigen Friedenssicherung in Europa und der Welt. Näher am persönlichen Empfinden und gerade im Zusammenhang mit den Vorgängen und Auseinandersetzungen in der Ukraine sprach Wladimir Putin davon. Ich zitiere hier eine Meldung der russischen Agentur Sputnik vom 10. März 2022:

Russland kann nicht in „gedemütigtem Zustand“ existieren – Putin

Nach Ansicht des russischen Präsidenten nehmen viele Länder einen untergeordneten Platz ein und treffen alle Entscheidungen unter Berücksichtigung der Meinung „ihres Souveräns“. Russland könne sich eine solche Position allerdings nicht leisten.

»Wir alle wissen gut, dass sich viele Länder bereits daran angepasst haben, mit gebeugten Rücken und alle Entscheidungen ihres Souveräns 20 Mal treffend zu leben. Russland kann in einem solchen Zustand, einem erbärmlichen, gedemütigten Zustand nicht existieren.«“5

Man sieht deutlich: hier geht es um ganz andere Interessen als Ressourcenbeschaffung und Ähnliches. Wladimir Putin spricht das Gefühl der eigenen Würde an, des Geachtet-Werdens, das durch das Verhalten der USA, die die in den russischen Vertragsvorschlägen formulierten Sicherheits-Interessen schlicht unberücksichtigt gelassen haben, verletzt wurde. So musste man in Russland annehmen, was ja auch vielfältig im Westen angedeutet und formuliert wurde, dass man eben im Westen kein Interesse an den Bewohnern Russlands und ihrer Souveränität im eigenen Land hat, sondern nur an ihren Bodenschätzen, an denen Russland ja reich ist. Das Verhalten der USA in den letzten Jahrzehnten (siehe Syrien, Irak, Iran, Libyen, Jugoslawien, Afghanistan) legt eine solche Annahme nahe; in der Denkweise des Westens erobert sich der Mensch seine Würde ja gerade durch seine Freiheit, nach Gutdünken schalten und walten zu können.

Nun soll an dieser Stelle eben deutlich werden, dass moralische Argumentationen hier gar keinen Sinn haben. Jede Seite hat ihre eigene Auffassung von Moral, und diese Auffassungen sind unvereinbar: der Nützlichkeitsmoral des Westens, der vor allem fragt, wie ihm der andere für seine Interessen dienen kann, steht die Auffassung vom souveränen Menschen gegenüber, dem einfach durch seine Existenz die Würde eignet.

Insbesondere der Nützlichkeitsgedanke hat erst einmal gar keinen Bezug zu irgendetwas Moralischem, ist durch sich selber a-moralisch. Aber die Art, wie Russland seine Sichtweise vertritt, will ja die eigene, immanente Moralität (das, was man unter Menschenwürde versteht) niemandem aufzwingen; sie wird als eigenes Interesse gleichsam neutral dem anderen Interesse gegenüber gestellt. Diese beinahe religiös anmutende Vorstellung von Würde hat etwas Ehrwürdiges, Konservatives: die Idee der individuellen Freiheit, wie sie im Westen im Vordergrund steht, ist damit nicht leicht vereinbar, rangiert doch die Lebensmöglichkeit des Volkes, der Nation, die Würde der Gesamtheit „Russland“ über dem einzelnen Individuum. Möglichkeiten für Missverständnisse sind hier viele.

Was wir in den Weltvorgängen derzeit erleben, ist das Aufeinanderprallen beider geistig so verschiedenen Interessenssphären. Im Osten versteht man aufgrund des eigenen Menschenbildes sehr gut, wie der westliche Mensch in seiner Nützlichkeitsorientierung denkt. Das nimmt man ihm nicht grundsätzlich übel, besteht aber auf einem Interessensausgleich. Der westliche Mensch hat es schwerer. „Menschenwürde“ ist ihm etwas, was mit materiell fassbarer Nützlichkeit für das irdische (Wohl-)Leben erst einmal nichts zu tun hat; man erringt sie doch erst durch Erfolg im materiellen Leben. Daher liegt es nahe, solche Begriffe wie „Würde“ vor allem psychologisch als Werkzeuge zur Durchsetzung eigener Interessen anzusehen (mit Moral kann man viele Menschen lenken) – und auf diese Art die andere Seite völlig misszuverstehen.

