Burfjäll in der Stadt der tausend Gärten – Leseprobe
(…)
Nach einer unruhigen Nacht, in der er mehrmals mit üblen Träumen erwacht war, machte sich ein unausgeschlafener Burfjäll mit den beiden Alten auf den Weg zum Arbeitshaus. Erst führten ihn die beiden durch bekannte Wege, bald aber kamen sie in Stadtviertel, die Burfjäll völlig unbekannt waren. Schließlich stiegen sie einen Berg hinauf; die steil ansteigende Straße wurde nach und nach kahler, und Burfjäll ahnte, wohin der Weg führte: zu der einzigen Stelle der sonst so lieblichen Stadt der tausend Gärten, die ihm gleich unheimlich gewesen war. Oben, am gegenüberliegenden Hang nämlich war ihm ein Stadtteil aufgefallen, der so ganz anders aussah als der Rest der Stadt. Kahl und grau lagen dort die Hallen nebeneinander, an denen nichts an die bunten und blütenverzierten Häuser erinnerte, von denen die Stadt sonst so voll war. Der Mund wurde Burfjäll trocken, ein Schauer lief ihm den Rücken hinab: da sollte er hin? Aber es gab kein Zurück. Bei einem scheuen Seitenblick bemerkte er, wie die Frau ihn etwas besorgt ansah, während der Alte still in sich hineinlächelte.
Schließlich kamen sie bei einer der Hallen an, die sich nur durch ein großes Schild mit der Aufschrift Arbeitshaus – Eingang von den anderen unterschied. Ohne zu zögern traten die beiden Alten ein, gefolgt von Burfjäll. Durch abgetretene Gänge kamen sie an eine Tür, deren Klinke so abgegriffen war, dass sie glänzte. Der Mann klopfte, und eine dröhnende Stimme antwortete: „Herein!“ In dem Zimmer fanden sie einen Herrn vor, der ebenso beweglich wie umfangreich war. Er saß zuerst in einem etwas speckigen Bürosessel hinter einem alten Schreibtisch, erhob sich dann aber, um Burfjäll durchdringend zu mustern und den Alten dann anzudröhnen: „So, das ist er also. Wann macht ihr euch wieder auf?“ – „Morgen, diesmal in die andere Richtung.“ antwortete der Alte. „Unsere letzte Reise im Übrigen.“ fügte die Frau hinzu. „Gut!“ dröhnte der Dicke, „dann wollen wir mal.“ Er gab den beiden Alten die Hand, schlug dem Mann dabei auf die Schulter, dass er in die Knie ging, und tänzelte dann zu einer anderen Tür, indem er Burfjäll hinter sich herzog. Kaum hatte Burfjäll Zeit, sich von den beiden lieben Alten zu verabschieden, da musste er sich eilen, um hinter dem Dicken herzukommen.
Der Weg führte durch ein schier endloses Labyrinth von Wegen, Gängen, Treppen, Hallen, Kellern, Leitern und Stegen. Überall war Lärm; oft roch es nach Öl oder Feuer. Man sah Menschen, die an den riesigen Maschinen standen oder schwere Lasten schleppten. Die meisten sahen blass und schwach aus, ein Anblick, der Burfjäll aus seiner Heimat ganz unbekannt war. Jeder schien gänzlich von seiner Arbeit mit Beschlag belegt; jedenfalls hörte Burfjäll während des ganzen endlosen Weges kein menschliches Geräusch außer manchem Seufzer, einem Prusten oder Stöhnen von schwer beladenen Menschen und ab und zu den Erklärungen des Dicken, der sichtlich stolz erläuterte, was hier und was dort getan würde und wozu es gut sei.
Burfjäll taten die Menschen unendlich leid, die hier arbeiten mussten. Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle, und ab und zu rollte eine Träne aus dem Auge, wenn er wieder jemanden besonders hart schuften sah. Erst nach und nach wurde ihm klar, dass auch er vielleicht – nein, das konnte er nicht denken. Immer schwerer wurde es ihm, dem Dicken zu folgen, der unverändert fröhlich plaudernd durch die Hallen eilte. Schließlich kamen sie in eine zugige Halle, wohl ziemlich am Ende des Arbeitshauses, in der es besonders dunkel war. Schattenhafte Gestalten huschten auf und ab zwischen laut quietschenden und knirschenden Rädern und Stangen. „Hier ist es gleich!“ rief der Dicke fröhlich, und er schien nicht zu merken, wie Burfjäll das Herz fast stehenblieb.
Ganz am Ende der Halle hing eine alte, schwere Brettertür etwas windschief in den Angeln. Ein verblasstes Holzschild trug die Aufschrift Bitte klopfen! Der Dicke steuerte auf die Tür zu, blieb davor stehen und klopfte zart gegen die Tür. Burfjäll wunderte sich, dass die dicken Finger so gefühlvoll sein konnten. Geduldig wartete der Dicke, bis die Tür sich knarrend öffnete. Burfjäll konnte nur erkennen, dass dahinter im Halbdunkel ein bärtiger, uralt scheinender Mann mit funkelnden Augen stand. Er wechselte einige Worte mit dem Dicken, die Burfjäll jedoch nicht verstand. Dann verabschiedete der Dicke sich ausgesucht höflich und schob Burfjäll mit einem Klaps durch die Tür. Alles ging so schnell, dass Burfjäll erst wieder zu sich kam, als die Tür hinter ihm krachend zufiel.
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