Die „Guten“ und die „Bösen“ – und die Wirklichkeit

Ja, es ist beklagenswert: wo man derzeit auch hinschaut, überall werden Menschen eingeteilt in „Gute“ und „Schlechte“. Und immer gehört natürlich der Beurteiler zu den „Guten“ – auch wenn er es nicht ausdrücklich sagt. Man merkt es aber doch, wenn man genau hinhört und ein wenig nachdenkt.

Aber das ist doch ganz normal, oder? Wie sollte man sich sonst orientieren können? Ich muss doch wissen woran ich bin bei diesem oder jenem?

Natürlich, orientieren muss man sich. Aber das geht eben auf ganz grundsätzlich unterschiedliche Art und Weise. Man kann gezeigtes Verhalten eines Menschen kritisieren und aufzeigen, welche Folgen dieses Verhalten haben kann oder muss. Dann bleibt der Respekt vor dem anderen Menschen erhalten, egal wie dumm oder destruktiv sein Verhalten auch ist. Man kann aber auch einen Menschen für dumm, moralisch verrottet oder anderweitig für minderwertig erklären. Dann hebt der Beurteiler sich durch sein Urteil über den anderen, macht sich zum „Guten“ und den anderen zum „Schlechten“.

So etwas kennen wir aus der Vergangenheit in den unterschiedlichsten Formen: die „Für-uns-Denker“, die von Staats wegen alles für uns regeln wollen (weil wir selber ja zu dumm sind dazu?) gehören ebenso dazu wie diejenigen, die aus dem Erbgut (also der körperlichen Erscheinungsform) eines Menschen seinen „Wert“ ableiten wollen, oder für die Wertigkeit eines Menschen erst die entwickelte eigenständige Persönlichkeit fordern (wer entscheidet, ob die vorhanden ist? – In der Debatte um Organentnahmen für Transplantationen  z.B. wurde ernsthaft von anerkannten Philosophen die Auffassung vertreten, ein Neugeborenes sei kein vollwertiger Mensch, eben wegen des Fehlens dieser eigenständigen „Persönlichkeit“; solche Argumentationen sind in die heute gesetzlich gültige Definition des „Hirntodes“ mindestens mittelbar eingeflossen). Und natürlich, das kennen wir auch heutzutage: die „Ungläubigen“, die eben schlechter sind und deshalb umgebracht werden müssen/sollen/dürfen. Und ja, natürlich all die „Unbelehrbaren“, die noch immer Rassisten sind, die sind natürlich auch schlechte Menschen.

Und wenn einer schon an einer Stelle einen moralischen Mangel zeigt, dann ist er natürlich sowieso nicht wert, dass er relevante Dinge tun kann, und gehört unter Aufsicht oder an völlig untergeordnete Stelle. Allerdings, was man dabei unberücksichtigt lässt: wenn einer seinen moralischen Mangel nicht ZEIGT, weil er ihn gut verbergen kann (also zusätzlich auch noch unwahrhaftig – also ein Lügner ist), dann könnte er nach diesem System gut da stehen. Das ist dann eben „Außen hui – innen pfui“, oder so? Und dann sind natürlich diese Leute gerade die Schlimmsten? …. und so weiter, und so fort …

Man kann zu dieser Situation manches bemerken. Da gibt es z.B. den schönen Satz: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“. Oder es gibt Geistesheroen (finde ich) wie Noam Chomsky, der sich nachhaltig öffentlich dafür eingesetzt hat, dass rechte Hetzer ihre Meinung sagen und veröffentlichen können – allerdings unter gleichzeitiger allerschärfster Ablehnung und nachhaltiger Widerlegung der von ihnen vertretenen Thesen und Meinungen (leider weiss ich hier die genaue Quelle nicht mehr, bin mir aber sicher, dass es der Sache nach so war).