Wie schon gesagt, es geht hier nicht darum, die eine oder andere Denkweise zur „Richtigen“, „Besseren“ oder „Höheren “ zu erklären. Beide Denkansätze haben auf ihrem Felde ihre Berechtigung. Darum wird auch jeder Versuch, nur dem Einen oder dem Anderen zu folgen, auf die Dauer notwendig fruchtlos sein. Nein, es geht darum, in voller Achtung des Anderen aus den natürlichen, technologischen und menschlichen Ressourcen, über die jeder verfügt, für ALLE das Beste zu machen. Das geht nur in verlässlicher, vertrauensvoller Zusammenarbeit. Lügen und Missachtung des Anderen haben da keinen Platz und müssen durch das ständige Bemühen um Verstehen des Anderen ersetzt werden.

Vielleicht wäre es den europäischen Menschen, insbesondere ihren Entscheidungsträgern einmal nahe zu legen, sich auf die eigenen Möglichkeiten zu besinnen, die doch in der Vergangenheit aus vielfältigen Bindungen in beide Richtungen entstanden sind und den besonderen mitteleuropäischen Geist ausmachen; einen Geist, der beiden Seiten zu fehlen scheint.

Nur von hier aus kann das Eine mit dem Anderen zusammengeschaut werden, und so im Gespräch nach beiden Seiten die jeweils andere Seite verständlich gemacht werden. Dafür wäre es allerdings nötig, insbesondere das Nützlichkeitsdenken des Westens vorurteilslos anzusehen, und dabei die Verwendung moralischer Kategorien als psychologische Kampfmittel zu durchschauen; die Infiltration westlichen Denkens in die mitteleuropäische Kultur hat den Mitteleuropäern, besonders den Deutschen hier Hürden aufgerichtet. Vielen westlichen Menschen ist es eben nicht gegeben, Moralität als unverzichtbare Eigenschaft ihrer selbst zu sehen; und wenn, dann nur begrenzt auf den gänzlich privaten, religiösen Bereich.

Beide Seiten wirklich verstehen, ganz innerlich, kann wohl vor allem der mitteleuropäische Mensch. Er sollte diese Qualität, die ihn vom westlichen Nützlichkeitsdenken ebenso wie vom östlich-relgiös getönten Feiern der Menschenwürde unterscheidet, ja, die sich ihm vielleicht auch einfach durch seinen Lebensraum als Prellbock zwischen Ost und West ganz naturgemäß ergibt, stärker als seinen eigenen, mitteleuropäischen Beitrag zum Zusammenleben in der Welt einbringen, nüchtern, klar und ohne Moralpredigten ebenso wie ohne Machtgelüste. Beides hat in Mitteleuropa genügend Schaden angerichtet.

© Stefan Carl em Huisken 2022

1Sehr schön im Kontext dargestellt hier: https://schicketanz.eu/2016-08-egon-bahr-es-geht-um-interessen/

2Zbigniew Brzeziński: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. – Rottenburg, Kopp Verlag, 2015

3ausführlich dazu Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. – Berlin: Siedler Verlag, 2001

4wie Thomas Röper zum Thema „Corona“ ausführlich deutlich machen konnte: Thomas Röper: Inside Corona. Die Pandemie, das Netzwerk & die Hintermänner. – Gelnhausen: J-K-Fischer, 2022

5vgl. https://t.me/snanews_de vom 10. März 2022


Hier finden Sie geisteswissenschaftliche Beträge, die das hier besprochene Thema ergänzen und erweitern können:
https://emhuisken.de/wordpress/2022/02/furcht-und-angst-schluessel-zur-gegenwart-des-menschen/
(auch als Broschüre bestellbar: https://emhuisken.de/wordpress/produkt/die-lahnung-sonderheft-1-furcht-und-angst-schluessel-zur-gegenwart-des-menschen/)
ebenso mein Buch von 2021: https://emhuisken.de/wordpress/produkt/wahnsinn-und-denken-der-kampf-um-den-menschen/