Den Menschen überwinden? – Transhumanismus und Geist-Erkenntnis

Transhumanismus1

Es funktioniert einfach gar nicht, was sich so manche Visionäre des Transhumanismus da vorstellen: durch eine Verschmelzung mit Maschinen den Menschen zu überwinden, zu übertreffen, und seine Möglichkeiten zu erweitern. Denn: die Maschinen, die man dazu verwenden will, hat doch jemand gebaut, oder? Das waren Menschen. Selbst wenn sie eine Maschine gebaut haben, die – äußerlich gesehen – bestimmte Dinge perfekter zu können scheint als der Mensch. Das Grundprinzip bleibt, bei dieser Sache: am Anfang war der Mensch.

Aber sie haben ja natürlich auch recht, die Verfechter einer solchen Vision: so wie die Menschen derzeit sind und leben, kommen sie an Grenzen, die sie mit ihren derzeitigen Möglichkeiten nicht überwinden können. Grenzen, die die Natur steckt, aber auch Grenzen, die die Menschen sich selber stecken in ihrem Denken. Und genau diese Grenzen, die des Menschen selber, soll er nun überwinden, sagen die Transhumanisten, durch Technik, die ja, wie gesagt, von Menschen in die Welt gesetzt ist.

Aber damit wollen sie nicht wirklich etwas Neues. Sie wollen nur noch mehr von dem, was wir schon haben: Technik. Und dadurch weniger von dem, was wir sind: Menschen.

Das Gegenteil

Mit der zugrundeliegenden Analyse der derzeitigen Situation der Menschheit kann man ja nur einverstanden sein. Wir stehen an Grenzen: ökologisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, und im Denken. Nur wie kann man diese Grenzen überwinden?

Da wird man wohl genauer hinschauen müssen auf diese Grenzen. Sie trennen nämlich den Menschen, der sich in sich selbst erlebt und darum unumstößlich sicher von sich selber weiß, von der Welt, die da draußen und nicht unmittelbar erkennbar, sondern nur theoretisch erklärbar ist. Und weil die Menschen derzeit einfach nichts anderes gelernt haben, und auch keine Wege zu etwas anderem finden wollen, können sie Grenzen überschreiten eben nur nach draußen, in die unbekannte Welt, bei der man nicht weiß, wie sie genau ist, und darum auch nicht vorhersehen kann, was für Folgen die Grenzüberschreitungen haben. Die Folgen bekämpft man dann auf dieselbe Weise: Neues in die Welt setzen, ohne zu wissen, wohin das führt.

Aber können wir wirklich nichts Anderes? Wir erleben uns doch selber? Zwar wird es schwierig, wenn wir eine Vorstellung von uns selber entwickeln wollen, da wird alles irgendwie unbefriedigend. Aber das ist ja auch klar: die Vorstellung von mir selber bin ja nicht ich, der Vorstellende, sondern sie ist eben nur die Vorstellung davon. Und darüber, ob die nun stimmt, können wir dann erstmal nur theoretisieren. Dennoch können wir festhalten: genau da, wo ich, der Mensch selber, als erlebendes Wesen bin, wo ich also die Welt anschaue, tätig bin, aber nichts sehen kann von mir, da könnte ich wirklich eine Grenze überschreiten, mich über das Bestehende hinaus weiter entwickeln.

Unbeherrschbar

In einer dematerialisierten Zukunft besitzt der Konsument weniger Dinge – wir benutzen sie nur noch – »Teilen ist das neue Haben«“ schrieb gerade ein Kolumnist in einer deutschen Tageszeitung2. Das brachte mich auf die hier formulierten Gedanken, und es ist ja genau das Credo der Transhumanisten vom Schlage eines Klaus Schwab oder Elon Musk. Die Menschen sollen nichts mehr besitzen. Das besitzen dann alles Klaus Schwab, Elon Musk etc. Und die anderen dürfen es dann gegen Entgelt von denen leihen – digital, versteht sich, am besten per eingepflanztem Chip im Leib.

