Freiheit: wovon, oder wofür?

Freiheit ist zweifach: in die Vergangenheit oder in die Zukunft gewandt.

Freiheit von etwas

Im Blick auf die gegebene, aus der Vergangenheit gewordene Innen- und Außenwelt des Menschen möchte er in der Regel frei werden von allen Einschränkungen, Festlegungen, und Richtungsbestimmungen, die daraus hervor gehen. Das Ringen darum gibt es schon lange, und jeder kennt es. Es ist sozusagen eine Grundeigenschaft jedes Menschen: frei werden zu wollen von allem, was schon feststeht und ihn hindert, so zu leben wie er glaubt zu wollen.

Vor allem die anderen Menschen sind ein nicht zu unterschätzendes Hindernis: ständig wollen sie etwas Anderes als man selbst, und so ist die Freiheitsfrage inzwischen vielfach ganz verschüttet unter der Ansicht, dass Freiheit eigentlich nur aus Macht besteht, Macht nämlich, Hindernisse mit möglichst wenig Aufwand aus dem Weg zu räumen, und andere Menschen veranlassen zu können, zu tun, was man sich von ihnen wünscht – also zu regieren.

Was man dabei leicht aus den Augen verliert: was für ein Verhältnis gewinnt man auf diese Art zur Welt, und zu den anderen Menschen? Es ist schon schwierig, wenn die Auffassung, dass die eigene Freiheit ihre Grenzen in derjenigen des Anderen hat, ja ganz normale Alltagsanschauung sehr vielen Menschen ist. Das schließt dann eben ein: der Andere ist ein Hindernis, das möglichst weg muss, oder umgeformt, oder seiner Macht beraubt werden muss.

Diese Haltung ist im Übrigen seit Jahrzehnten Grundlage vieler Forschungen im Bereich der sogenannten „künstlichen Intelligenz“. So etwas kann man nämlich in Algorithmen fassen, und damit automatisieren. In der Vergangenheit gab es Konzepte für einen sogenannten „General Problem Solver“ – einen allgemeinen automatischen Problemlöser also – der einfach nach Operatoren sucht, die ein gegebenes Problem lösen, oder wenn unlösbar, in ein lösbares transformieren können.

Da wurden dann sehr lehrreiche Beispiele dargestellt: so ist dann ein unter feindlicher Kontrolle stehendes Land (was feindlich ist, definiert man dann vorab) einfach ein Problem, das man mittels Operatoren „behandeln“ muss, z.B. mit Bombern, oder mit False-Flag-Aktionen, oder mittels Sanktionen, die dann einen Regime-Change verursachen, wodurch das feindliche Land in ein „befreundetes“, also den eigenen Wünschen höriges transformiert wird etc. Ich denke, die darin lebende Sichtweise ist klar: wo Freiheit als Ergebnis von Macht aufgefasst wird, ist es immer ausschließlich die eigene Freiheit, die eine Rolle spielt. Die der „Objekte“ existiert einfach nicht.

Ja, aber, kann man sagen. So denke ich doch nicht! Man prüfe sich unvoreingenommen: welches Verhältnis hat man zu Menschen, die nicht so wollen wie man selber? Ganz ehrlich? Insbesondere wenn es Menschen sind, die ganz anders denken als man selber, die vielleicht überhaupt gar keinen Begriff von Freiheit haben, oder die Freiheit sowieso ablehnen, da dann ja auch die Möglichkeit besteht, dass Menschen Böses tun, weil sie frei sind. Aus sozialistischen Kreisen z.B. wurde einem wirklich frei denkenden Menschen (Rudolf Steiner) entgegen gehalten, Freiheit sei nicht wirklich hilfreich; vernünftiger Zwang sei das Richtige. Aha, sage ich mir, diese Menschen, die das sagen, wissen es also besser, und wollen nun andere, die anders denken als sie, aus dem Wege räumen … gemerkt?

Soweit einige kleine Einblicke in die eine Seite der sogenannten Freiheit: der Freiheit von etwas.

Freiheit für etwas

Es gibt aber noch eine andere Seite: die Freiheit für etwas. Und wer nun behauptet, diese Freiheit gäbe es nur, wenn man erstmal die Freiheit von allen Einschränkungen erreicht habe, der ist eben unbelehrbar und festgefahren im Machtdenken.

Ich kann doch handeln, indem ich alle Anstrengungen unternehme, erst einmal mich in andere Menschen hinein zu denken, sie zu verstehen, mit ihnen zu sprechen, und so ihnen, den anderen Menschen, möglichst viel Freiheit zu schenken. Es ist doch möglich, sich vom Kampf um die besten Brottöpfe los zu sagen und vielmehr einen neuen Umgang der Menschen untereinander zu leben!

Dazu ist eigentlich nur eines nötig: von der eigenen Sucht, alles nur aus der eigenen, eingeschränkten Sicht an zu sehen, einmal Abstand zu nehmen. Warum bin ich eigentlich immer derjenige, der als allererstes von allen Einschränkungen frei werden muss? Kann ich nicht, dadurch, dass ich anderen Menschen Hindernisse hinweg räume, viel besser die in der Menschheit vorhandene Freiheit vermehren? Und was tut das dann mit mir, wenn ich versuche, so zu denken?