Im Hinblick auf den amerikanischen Präsidenten möchte ich darauf hinweisen, dass gerade von denjenigen, die für alle menschlichen Verhältnisse außerhalb ihrer eigenen Gesellschaftskreise bisher wenig Interesse gezeigt haben, vielmehr die Welt mit nur für kleine Menschengruppen nützlichen Polarisierungen, Konflikten und Kriegen überzogen haben (ja, auch ein Friedensnobelpreisträger gehört genau zu dieser Gruppe), dass also gerade aus diesen Kreisen der neu gewählte Präsident der USA für moralisch minderwertig und deshalb für ein solches Amt ungeeignet hingestellt wurde, unter nachhaltigem Aufrühren von Emotionen. Sind sie selber die moralisch „Guten“?

Das setzt sich dann bei uns hier fort – in Diskussionen, in Kommentaren in sogenannten „Sozialen Medien“. Wem aber steht es zu, einen Menschen, den er nur aufgrund eines durch die Medienöffentlichkeit vermittelten Bildes kennt (von den Medien wissen wir ja, dass sie ihre Meinungsmacht durchaus kennen und nutzen), als „Schwachkopf“, „dumm“, „unmoralisch“ und dergleichen zu bezeichnen? Sind dann alle, die ihn gewählt haben, ebenso die „Schwachköpfe“, „dumm“ oder anderweitig minderwertig? Ist der ganz sicherlich sympathisch wirkende smarte Herr, der kaum etwas von all seinen wohllautenden Wahlversprechungen wahrgemacht hat, vielmehr maßgeblich Verantwortung trägt für unermessliches Kriegsleid, ist der nun irgendwie „besser“? Sicher, er ist gefälliger, sehr viel gefälliger im Auftreten. Macht das sein Handeln besser? Man kann wohl mit Recht behaupten, dass es bei ihm Widersprüchliches gibt. Inwiefern das bei seinem Nachfolger auch so sein wird oder nicht, sollten wir vielleicht abwarten.

Um es ganz deutlich zu sagen: ich bin sehr, sehr weit davon entfernt, zu einem Trump-Lober zu werden. Es gibt viel zu viel Kritikwürdiges an seinem Verhalten und seinen Aussagen. Das ist ja mit Wladimir Putin (und auch den meisten unserer „Politiker“) nicht anders. Aber: wer bin ich denn, dass ich entscheiden kann, dass der eine oder der andere der „Schlechte“ ist? Kenne ich alle Gründe, warum sie so oder so handeln? Gibt es minderwertige Menschen, die WEGEN IHRER MINDERWERTIGKEIT von ihrem Posten gejagt gehören? Nicht wahr, solches „vom Posten jagen“ hat es ja in der letzten Zeit öfter gegeben – gerade in der Regierungszeit eines Friedensnobelpreisträgers gab es allerlei „Regime Changes“, die – wenn man nicht mit dem im Übrigen von der CIA erstmals im Zusammenhang mit dem Attentat auf John F. Kennedy als Meinungskeule gebrauchten Unbegriff „Verschwörungstheorie“ alles verunglimpfen möchte, was einem nicht in den Kram passt – gerade demokratisch gewählte Volksvertreter getroffen haben (angefangen 1953 im Iran, aber auch z.B. vor Kurzem in der Ukraine). Ganz sicher spricht nichts dagegen, wenn jemandem, der das ihm erteilte Mandat nicht erfüllt, eben dieses Mandat entzogen wird. Das besagt aber dann nichts über seinen menschlichen Wert oder Unwert. Und es muß ein die Menschenwürde wahrendes Verfahren zu diesem Mandatsentzug gefunden werden.

Kurz und gut: Leute, lasst euch nicht in welche Schwarz-Weiß-Polarität denn auch treiben. Solche Dualitäten sind Ursachen für Streit, Spaltung, Unterdrückung und Krieg, und werden in den meisten Fällen im Sinne von „divide et impera“ kreiert und benutzt. Die Wirklichkeit ist differenzierter. Mit der Wirklichkeit umzugehen, ist ganz bestimmt sehr viel anstrengender als sich über die „Dummen“ zu echauffieren. Aber es lohnt sich.

© Stefan Carl em Huisken 2017