Es stimmt ja, es geht um „Dematerialisierung“, in gewissem Sinne. Nur wie stellt man sich diese Dematerialisierung vor? Da gibt es zwei Wege: einmal den maschinellen, in dem alle äußeren, physischen Vorgänge durch algorithmische Prozesse (also maschinelle Vorgänge) abgebildet und gesteuert werden. Davon reden die Transhumanisten, und von ihnen inspiriert und choreographiert die Digitalisierer. Nur nichts Menschliches! Das wäre ja ganz unkontrollierbar, unberechenbar, und darum – letztlich unbeherrschbar. Den Menschen, der sich selbst erlebt, den kennen diese Visionäre gar nicht. Der ist nämlich nicht draußen, materiell, messbar, berechenbar, maschinell. O Gott, der Mensch lebt!

Eben dadurch ist er unbeherrschbar. Das ist dann der zweite Weg, der des Menschen, den er aus eigener Kraft und frei gehen kann. Auch dafür muss er nichts Äußeres besitzen. Dazu braucht er nämlich nur sich selber. Allerdings muss er sich dann ernst nehmen, seinem unmittelbaren Erleben auch Bedeutung beimessen, seinem eigenen, bewusst gestalteten Denken vertrauen. Dann erkennt er den perfiden Herrschaftswillen, der hinter Verheißungen der schönen neuen digitalen transhumanistischen Welt steht, und der nur darauf abzielt, ganz sicher keinerlei neue Entwickelung zuzulassen, nur immer mehr vom selben: mehr Technik, mehr Kontrolle, mehr Maschine. Wer diesen Maschinenwillen erkennt, schlägt schon einen Nagel in den Sarg des Transhumanismus. Diese Erkenntnis ist nämlich das, was ich schon sagte: unbeherrschbar.

Scheideweg

Was wir derzeit erleben, ist – mal wieder, muss man leider sagen – das Stehen am Scheideweg. Es scheint ja klar: der Weg des Menschen geht in die „Dematerialisierung“, in den Geist also. Nur in welchen, das ist die Frage.

Auf ganz verschiedene Arten hat es das im vorigen Jahrhundert schon mehrfach gegeben, in den beiden sogenannten „Weltkriegen“ nämlich. Im „ersten“ davon wurde die tief seelisch erlebte Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt im Einklang mit der Natur, die sich in einer ganzen Generation von jungen Menschen, am deutlichsten sichtbar in den sogenannten „Wandervögeln“3 darlebte, ganz wortwörtlich niedergemetzelt. Die Sehnsucht wurde zerstört, indem man ihre Träger ganz äußerlich als Kanonenfutter verbrauchte.

Das reichte aber noch nicht. So eine Sehnsucht kam wieder. Und nun ging es noch perfider: man missbrauchte sie, indem man sie mit verlogenen Idealen umleitete und zum aktiven Völkermord trieb. Eine stumme Generation war die Folge, verstummt vor der Ungeheuerlichkeit, eine Generation, die zwar äußerlich überlebte, aber innerlich zerstört war.

Wer die Prozesse genauer studiert, die zu diesen beiden Katastrophen geführt haben, kann leicht erkennen, dass sie geplant und gesteuert waren, und von vielerlei Opportunisten zusätzlich als gute Gelegenheit für das Verfolgen eigener Zwecke genutzt wurden. Immer wieder kamen in der Folge Krisen auf, mit neuen Generationen, die Neues forderten. Diejenigen, die steuerten, und die Opportunisten, die waren auch immer wieder dabei.

