Pandemie der Realitätsverleugnung

Ausgangslage

Die Vorstellung, dass es zwischen Menschen keine grundsätzlichen Unterschiede gibt oder geben sollte, beruht auf einem unbewussten, berechtigten Zukunftsimpuls. Dieser Impuls zielt auf den eigentlichen Kern des Menschen, den wir „Ich“ zu nennen pflegen, der aber ein durchaus problematischer ist. Dieser Kern kann nämlich nicht unmittelbar wahrgenommen werden, da er ja gerade dasjenige Wesen ist, das alles andere wahrnimmt und erlebt. Zwar kann der Mensch sich im Verlauf der Erlebnisse Vorstellungen von sich selber machen; allein ist dieser Vorgestellte dann niemals unmittelbar derselbe, der jetzt diese Vorstellung hat und damit umgeht. Der heutige Mensch ist insofern ein Selbstvergessener1.

Dies steht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass wir Heutige die ja nur geistig fassbaren Verhältnisse und Urgründe der uns umgebenden Welt nicht unmittelbar erleben können – objektive Wahrheit also für uns nicht etwas Gegebenes ist – sondern wir anhand der Wahrnehmungen, die wir machen, uns zunächst Hypothesen, Annahmen über den Weltzusammenhang bilden müssen, die wir dann mehr oder weniger systematisch experimentell an der Wahrnehmungswelt zu überprüfen versuchen. Was uns dann am wahrscheinlichsten erscheint, weil es in der Überprüfung am wenigsten Widersprüche produzierte, glauben wir solange, bis es einen „schlagenden Gegenbeweis“ gibt. Das ist – in einfache Worte gebracht – das Verfahren der heutigen Wissenschaft, sofern sie ihren eigenen Impulsen folgt.

Welterklärung

Nun ist aber der Grundtrieb, der den ungeheuren Anstrengungen zugrundeliegt, die Wissenschaftler überall auf der Welt auf sich nehmen, der Drang des Menschen nach einer in sich stimmigen Welterklärung. Darin sucht er die Sicherheit, die er in sich selbst nicht finden kann, weil er sich selber eben nicht wahrnimmt, sondern nur durchlebt. Nun ist es zumindest weiter denkenden Menschen ja klar, dass es solche Sicherheit auf dem Wege von Theorie und Experiment niemals geben kann. Das reale Leben schafft immer wieder Abwechslungen, die dann das bisherige Weltmodell erschüttern können.

Um in dieser Situation zu bestehen, gibt es unterschiedliche Wege:

  1. Man akzeptiert die Unvollkommenheit der eigenen Erkenntnismöglichkeiten der Wahrheit gegenüber, und sucht sich für die Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit ein Feld aus, das man für grundsätzlich unerkennbar erklärt – die Wahrheit eben –, auf dem dann die persönliche Glaubensentscheidung gilt. Wo man nicht erkennen kann, glaubt man eben. Das ist der Quell aller Konfessionen.
  2. Man glaubt – ohne es zu bemerken, dass man glaubt – an die Objektivität äußerlich-technologisch vermittelter Modelle von Wirklichkeit und erklärt diese dann zur Realität. Beispiele davon gibt es zu Hauf.

Nur ein besonders aktuelles Beispiel sei herausgegriffen: die Frage der Existenz von Viren (und mancher anderer, mit unseren „normalen“ Sinnen unwahrnehmbarer Kleinstlebewesen). Hier gibt es zwei unterschiedliche Herangehensweisen.

Die eine Richtung will sich darauf verlegen, diese Wesen durch technische Mittel (z.B. Elektronenmikroskop) eben doch „wahrnehmbar“ zu machen. Diese Richtung vergisst dabei aber, dass die technischen Mittel auf bestimmten Theorien beruhen, die glaubhaft machen wollen, dass das, was man im Elektronenmikroskop sieht, eine „Realität“ und in der Welt so, wie man es da sieht, vorhanden sei. Das Bild aber, was man da sieht, ist aus elektrischen Impulsen zusammenkonstruiert, und diese Impulse und ihre Bedeutung sind für sich genommen unwahrnehmbar, nur Gegenstand einer bestimmten Theorie über den Zusammenhang solcher Impulse mit den Tatsachen, einer Theorie im Übrigen, die auch der Konstruktion des Hilfsmittels zugrunde liegt. Hier wirkt also der Glaube an eine bestimmte Möglichkeit der Abbildung von Realität, gespeist durch die zugehörige Theorie. Im Kleide der „realen Wahrnehmung“ begegnet uns also Glaube.

