Musik – wo geht’s lang? Klassik, Pop, Folk(s)musik? – Ein Kommentar

Musik ist so vielfältig wie die Menschen, die sie machen. Jede Art von Musik hat darum ihre Berechtigung; sie ist Ausdruck menschlicher Erlebens-Welten und verdient darum, respektiert zu werden. Das ändert allerdings nichts daran, dass Musik und Musikmachen auch eine dienende Funktion haben, nämlich für diejenigen, die sie – in welcher Weise auch immer – konsumieren. Und genau da fängt das Dilemma an.

Der Vollblutmusiker möchte Neues schaffen, eigenschöpferisch tätig sein, Impulse geben, sein Eigenes zur Geltung bringen, die Welt der Musik um Neues bereichern. Der durchschnittliche Konsument genießt Musik aber sehr überwiegend zum Zwecke der Entspannung, und möchte darum nicht zu sehr beansprucht werden, lieber das in der harten Alltagswelt zu kurz gekommene Gefühlsleben gepflegt wissen, am besten durch Anregung angenehmer Stimmungen, so zum Wohlfühlen eben.

Wer nur ein wenig darüber nachdenkt, wofür heutzutage das meisten Geld in der sogenannten „Freizeit“ ausgegeben wird, dem wird sehr schnell klar, dass der Kunde auch hier König ist: für ein Konzert mit den „Stars der Volksmusik“ (überwiegend Schlager mit Heile-Welt-Inhalten, was eben im oberdeutschen Bereich meist überzeugender gekonnt wird als im Norden, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf …), für ein solches Konzert zahlen locker mehrere hundert oder auch tausend Menschen Summen im oberen zweistelligen Bereich, während für ein absolut innovatives Konzert, das so Neues bringt, dass es keinem gängigen Genre-Schema unterworfen werden kann, kaum Eintritt erhoben werden kann – es kommt schon so kaum einer..

Da gibt es nun auch noch ein weiteres Problem zu bedenken: die sogenannte „Klassik“-Szene, die davon lebt, dass oftmals sensationell gute Musiker Werke vergangener Zeiten interpretieren, tut auch nichts anderes als Bestehendes zu reproduzieren, nur auf einem nach bürgerlichen Maßstäben „höheren“ Niveau. Ob ein Zuhörer ein Klarinettenkonzert von Mozart immer wieder genießt oder den bekannten Schlager von Klaus&Klaus in im Grundsatz dasselbe: er möchte in seinem Innern angeregt wissen, was er schon kennt und was ihm gefällt. Dazu benutzt er die Musik.

Im Ergebnis stirbt so die sogenannte „E“-Musik ebenso wie die sogenannte „U“-Musik (eine Unterscheidung, die in der leider vorhandenen Schärfe ja wirklich nur aus deutschen Bürokratengeist hervorgehen kann) nach und nach ab. Wenn Musik sich – auch Musiker müssen von irgendwas leben! – nur nach Maßgabe des Publikumsgeschmackes finanzieren kann, muss das auch so sein. Das Publikum besteht eben nicht aus Musikern, sondern aus Alltagsmenschen – siehe 1. Abschnitt. Und man kann ja redlicherweise nicht erwarten, dass dieses Publikum nun gerade immer nach Neuem schreit.

Da leidet die Musik unter den selben Problemen wie eigentlich unser gesamtes Gesellschaftsgefüge. Die schädlichen Auswüchse einer Gesellschaft, die sich am Idol des größtmöglichen Eigennutzes jedes Einzelnen orientiert, belasten derart, dass für wirkliche Erneuerung zu wenig Kraft übrig bleibt. Eine Gesellschaft, die sich festfährt, eigentlich schon lange festgefahren ist, sich seit Jahrzehnten nur noch in die Tasche lügt. Eine Gesellschaft, die immer wieder an ihren schon lange völlig zerschlissenen Kleidern herumflickt und sich nicht aufraffen kann, ganz neue Wege zu gehen (so ähnlich beschrieb z.B. Rudolf Steiner am Anfang des 20. Jahrhunderts die Gesellschaft – seiner Zeit!).
Und eine Musikszene, die von der letzten wirklich schöpferisch wirksamen Phase (60er bis 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts) lebt. Oder von meist staatlich geförderter Reproduktion noch wesentlich älterer Werke. Eine Musikszene, die also – aufs Ganze gesehen – nur in Nischen wirkliche Weiterentwicklung zu bieten hat. Zum Glück gibt es diese Nischen – noch.

Das erste Mal ist mir das Problem begegnet, als ich plattdeutsche Liedermacher ein wenig kennen lernte. Damals gab es noch wenig – Helmut Debus ist ja so ein Exponent gewesen damals. Und da fand ich auf einem Plattencover von Helmut Debus einen Ausspruch von Alma Rogge (ich weiß ihn leider nicht mehr wörtlich), in dem sie darauf hinwies, dass es nicht förderlich ist, zu viel zurückzuschauen. Es gehe vielmehr darum, das Bestehende lebendig an diejenigen weiterzugeben, die nach uns kommen. Lebendig – das ist das entscheidende Wort. Es verweist auf die dauernde Weiterentwicklung, die ein Kennzeichen wirklichen Lebens ist.

Machen wir uns darum auf – meine ich – Neues zu entwickeln, indem wir das Bestehende aufgreifen, aber nicht einfach reproduzieren. Die lebendige Musikszene der Bretagne ist ein gutes Beispiel für einen geglückten Zusammenschluss von Altem mit Neuem. Man schaue sich einmal den gemeinsamen Auftritt von Louise Ebrel (absolut eine traditionell-bretonische Sängerin gesetzteren Alters) mit der Punkrockband „Les Ramoneurs de menhirs“ an (http://www.youtube.com/watch?v=ExThS2udH-Y). Traditioneller bretonischer Gesang IST da auch Punkrock – und umgekehrt.

Leider haben wir hier in Deutschland – vor allem in Norddeutschland – keine so begeisternde und massentaugliche musikalische Volksüberlieferung wie die Bretagne. Was bei uns vielleicht einmal Volkskultur war, ist ja sehr nachhaltig beschädigt, wenn nicht zerstört worden. Nicht zuletzt auch darum gibt es ja bei uns die scharfe Trennung zwischen der englisch-amerikanisch dominierten „U“-Musik und der 19tes-Jahrhundert und-früher-dominierten „E“-Musik. Das Eigene liegt eben darnieder.

Aber das ist ja kein Grund zum Jammern: Volkskulturen haben immer auch aus dem gelebt, was aus anderen Weltbereichen nachhaltig assimiliert wird. Da liegt doch ein weites Schaffensfeld. Hier kann der „Nettozahler Deutschland“ (finanziell betrachtet) viel von anderen zurückbekommen (an lebendiger Folk(s)kultur). Das wird aber nicht beackert werden können ohne die ernsthafte Bemühung der Musikschaffenden, die Situation ihres Publikums angemessen zu respektieren und zu berücksichtigen; und auch nicht ohne die Bereitschaft im Publikum, die erfrischende Wirkung neuer Impulse auch einmal zu erproben. Eine Gemeinschaftsaufgabe also.

Ist das nicht ein schönes Ziel?

© Stefan Carl em Huisken 2013