Bereits 1919 schrieb Rudolf Steiner: „Wenn nicht mehr Menschen über Menschen in der alten Art ‚regieren‘ sollen, so muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß der freie Geist in jeder Menschenseele so kraftvoll, als es in den menschlichen Individualitä­ten jeweilig möglich ist, zum Lenker des Lebens wird. Dieser Geist läßt sich aber nicht unterdrücken. Einrichtungen, die aus den bloßen Gesichts­punkten einer wirtschaftlichen Ordnung das Schulwesen regeln wollten, wären der Versuch einer solchen Unterdrückung. Sie würde dazu führen, daß der freie Geist aus seinen Naturgrundlagen heraus fortdauernd revol­tieren würde. Die kontinuierliche Erschütterung des Gesellschaftsbaues wäre die notwendige Folge einer Ordnung, die aus der Leitung der Pro­duktionsprozesse zugleich das Schulwesen organisieren wollte.4

Mit großer Regelmäßigkeit sind die neuen Impulse, die neue Generationen dem menschlichen Zusammenleben einverleiben wollten, vor allem in den Schulen dem bestehenden Wirtschaften, den bestehenden Ideologien und deren Ansprüchen untergeordnet, und damit zerstört worden. Ich nenne hier nur die 1968er, die Antiatombewegung, ja, auch die Umweltbewegung mit ihrem letzten Spross namens „Fridays for Future“. Diese letzteren waren aber von Anfang an auf dem Holzweg: sie verlangten von eben derjenigen Wissenschaft, die nichts vom Menschen weiß, weil sie nur auf die äußeren Tatsachen schaut, und die uns all die Probleme beschert hat, die uns und der Erde nun das Leben versauern, – von eben dieser Wissenschaft verlangten sie die Lösung der drängenden Probleme. Da will man den Bock zum Gärtner machen.

Der Weg in den Geist

Zum Geist streben aber beide Wege, nur in gegensätzlicher Art und Weise. Das liegt eben in der Entwicklungsrichtung des Menschen. Beide Wege kommen nicht umhin, Un-Sinnliches zum Ausgangspunkt zu nehmen, also Dinge, die mit den uns gegebenen Sinnen nicht wahrnehmbar sind.

Das ist bei den Digitalisierern so, denn sie brauchen die Elektrizität, ohne die ihre Maschinen, die unsichtbare maschinelle Prozesskonzepte ablaufen lassen, nicht funktionieren. Das ist etwas, was man mit gutem Grund untersinnlich nennen kann, denn es ist eine Eigenschaft, die der sinnlich gegebenen Welt innewohnt, aber in dieser Sinnenwelt selber nicht erscheint, und auch im Menschen selber zunächst nicht erlebt werden kann. Der Mensch im Umgang mit der Sinnenwelt kann diese Eigenschaft nur erforschen, indem er sie gebraucht. Ihre Herkunft und Entstehung bleiben dem Menschen aber äußerlich.

Und dann gibt es noch den anderen Weg, den Weg des Menschen, den er in seinem Innern nehmen kann. Dann muss er sich aber dazu aufschwingen, sich neue Sinne zu erarbeiten, mit denen er die Welt, in der er selber lebt, ganz neu wahrnehmen lernen kann. Denn seine Sinne, das ist ja offensichtlich, sind Teil der gegebenen Außenwelt, durch die er mit dieser Außenwelt in Kontakt kommt. Nur zeigen sie ihm immer nur einen Teil dieser Welt, den Teil, der gerade ihm erscheinen kann. Die Welt, in der er selber lebt, bleibt den gegebenen Sinnen verborgen.

Das, was der Mensch sich da im Innern erarbeitet, wäre dann ebenso unzerstörbar, wie das entschiedene Bekenntnis zur Realität seiner selbst ihn unbeherrschbar macht. Es lebte nämlich rein im Geiste, und den kennen diejenigen nicht, die für ihre Art Geist digitale Maschinen, Raketen und Flüge zum Mars brauchen – neben einem Heer von Sklaven, das ihnen die dafür nötige Drecksarbeit abnimmt. All das hat der Mensch, der sich auf sich selber stellt, nicht nötig.

