Sehnsucht

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Sehnsucht ist paradox. Man sucht das Sehnen, aber das Sehnen sucht gerade etwas anderes, was man eben nicht hat. Hätte man es, wäre die Sehnsucht nicht da. Aber die Sehnsucht zielt ja gerade darauf, es möglichst zu haben. Sehnsucht ist also eine selbstzerstörerische Sache. Oder?
Wer sich nach etwas sehnt, sucht es. Und er macht sich Bilder davon, immer neue, stellt sich vor, wie es wäre, wenn. Der Sehnsüchtige wird also außerordentlich produktiv – im Bilderschaffen von dem, was er nicht hat. Das ist doch äußerst konstruktiv. Oder nicht?
Man macht sich ein Bild vom Gesuchten. Und sucht. Meistens ohne Erfolg. Da macht man sich ein neues, anderes Bild, von einem anderen Gesichtspunkt aus. Und kommt in Bewegung. Bewegung ist Leben. Ohne Bewegung ist alles fest, starr – tot. Und doch sucht man das gerade. Sind Sehnsüchtige nekrophil?
Aber die Bilder, die Bewegung, in die man kommt, das Leben, das aufgerufen wird – ist das nicht alles bloß Schein: Schein-Leben, Schein-Bewegung, Schein-Bilder? Fordert wie Wirklichkeit nicht gerade das feste, sichere, auf dem man stehen kann, das einen trägt? Dann wären diese Wirklichkeit und der Tod eines und das selbe. Scheint zumindest so.
Wer sich bewegt, trägt seinen Gesichtspunkt durch die Welt – die äußere, scheinbar feste Welt (wieviel wankt da aber, wenn man es genau besieht), oder auch die innere, bewegliche Bilderwelt – und ist daher selber das einzige feste. Wer durch das Leben gehen will, das Leben er-leben, muß also selbst – tot sein? Ach du liebe Güte!
Das ist ja gerade das Paradoxe, dass ohne Leben eben kein Tod vorkommt, UND OHNE TOD KEIN LEBEN!! Und doch sind wir alle sehn-süchtig nach dem ewigen Leben, wollen den Tod nicht sehen, gehen ihm aus dem Weg – jedenfalls, soweit wir selber betroffen sind.
Und merken dabei gar nicht dass wir dabei – en passant sozusagen – außer dem er-lebten Leben auch den Tod hervorrufen. Immer. Ohne Leben kein Tod – ohne Tod kein Leben.
Und je mehr wir unsere sehnsuchtsvollen Bilder durch unser eigenes Leben und Er-leben der Wirklichkeit einverleiben, erschaffen wir: Tod.
Das kann man gar nicht wirklich begreifen, verstehen. Begriffe mans, stünde der Begriff fest, und wäre – tot. Also müssen wir wohl bei der Sehnsucht bleiben, und das ewige Leben dort suchen, wo es ist – immer in der Mitte zwichen Tod und Leben, beide hervorrufend und gestaltend.
Tragen wir’s mit Fassung. Oder?

© Stefan Carl em Huisken 2014

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