Die andere Richtung basiert auf einer anderen Theorie: derjenigen der statistisch fassbaren Übereinstimmung von errechneten Werten als Kennzeichen der Realität. Man hat dabei eine bestimmte Gesamtheit von Messwerten, die man in Bezug auf eine wahrnehmbare Tatsache gemacht hat, und wenn man bei anderer Gelegenheit Messwerte generiert, die sich als in einem als aussagekräftig angenommenen Rahmen (wer bestimmt diesen Rahmen?) als übereinstimmend mit der ersten Messreihe erweisen, so stellt man dadurch das Vorhandensein derselben Realität in beiden Fällen fest. Nur bleibt dabei außer Acht, welche Messwerte warum für aussagekräftig angesehen werden (warum gerade diese, unter Außerachtlassung anderer möglicher Messwerte?), und die Tatsache, dass jedes Rechenmodell begrenzt ist, die Realität aber – wie wir wissen – prinzipiell unbegrenzte Möglichkeiten hat. Die „anderen möglichen Messwerte“ können sich eben unvorhersehbar geltend machen, und die erfolgte „Berechnung der Realität“ widerlegen. Beispiele dafür haben die diversen Modellberechnungen epidemiologischer Art und ihre regelmäßige Widerlegung durch die Realität im Rahmen der sogenannten „Corona-Pandemie“ geliefert, ebenso der PCR-Test, der nach einem ähnlichen Grundprinzip funktioniert.

Beiden Herangehensweisen ist gemeinsam, dass sie – ebenso wie der konfessionelle Glaube – nicht auf einer unmittelbar gegebenen Tatsachenwahrnehmung fußen, sondern auf (im Geiste!) erdachten Methoden der Wahrnehmungserzeugung, an deren Ergebnisse man dann das Etikett „Realität“ heftet.

Dass eine überstarke Theorie- oder Glaubensverliebtheit dazu verleitet, Widersprechendes einfach zur „ungültigen Wahrnehmung“, zum „Messfehler“ zu erklären, dafür gibt es viele Beispiele. Was mit den eigenen Mitteln unerklärbar ist, gilt eben als nicht existent. Eine ganze Reihe solcher Fälle von „unterdrückten Realitäten“ führt Andreas Delor in seinen umfangreichen Atlantis-Studien auf2. Der Satz von Christian Morgenstern: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“3 scheint vielfältiger zu gelten, als man zunächst annimmt. Was also zu den gängigen Theorien oder dem eigenen Glauben nicht passt, wird einfach für nicht existent erklärt. Man ist eher geneigt, Wahrnehmungen zu unterdrücken oder zu verdrängen, als die Grundlagen der eigenen Weltanschauung in Frage zu stellen. Wie sollte man sich auch sonst seiner selbst versichern?

Wahre Wirklichkeit oder „Virtuelle“ Realität?

Durch Wahrnehmungen tut sich aber die Realität kund. Wo ich Wahrnehmungen „aussortiere“, verdränge ich immer auch einen Teil der Wirklichkeit. Dadurch entsteht nach und nach eine neue, eine „virtuelle“ Realität4, in deren Rahmen man sich bewegt. Wer also die Wirklichkeit als eine solche ansieht, die nach den (Teile der Wahrnehmungen ausschließenden) fassbaren Gesetzen im Rahmen der eigenen Theorie (des eigenen Glaubens also) „funktioniert“, kann gar nicht anders, als zunehmend die tatsächliche Wirklichkeit unbeachtet zu lassen, aus den Augen zu verlieren – jedenfalls dann, wenn er nicht seine Theorie grundsätzlich in Frage stellen will.

Die vielfältigen Fehlprognosen und Fehlentscheidungen der letzten zwei Jahre geben ein sprechendes Beispiel für diese Art der Abkoppelung des eigenen Handelns von der Realität, hier vor allem in den Bereichen der Virologie und Epidemiologie. Gegenüber anderen Weltverhältnissen setzt sich dies derzeit fort – mit äußerst gefährlichen Auswirkungen für die Menschheit insgesamt. Das sind aber nur die nun sichtbar werdenden „Spitzen der Eisberge“, zwischen denen unsere Zivilisation laviert. Das Handeln so, „als ob“ die vorliegenden technischen Werkzeuge Wahrheit zutage fördern könnten, prägt alle Erkenntnis- und Gestaltungsbereiche des menschlichen Umganges mit sich und der Welt.

Diese Situation ist offensichtlich nicht gesund, eine Art weltweiter gesellschaftlicher Grunderkrankung, und kann darum als „Pandemie der Realitätsverleugnung“ bezeichnet werden.

© Stefan Carl em Huisken 2022

1Mehr und ausführlicher dazu vgl. em Huisken, Stefan Carl: Wahnsinn und Denken. Der Kampf um den Menschen. – Borchen: Ch. Möllmann, 2021, vor allem Kapitel I-III

2Delor, Andreas: Atlantis aus aktueller hellsichtiger und naturwissenschaftlicher Sicht. Bd. 1-8. – Borchen: Ch. Möllmann, 2011 ff. Näheres dazu => hier. Beim Thema „Atlantis“ liegt es nahe, dass z.B. archäologische Funde, die weithin als gültig angesehene Theorien in Frage stellen, in dieser Weise „aussortiert“ werden. Sie sind aber vorhanden.

3Vgl. das Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ in: Morgenstern, Christian: Alle Galgenlieder. – Frankfurt a.M.: Insel Verlag, 1975, S. 165 f

4Das Wort „virtuell“ bedeutet dem Sinne nach „möglich, als Mögliches wirkend“. Eine virtuelle Realität ist also eine mögliche, die aber so wirken kann, als sei sie eine tatsächliche, jedenfalls dann, wenn an sie geglaubt wird.