Ein ganz grundsätzliches Problem

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Anmerkungen zur sogenannten „Rassismus-Frage“ bei Steiner

Immer wieder findet man ja Diskussionen über die Frage, inwieweit bei Rudolf Steiner „rassistisch“ genanntes Gedankengut vorhanden sei. Nun ist durch die verdienstvollerweise von Thomas Meyer (DER EUROPÄER, Jg. 17 Nr.8, S. 28 ff) veröffentlichte schriftliche Diskussion zwischen ihm und Helmut Zander der Finger endgültig in die eigentliche, ganz grundsätzliche, schon seit langem offene Wunde gelegt: das ganz außerordentlich verbreitete Unverständnis unserer Zeit gegenüber der Bedeutung des Individuums (auch in seiner Inkarnation in einer Alltagspersönlichkeit) – jedes Individuums also – für das Weiterschreiten der Menschheit. Freiheit und Liebe sind untrennbar, und können sich nur darleben und ins Weltgeschehen einleben durch das freie Individuum; ohne den „Abgrund des Individuellen“ (GA 40, 1998, S. 224) – das Stehen vor dem Nichts – aber keine Freiheit, auch nicht bei Steiner.
Anknüpfend an seinen monumentalen Satz: „Im Denken steht der Mensch im Elemente des Ursprungs der Welt, hinter dem etwas anderes zu suchen als sich – den Denker – selbst, für den Menschen keine Veranlassung besteht.“ (Karl Ballmer, Rudolf-Steiner-Blätter Nr. I, S. 1) kommt Karl Ballmer im Jahre 1928 zu zwei nicht minder monumentalen Äußerungen: „Der Inhalt der ‚Geheimwissenschaft‘ Dr. Rudolf Steiners wird für uns nicht geringer, sondern um so größer und bedeutender, je mehr wir uns mit der Empfindung durchdringen, daß der das Produkt der wahrheitschaffenden Phantasie des Künstlers Rudolf Steiner ist.“ (S. 3) und: „Hatten die bisherigen Erkenntnistheorien die Frage zu beantworten versucht: Wie erfahre ich in meiner individuellen Eingeschlossenheit erkennend etwas über das Wesen einer von mir unabhängigen objektiven Welt?, so drängt das ‚Faktum Rudolf Steiner‘ zu der anderen Fragestellung: Was bedeutet das Faktum des Erkennens Rudolf Steiners, was bedeutet das individuell-persönliche Erkennen für die Welt?“ Es ist ja ganz leicht erkennbar, dass diese nun schon ziemlich alte Auseinandersetzung um die Bedeutung des Individuell-Persönlichen auch bei der Frage eines eventuellen „Rassismus bei Rudolf Steiner“ maßgeblich mitschwingt.
Das ist ja auch kein Wunder. Wer kann sich schon aufschwingen zu der Ansicht, jedes, auch sein eigenes persönlich-individuelles Erkennen, Erleben, Ringen habe Bedeutung für die Welt, und für dieses persönlich-individuelle Erkennen ergebe sich eben der wichtigste Maßstab aus der ganz eigenen, persönlichen Antwort auf die Frage von Freiheit und Liebe – und nicht aus einer irgendwie gearteten „Richtigkeit“, „Wissenschaftlichkeit“ oder einer sonstigen Ideologie (vgl. Ballmer: Wissenschaft“)? Die Begegnung mit dem Abgrund ist ganz offensichtlich nicht für jeden Menschen leistbar; mindestens erkennbar ist, das Menschen wie Herr Zander hier eine ausgeprägte Scheu haben. Wer sollte das nicht verstehen?
Wer aber wie Karl Ballmer zu der Einsicht kommen kann: „Wenn Rudolf Steiner ‚theosophisch‘ gestimmten Seelen den Inhalt des konkreten Ich als objektive geistige Welt in grandiosen Bildern darstellt, so geht das nicht so sehr den Geist als die pädagogischeTätigkeit des Geistes … an“ (S. 3, Hervorhebung im Original), für den kann die Annahme eines irgendwie gearteten „Rassismus“ bei Rudolf Steiner nur völlig abstrus erscheinen.
Gerade derjenige, der sich in unserer Zeit zum überragenden Pädagogen des im konkret-persönlichen Ich eines jeden sich darlebenden Geistes hat aufschwingen können, soll irgendwen oder irgendetwas (also „Rasse“, „Wissenschaft“, „fortgeschrittende Geistesschulung“, „ethische Unbedenklichkeit (im Sinne vorgefasster Regeln)“ etc.) über das freie Individuum stellen?
Es scheint, als ob Ballmers Artikel von 1928 an Aktualität nichts eingebüßt hat. Schrieb er doch schon damals: „Es geschieht ohne alle Bitterkeit, wenn der Herausgeber dieser Blätter, auf Grund eines mehr als zehnjährigen Darinnenstehens in der anthroposophischen Bewegung und des anthroposophischen Studiums zu dem Geständnis sich genötig sieht, daß er nirgend weniger wirkliches, erkämpftes und erlebtes Verständnis angetroffen hat für das Wesen der Denkautonomie im tiefsten Sinne Rudolf Steiners und damit letztlich für die Überwindung des abendländischen Theismus und Pantheismus als unter – Anthroposophen. Das ist vielleicht so, weil es nicht anders sein kann; und wir haben die Gegebenheiten gelassen hinzunehmen.“ (S. 1)
Und noch ein Zitat aus dem genannten Heft (dessen Wiederveröffentlichung vielleicht wünschenswert wäre) möchte ich mir nicht ersparen: „Erleben wir es nicht, daß man heute ‚Geisteswissenschaft‘ dadurch empfiehlt, daß man sich auf ihren Wissenschaftscharakter beruft? Warum entschließt man sich nicht, den Charakter und die Inhalte der Lehren Rudolf Steiner dadurch als gerechtfertigt zu verteidigen, daß man sie – im Sinne der oben erwähnten Idee Rudolf Steiners*) – als den Ausdruck einer Persönlichkeit behauptet. Das eben wäre vor dem Forum der Landläufigkeit unwissenschaftlich. Aber haben wir denn etwa nicht Gründe, just dieses ‚unwissenschaftliche‘ Kriterium tapfer zu dem unsern zu machen? Sind wir deswegen Zeugen eines Unerhörten, damit wir den Banalitäten des wissenschaftlichen Zeitgeistes Zugeständnisse machen?“ (S. 1f).
Stefan em Huisken, Norden/Ostfriesland
*) „Man nehme zum Beispiel eine Idee wie die folgende: ‚Eine Philosophie kann niemals eine allgemeingültige Wahrheit überliefern, sondern sie schildert die inneren Erlebnisse des Philosophen, durch die er die äußeren Erscheinungen deutet.‘ (Rudolf Steiner: Einleitung zu Goethes ‚Sprüchen in Prosa‘. – Es ist natürlich erkenntnistheoretisch ganz einerlei, ob für ‚Philosophie‘ ‚Geisteswissenschaft‘ gesetzt wird.)“ (Ballmer, a.a.O., S. 1)

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