Das ist dann eben die andere Seite der Freiheit, die in die Zukunft zielt und dabei immer wieder vor der Anforderung steht, Unerhörtes und noch nie Dagewesenes zu schaffen, in jedem Augenblick neu und ganz aus sich heraus. Diese Seite der Freiheit hat ihren Quell in der Liebe, die nicht fragt warum und zu welchem Nutzen, sondern aus sich heraus das Neue schaffen kann, einfach, weil sie es will. So ist der Quell und der Ausfluss eines: Freiheit und Liebe bestehen in einander, durch einander und für einander.

Blicken wir noch einmal zurück auf die Freiheit von etwas: die ist da ganz anders. Sie unterscheidet sich von allen Einschränkungen, Hindernissen etc. Wer ihr nachstrebt, erlebt Furcht von Einschränkungen, ja vielleicht eine Art Antipathie gegenüber allen Hindernisse, also – im Extrem – Hass. Furcht und Hass hängen so zusammen. Aus Angst und Hass kommt die Gewalt. Wieviel Angst muss es in den Menschen unserer Zeit geben, angesichts der Gewaltorgien, die stündlich in der Welt überall geschehen?

Man unterstelle mir nur jetzt nicht, ich wolle Gewalttäter zu armen Hascherln erklären, die man irgendwie betütern muss. Davon bin ich weit entfernt. Verstehen heißt ja nicht gutheißen. Aber Verstehen ist der erste Schritt zu einem Gespräch, zu einer Verständigung, und es ist damit auch der erste Schritt zu einer Lösung der zugrunde liegenden Probleme. Denn es löst den Menschen, dem wir mit Verstehenwollen begegnen, immer ein wenig aus seiner Fixierung auf Macht und Hass. Es ist ein Schritt aus Liebe, denn sie und – recht betrachtet – nur sie, die Liebe, kann alles verstehen.

Es ist eben etwas Anderes, ob ich jemanden in einen Kerker werfe, damit er leidet, oder in ein Gefängnis stecke, damit dieser böse Mensch (ich bin ja nicht böse …) niemandem mehr schaden kann, z.B. auch mir – oder ob ich einen Kranken daran hindere, weiter Schuld auf sich zu laden, und daher sein Weggesperrtsein als schmerzlichen, aber derzeit unvermeidbaren  Kompromiss ansehe, weil ich noch nicht die Fähigkeit entwickelt habe, ihn zu heilen. Das schließt dann selbstverständlich den Versuch ein, ihn erst einmal zu verstehen – anders ist Heilung niemals zu erlangen.

Ich weiß wohl, das Innere des heute „normalen“ Menschen sträubt sich gegen den Versuch, so zu denken. Das sei alles völlig verklärt-illusionär, und daher einfach nicht praktikabel. Erstmal muss man doch sein Stück vom Weltgenuss auch haben, bevor man dann also schönes Hobby solche Sonntagsgedanken anstellen kann usw. usf. etc. pp.

Man schaue aber einmal in die Weltgeschichte: ich greife zwei ganz große Gestalten heraus, die es nicht nötig hatten, gewalttätig zu werden: Gandhi und Nelson Mandela. Wer sich auch nur ein ganz klein wenig mit ihnen und ihrer Biografie befasst, wird sehr schnell finden, dass sie immer das Bemühen hatten, den anderen, der ihnen im Wege stand und ihnen auch Leid zugefügt hat, zu verstehen. Und genau dadurch sind sie so große Menschen geworden. Sie haben bewiesen, dass jeder Einzelne sich im Grundsatz frei machen kann, einfach durch die Liebe. Und die zielt genau darauf, dem anderen Menschen Freiheit zu schenken.

Dass nun nicht jeder ein Gandhi werden kann, ist ja klar. Dazu gehört dann auch immer ein besonderes Schicksal, das diesen Menschen von außen entgegenkommt. Aber die Möglichkeit, im eigenen Leben einmal anders um sich zu schauen als mit der Fixierung auf die Furcht vor Unfreiheit und damit auf die Machtfrage, die hat jeder von uns. Und damit steckt in jedem von uns auch der Quell der Freiheit für etwas, nämlich für die Zukunft. Also ein bisschen auch die Liebe.

Und damit ist diese Freiheit viel größer als die Freiheit von etwas. Diese Zweite hat nämlich von vornherein Grenzen, ganz prinzipiell und unvermeidlich, die Grenzen nämlich im Gegebenen, schon Existierenden. Die andere, die zukünftige, kennt keine Grenzen. Was noch nicht ist, kann entwickelt werden, dann, wenn sich die Liebe diesem Noch-nicht-Existierenden zuwendet und es sucht, zu verstehen sucht, zu erkennen sucht, und damit – mitgestaltet an der Weiterentwicklung der Welt und des Menschen.

Packen wir es an?