Rudolf Steiner beschrieb die Sache 1925 so: „Die Unter-Natur muß als solche begriffen werden. Sie kann es nur, wenn der Mensch in der geistigen Erkenntnis mindestens gerade so weit hinaufsteigt zur außerirdischen Über-Natur, wie er in der Technik in die Unter-Natur heruntergestiegen ist. Das Zeitalter braucht eine über die Natur gehende Erkenntnis, weil es innerlich mit einem gefährlich wirkenden Lebensinhalt fertig werden muß, der unter die Natur heruntergesunken ist.“ 5

Irrwege

Auf dem Weg zu einer wirklich selbsterrungenen Geisterkenntnis gibt es natürlich allerlei Irrwege. Der dabei häufigste ist – neben dem oben charakterisierten technologisch-materialistischen Weg der Transhumanisten – die Missachtung der äußeren physischen Welt als „bloßer Schein“ und darum überflüssig. Jawohl, diese Welt, so wie sie jedem einzelnen Menschen erscheint, ist Schein. Sie ist eben nur das, was gerade dieser Mensch davon sehen und erkennen kann, niemals das Ganze der Welt, niemals die „Wahrheit“.

Aber der Geist alleine, so wie er in jedem Menschen lebt, ist ebenfalls niemals das Ganze. Er weiß nämlich von seiner eigenen Existenz nur dadurch, dass es eben den Schein gibt, in dem er sich verlieren und untergehen kann. Darum hilft es auch nicht, immer nur nach dem Geist zu streben und die Welt dabei Welt sein lassen zu wollen. Dann kommt die Welt nämlich in die Hände der charakterisierten Transhumanisten, und die treiben den menschlichen Leibern schon nach und nach alle Neigung zu einem selbständigen, unbeherrschbaren Geist aus. Schritte dazu erleben wir ja zur Zeit: alles ursprünglich Menschliche wird verboten (Nähe, Zuneigung, Gesicht zeigen, Begegnung), alles Distanzierte, Feindliche (jeder Mensch ein Gefährder!), Äußerlich-Technische wird gefördert, und in diesem Zuge werden die Reste selbständigen Lebens zügig digitalisiert. Die Transhumanisten freuen sich: wir hatten Recht, das sieht man ja, es funktioniert!

Auferstehung

Aber sie haben eigentlich schon verloren, diese Technokraten, Tyrannen, Apparatschiks und Konsorten. Der menschliche Geist in jedem Menschen ist und bleibt eben unbeherrschbar. Sie betteln nur um Zeit, weil sie Angst haben vor dem Tod, den sie selber in der Welt verbreiten, aber nicht begreifen können. Sie wollen lieber selbstgewählt in der Maschine aufgehen, in den Maschinengeist hineinsterben – denn tot ist dieser Geist allemal – als in den wirklichen, lebendigen Geist hinein. Sie glauben, das sei die Unsterblichkeit; sie ist aber nur der ewige Tod in der Maschine.

In den wirklichen Geist hineinsterben6 tut nur derjenige, der in der Welt des Scheines lebend, diesen überwindet aus eigener Kraft. Die Welt des Scheines führt in den Tod – der ganzen Erde, der Menschheit, oder in den maschinellen Tod des Geistes. Wer sich auf sich selber besinnt, erkennend, dass er doch weiß, dass er selber nicht von dieser Welt ist, sondern ihr gegenüber steht, der bemerkt eine Kraft im Zentrum seiner selbst, in seinem Ich, die diesen Tod überwinden kann, immer, jederzeit. Aus ihr kommt das Leben.

Das kann man dann die Kraft der Auferstehung nennen: aus dem Tod des Scheines zum eigenen Leben auferstehen. Diese Kraft haben wir in uns von dem, der sie einstmals dem Erdensein überbrachte: dem Auferstandenen.

© Stefan Carl em Huisken 2021

1vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Transhumanismus

2Karl-Heinz Land im Ostfriesischen Kurier, 20. März 2021, S. 43

3vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Wandervogel

4Rudolf Steiner: Freie Schule und Dreigliederung. In: Steiner, Rudolf: Die pädagogische Grundlage und Zielsetzung der Waldorfschule. – Dornach, 1978, S. 13f

5Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze. GA 26. – Dornach, 1989, S. 257, Hervorhebung im Original

6vgl. https://emhuisken.de/vom-sterben-in-den-geist/